Brain-Computer-Interface

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Ein Brain-Computer-Interface (BCI), auch Brain-Machine-Interface (BMI), deutsch Gehirn-Computer-Schnittstelle (manchmal auch Hirn-Maschine-Schnittstelle oder Rechner-Hirn-Schnittstelle), ist eine spezielle Mensch-Maschine-Schnittstelle, die ohne Aktivierung des peripheren Nervensystems, wie z. B. die Nutzung der Extremitäten, eine Verbindung zwischen dem Gehirn und einem Computer ermöglicht. Dazu wird entweder die elektrische Aktivität (nichtinvasiv meistens mittels EEG oder invasiv mittels implantierter Elektroden) oder die magnetische Aktivität (mittels MEG) aufgezeichnet oder die hämodynamische Aktivität des Gehirns gemessen (mittels fMRI oder NIRS) und mit Hilfe von Rechnern analysiert (Mustererkennung) und in Steuersignale umgewandelt. Das BCI stellt eine Anwendung der Neurotechnik dar.

Allgemeines

Schema eines Brain-Computer-Interfaces

Brain-Computer-Interfaces basieren auf der Beobachtung, dass schon die Vorstellung eines Verhaltens messbare Veränderungen der elektrischen Hirnaktivität auslöst. Beispielsweise führt die Vorstellung, eine Hand oder einen Fuß zu bewegen, zur Aktivierung des motorischen Kortex. In einem Trainingsprozess lernt das Brain-Computer-Interface (also sowohl der Rechner als auch der Mensch), welche Veränderungen der Hirnaktivität mit bestimmten Vorstellungen korreliert sind. Diese Information kann dann in Steuersignale für diverse Anwendungen umgewandelt werden. Ein Beispiel für ein einfaches Brain-Computer-Interface ist eine Auswahl aus zwei Alternativen, indem der Benutzer sich vorstellt, entweder die linke Hand oder aber den rechten Fuß zu bewegen.

Aufgrund hoher und komplexer Datenmengen findet die Signalerkennung und Identifikation mit Formen des maschinellen Lernens (bspw. CNN, LSTM) statt.[1]

Differenzierung

Gelegentlich wird zwischen aktiven und passiven BCI unterschieden. Erstere dienen im Gegensatz zur eingangs dargestellten, allgemeinen Funktionsweise zur aktiven Beeinflussung der elektrischen Aktivität des Hirns. Eine weitere Unterscheidung erfolgt nach operativ eingesetzten (invasiven) und manuell applizier- und entfernbaren (non-invasiven) BCI. Erstere versprechen höhere Signalauflösungen in spezifischen Anwendungsfällen und weniger Störeffekte, bergen jedoch noch das Risiko interner Blutungen.[2] Die Zahl der Befehle, die ein Brain-Computer-Interface zuverlässig unterscheiden kann, hängt wesentlich von der Qualität des EEGs ab. Messungen auf der Kopfhaut haben prinzipiell nur eine sehr eingeschränkte Genauigkeit. Die Entwicklung von Elektroden, die langfristig implantiert bleiben können, ist daher aktueller Forschungsgegenstand.

Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine war bislang bei allen entwickelten Brain-Computer-Interfaces nur in einer Richtung möglich. So lernt der Mensch zwar, dem Rechner kraft seiner Gedanken etwas mitzuteilen, die Antwort des Computers wird bislang jedoch ausschließlich über die normalen Sinnessysteme des Organismus vermittelt (etwa Bilder, Töne, oder elektrische Reizung der Haut). Damit nutzt man bei den Brain-Computer-Interfaces das Gebiet des Biofeedback/Neurofeedbacks. 2018 erfolgte jedoch die erste Kommunikation zwischen zwei Menschen über ein aktives BCI.[3][4]

