Bukolische Dichtung

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Salomon Gessner, Bukolische Szene (1767)

Bukolische Dichtung (Bukolik, von griechisch βουκόλος boukólos, deutsch ‚Rinderhirte‘) bedeutet „Dichtung, die sich auf das Leben der Rinderhirten (oder, im allgemeineren Sinne, auf Hirten aller Art) bezieht“.

Geschichte

Aus den sizilisch-griechischen Hirtengesängen entstanden, wurde die Bukolik im Hellenismus zur literarischen Gattung. Einzuordnen ist sie zwischen dem Drama und dem Epos: Vom Epos borgt sie das epische Versmaß, den Hexameter. Die einzelnen Gedichte sind oft als Dialoge zweier Hirten aufgebaut, was der bukolischen Dichtung einen dramatischen Charakter verleiht. Als reizvoll galt die Gattung unter anderem aufgrund der Spannung zwischen ihrem heroischen Versmaß und ihrer Beschreibung alltäglicher Szenen einfacher, „unheroischer“ Menschen.

Ihr bedeutendster Vertreter ist Theokrit, dessen Idyllen (griech. Eidyllia, wörtl. „kleine Bildchen“) in der Magna Graecia oder auf Kos spielen und sich durch einen mitunter kruden Realismus der Darstellung des Hirtenlebens auszeichnen. Auch Moschos und Bion von Smyrna schrieben bukolische Gedichte.

Vergil. 1. Ecloge der Hirtengedichte. Titelbild der Ausgabe Sebastian Brant, Straßburg 1502

In der lateinischen Literatur wird die Bukolik von Vergil rezipiert, der den Schauplatz seiner Hirtengedichte (Eklogen) nach Arkadien verlegt. Der Realismus in der Schilderung des Hirtenlebens weicht stellenweise einer Verklärung und Idealisierung desselben als eines (aus der Sicht des Stadtbewohners) idyllischen und sorgenfreien Lebens. Vergils Sichtweise und seine poetischen Techniken haben die europäische nachfolgende Tradition der Gattung maßgeblich geprägt. Dichter lateinischer Bukolik zur Zeit Kaiser Neros sind Calpurnius Siculus und der anonyme Verfasser der Einsiedler Gedichte. Spätrömische Nachfolger sind Nemesian und Severus Sanctus Endelechius. Im Zuge der Karolingischen Renaissance tritt Modoinus als Verfasser bukolischer Dichtungen am Hof Kaiser Karls des Großen auf. Im Codex Gaddianus ist ein anonymes Hirtengedicht aus dieser Epoche überliefert (Carmen bucolicum Gaddianum).

Die Bukolik des Renaissancehumanismus findet bereits in Dante einen wichtigen Vorläufer und in Petrarcas Bucolicum carmen eine erste, noch vielfach unausgereifte Darstellung. Eine bedeutende Erweiterung des bukolischen Personals erfolgt durch den herausragenden Humanisten Jacopo Sannazaro, der in seinen 1526 gedruckten Piscatoriae eclogae erstmals auch Fischer auftreten lässt.[1]

Eine weitere wichtige Weiterentwicklung der bukolischen Dichtung in der Neuzeit stellt die sogenannte Schäferdichtung bzw. Schäferromantik dar. Diese behandelt ebenfalls das ruhige, pastorale Leben der Hirten, wesentlich ist jedoch die Verbindung mit gesellschaftlichen Idealen des Barock. Wichtige Persönlichkeiten wurden unter der „Schäfermaske“ dargestellt und waren nur von Eingeweihten leicht zu erkennen. Ein wesentlicher Vertreter dieser Dichtung ist Friedrich Spee mit seinem lyrischen Hauptwerk „Trutznachtigall oder geistlich-poetisch Lustwäldlein“. Die Bukolik in Deutschland fand zu einem Höhepunkt in den Schäferdichtungen des Pegnesischen Blumenordens, aus dem Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj und besonders Sigmund von Birken als Dichter herausragen.

Das Adjektiv bukolisch wird ebenfalls verwendet, um insbesondere Landschaften als idyllisch zu charakterisieren.[2]

Siehe auch

Ausgaben und Übersetzungen

  • Harry C. Schnur (Hrsg.): Die Hirtenflöte. Bukolische Dichtungen von Vergil bis Geßner. Aus dem Lateinischen, Englischen, Französischen, Niederländischen und nach dem Polnischen. Nachwort von Rainer Kößling. Kurzbiographien und Anmerkungen von Harry C. Schnur (= Reclams Universal-Bibliothek, Band 690: Belletristik). Reclam, Leipzig 1978 DNB 780337158.[3]
  • Dietmar Korzeniewski (Hrsg. / Übers.): Hirtengedichte aus neronischer Zeit (= Texte zur Forschung. Bd. 1). WBG, Darmstadt 1971  ISBN 3-534-04627-7
  • Dietmar Korzeniewski (Hrsg. / Übers.): Hirtengedichte aus spätrömischer und karolingischer Zeit (Texte zur Forschung 26). Darmstadt: WBG 1976 (XIV, 148 S.). ISBN 3-534-06829-7

