Cembalokonzert in g-Moll

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Markgräfin Wilhelmine und ihr Hoforchester 1739. Hohenzollernjahrbuch 1902

Das Cembalokonzert in g-Moll, dessen bisherige Urheberin Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth angezweifelt wird, ist ein spätbarockes, dreisätziges Concerto à Cembalo obligato, 2 Violinen, Viola und Basso in g-Moll. Noten und Wilhelmines Autorschaft wurden erstmals 1890 im Katalog der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel aktenkundig. Die dort in der herzoglichen Bibliothek[1] aufbewahrte Stimmenabschrift dieser Komposition stammt von einem Bayreuther Hofkopisten als Werk „di Wilhelmine“ (so im von ihm geschriebene Titel), das ist Wilhelmine von Preußen (1709–1758),[2] die ab 1731 mit Markgraf Friedrich von Bayreuth verheiratet war. Nachdem bereits bei dieser Katalogisierung durch Emil Vogel die Solostimme für das Cembalo fehlte, wurde erst 1997 in Weimar die/eine vollständige Stimmenabschrift gefunden. Auf deren Titel sind zwei andere Komponisten, „Foerster“ (durchgestrichen) und (mit anderer, späterer Schrift) „Jaenichen“ angegeben. Die Autorschaft Wilhelmines wird deshalb angezweifelt, obwohl die Noten offensichtlich bei der Abschrift unautorisiert blieben, also die beiden Komponisten nicht gleichzeitig mit den Noten, sondern später hinzugesetzt wurden. Es wird für Johann Gotthilf Jänichen („Jaenichen“) proklamiert aufgrund der Tatsache, dass im Breitkopf-Katalog von 1763 ein Komponist „Jenichen“ als Autor dieses Konzertes angegeben ist. (Über die Glaubwürdigkeit des Breitkopf-Katalogs später). In einer neuen Biografie Wilhelmines kam es inzwischen ohne näheren Kommentar zur Aussage, das Cembalokonzert sei Wilhelmine „angedichtet“ worden. Auf eine tiefer gehende Quellenforschung wurde verzichtet, was im Folgenden nachgeholt sei.

Die Wolfenbütteler Abschrift

Von den wenigen erhaltenen musikalischen Werken Wilhelmines, die verstreut in verschiedenen Bibliotheken gefunden wurden,[3] war in der Reihenfolge des (offiziellen) Auffindens das erste (1890) die genannte Abschrift des Konzerts in g-Moll,[4] Es ist die „Quelle Wolfenbüttel“, die von einem Bayreuther Hofkopisten geschrieben und mit „di Wilhelmine“ autorisiert ist. Dieser Kopist wird beim RISM als „Copist 34 (Bayreuth court)“ geführt. Im Bayreuther Stadtarchiv gibt es die Flotow-Sammlung, die mehrere von ihm geschriebene Musikstücke Bayreuther Hofkomponisten enthält. Schon zur Zeit der Katalogisierung dieses Konzerts (1890, s. o.) in Wolfenbüttel fehlte die Solostimme für Cembalo. Zudem entpuppte sich diese Handschrift als gekürzte Fassung des Cembalokonzerts, nach Vergleich mit der weiteren, erst 1997 in Weimar gefundenen vollständigen Stimmenabschrift.

Ein Autograph oder eine Partitur dieses Konzertes wurde bisher nicht bekannt.

Die Weimarer Abschrift

Die neue „Quelle Weimar“ des Konzerts wurde erst 1997 gefunden. Sie ist die einzige vollständige Abschrift des Konzertes, die nicht nur die bisher vermisste Solostimme enthält, sondern deren Orchesterpart im Vergleich zur „Quelle Wolfenbüttel“ um ein Drittel länger ist. Wie diese ist sie als praktisches Stimmen-Manuskript überliefert und weist Aufführungsspuren/ Verbesserungen auf. Sie wurde von zwei unbekannten Schreibern angefertigt, ein dritter fügte dem zweiten Satz der Cembalostimme eine improvisatorische Cembalo-Passage (Kadenz/Cadenza) an.

Capriccio

Und auffällig: Im ersten Satz (dem keine Kadenz angefügt wurde) steht nach der Fermate (vor dem Da Capo des Orchester-Ritornells) die Aufforderung „si sona Capriccio“ (hier spiele man ein Capriccio). Also eine Kadenz. Die wörtliche Bezeichnung „Kadenz“ für den bei Solo-Konzerten üblichen virtuosen Einschub vor Satzende war demnach noch nicht geläufig.