Anwendungsbeispiele

Demonstrator eines medizintechnischen BCIs

Die wichtigste Anwendung finden Brain-Computer-Interfaces in der Unterstützung von Menschen mit körperlicher Behinderung. In Verbindung mit einer Buchstabiermaschine können sie etwa Menschen mit einem Locked-In-Syndrom, die die zum Sprechen nötige Muskulatur nicht bewegen können, eine Kommunikation mit der Außenwelt ermöglichen. Brain-Computer-Interfaces sollen auch dazu dienen, die Mobilität von Menschen mit Behinderung zu erhöhen. Ziel sind hierbei von Nervenimpulsen gesteuerte Prothesen oder Neuroprothesen, die echten Gliedmaßen immer näher kommen.

Aktive BCI versprechen die Linderung psychologischer Belastungen wie Depression oder Aufmerksamkeitsschwächen,[5] sowie die Nachahmbarkeit pharmazeutischer Drogen.[6] Forschende erwägen, BCI zur Differenzierung von Bewusstseinsstörungen einzusetzen.[7] Eine RAND-Studie legt Verbesserungen in der Steuerung von Gefechtssystemen sowie Prognose-Werkzeuge für die Resilienz eingesetzter Soldaten nahe.[8] Im Kontext der Anwendung für teilautonome Waffensysteme werden ethische und regelungstechnische Aspekte problematisiert.[9]

Fehlende Regulierung

BCIs bieten „noch nie dagewesenes Auswertungspotential“ hochsensibler privater Daten.[10] Kritiker des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung warnen, dass Brain-Computer-Interfaces prinzipiell dazu geeignet seien, „Personen zu manipulieren, ihre Identität zu verändern und möglicherweise in den Wahnsinn zu treiben“. Auch könnten damit besonders sensible persönliche Daten, bspw. Gesundheitsdaten und Bankverbindungsdetails, abgegriffen werden. Rechtlich bestünden trotz IT-Sicherheitsrecht, DSGVO und Privacy-by-Design-Gebots[11] Regulierungslücken angesichts von „massiven Gefahren für die Grundrechte“.[12] Auch die Beweiskraft von durch BCI erfassten Sensordaten wird juristisch diskutiert.[13]

Bereits 2017 plädierten renommierte Forschende um Surjo R. Soekadar, Fragen um Autonomie, Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht, Datenschutz und Privatsphäre, sowie User Experience mehr wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit zu widmen.[14]