Literatur

  • Renate Böschenstein: Bukolik / Idylle. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 13, Metzler, Stuttgart 1999, ISBN 3-476-01483-5, Sp. 561–568. [zur Wirkungsgeschichte in Mittelalter und Neuzeit].
  • Bernd Effe, Gerhard Binder: Die antike Bukolik. Eine Einführung (= Artemis Einführungen). Artemis, München/Zürich 1989, ISBN 3-7608-1338-0.
  • Marco Fantuzzi, Karl-Heinz Stanzel: Bukolik. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 828–835.
  • Klaus Garber (Hrsg.): Europäische Bukolik und Georgik (= Wege der Forschung. Band 355). WBG, Darmstadt 1976 ISBN 3-534-05728-7
  • Joachim Gruber, Günter Bernt, Günter Prinzing: Bukolik. In: Lexikon des Mittelalters (LexMA). Band 2. Artemis & Winkler, München/Zürich 1983, ISBN 3-7608-8902-6, Sp. 909–912.
  • Robert Kirstein: Junge Hirten und alte Fischer. Die Gedichte 27, 20 und 21 des Corpus Theocriteum (= Texte und Kommentare. Band 29). De Gruyter, Berlin 2007.
  • Georg Knaack: Bukolik. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band III,1, Stuttgart 1897, Sp. 998–1012.
  • Konrad Krautter: Die Renaissance der Bukolik in der lateinischen Literatur des XIV. Jahrhunderts: von Dante bis Petrarca (= Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Band 65). Fink, München 1983, ISBN 3-7705-2110-2.
  • Günter Wojaczek: Daphnis. Untersuchungen zur griechischen Bukolik (= Beiträge zur klassischen Philologie, Heft 34, ISSN 0522-6821). Hain, Meisenheim am Glan 1969, DNB 458692573 (Dissertation Universität Köln 1969, 155 Seiten).
  • Astrid Eitel: Die Wiederentdeckung der Bukolik: der Dichterwettstreit zwischen Dante Alighieri und Giovanni del Virgilio. Solivagus, Kiel 2014, ISBN 978-3-943025-15-6.

Weblinks

Wiktionary: Bukolik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Fußnoten

  1. Vgl.: Henry Marion Hall: Idylls of Fishermen, a History of the Literary Species. New York 1912 (mit zahlreichen Belegen für antike Vorbilder sowie neuzeitliches Weiterwirken in der italienischen, spanischen, französischen und besonders englischen Literatur).
  2. bukolisch Duden.de
  3. Dieser Band enthält bukolische Dichtungen von: Publius Vergilius Maro, Titus Calpurnius Siculus, Einsiedler-Eklogen, Aurelius Olympius Nemesianus, Alkuin, Modoinus von Autun („Naso“), Theodulus, Dante Alighieri, Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio, Jean Gerson, loannes lovianus Pontanus, Baptista Mantuanus, Jacopo Sannazaro, Publius Faustus Andrelinus, Bohuslav Hassenstein von Lobkowic, Enrique Cayado, Erasmus von Rotterdam, Petrus Pontanus, Alexander Barclay, Baldassare Castiglione, Andreas Naugerius, Euricius Cordus, Eucharius Synesius, Antonius Marius, Helius Eobanus Hessus, Laurentius Gambara, Marcus Antonius Flaminius, Joachim Camerarius der Ältere, Gregorius Vigilantius Samboritanus, Nikolaus Cisner, Johannes Trencker, Simon Simonides, Honoré d’Urfé, Pieter Corneliszoon Hooft, Nicolaus Parthenius Giannetasius, Bernard le Bovier de Fontenelle, Johann Christian Alois (Quirinus) Mickl, Jonathan Swift, Julius Caesar Cordara, Salomon Gessner, C. Arrius Nurus (d. i. Harry C. Schnur) und Poetologische Texte (in Übersetzung) zur Bukolik von: Titus Lucretius Carus, Julius Caesar Scaliger, George Puttenham, Martin Opitz, Philip Sidney, Bernard le Bovier de Fontenelle, Nicolas Boileau-Despréaux, Johann Christoph Gottsched, René Rapin, Joseph Warton, Samuel Johnson, Friedrich Schiller, John Aikin, Hugh Blair, Alexander Puschkin, Salomon Geßner, Georg Wilhelm Friedrich Hegel.