Charles Arthur Gonse

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Charles Arthur Gonse sagt vor Gericht aus
12. Februar 1898

Charles Arthur Gonse (* 19. September 1838 in Paris; † 18. Dezember 1917 in Cormeilles-en-Parisis) war ein französischer Général de brigade. Ab 1893 war er Leiter des Deuxième Bureau im französischen Generalstab, zu dem auch der Nachrichtendienst gehörte. In seine Amtszeit fällt daher die Dreyfus-Affäre. In seine Verantwortlichkeit fielen damit auch die Ermittlungen gegen den jüdischen Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus, der im Generalstab diente. Er war wesentlich an den Täuschungsversuchen beteiligt, die den Justizirrtum gegen Dreyfus decken sollten. Er gilt als typischer Repräsentant von Dreyfus’ Gegnern in der französischen Armee.

Militärische Laufbahn

1856 trat Gonse in Saint-Cyr ein. Es folgte eine Vorbereitung zur Generalstabsverwendung an der École d'application d'État-major 1861 wurde er zum Sous-lieutenant befördert. Von 1868 diente er in Algerien. Bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Kriegs diente er im Generalstab des 13. Armeekorps und befand sich im belagerten Paris. 1880 wechselte er zur Artillerie. 1885 zum Lieutenant-colonel befördert wurde er 1887 Generalstabschef. 1888 zum Colonel befördert stieß er erneut zum Generalstab der Armee und wurde zum Leiter des Vierten Bureaus ernannt. Nebenher war er als Lehrer an der École de guerre tätig.

1893 wurde er stellvertretender Generalstabschef und Général de brigade.

Rolle in der Dreyfus-Affäre

Die Verurteilung Dreyfus’ zu lebenslanger Haft, Deportation und Degradierung basierte auf fragwürdigen Handschriftenvergleichen und rechtswidrigen Beweisen. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Freispruch Dreyfus' setzten sich zunächst nur Familienmitglieder und einige wenige Personen ein, denen im Verlauf des Prozesses Zweifel an der Schuld des Angeklagten gekommen waren. Der Justizirrtum weitete sich zur Affäre aus, als der neue Chef des französischen Nachrichtendienstes, Oberstleutnant Marie-Georges Picquart, den tatsächlichen Landesverräter Ferdinand Walsin-Esterházy identifizieren konnte. Picquart war zunächst durch den sogenannten Le petit bleu auf Ferdinand Walsin-Esterhazy aufmerksam geworden. Wenig später fiel ihm anhand eines Handschriftenvergleichs auf, dass das zentrale Beweisstück gegen Dreyfus, der sogenannte Bordereau, nicht von Dreyfus, sondern von Esterhazy geschrieben worden war. Picquart teilte dies erst mündlich und dann schriftlich sowohl dem Generalstabschef Raoul Le Mouton de Boisdeffre als auch Gonse mit. Insbesondere Gonse bestand jedoch darauf, dass Picquart die Fälle Esterhazy und Dreyfus als getrennte Angelegenheiten zu behandeln habe.[1]

Die Presseberichterstattung über den angeblichen Fluchtversuch Dreyfus’ führte dazu, dass L’Éclair am 10. und 14. September in zwei Artikeln ausgewählte Inhalte des Geheimdossiers veröffentlichte.[1] Picquart war überzeugt, dass die Familie Dreyfus hinter den Veröffentlichungen in L’Éclair stand und über ausreichend Informationen verfügte, um eine Wiederaufnahme des Prozesses zu erreichen. Nach Stand der heutigen Forschung irrte Picquart hier. Die Berichte waren mit großer Sicherheit von einem Informanten aus dem Generalstab lanciert worden, um die Öffentlichkeit im Glauben zu wiegen, nicht allein das Bordereau sei Anlass für die Verurteilung von Dreyfus gewesen.[2] Es war eine riskante Strategie, da es gleichzeitig den rechtswidrigen Verlauf des Prozesses öffentlich machte, denn das Geheimdossier war der Verteidigung von Dreyfus nicht zugänglich gemacht worden.[3] Picquart legte seinem Vorgesetzten Gonse nahe, möglichst schnell zu agieren und Esterhazy verhaften zu lassen, um Schaden vom Generalstab abzuwenden. In einer Besprechung mit Gonse am 15. September 1896, über die allerdings nur Aufzeichnungen von Picquart vorliegen, stellte Gonse gegenüber Picquart klar, dass er bereit sei, die Verurteilung eines Unschuldigen hinzunehmen, um den Ruf von Mercier und Saussier zu wahren, die beide wesentlich den Prozess gegen Dreyfus vorangetrieben hatten.[4] Gonse gab Picquart auch zu verstehen, dass sein Schweigen wesentlich sei, um diese Angelegenheit zu vertuschen.[3] Gonse sorgte dafür, dass Picquart seines Amts als Chef des Nachrichtendienstes enthoben, zunächst in die Provinz und dann nach Nordafrika versetzt wurde. Esterhazy wurde in einem Kriegsgerichtsverfahren auf Grund gefälschter Beweise am 11. Januar 1898 freigesprochen. Begleitet wurde der Prozess von Hetztiraden des antisemitischen Teils der französischen Presse, die die Verteidiger Dreyfus’ bezichtigten, im Dienste eines „jüdischen Syndikats“ einen ehrenhaften Offizier anzuklagen, um ihn gegen einen jüdischen Landesverräter auszutauschen.