Siehe auch

Literatur

  • Jonathan Wolpaw, Elizabeth Winter Wolpaw (Hrsg.): Brain-Computer Interfaces: Principles and Practice. Oxford Univ. Press, ISBN 978-0-19-538885-5, 2012.
  • Jonathan R. Wolpaw, Niels Birbaumer, Dennis J. McFarland, Gert Pfurtscheller, Theresa M. Vaughan: Brain-computer interfaces for communication and control. In: Clinical Neurophysiology, Nr. 113, 2002, S. 767–791.
  • Niels Birbaumer, N. Ghanayim, T. Hinterberger, I. Iversen, B. Kotchoubey, A. Kübler, J. Perelmouter, E. Taub & H. Flor: A spelling device for the paralysed. In: Nature 398, 1999, S. 297–298. doi:10.1038/18581.
  • Miguel Nicolelis: Actions from thoughts. In: Nature, Nr. 409, 2001, S. 403–407.
  • L.R. Hochberg et al.: Neuronal ensemble control of prosthetic devices by a human with tetraplegia. In: Nature, Nr. 442, 2006, S. 164–171.
  • Christa Maar, Ernst Pöppel, Thomas Christaller (Hrsg.): Die Technik auf dem Weg zur Seele. Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1996, ISBN 3-499-60133-8.
  • Michael Tangermann: Eine Übersicht gängiger Brain-Computer-Interface-Paradigmen für Elektroenzephalogramm- und Magnetenzephalogramm-Messungen. In (Karl-Heinz Pantke, Hrsg.): Mensch und Maschine. Wie Brain-Computer-Interfaces und andere Innovationen gelähmten Menschen kommunizieren helfen, S. 21–38. Mabuse Verlag, ISBN 978-3-940529-59-6, 2010.
  • Rajesh. P. N. Rao: Brain-Computer Interfacing. An Introduction. Cambridge University Press, Cambridge 2013. ISBN 978-0-521-76941-9.
  • Rashid Mamunur et al. (2020): Current Status, Challenges, and Possible Solutions of EEG-Based Brain-Computer Interface: A Comprehensive Review. Frontiers in Neurorobotics Vol. 14 (2020). DOI:10.3389/fnbot.2020.00025.
  • Roberto Portillo-Lara et al. (2021): Mind the gap: State-of-the-art technologies and applications for EEG-based brain–computer interfaces. APL Bioengineering 5, 031507 (2021); doi:10.1063/5.0047237.
  • Jamil, N. et al. (2021): Noninvasive Electroencephalography Equipment for Assistive, Adaptive, and Rehabilitative Brain–Computer Interfaces: A Systematic Literature Review. Sensors 2021, 21, 4754. doi:10.3390/s21144754.
  • Douibi, K. et al. (2021): Toward EEG-Based BCI Applications for Industry 4.0: Challenges and Possible Applications. Front. Hum. Neurosci., 13. August 2021. doi:10.3389/fnhum.2021.705064.
  • Silvia Orlandi et al. (2021): Brain-Computer Interfaces for Children With Complex Communication Needs and Limited Mobility: A Systematic Review. Front. Hum. Neurosci., 14 July 2021. doi:10.3389/fnhum.2021.643294.
  • R. CHAVARRIAGA, C. CAREY, J. LUIS CONTRERAS-VIDAL, Z. MCKINNEY and L. BIANCHI (2021): Standardization of Neurotechnology for Brain-Machine Interfacing : State of the Art and Recommendations. In: IEEE Open Journal of Engineering in Medicine and Biology, vol. 2, pp. 71–73, 2021, doi: 10.1109/OJEMB.2021.3061328.
  • Aggarwal, S., Chugh, N.: Review of Machine Learning Techniques for EEG Based Brain Computer Interface. In: Arch Computat Methods Eng (2022). doi:10.1007/s11831-021-09684-6.
  • Leopoldo Angrisani et al. (2021): Passive and active brain-computer interfaces for rehabilitation in health 4.0. In: Measurement: Sensors, Volume 18, 2021, 100246, doi:10.1016/j.measen.2021.100246.
  • IEEE SA Industry Connections No. IC17-007 (2020). Standards Roadmap: Neurotechnologies for Brain-Machine Interfacing.
  • M. Branco et al.: Brain-Computer interfaces for communication: preferences of individuals with locked-in syndrome, caregivers and researchers. Disability and rehabilitation. Assistive technology. DOI:10.1080/17483107.2021.1958932.
  • Gernot Müller-Putz, Rüdiger Rupp [Hrsg.]: Neuroprosthetics and Brain-Computer Interfaces in Spinal Cord Injury : A Guide for Clinicians and End Users. Cham: Springer International Publishing, 2021. ISBN 978-3-030-68545-4.
