Volksernährung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Für Volksernährung war in Österreich von 1916 bis 1923 und von 1945 bis 1949, in und nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg, eine eigene staatliche Dienststelle, zeitweise ein eigenes Ministerium, verantwortlich. Es handelte sich um Zeiten des Mangels, in denen behördliche Wirtschaftslenkung erforderlich wurde, um vor allem für die ärmeren Bevölkerungsschichten, die nicht genug Geld für den Schwarzmarkt hatten, Hungersnöte zu vermeiden.

Geschichte

1916 bis 1945

Die Materie wurde in Österreich-Ungarn erstmals während des Ersten Weltkriegs als so wichtig betrachtet, dass ihr eine eigene Organisationseinheit der Staatsverwaltung gewidmet wurde:[1] Am 12. Oktober 1916 wurde im cisleithanischen Ministerium Stürgkh als Sektion des Innenministeriums das k.k. Ernährungsamt gegründet.

Mit Zustimmung von Kaiser Franz Joseph I. (acht Tage vor seinem Tod als 86-jähriger), der am 13. November 1916 auch den ersten Präsidenten des Amtes ernannte, wurde durch Verordnung des Gesamtministeriums Stürgkh das Amt für Volksernährung geschaffen, das dem Ministerpräsidenten unterstand und einschlägige Kompetenzen mehrerer Ministerien zu übernehmen hatte.[2][3] Man berief sich dabei auf die Kaiserliche Verordnung vom 10. Oktober 1914,[4] eine inhaltlich das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 vorwegnehmende Vorschrift.

Das Ministerium Koerber II, das am 31. Oktober 1916 die Nachfolge des Ministeriums Stürgkh angetreten hatte, verordnete am 30. November 1916, das Amt für Volksernährung habe seine Tätigkeit am 1. Dezember 1916 aufzunehmen; am gleichen Tag sei die Tätigkeit des Ernährungsamtes im Ministerium des Innern einzustellen. Gleichzeitig wurde das Statut des Amtes für Volksernährung erlassen.[5]

Vom 5. Jänner 1917 an (Ministerium Clam-Martinic) wurde es, der auf Grund der kriegsbedingten Versorgungsprobleme der Bevölkerung weiter gestiegenen Bedeutung der Materie und den umfassenden Verordnungsvollmachten des Amtes für Volksernährung entsprechend, üblich, den Leiter des Amtes zum Minister ohne Portefeuille zu ernennen und damit in die Regierung Cisleithaniens zu integrieren, ohne formal ein neues Fachministerium zu schaffen; man ging wohl davon aus, dass diese staatliche Tätigkeit in Friedenszeiten nicht mehr benötigt würde.[6]

In der Ersten Republik, vorerst in Deutschösterreich,[7] wurde das Amt in Ministeriumsrang als Staatsamt für Volksernährung bis 1920 weitergeführt[8] und am 10. November 1920, dem Tag des Inkrafttretens der Bundesverfassung, in Bundesministerium für Volksernährung (BMVE) umbenannt. Dieses bestand bis April 1923 (Bundesregierung Seipel I); inzwischen war die enorme Nachkriegsinflation mit ausländischer Hilfe gebremst worden.

1923 wurde das Ressort aufgelöst. Die Angelegenheiten wurden auf das Bundesministerium für Landwirtschaft (Erzeugnisse der Landwirtschaft), das Bundesministerium für Handel (Lebensmittelindustrie und -gewerbe), Bundesministerium für soziale Verwaltung (Fürsorge) und das Bundesministerium für Inneres (Wirtschaftspolizei, Preisprüfung, äußerer Ernährungsdienst) aufgeteilt.[9]

In Österreich in der Zeit des Nationalsozialismus unterstanden alle Reichsnährstandbehörden dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft.

