Bosporanisches Reich

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Ausdehnung des Bosporanischen Reiches
Antike Griechische Kolonien an der Nordküste des Schwarzen Meeres

Das Bosporanische Reich (lateinisch Regnum Bospori) war ein antikes hellenistisches Königreich zu beiden Seiten des kimmerischen Bosporus, das sich im 5. Jahrhundert v. Chr. aus den griechischen Kolonien im nördlichen Schwarzmeergebiet und an den Küsten des Asowschen Meeres gebildet hatte.

Nach einer Phase des wirtschaftlichen und damit verbundenen militärischen Niedergangs im 3. Jahrhundert v. Chr. wurde das Reich um 107 v. Chr. vom Königreich Pontos annektiert. Nach der Eingliederung von Pontos in das Römische Reich durch Pompeius war das Bosporanische Reich ein von Rom abhängiger Staat. Im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. erstarkte das Reich unter der Herrschaft einer sarmatischen Dynastie wieder, war allerdings oft Überfällen benachbarter Stämme ausgesetzt. Das Königreich wurde im Rahmen der Völkerwanderung im 4. und 5. Jahrhundert von den Goten und den Hunnen zerschlagen.

Geschichte

Entstehung des Reiches und Herrschaft der Archaianaktiden

Den Kern, um den das Bosporanische Reich entstand, bildeten die griechischen Poleis auf beiden Seiten der Straße von Kertsch. Diese hieß im Altertum Kimmerischer Bosporus, im Unterschied zum Thrakischen Bosporus. In den achtziger Jahren des fünften Jahrhunderts v. Chr. wurden diese Poleis durch die Archaianaktiden – ein Adelsgeschlecht, das wahrscheinlich ursprünglich aus Milet oder Mytilene stammte – aus der Stadt Pantikapaion geeinigt. Die Archaianaktiden hatten wahrscheinlich die Machtfunktionen als erbliche Archonten inne, wodurch zumindest die äußeren Kennzeichen eines demokratischen Staatsaufbaus gewahrt blieben. Indem sie nun aber diese Macht vererbten, brachen sie entschieden mit den Traditionen der hellenischen Demokratie und begünstigten das Hinüberwachsen des Staatsaufbaus einer Polis in den einer Monarchie.

Die Einigung, von der auch mehrere einheimische Stämme erfasst wurden, erfolgte auch aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen. Nur auf diese Weise konnte dem Vordringen der Barbarenstämme Halt geboten und dem Getreidehandel eine stabile Organisationsform verliehen werden.

Herrschaft der Spartokiden

Nach dem Sturz der Archaianaktiden im Jahr 438 v. Chr. befand sich das Reich, nach Diodor, unter der Herrschaft der thrakischen Spartokiden, die mehr als dreihundert Jahre regieren sollten. Die Umstände, die zum Dynastiewechsel führten, sind unbekannt. Die Namen des Gründers der Dynastie – Spartokos – und einiger seiner Nachfolger sind thrakisch und bekunden zunehmend das Interesse der Griechen an der Schwarzmeerregion. Dies wird auch durch die zeitweise recht häufige Erwähnung der Städte dokumentiert. Die Spartokiden und besonders Satyros I., Leukon I. (389/8–349/8) sowie sein Sohn Pairisades I. (349/8–311/10) – gestützt auf ein zahlreiches Söldnerheer – konnten die Grenzen des Reiches noch erweitern.

Der Krieg zwischen Sindike, Heraclea Pontica und dem Bosporanischen Reich

Begrenzt war das Bosporanische Reich im Osten vom Königreich Sindike, das zwischen dem See Maeotis (Asow See) und dem Kuban Fluss lag, was wohl in etwa dem Oblast Kuban entspricht. Satyros I., der amtierende König des Reiches, hatte 389 durch Bestechung eines griechischen Beamten die Stadt Panagoria gewonnen und belagerte nun die Stadt Theodosia die (unter anderem Namen) vermutlich zum Königreich Sindike gehörte.

Er beschuldigte die Königin von Sindike Tirgatao, sein Reich angegriffen zu haben und dabei seinen Sohn Metrodoros getötet zu haben.

Um den Frieden zu wahren, heiratete König Hekataios von Sindike die Tochter von Satyros I. und verstieß seine Frau Tirgatao, eine Prinzessin der Maeoten (altgriechisch Maiōtai oder

Μαλιῶται

) aus Ixomatae (dem Land der Ixones), die er in einem Turm einschloss.