  • Kawala-Sterniuk, Aleksandra, Natalia Browarska, Amir Al-Bakri, Mariusz Pelc, Jaroslaw Zygarlicki, Michaela Sidikova, Radek Martinek, and Edward Jacek Gorzelanczyk. 2021. "Summary of over Fifty Years with Brain-Computer Interfaces—A Review" Brain Sciences 11, no. 1: 43. https://doi.org/10.3390/brainsci11010043.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Nabeeha Ehsan Mughal, Muhammad Jawad Khan, Khurram Khalil, Kashif Javed, Hasan Sajid: EEG-fNIRS-based hybrid image construction and classification using CNN-LSTM. In: Frontiers in Neurorobotics. Band 16, 31. August 2022, ISSN 1662-5218, doi:10.3389/fnbot.2022.873239.
  2. Ragnar Vogt: Invasive BCI. Neurochips, Prothesen, Exoskelett & Tiefe Hirnstimulation. In: DasGehirn.info. 27. Mai 2015, abgerufen am 25. Januar 2021.
  3. The first “social network” of brains lets three people transmit thoughts to each other’s heads. In: MIT Technology Review. 29. September 2018, abgerufen am 25. Januar 2021 (englisch).
  4. Linxing Preston Jiang, Andrea Stocco, Darby M. Losey, Justin A. Abernethy, Chantel S. Prat: BrainNet: A Multi-Person Brain-to-Brain Interface for Direct Collaboration Between Brains. In: Scientific Reports. Band 9, Nr. 1, Dezember 2019, ISSN 2045-2322, S. 6115, doi:10.1038/s41598-019-41895-7, arxiv:1809.08632 [abs].
  5. Chancen und Risiken von Gehirn-Computer-Schnittstellen. In: T-Systems. Abgerufen am 25. Januar 2021.
  6. Jochen Müller, Surjo R. Soekadar: Das Paradies ist nur einen Klick entfernt. Beginnt das Zeitalter digitaler Drogen? In: Urania Berlin. 21. Januar 2021, abgerufen am 25. Januar 2021.
  7. Rossella Spataro, Yiyan Xu, Ren Xu, Giorgio Mandalà, Brendan Z. Allison: How brain-computer interface technology may improve the diagnosis of the disorders of consciousness: A comparative study. In: Frontiers in Neuroscience. Band 16, 2022, ISSN 1662-453X, doi:10.3389/fnins.2022.959339 (frontiersin.org [abgerufen am 16. August 2022]).
  8. Anika Binnendijk, Timothy Marler, Elizabeth M. Bartels: Brain-Computer Interfaces: U.S. Military Applications and Implications, An Initial Assessment. 27. August 2020 (rand.org [abgerufen am 25. Januar 2021]).
  9. David Gurney: Killer Robot Arms: A Case-Study in Brain–Computer Interfaces and Intentional Acts. In: Minds and Machines. Band 28, Nr. 4, Dezember 2018, ISSN 0924-6495, S. 775–785, doi:10.1007/s11023-018-9462-9 (springer.com [abgerufen am 12. September 2022]).
  10. Maurice Oettel: Wesensdaten: Regulierungslücke im derzeitigen Datenschutzrecht. In: Datenschutz und Datensicherheit - DuD. Band 45, Nr. 9, September 2021, ISSN 1614-0702, S. 623–626, doi:10.1007/s11623-021-1502-6.
  11. Maryna Kapitonova, Philipp Kellmeyer, Tonio Ball: A Framework for Preserving Privacy and Cybersecurity in Brain-Computer Interfacing Applications. Version 1.0. Agentur für Innovation in der Cybersicherheit, 30. Juni 2022 (cyberagentur.de [PDF; abgerufen am 16. August 2022]).
  12. Cyberpunk Revisited: Warnung vor unkontrollierten Hirn-Computer-Schnittstellen. In: heise.de. 30. Dezember 2021, abgerufen am 4. Januar 2022.
  13. Maurice Oettel: Smart Human und der Schutz der Gedanken. In: Datenschutz und Datensicherheit - DuD. Band 44, Nr. 6, Juni 2020, ISSN 1614-0702, S. 386–389, doi:10.1007/s11623-020-1289-x (springer.com [abgerufen am 28. Juni 2022]).
  14. Jens Clausen, Eberhard Fetz, John Donoghue, Junichi Ushiba, Ulrike Spörhase: Help, hope, and hype: Ethical dimensions ofneuroprosthetics. In: Science. Band 356, Nr. 6345, 30. Juni 2017, ISSN 0036-8075, S. 1338–1339, doi:10.1126/science.aam7731 (science.org [abgerufen am 12. September 2022]).