In der Geschichte des Tastenkonzertes, die deutlich später beginnt als jene der Violinkonzerte Antonio Vivaldis, deutet das auf ein frühes Stadium Anfang der 1730er Jahre.[5][6] Ein zeitlicher Anhaltspunkt für erste Tastenkonzerte sind Johann Sebastian Bachs Bearbeitungen nach eigenen Violin-(u. a,) Konzerten „um“ 1738 (Partitur in Staatsbibliothek zu Berlin); darin keine wörtliche Anweisung „Cadenza“ oder „Capriccio“.[7]

Aufbewahrt in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek Weimar wurde die neugefundene „Quelle Weimar“ beim Brand 2004 weitgehend vernichtet, es existiert aber eine originale Fotokopie.[8] Dieses Manuskript entstammt der Thüringischen Landesbibliothek Weimar[9] und ist nicht im Katalog der persönlichen Sammlung der Herzogin Anna Amalia aufgezählt. Die Frage, ob es einmal im Besitz von deren Vorgänger Herzog Ernst August war, stellt sich nun.[10]

Zwei Komponistennamen als mutmaßliche Autoren

Auf dem Titelschild dieser Stimmen-Handschrift in der Weimarer Anna Amalia Bibliothek[11] befinden sich die beiden später genannte Autorennamen (ursprünglich war sie ohne Autorennamen): „Foerster“ (durchgestrichen), danach mit anderer Schrift „Jaenichen“.[12]

Jänichen im Breitkopf-Katalog

Gründungsort des ältesten Musikverlags der Welt, heute Breitkopf & Härtel, war die „Bärenschänke“ in Leipzig

Über Johann Gotthilf Jänichen (* 1701 in Halle, † vor 1750 in Berlin), Sohn des Hallenser Pädagogen und Liederdichters Johann Jänichen ist persönlich kaum etwas bekannt, es heißt, dass er ein guter Cembalist gewesen sei[13] und bei Christian Ludwig von Brandenburg als Sekretär angestellt war.[14] In Telemanns „Musique de Table“ (1733) ist „Jenichen aus Berlin“ als Subskribent verzeichnet. Dieser Name (ohne Vorname) gelangte mit zwei Kompositionen, darunter das g-Moll Cembalokonzert um das es hier geht in den umfangreichsten Musikalienkatalog der Musikgeschichte, den Breitkopf-Katalog, der ein Verkaufskatalog war. Er besteht aus einer Folge mehrerer ab 1762 gedruckter Incipit-Kataloge mit den Notenanfängen von Tausenden Musikstücken. In dem Band von 1763 wird das Cembalo-Konzert in g-Moll mit Incipit (Notenanfang des Musikstücks) unter „Jenichen“ [sic] geführt.

Zuweisung mit Fragestellung

Jänichen im Breitkopf-Katalog: Es handelt sich dabei um eine ungesicherte Zuweisung, wie sie in diesem Katalog oft vorkommt.[15] Über Schwierigkeiten hinsichtlich der Autorenzuweisungen dieses Verkaufskatalogs schreibt der Inhaber des Leipziger Musikalienlagers Johann Gottlob Immanuel Breitkopf selbst:[16]

„Wie manchen Streit hat man nicht auszumachen, und wie manchen geheimen Kampf zu überwinden, wenn man jedem Verfasser das Seinige geben, und die unter verschiedenen Nahmen [beide Wörter hervorgehoben] vorkommenden Stücke ihren wahren Meistern zueignen will? Und wenn man in so zweifelhaften Fällen, dergleichen mir gar oft vorgekommen sind, durch Nachfragen nicht viel herausbringt […]“