Als Antwort auf Esterhazys Freispruch veröffentlichte der französische Autor Émile Zola am 13. Januar 1898 den Artikel J’accuse …!, der dieses Fehlurteil anprangerte. Der Artikel rückte den Fall Dreyfus in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und erregte weit über die Grenzen Frankreichs hinaus große Aufmerksamkeit. In Frankreich und Algerien kam es in der Folge zu antisemitischen Krawallen. Picquart wurde auf Grund von gefälschten Beweisen aus der Armee entlassen und wegen Geheimnisverrats verhaftet, Zola wegen Verleumdung zu einem Jahr Haft verurteilt. Der Prozess gegen Zola erstreckte sich über zwei Wochen. Im Gerichtssaal gelang es den beiden Zola-Anwälten Fernand Labori und Albert Clemenceau, durch ihre geschickte Befragung den Zeugen immer wieder Aussagen zur Dreyfus-Affäre zu entlocken, obwohl der Vorsitzende Richter ständig versuchte, ihre Fragen auf Sachverhalte der Anklage zu beschränken. In die Enge getrieben brachte General Pellieux erneut ein Dokument ins Spiel, das angeblich eindeutig die Schuld Dreyfus’ belege, und zitierte dann den Wortlaut des Le faux Henry. Als Labori darum bat, dem Gericht das Dokument vorzulegen, griff General Gonse ein, dem anders als Pellieux bewusst war, dass Le faux henry eine der Fälschungen im Geheimdossier war. Er bestätigte die Existenz des Dokuments, behauptete jedoch, es könne nicht öffentlich vorgelegt werden.[5] Das Gericht ließ daraufhin den Generalstabschef Raoul Le Mouton de Boisdeffre als Zeugen auftreten. Boisdeffre bestätigte Pellieux’ Aussagen und wandte sich dann als Mahner an das Gericht:[6]

„Sie sind das Gericht, Sie sind die Nation; wenn die Nation kein Vertrauen in die Führer ihrer Armee hat, in die Männer, welche die Verantwortung für die nationale Verteidigung tragen, dann sind diese Männer bereit, ihre schwere Aufgabe anderen zu überlassen, Sie müssen es nur sagen. Das ist mein letztes Wort.“

Nach Léon Blums Ansicht machte der Prozess deutlich, dass die Behauptungen Zolas zutrafen.[7] Boisdeffres Worte, in der er eine Entscheidung zwischen der Armee und Zola sowie den Dreyfusarden verlangte, hatten jedoch in der Öffentlichkeit und im Gerichtssaal einen starken Eindruck hinterlassen. Am 23. Februar wurde Zola zu einer Geldstrafe von 3000 Franc und einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ministerpräsident Méline bezeichnete am nächsten Tag in der Abgeordnetenkammer die Fälle Zola und Dreyfus als abgeschlossen.[8] Zwei Tage später wurde Picquart unehrenhaft aus der Armee entlassen.

Der neue Kriegsminister Godefroy Cavaignac ließ das Beweismaterial allerdings Monate später erneut untersuchen. Dabei kam zu Tage, dass Teile des Geheimdossiers gefälscht waren. Daran war wesentlich Hauptmann Hubert Henry beteiligt. Hubert Henry beging am 31. August 1898 Selbstmord, Boisdeffre trat darauf hin von seinem Amt als Leiter des Generalstabs zurück, Gonse wurde in den Reservedienst versetzt. Gonse war jedoch wesentlich daran beteiligt, den Namen Esterhazys reinzuwaschen. Nach der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus kam es 1906 zu einem Duell zwischen Picquart und Gonse.

Nachweise

Literatur

  • Maurice Barrès: Scènes et doctrines du nationalisme. Éditions du Trident, Paris 1987, ISBN 2-87690-040-8.
  • Louis Begley: Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte. Suhrkamp, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-518-42062-1.
  • Léon Blum: Beschwörung der Schatten. Die Affäre Dreyfus. Aus dem Französischen mit einer Einleitung und mit Anmerkung von Joachim Kalka. Berenberg, Berlin 2005, ISBN 3-937834-07-9.
  • Jean-Denis Bredin: The Affair: The Case of Alfred Dreyfus. George Braziller, New York 1986, ISBN 0-8076-1109-3.
  • Leslie Derfler: The Dreyfus Affair. Greenwood Press, Westport, Connecticut, 2002, ISBN 0-313-31791-7.
  • Vincent Duclert: Die Dreyfusaffäre. Militärwahn, Republikfeindschaft, Judenhaß. Wagenbach, Berlin 1994, ISBN 3-8031-2239-2.
  • Eckhardt Fuchs, Günther Fuchs: „J’accuse!“ Zur Affäre Dreyfus. Decaton-Verlag, Mainz 1994, ISBN 3-929455-27-7.
  • Ruth Harris: The Man on Devil’s Island - Alfred Dreyfus and the Affair that divided France. Penguin Books, London 2011, ISBN 978-0-14-101477-7.
  • Martin P. Johnson: The Dreyfus Affair - Honour and Politics in the Belle Époque. Macmillan Press Ltd, Houndmills 1999, ISBN 0-333-68267-X.
  • Elke-Vera Kotowski, Julius H. Schoeps (Hrsg.): J’accuse…! …ich klage an! Zur Affäre Dreyfus. Eine Dokumentation. Begleitkatalog zur Wanderausstellung in Deutschland Mai bis November 2005. Hrsg. im Auftrag des Moses-Mendelssohn-Zentrum. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 2005, ISBN 3-935035-76-4.
  • Julius H. Schoeps & Hermann Simon (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen. Edition Hentrich Berlin 1995, ISBN 3-89468-154-3.
  • George Whyte: Die Dreyfus-Affäre. Die Macht des Vorurteils. Peter Lang, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-60218-8.

Einzelnachweise

  1. a b Harris, S. 79–80
  2. Johnson, S. 45
  3. a b Kotowski et al., S. 38
  4. Johnson, S. 49–51
  5. Begley, S. 151
  6. zitiert nach Begley, S. 152
  7. Blum, S. 82
  8. Begley, S. 152–153