Als Satyros I. mit 81 Jahren starb, übernahmen seine Söhne Gorgippos und Leukon I. das Königreich. Inzwischen wurde König Hekataios von seinem Sohn Oktamasades gestürzt, der seine Mutter Tirgatao befreite und sich zum König von Sindike machte. Dabei konnte er sich auf Hilfe aus Heraclea Pontica, Memnon von Rhodes und den Sarmaten stützen. Memnon war ein spartanischer Söldner und Statthalter von Rhodos, der dem Perserkönig Dareios diente. Dieser kam mit 40 Triemen und 200 Hopliten dem Oktamasades zu Hilfe.

Um 380 v. Chr. griff Oktamasades mit dieser Streitmacht die Stadt Labrytai an, die vermutlich ein Vasall von Leukon I. geworden war. Dabei kam es zur Schlacht von Labrytai (altgriechisch

Μάχη του Λαμπράι

), in der Leukon I. die Hauptstadt Sinda (heute Anapa) erobern konnte und Oktamasades in die Steppe vertrieb. Tirgatao entkam nach Ixomatae und heiratete den Nachfolger ihres Vaters, einen unbekannten König der Maeoten, der unterhalb des Kuban die Maeoten regierte. Ab diesem Zeitpunkt regierte sein Bruder Gorgippos den östlichen Teil des Reiches, benannte Sinda in Gorgippa um und machte es zu seinem Herrschersitz. Dies lässt vermuten, dass Persien seinen Einfluss auf den Nordkaukasus während dieser Zeit an die Griechen verlor, die während dieser Zeit zahlreiche Güter aus diesem Gebiet importierten. Der Athener Demosthenes beschrieb jedoch später die Spartokiden als grausame Tyrannen.

Tirgatao wird mit einer Prinzessin Tirgutawiya von Ixomatae identifiziert, die auf einer luwischsprachigen stark zerstörten Tafel in Alalach gefunden wurde, was damals persisches Gebiet war.

20 Jahre nach dem Tod seines Vaters belagerte Leukon I. 365 v. Chr. erneut Theodosia, musste jedoch die Belagerung abbrechen und zog sich nach Panticapaeum zurück, nachdem Heraclea Pontica (altgriechisch

Ἡράκλεια Ποντική

in Bythinien, heute Karadeniz Ereğli) seinen Strategen Tynnichos entsandte, um der Stadt zu helfen. Fünf Jahre später, 360 v. Chr., unternahm Leukon I. einen erneuten Versuch, als die Herakleoten abgezogen wurden, weil der Tyrann Clearchus (ca. 364–353 v. Chr.) die Herrschaft in Heraclea Pontica an sich riss. So konnte Leukon I. die Stadt Theodosia erobern und benannte es vermutlich nach seiner griechischen Frau in Theodosia um.

Der Bürgerkrieg von 310–309

310/309 v. Chr. kam es erneut zu einem großen Bürgerkrieg zwischen den Erben Paerisades’ I., eines Sohnes Leukons I. Der Thronanwärter Eumelus verbündete sich mit den Siraken unter ihrem Führer Aripharnes, einem zunehmend hellenisierten Sarmatenstamm und ehemaligen Verbündeten von Sindike. Dessen Bruder Satyrus II. verbündete sich dagegen mit Skythen unter Meniscus und warb einige thrakische und griechische Söldner an. Am Fluss Thatis (ev. der Fluss Kuban) trafen die beiden Kriegsparteien aufeinander, wobei Eumelus mit 42.000 Kriegern seinen Bruder Satyrus II. angriff, der ihn mit 34.000 Soldaten besiegt haben soll.

Anschließend griff Satyrus II. die Hauptstadt der Siraken in Siracene an, wobei er starb. Meniscus brachte den toten Körper seinem jüngeren Bruder Prytanis nach Gargaza, der sich daraufhin nach Panticapaeum begab, um sich zum König zu erklären. Währenddessen nahmen Eumelus und Aripharnes die Stadt Gargaza ein. Im Winter 309 v. Chr. brach Prytanis I. von Panticapaeum aus auf und stellte seinen Bruder Eumelus am See Maeotis (Asow See). Er wurde jedoch schnell in die Enge des Isthmus getrieben und fiel. Eumelus wurde König und von den griechischen Historikern als König der Kimmerer bezeichnet. Vermutlich bezogen sie sich dabei auf den Kimmrischen Bosborus und nicht auf den Stamm der Kimmerer. Damit erlahmte das Interesse der Griechen an der Region, wobei sicher die Diadochenkriege eine Rolle spielten.