Bayreuther Hofkopist

Der Titel der Wolfenbütteler Abschrift des Cembalokonzertes, der mit „di Wilhelmine“ und Incipit-Notenzeile endet, ist von beiden Überlieferungen des Cembalokonzertes derjenige, der den Namen der Autorin Wilhelmine in einem Zug mit den Noten und im Zusammenhang mit dem Bayreuther Hof sicher überliefert. Deren Kopist, der als „Oboist Tiefert“ ab 1755 namentlich im Bayreuther Hofkalender und dort ab 1764 als Kopist betitelt ist, hatte nachweislich Zutritt zum Musikalienfundus der Hofkapelle.[17] 1759 ist er („Differt“) mit einem Notenkopierauftrag in einem umfangreichen Kostenbuch hauptsächlich über ein neues Comödienhaus in Bayreuth anlässlich der zweiten Hochzeit Markgraf Friedrichs mit Sophie Caroline Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel verzeichnet.[18] Sehr wahrscheinlich galt dieser Auftrag einem Mitbringsel für die Schwiegermutter und Schwester Wilhelmines, Philippine Charlotte, nach Wolfenbüttel, wo im selben Jahr (Herbst 1959) die Hochzeit stattfand und sich dort in der herzoglichen Bibliothek Wolfenbüttel das in Kästen aufbewahrte Cembalokonzert in g-Moll und die kostbar gebundene Bayreuther Oper L'Huomo von 1754 in der unverwechselbaren Handschrift des Bayreuther Kopisten befinden. Das lässt die Vermutung zu, dass diese beiden Werke zum genannten Auftrag an diesen Kopisten (1759) gehörten. Als wichtiges Beweismerkmal zeigt die Oper Bayreuther Vorsatzpapier, das gleiche wie der Umschlag der Weimarer Abschrift des g-Moll Cembalokonzertes.

Wilhelmine oder Jänichen?

Die Weimarer Handschrift vermittelt hinsichtlich der Autorenfrage den ungesicherten Stand einer Vermutung gleich zweier Komponisten (s. o.), die (damals offenbar) in Frage kamen. Offensichtlich wurden diese Komponistennamen erst nach späterer Heftung des Konzerts auf den Umschlagtitel geschrieben; so zeigt dieser buntmarmorierte Umschlag – aus „Bayreuther Vorsatzpapier“ – zwei verschiedene Katalognummern: eine rechts oben am Rand (7), die andere auf dem Titelschild (1).[19] Das bunte Umschlagpapier ist das gleiche „Vorsatzpapier“, wie es für die Partitur zu L'Huomo verwendet wurde.

Die Proklamierung für Jänichen als Autor des Cembalokonzertes in g-Moll aufgrund des späteren Eintrags „Jaenichen“ in der Weimarer Quelle steht durch die zusätzliche Incipit-Angabe seines Namens im Breitkopf-Katalog zur Debatte, sodass sich real zwei Autorennamen für das Cembalokonzert gegenüberstehen, Wilhelmine und Jänichen. Somit weist der philologische Befund der beiden Handschriften des Cembalokonzertes in g-Moll auf weiteren Forschungsbedarf, vor allem darauf, dass die Autorenfrage höchstens strittig, bzw. die Proklamierung Jänichens als allein in Frage kommenden Autoren des Konzerts in keiner Weise begründbar ist.

Argumente

  • Für die theoretischen Grundlagen von Wilhelmines Komponieren gibt es viele Beweise.

Die früheste Angabe über einen Zeitpunkt ihrer musiktheoretischen Kenntnisse ist das oben beschriebene Zusammentreffen mit Pietro Antonio Locatelli und Johann Gottlieb Graun im Jahr 1728, wo „die älteste Prinzeßin“ zwei Stunden lang am Cembalo begleitete (=Generalbass). Dann ihre eigenhändige Angabe in den Memoiren, sie habe vorgegeben zu komponieren, um sich vor zudringlichen Heiratsvermittlern zu schützen (1730).[20] Einen offiziellen Beweis bereits im Dezember 1733 gibt der Komponist und Musik-Theoretiker Georg Andreas Sorge aus Lobenstein, der am 19. Dezember 1733 musizierend am Bayreuther Hof weilte,[21] wo er als „sichtbarer Zeuge“, bei „DERO Cammer-Music“ Wilhelmines „ganz ausnehmende Fertigkeit“ in „dieser Wissenschaft und Kunst“ praktisch und theoretisch erlebte und ihr in Erinnerung daran den dritten Teil seines Vorgemach der Komposition widmete,[22] in dem es speziell um die Septimen und Dissonanzen geht.[23]

