Charakteristische Dissonanz

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Charakteristische Dissonanz ist ein Begriff aus der Harmonielehre nach Hugo Riemann, der Funktionstheorie. Lehrbücher, die diese Theorie in einer vereinfachten Form vertreten, verstehen hierunter:

Riemann

Riemann selbst betrachtet die „charakteristischen Dissonanzen“ hingegen als „Töne, die jedesmal der anderen Dominante entnommen sind“:[2]

  • Die Duroberdominante erhält den Grundton der Unterdominante (in C-Dur: g h d | f; in a-Moll: e gis h | d); siehe Notenbeispiel a
  • Die Durunterdominante erhält die Quinte der Oberdominante (in C-Dur: f a c | d); siehe Notenbeispiel b
  • Die Mollunterdominante erhält die Prim der Molloberdominante bzw. die Quinte der Duroberdominante (in a-Moll: h | d f a; in C-Dur: d | f as c); siehe Notenbeispiel c bzw. d
  • Die Molloberdominante erhält den Grundton der Mollunterdominante (in a-Moll: d | e g h); siehe Notenbeispiel e

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Hierbei ist zu beachten, dass in Riemanns streng dualistischer Theorie der Moll-Dreiklang („Unterklang“) als Spiegelung des Dur-Dreiklangs („Oberklang“) gilt.[3] Der Moll-Dreiklang a-c-e hat also die „Prim“ e, die Terz c und die „Unterquint“ a.[4] Die „Unterquint“ ist trotzdem „Grundton“.[5]

Kritik

Die funktionstheoretische Deutung der folgenden Akkordfortschreitung als S56–D mit der Sexte d als „charakteristische Dissonanz“ der Subdominante widerspricht der kontrapunktischen Sichtweise, wonach nicht diese Sexte, sondern die Quinte eine Dissonanz, genauer: eine Synkopendissonanz ist (siehe auch: Sixte ajoutée):

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Jazz

Im Jazz begegnet man einer Vielzahl zusätzlicher charakteristischer Dissonanzen, die oft mehrdeutig sind, das heißt: nicht immer einer einzigen Funktion zugeordnet werden können. Charakterisiert wird nicht mehr nur die harmonische Funktion, sondern etwa auch ein Stil oder Personalstil.

Jeder Ton der chromatischen Skala kann zu einem Dreiklang hinzutreten. (In Klammern sind die gebräuchlichen Akkordbezeichnungen hinzugefügt. Für Varianten siehe: Akkordsymbol.)

So tritt die große Septime (Cmaj7) in Tonika- und Subdominantklängen auf. Die Sixte ajoutée (C6) verliert ihren subdominantischen Charakter (oder gibt Tonika-Dreiklängen eine subdominantische Färbung). Eine None oder Sekunde (Cadd9) ist in fast allen Klängen verwendbar.

Große None und Sixte ajoutée (C6/9) ergänzen den Durdreiklang zur Pentatonik.

Die kleine Septime (C7) bleibt nicht der Dominante vorbehalten, sondern kann (zum Beispiel im Blues) ebenfalls Tonika- oder Subdominantdissonanz sein. In diesem Fall wird sie als Bestandteil des Obertonspektrums wahrgenommen und entsprechend intoniert (vgl. Blue note).

Die übermäßige None (C+9) färbt eher dominantische Klänge. Sie kann aber, enharmonisch verwechselt, als Mollterz, die gleichzeitig mit der Durterz erklingt, eine Bereicherung des Tonikadreiklangs sein. Damit werden oft die auf Tasteninstrumenten unmöglichen Intonationsschwankungen im Blues simuliert.

Auch die kleine None (C7−9) ist eine gängigere Erweiterung der Dominante, da sie die kleine Sexte zur Quinte des Tonika-Akkordes bildet und somit einen zusätzlichen Leitton darstellt.

Die reine Quarte (Csus4 oder C11) kann als mitklingender Vorhalt zur Terz des Tonikadreiklangs verstanden werden, oder aber (kombiniert mit der Sixte ajoutée) einen Mischklang zwischen Tonika und Subdominante oder zwischen Dominante und Tonika ergeben (z. B. als C13). Die übermäßige Quarte (C+11) wirkt mit einer Durterz als unaufgelöster Vorhalt zur Quinte, mit einer Mollterz ist sie Bestandteil des verminderten Dreiklangs (Cdim)

Eine ähnlich harte Dissonanz ist die kleine (Moll-)Sexte (C−6) als „Vorhalt“ zur Quinte.

Der Begriff der Dissonanz verschwimmt hier insofern, als diese Zusatztöne meist nicht zum Auflösungsbedürfnis beitragen, sondern auch sehr stabile, in sich ruhende Klänge färben. Die jeweils möglichen oder sinnvollen Dissonanzen ergeben sich aus der Tonleiter (oder Skala), die dem Stück oder dem Abschnitt zugrunde liegt, also dem tonalen Zentrum.

Zur Erweiterung von Dreiklängen siehe auch: Stufentheorie

Beispiele in C-Dur

(Bei den Klangbeispielen handelt es sich um MIDI-Dateien, je ungefähr 0,2 kB.
Außer dem Beispiel zur Subdominante werden alle Beispiele in die Tonika aufgelöst, damit ein Eindruck der Akkordfunktion entstehen kann. Es empfiehlt sich, vor und zwischen dem Abhören der Klangbeispiele die vollständige Kadenz in C-Dur zu hören, um das Ohr zu „eichen“: Klangbeispiel, Kadenz in C?/i)

Quellen und Literatur

  • Christoph Hempel: Harmonielehre. Das große Praxisbuch. Mainz: Schott 2014, ISBN 978-3-7957-8730-1, S. 266–267.
  • Wilhelm Maler: Beitrag zur durmolltonalen Harmonielehre 14. Auflage, München: Leuckart 1987.
  • Hugo Riemann: Vereinfachte Harmonielehre oder die Lehre von den tonalen Funktionen der Akkorde. 1893, 2. Auflage 1903, London: Augener (online).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Maler 1987, Bd. 1, S. 11: „Da jeder Durdreiklang durch die kleine Sept D-Funktion bekommt, nennt man sie ‚charakteristische Dissonanz‘“; S. 14: „Da jeder Dur- oder Molldreiklang durch die sixte ajoutée S-Funktion bekommt, ist auch sie ‚charakteristische Dissonanz‘“.
  2. Riemann 1903, S. 61.
  3. Riemann 1903, S. 6.
  4. Riemann 1903, S. 11.
  5. Riemann 1903, S. 14.