Überliefert wurden Teile des Krieges durch Hellanicus von Lesbos, Strabon, Demosthenes, Memnon von Heraclea und Polyaenus[1] sowie Siculus Diodorus[2], die vermutlich die Hauptquellen waren. Das Werk von Memnon von Heraclea ist verloren gegangen und nur späteren Autoren grob bekannt. Am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. versiegten die griechischen Quellen zunehmend, bis die Römer auf den Plan traten. Diese zeigten besonderes Interesse an den reiterlichen Fähigkeiten und der Panzerung der Sarmaten.

Lebensbedingungen und Wirtschaft

Die Hauptbeschäftigung der nichtgriechischen Bevölkerung war der Ackerbau, die Tierzucht, kostbare Felle und die Fischerei. Die bosporanischen Städte waren wichtige Produktionszentren von berühmten, künstlerisch hergestellten Gefäßen aus Ton und Metall. Ganz hervorragend sind auch die Erzeugnisse der bosporanischen Ziseleure, Juweliere und Toreuten. Vermutlich wurde hier ein Teil des so genannten Goldes der Skythen von griechischen Handwerkern angefertigt. Diese Städte betrieben einen lebhaften Handel mit Athen und mit anderen Städten Griechenlands. Die Hauptposten in der bosporanischen Ausfuhr nach Athen bildeten die Zerealien, Salzfische, Pökelfleisch, Sklaven u. a. Aus Athen bezogen die bosporanischen Städte Stoffe, Olivenöl, Wein, Gefäße, Luxusgegenstände, Hausgeräte, Werkzeuge und Waffen, Bücher, Arzneimittel u. a.

Die Kunst der Maeoten wirkt sehr mächtig und zeigt die Einflüsse des Kaukasus-Gebietes, während die Kunst in Sindike ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. zunehmend Verbindungen zum baktrischen Gold offenbart. Beides verbindet sich im Bosporanisches Reich mit dem griechischen Stil und prägt den sarmatischen und gotischen Stil noch viele Jahrhunderte.

Niedergang und Herrschaft der Pontier

Der Mittelmeerraum 218 v. Chr.

In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. begann die wirtschaftliche Schwächung des Bosporanischen Reiches, was sich auch auf die militärische Stärke des Reiches ungünstig auswirkte. Der Kampf gegen die Nomadenüberfälle wurde schwierig. Die Skythengefahr für das Bestehen des Reiches wurde so groß, dass Pairisades V. (ca. 125 v. Chr. – ca. 108 v. Chr.) auf seinen Thron verzichtete und die Macht Mithridates VI. von Pontus anbot. Diese Kapitulationspolitik der letzten Spartokiden rief einen Aufstand in den niedrigen Volksschichten hervor, worunter auch zahlreiche Sklaven waren, die mit den Skythen gemeinsame Sache machten. An der Spitze dieser Volksbewegung stand die skythische Bevölkerung von Pantikapaion unter der Anführung des Sklaven Saumakos (Sawmak). Pairisades wurde von den Aufständischen getötet. Der Aufstand wurde schließlich von den Truppen des Mithridates niedergeschlagen, wobei der Bosporanische Staat in das Pontische Reich einverleibt wurde.

Vasall Roms

Das Römische Reich 117 n. Chr.
Tiberius Julius Rhoimetalkes auf Bronzedrachme
Rhoimetalkes I. und Ehefrau Phytodoris auf Bronzemünze
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Rhescuporis V. auf Bronzestater
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Rückseite des Bronzestaters von Rhescuporis V.

Als der Macht Mithridates’ VI. im Jahr 63 v. Chr. von den Römern ein Ende gesetzt wurde, geriet das Reich in Abhängigkeit vom Römischen Reich. Die neue Blüte des Reiches erfolgte erst im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Dieser wirtschaftliche Aufschwung steht im Zusammenhang mit der Stärkung der Handelsbeziehungen zu Kleinasien und den skythischen Stämmen.