  • Im zweiten Satz des Konzertes („Andante“, Streicher: „Cantabile“) sind im Cembalo rezitativische, typisch lautenistische Akkordbewegungen komponiert und zu einer Solovioline ergeben sich auffällige, enharmonische Übergänge.[24] Diese Modulationen weisen auf die Praxis der Laute bzw. auf die Lautenistin Wilhelmine und die Modulationskünste ihres Lautenlehrers Silvius Leopold Weiss.[25][26]
  • Die bekannte Schreiberhand des Bayreuther Hofkopisten (MS. Wolfenbüttel), die u. a. auch im Bayreuther Stadtarchiv in der Flotow-Sammlung nachzuweisen ist (siehe RISM) sowie das bunte Umschlagpapier des Cembaloheftes (MS. Weimar), welches auch in Bayreuther Markgrafenbibliotheken (heute Universitätsbibliothek Bayreuth) Verwendung fand, bündeln den Blick auf Bayreuth und die verwandtschaftlichen Beziehungen der Markgrafen zu den Herzogtümern Weimar und Braunschweig-Wolfenbüttel; und damit auf Wilhelmine als Komponistin des Cembalokonzertes.
  • Ms. Wolfenbüttel ist zwar eine erleichterte Fassung des Concerto (etwa für den Gebrauch eines weniger routinierten Ensembles), für deren Herstellung aber das originale Partiturautograph in Bayreuth noch vorhanden gewesen sein muss (heute sind Wilhelmines Noten verschollen). Zu den „Erleichterungen“ wurde z. B. gleich zu Beginn auf Zählzeit „Eins“ der Grundton G im Bass hinzugesetzt, um den Beginn der Violinen auf „Eins +“ (d. h. erst nach der Achtelpause) rhythmisch zu erleichtern. Eine weitere Erleichterung u. a. ist insbesondere auch der Wegfall der harmonisch/intonatorisch schwierigen Takte des zweiten Satzes (siehe Punkt zwei darüber), die im Übrigen für ein Cembalo sprechen, dessen Stimmsystem dafür angepasst bzw. geeignet gewesen sein muss (mit Vierteltönen??). (Da ergibt sich auch die Frage nach der Bauweise des von Sorge mitgebrachten Pantalon-Klaviers.)
  • Welcher Art Bezug zu dem im Titel (Ms. Weimar) notierten Komponisten „Foerster“ besteht, muss verfolgt werden.[27]
  • Der musikalische Beitrag des Sekretärs und „guten Musicus, sonderlich im Clavier-Spielen“ Jänichen zur Musikpflege Christian Ludwigs von Brandenburg, dem Johann Sebastian Bach 1721 seine Brandenburgischen Konzerte widmete und die Frage, auf welchem Weg Jänichen in den Leipziger Breitkopf-Katalog aufgenommen wurde, wäre interessant zu wissen.[28]

Öffentliche Kontroverse zur Frage der Autorschaft

Zum ersten Mal im Jahr 2008 gab es auf einer wissenschaftlichen Tagung in Bayreuth zum Jubiläumsjahr der Bayreuther Markgräfin Wilhelmine eine „kleine Sensation“ zum Thema. Man habe entdeckt, dass nicht Wilhelmine das unter ihrem Namen bekannte Cembalokonzert in g-Moll komponiert habe, sondern ein anderer Komponist: Johann Gotthilf Jänichen. Ein Zeitungsartikel nannte dies das „vielleicht spektakulärste Ergebnis der Forschungen zum Wilhelmine-Jahr“.[29] Diese Ergebnisse wurden in einem Buch über Wilhelmine und die Musik veröffentlicht.[30] Von diesem Buch gehen Ansätze aus, den Schwerpunkt auf Wilhelmines Wirken als Mäzenin in den Vordergrund zu stellen auf Kosten ihrer Autorschaft am Cembalokonzert und insbesondere auf Kosten ihrer kompositorischen Kompetenz insgesamt.[31] Auch in drei folgenden Aufsätzen der Autorin wird die Nennung des Namens „Jaenichen“ auf der Weimarer Quelle (neben dem durchgestrichenen „Foerster“) und aufgrund des Konzert-Incipits im Breitkopf-Katalog von 1763 unter „Jenichen“ als Beweis seiner Autorschaft betont.[32]