Ab 1945

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde wiederum ein Staatsamt (= Ministerium; Provisorische Staatsregierung Renner 1945), dann in der bis 1949 amtierenden Bundesregierung Figl I das Bundesministerium für Volksernährung[10] geschaffen, das unter Aufsicht der vier Besatzungsmächte die Verteilung der Nahrungsmittel sicherstellen sollte.[11][12] Es arbeitete primär mit dem Landwirtschaftsministerium, das für die Produktion zuständig war, zusammen (Übergangswirtschaft).[13]

In der von 8. November 1949 an amtierenden Bundesregierung Figl II bestand das Bundesministerium für Volksernährung nicht mehr. Die Ernährung war soweit gesichert, dass das Ministerium aufgelöst werden konnte. Die Kompetenzen wurden auf Innen-, Sozial- sowie Land- und Forstwirtschaftsministerium aufgeteilt.[14][12]

Heute ist für Ernährungsfragen der Innenminister nur mehr im Krisenfall verantwortlich, seit 1986[15] der Land- und Forstwirtschaftsminister (Lebensministerium, Zuständigkeit Ernährungswesen, 2013 Sektion III Landwirtschaft und Ernährung).

Ausgenommen davon ist die Nahrungsmittelkontrolle, für die das Gesundheitsministerium zuständig ist (2013 Sektion II Verbrauchergesundheit und Gesundheitsprävention); es hat die nahrungsmittelbezogenen Kompetenzen des 1997–2000 im Bundeskanzleramt geführten Verbraucherschutzministeriums übernommen.

Die konkrete Arbeit wird heute von der dem Gesundheits- und dem Landwirtschaftsministerium zugeordneten, 2002 gegründeten Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES; selbst keine Behörde) und dem mit ihr zusammenarbeitenden, 2002 als Behörde unter dem Landwirtschaftsministerium eingerichteten Bundesamt für Ernährungssicherheit (BAES)[16] geleistet.[17]

Leitende Personen

Die Staatssekretäre und Bundesminister 1918–23 und 1945–49 gelten auch als Vorgänger der Gesundheitsminister.[20]

Weitere nachgeordnete Positionen:

  • Unterstaatssekretäre nach 1918:
  • Unterstaatssekretäre 1945 (Hier sind Politiker angeführt, die als Unterstaatssekretäre 1945 Hilfsorgane des im Ministerrang stehenden Staatssekretärs waren.):
  • Sektionschefs für Ernährung nach 1949: (Liste unvollständig)
    • Andrä Rupprechter, Leiter Sektion Landwirtschaft und Ernährung 2002–2007 (danach EU-Ratsdirektor für ländliche Entwicklung, ab 2013 Landwirtschaftsminister)
    • Edith Klauser, Leiterin Sektion III Landwirtschaft und Ernährung seit 20. Juli 2007[22] (Gusenbauer/Pröll, Faymann/Berlakovich)