Mit dem Tod des Sauromates II. (210/11), der über die Skythen und Sarmaten gesiegt hatte, begann aber der endgültige Niedergang des Reiches. Gefährlich wurden ihm vor allem die Plünderungszüge germanischer Stämme wie der Goten. Während der Zeit der Reichskrise des 3. Jahrhunderts nutzten Angreifer (wie die Goten und die Boraner) zudem die Schiffe des Bosporanischen Reichs für Einfälle in das Römische Reich. Trotzdem existierte das Bosporanische Reich noch Anfang des 4. Jahrhunderts und unterhielt sogar weiterhin Beziehungen zu Rom, dessen Protektorat von den bosporanischen Königen weiterhin anerkannt wurde. Ein unübersehbares Anzeichen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Reiches war dann die in den 330er bis 340er Jahren unter König Rheskuporis V. erfolgte Einstellung der Münzprägung, die der Bosporus neunhundert Jahre lang fast ohne Unterbrechung durchgeführt hatte.

Anscheinend hatte das Bosporanische Reich aber nicht nur den Einbruch der Goten, sondern auch den Hunnensturm überstanden. Dies ergibt sich aus einer Inschrift eines Königs namens Douptounos, der bereits Christ war und wohl im 5. Jahrhundert regierte. Im 6. Jahrhundert kamen die nicht von den Goten besiedelten Teile der Krim unter direkte byzantinische Herrschaft. Ein Königtum bestand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

Liste der Herrscher des Bosporanischen Reiches

Die Herrscher des Bosporanischen Reiches
Name Jahr
Dynastie der Spartokiden
Spartokos I. 438/7–433/2
Satyros I. 433/2–389/8
Seleukos I. 433/2–393/2
Leukon I. 389/8–349/8
Gorgippos in Gorgippia
Pairisades I. 349/8–311/10
Spartokos II. 349/8–344/3
Apollonios 349/8–ca. 345
Satyros II. 311/10–310/09
Prytanis 310/09
Eumelos 310/09–304/3
Spartokos III. 304/3–284/3
Seleukos II. 304/3–?
Pairisades II. 284/3–ca. 245
Satyros III. 284/3–?
Spartokos IV. ca. 245–ca. 240
Leukon II. ca. 240–ca. 220
Hygiainon ca. 220–ca. 200
Spartokos V. ca. 200–ca. 180
Kamasarye Philoteknos (Regentin) ca. 180–ca. 160
Pairisades III. ca. 180–ca. 150
Pairisades IV. Philometor ca. 150–ca. 125
Pairisades V. ca. 125–ca. 108
Herrscher aus verschiedenen Häusern
Saumakos ca. 108–107
Mithradates I. Eupator ca. 108–63
Pharnakes II. 63–47
Mithradates II. 47–46
Asandros ca. 47–16
Dynamis ca. 21/20 v. Chr.–ca. 7/8 n. Chr.
Scribonius ca. 16/5
Polemon I. Eusebes ca. 15/4–ca. 8
Aspourgos Philorhomaios ca. 14/5–37/8
Gepaipyris 37/8–38/9
Polemon II. 37/38–41
Dynastie der Aspurgiden
Die Könige trugen seit Aspourgos, nachdem er von Kaiser Tiberius den Königstitel und das römische Bürgerrecht erhalten hatte, die Namen Tiberios Ioulios.
Mithradates III. 39/40–44/5
Kotys I. 45/6–68/9
Eunike (Mitregentin) 45/6–68/9
Rheskouporis I. 68/9–93/4
Sauromates I. 93/4–123/4
Kotys II. 123/4–132/3
Rhoimetalkes 132/3–153/4
Eupator 154/5–170/1
Sauromates II. 174/5–210/1
Rheskouporis II. 211/2–226/7
Kotys III. 227/8–233/4
Sauromates III. 229/30–231/2
Rheskouporis III. 233/4–234/5
Ininthimeus 234/5–238/9
Rheskouporis IV. 242/3–275/6
Pharsanzes 253/4–254/5
Sauromates IV. 275/6
Teiranes 275/6–278/9
Chedosbios (?) 279/80–285/6 (?)
Thothorses 285/6–308/9
Rhadamsadios 309/10–322/3
Rheskouporis V. 324/5–341/3
Douptounos oder Doiptounos 5. oder 6. Jahrhundert

Literatur

Weblinks

Commons: Bosporanisches Reich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Polyaenus, Stratagems, 8.55
  2. Siculus Diodorus. Buch 22.24

Koordinaten: 45° N, 37° O