Dennoch gab es seitdem mehrere Neueinspielungen unter Wilhelmines Namen sowie Rundfunkübertragungen. Die Bayreuther Universitäts-Bibliothek, die ihren Katalog dahingehend umgestellt hatte, dass z. B. die moderne Notenausgabe des Konzerts[33] unter dem Namen Jänichen zu suchen war (obwohl unter Wilhelmine gedruckt ist), kehrte inzwischen zurück zur ursprünglichen Bezeichnung. Zugleich dürfte, vermutlich durch die Tatsache, dass das markgräfliche Opernhaus Bayreuth 2012 zum Weltkulturerbe gekürt und nach Renovierung zur Attraktion wurde, Markgräfin Wilhelmine und das Konzert vermehrt in den Fokus des Interesses gerückt sein. So entstand zeitweise ein Durcheinander, dazu gehört eine schriftliche Programmankündigung im Mai 2020 des Bayerischen Rundfunks,[34] wo als Autorin „Wilhelmine von Jänichen“ angegeben ist oder der Artikel[35] des Internet-Magazins für klassische Musik VAN, der bezüglich Wilhelmine sexistische Kommentare des Alte-Musik-Spezialisten Reinhard Goebel wiedergibt. Danach hat man zeitweise auf Bayern 4 Klassik Wilhelmines Namen gestrichen und diese Aufnahme und weitere – Schallplatten-Aufnahmen unter Wilhelmines Namen – unter Johann Gotthilf Jänichen gesendet.[36]

Historiografischer Anspruch?

In der Zeitschrift „Opernwelt“ vom März 2010 ist in der Rezension über das oben erwähnte Buch Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik:[37] zu lesen, dass es um den „historiografischen Anspruch“ gehe, mit „lieb gewordener Verklärung und Vereinfachung“ (der Geschichte Wilhelmines, sprich ihrer Bedeutung als Komponistin) „aufzuräumen und zu klären, was sich noch klären lässt.“ Das bedeutet, Wilhelmines Autorschaft würde allein durch lieb gewordene Verklärung und Vereinfachung gestützt sein. Als Beweis für diese These liest man, Jänichen sei der Komponist des Cembalokonzerts.

Liest man Georg Andreas Sorges (1703–1778), des Lobensteiner Organisten, Komponisten und Theoretikers[38] Widmung an Wilhelmine[39], die sich explizit auf eine musikalische Begegnung mit ihr am 19. Dezember 1733 in Bayreuth bezieht,[40] gibt es keinen Zweifel an ihrer musikalischen Kompetenz in Praxis[41] und Theorie. Beides war für sie zu Lebzeiten eine Selbstverständlichkeit und ist keine „lieb gewordene Verklärung“ von heute.

Jänichen zugeschriebene Werke: ist Wilhelmine als Komponistin ausschließbar?

Eine historiographische Forschungslücke ist es jedoch, das gleichzeitige Wirken und Nebeneinander des Musikers Jänichen und der Musikerin Wilhelmine im Berliner Schloss zur Zeit der Spätphase der Musikpflege Christian Ludwigs von Brandenburg nicht unter die Lupe zu nehmen. Kann man eine Verwechslung Jänichen/Wilhelmine ausschließen, zu einer Zeit, als Prinzessinnen ihre Kompositionen normalerweise nicht öffentlich machten? Als Untersuchungsobjekt bieten sich die Johann Gotthilf Jänichen zugeschriebenen Arien an (s. Wikip. Artikel). Die vier Teutschen Arien (mit deutschem Text) sind Jänichen zugeschrieben. Drei davon wenden sich in der Überschrift an eine Hoheit, den Prinz oder Fürst der Brennen(=Brandenburg). Sie haben also Bezug zum fürstlichen Arbeitgeber, bei Jänichen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt. Mit so einem Titel waren es Kompositionen mit offiziellem Charakter bei öffentlicher Aufführung. Vier derartige Werke dürften einem leitenden Musiker (Kapellmeister) am Hofe zuzuschreiben sein. War Jänichen so etwas? Andererseits: Wilhelmines Jugendwerke sind unbekannt, ohne solche müsste sie quasi „aus dem Stand“ Opern geschrieben haben, wenn es nicht vorher von ihr Werke wie diese Arien gab. Es könnte nämlich auch eine Verwechslung gegeben haben von zwei am Hofe komponierenden Musikern: Wilhelmine und Jänichen.