Einzelnachweise

  1. Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, NÖ Institut für Landeskunde (Hrsg.): Agrarpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1930-1960. Internationale Tagung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes und des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde (St. Pölten, 5.–8. Mai 2004), Tagungsmappe. St. Pölten 2004 (univie.ac.at/ruralhistory [PDF] mit Kurzfassungen der Vorträge und ausführlicher Literaturliste).
  2. RGBl. Nr. 383 / 1916 (S. 1124)
  3. a b Franz Joseph m. p.: Seine k. u. k. apostolische Majestät … haben zu erlassen geruht: Wien, am 13. November 1916. In: Wiener Zeitung, Amtlicher Teil, 14. November 1916, S. 1 (Online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/wrz
    Das Amt für Volksernährung. In: Deutsche Macht. 41. Jahrgang, Nr. 92. Cilli 18. November 1916, S. 2, Sp. 2,3, urn:nbn:si:DOC-AMD7CQNP (dlib.si [PDF; 6,4 MB; abgerufen am 30. März 2015]).
    Casimir Hermann Baer: Der Völkerkrieg: eine Chronik der Ereignisse seit dem 1. Juli 1914. Band 21. J. Hoffmann, Stuttgart, Zum k. k. Amte für Volksernährung November 1916, S. 57 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
    John W. Boyer: Karl Lueger (1844–1910): christlichsoziale Politik als Beruf. Band 93 von Studien zu Politik und Verwaltung, hrsg. von Christian Brünner, Wolfgang Mantel, Manfried Welan. Böhlau Verlag, Wien 2010, ISBN 978-3-205-78366-4, Anmerkung 38, S. 541 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
    verweist BDFA, Band 10, S. 361, 398; Hans Loewenfeld-Russ: Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920. Hg. v. Isabella Ackerl. Wien 1986, S. 43–44 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. RGBl. Nr. 274 / 1914 (S. 1113)
  5. RGBl. Nr. 401 / 1916 (S. 1145), Nr. 402 / 1916 (S. 1146)
  6. Boyer: Karl Lueger. 2010, Anmerkung 39, S. 541 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche). verweist auf Loewenfeld-Russ: Die Regelung der Volksernährung im Kriege. 1926, S. 292–296. ders.: Im Kampf gegen den Hunger. 1986, S. 57–102 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Ulrich Kluge: Bauern, Agrarkrise und Volksernährung in der europäischen Zwischenkriegszeit. Studien zur Agrargesellschaft und -wirtschaft der Republik Österreich 1918 bis 1938. Verlag Franz Steiner, Stuttgart 1988, S. 978-3–515–04802–6.
  8. § 13 Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt. StGBl. Nr. 1 / 1918
  9. Bundesgesetz vom 20. Juli 1922 über die Auflassung des Bundesministeriums für Volksernährung. BGBl. Nr. 527; insb. § 2 a–c und Z. 2 (alex online)
  10. Bundesgesetz vom 25. Juli 1946 über die Besorgung der Geschäfte der obersten Bundesverwaltung, BGBl. Nr. 120/1946
  11. Petra Hasicka: Die Nahrungsmittelversorgung unter der Provisorischen Staatsregierung im Jahre 1945. Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2000
  12. a b Carina Grausenburger: „Ein voller Bauch …“ – Die Lebensmittelversorgung Wiens, vor allem aber der Wiener Kinder und Jugendlichen in den Jahren 1945–1953. Diplomarbeit Universität Wien. Wien 2009, Kapitel 3.1 Das Staatsamt und das Bundesministerium für Volksernährung und 3.4 Es geht bergauf …, S. 33 f. resp. 78 ff. (othes.univie.ac.at [PDF]).
  13. Hans Frenzel: Das tägliche Brot, Gesetze und Verordnungen für die österreichische Ernährungswirtschaft. Wien 1947
  14. § 2 Bundesgesetz vom 16. Dezember 1949 über die Auflösung von Bundesministerien und die Neuordnung des Wirkungsbereiches einiger Bundesministerien, BGBl. Nr. 24/1950
  15. Bundesgesetz über die Zahl, den Wirkungsbereich und die Einrichtung der Bundesministerien (Bundesministeriengesetz 1986 - BMG), Anlage zu § 2, Teil 2, I. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft 1. und E. Bundesministerium für Gesundheit 4. StF: BGBl. Nr. 76 / 1986
  16. Bundesamt für Ernährungssicherheit, baes.gv.at
  17. Gesundheits- und Ernährungssicherheitsgesetz (GESG), BGBl. I Nr. 63 / 2002 in der geltenden Fassung
  18. Tageszeitung Wiener Zeitung, Nr. 4, 6. Jänner 1917, Amtlicher Teil, S. 1
  19. Tageszeitung Wiener Zeitung, Nr. 144, 26. Juni 1917, Amtlicher Teil, S. 2
  20. a b Gesundheitsminister und Gesundheitsministerinnen. sozdok.at; abgerufen 29. Juli 2016.
  21. Stenographische Protokolle. Erste Republik. Session 3. Index
  22. Curriculum VitaE Dipl.-Ing. Edith Klauser. (Memento des Originals vom 21. Dezember 2013 im Internet Archive; PDF; 70 kB)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.oekosozial.at oekosozial.at