Literatur

  • Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758): Concerto in g für Cembalo obligato und Streicher. Mit Faksimileseiten und ausführlichem Text. Furore-Edition 2526, Kassel 2000, hrsg. von Irene Hegen
  • Irene Hegen: Neue Dokumente und Überlegungen zur Musikgeschichte der Wilhelminezeit. In: P. Niedermüller, R. Wiesend (Hrsg.): Musik am Hofe der Bayreuther Markgräfin Wilhelmine. Symposion zum 250. Jubiläum des Markgräflichen Opernhauses am 2. Juli 1998 (Schriften zur Musikwissenschaft. Hrsg. vom Musikwissenschaftlichem Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz) Are Edition Mainz 2002, ISBN 3-924522-08-1, S. 27–57.
  • Sabine Henze-Döhring: Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik. Heinrichs-Verlag Bamberg 2009
  • Rashid-S. Pegah: »...und Fama hat dich auserkoren«. Eine Studie zur Musikpflege am Hof von Markgraf Christian Ludwig von Brandenburg. In: Peter Wollny (Hrsg.): Bach-Jahrbuch. 103. Jahrgang 2017. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017, ISBN 978-3-374-05297-4, S. 109–137

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. U. a. befindet sich darin die Bibliothek von Wilhelmines Schwester Philippine Charlotte von Preußen, zu der das Konzert vermutlich gehörte.
  2. Im Wolfenbütteler Katalog „Sophie Friederike Wilhelmine“. Siehe Emil Vogel: Die Handschriften nebst den älteren Druckwerken der Musik-Abteilung der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel. Wolfenbüttel 1890 S. 15.
  3. Ansbach, Braunschweig-Wolfenbüttel, Jagdschloss Herdringen, Weimar (ihre Notensammlung ist verschollen).
  4. Concerto./ à/ Cembalo 0bligato./ duoi Violini./ Violetta./ e/ Basso./ di Wilhelmine/ Incipit
  5. Die Bezeichnung „Cariccio“ führt in das Jahr 1728, als Wilhelmine beim Besuch Augusts des Starken in Berlin am 27. Mai – so der Berichtende Stratemann – die beiden Geiger Pietro Antonio Locatelli und Johann Gottlieb Graun am Cembalo begleitete. Dabei lernte sie Locatellis Capricci kennen, die er für seine Solo-Konzerte (s. Locatellis Arte del Violino) mit sich führte.
  6. Albert Dunning: Pietro Antonio Locatelli. Der Virtuose und seine Welt. 2 Bände. Buren 1981. Bd. I, S. 112.
  7. Nur Markierung Fermatenzeichen. Siehe Studien-Edition 2020/21 des Henle-Verlags zu BWV 1052 u. 1053.
  8. Und Druck 2000: Furore Verlag.
  9. Siehe RISM: Statt Weimar ist „Eisenach“ notiert.(?)
  10. Seine Hochzeit mit der Bayreuther Prinzessin im April 1734 richtete Wilhelmine in Bayreuth aus.
  11. Titel: Concerto à Cembalo Concertato [Stimme: obligato] 2 Violini Viola et Basso [Stimme: Violoncello]
  12. Über die Wirkungsstätte des (vermutlich) Johann Gotthilf Jänichen siehe Rashid-S. Pegah: "... und Fama hat dich auserkoren". Eine Studie zur Musikpflege am Hof von Markgraf Christian Ludwig von Brandenburg. In: Peter Wollny (Hrsg.): Bach-Jahrbuch. 103. Jahrgang 2017. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017, ISBN 978-3-374-05297-4, S. 109–137, hier S. 119–121. Eine Verbindung zum Cembalokonzert in g-Moll ist dort nicht angegeben.
  13. Johann Christoph von Dreyhaupt: Pagus Neletizi et Nudzici, oder ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, […] 2. Teil. Emanuel Schneider, Halle 1749/50. Nachdruck: Fliegenkopf, Halle 2002, ISBN 3-930195-70-4, S. 642–643.
  14. Laut Rashid-S. Pegah, Bach-Jahrbuch 2017, S. 119f.
  15. Robert Dearling: Annotations to The Breitkopf Thematic Catalogue and Supplements. In: Haydn Yearbook IX, Wien 1975, S. 256–302
  16. im ersten Band des Katalogs („Nacherinnerung“ 1762)
  17. Er kopierte auch die Oper L'Huomo – heute die einzige überlieferte und authentische Notenfassung der Oper, deren Libretto sowie zwei Cavatinen daraus von Wilhelmine stammen. Die Oper befindet sich zusammen mit dem Cembalokonzert nach „vorsichtiger Beurteilung“ einer Bibliothekarin der HAB in der Sammlung (wenn auch nicht im Bibliothekskatalog) von Philippine Charlotte, Wilhelmines Schwester und seit 1759 zweiter Schwiegermutter des Markgrafen Friedrich (1711–1763).
  18. Kostenbuch 1759 ohne offiziellem Titel, Staatsarchiv Bamberg, GAB 17698.
  19. Rand rechts oben bei der Fotowiedergabe meist abgeschnitten: 7.g, auf Titelschild No 1.
  20. S. Bergers Übersetzung der Memoiren
  21. Datums-Nachweis durch Brief in: G. B. Volz und Fr. von Oppeln-Bronikowski: Friedrich der Große u. Wilhelmine von Bayreuth Bd. I Jugendbriefe, Leipzig 1924, S. 188. Sorges Widmung des Druckes von 1747 bezieht sich u. A. auf ein „Pantalon“, das er ihr 1733 mitbrachte und spielte.
  22. Irene Hegen: Neue Dokumente und Überlegungen zur Musikgeschichte der Wilhelminezeit. In: Peter Niedermüller, Reinhard Wiesend (Hrsg.): Musik und Theater am Hofe der Bayreuther Markgräfin Wilhelmine. Symposion zum 250.-jährigen Jubiläum des Markgräflichen Opernhauses am 2. Juli 1998. Are, Mainz 2002, S. 27–57, hier S. 35.
  23. Siehe Widmung des dritten Teils seines Vorgemach der musikalischen Komposition, die mehr ist als eine diplomatisch-höfliche Widmung. Welch wichtige Rolle dieser Musiktheoretiker spielte, ist zu lesen in Ludwig Holtmeier: Rameaus langer Schatten. Studien zur deutschen Musiktheorie des 18. Jahrhunderts. Olms. Hildesheim, Zürich, New York 2017. Holtmeier bezeichnet in seinem Buch „die im dritten Band“ von Sorges Vorgemacht „entfaltete Dissonanzlehre“ einen „Höhepunkt der Musiktheorie des 18. Jahrhunderts“ (S. 216).
  24. Z. B. Takt 18 zu Takt 19, wo sich auf Zählzeit eins die Töne Eis und F gegenüberstehen.
  25. Wilhelmine von Bayreuth,Concerto in g, Furore 2000, 2. Satz Takt 12–20. Dazu Text S. 29.
  26. Lothar Hoffmann-Erbrecht: Der Lautenist Silvius Leopold Weiß und Johann Sebastian Bach. In: Gitarre & Laute 9, 1987, Heft 6, S. 19–23.
  27. Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758): Concerto in g. Furore 2000. Dazu Bemerkung S. 31 linke Spalte.
  28. Vergleiche Rashid-S. Pegah, Bach-Jahrbuch 2017, S. 119f.
  29. Nordbayerischen Kurier
  30. Markgräfin Wilhelmine und die Bayreuther Hofmusik. Bamberg 2009.
  31. Sabine Henze-Döhring 2009: S. 51 und 52 sowie 42, 49 und 75 u. a.
  32. Im neuesten Buch über Wilhelmine (2018) ist neun Jahre später ohne näheren Kommentar zu lesen, das Cembalokonzert sei Wilhelmine „angedichtet“ worden. Günter Berger: Wilhelmine von Bayreuth. Leben heißt eine Rolle spielen. Pustet Regensburg 2018.
  33. Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), Concerto in g, für Cembalo obligato und Streicher. Furore-Edition 2526, Kassel 2000.
  34. Programmheft des Bayerischen Rundfunks
  35. Artikel der Internet-Zeitschrift für klassische Musik VAN unter "250 Komponistinnen", van-magazin.de
  36. Sendung unter Jänichen
  37. Opernwelt März 2010, S. 28 (Stefan Mösch).
  38. Über ihn siehe Ludwig Holtmeier: Rameaus langer Schatten. Studien zur deutschen Musiktheorie des 18. Jahrhunderts. Olms-Verlag Hildesheim, Zürich, New York 2017.
  39. Siehe oben. Vorgemach der Komposition, 3. Teil über Septakkorde und Dissonanzen 1747.
  40. Brief in Volz I, S. 188, 19. Dezember 1733, wo sie das „Pantalon“ (Clavier) erwähnt, auf das sich Sorge in seiner Widmung bezieht.
  41. Memoiren einer preußischen Königstochter. Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Günther Berger. Bayreuth 2007, S. 145 (spätestens seit 1730).