Codex Cairensis

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Datei:Cairo-codex-nevi'im.pdf Der Codex Cairensis (auch Codex Prophetarum Cairensis, Kairoer Prophetenkodex, Sigel C oder MC) gilt als eine der ältesten hebräischen Handschriften, die den vollständigen Text der alttestamentlichen Propheten enthalten.

Geschichte

Der Kairoer Prophetenkodex galt lange Zeit als die älteste bekannte Bibelhandschrift. Er wurde gemäß einem beigefügten Kolophon „am Ende des Jahres 827 der Zerstörung des zweiten Tempels“[1][2] (= 895 n. Chr.) von Mosche ben Ascher in Tiberias geschrieben und mit Punktation versehen.[3][4] Er wurde sodann, wie weitere Kolophone berichten, der Karäergemeinde in Jerusalem geschenkt und dort 1099 von den Kreuzfahrern beschlagnahmt. Später gelangte er in den Besitz der Karäergemeinde von Kairo, die ihn noch heute aufbewahrt.[5] Der wohlerhaltene Musterkodex war nie als Buch gebunden. Bis heute wird er in Kairo als Loseblatt-Sammlung in einer Kiste aufbewahrt.[6]

Im Zuge des Hebrew University Bible Project (Malachi Beit-Arie et al., 1997) ist für den Codex Cairensis eine Datierung ins 11. Jahrhundert wahrscheinlich gemacht worden; damit ist der Petersburger Prophetenkodex von 916 n. Chr. älter.[7]

Inhalt

Der Codex enthält den gesamten Kanonteil Nevi’im (hebräisch נְבִיאִים, Propheten). Er umfasst die Bücher der „vorderen Propheten“, also Josua, Richter, Samuel und Könige, sowie die „hinteren Propheten“, also die Bücher Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das Zwölfprophetenbuch.[3] Das Buch Daniel wird im Judentum nicht zu den Propheten, sondern zu den Ketuvim (hebräisch כְּתוּבִים, Schriften) gezählt. Es ist deshalb nicht in diesem Codex enthalten.

Der Codex enthält nach der Liste der 24 Bücher der jüdischen Bibel mit der Zahl der jeweiligen Verse noch drei von Mosche ben Ascher verfasste Anhänge:[8]

  1. Kapitel über die drei Ordnungen der Bibel (Tora, Neviim, Ketuvim);
  2. Liste der Propheten;
  3. Kolophon.

Der erste Anhang entspricht inhaltlich weitgehend einem Kapitel aus der Grammatik Diqduqe ha-ṭe‘amim.[8] Darin legt Ben Ascher sein karäisches Verständnis von Heiliger Schrift dar. Mose und die Propheten empfingen demnach die Offenbarung zusammen mit ihrer authentischen schriftlichen Gestalt und ihrer richtigen Aussprache. Die Kopisten und Masoreten tradierten diesen Stoff.[9]

Wissenschaftliche Bewertung

Nach Beobachtungen von Lazar Lipschütz und anderen steht der Codex, obwohl er laut Kolophon von einem Mitglied der Ben Ascher-Familie stammt, innerhalb der masoretischen Tradition Ben Naftali näher als Ben Ascher. Während dies für einige ein Argument gegen seine Authentizität darstellt, wird es von Moshe Goshen-Gottstein damit erklärt, dass Ben Naftali treuer am System des Mosche Ben Ascher festgehalten habe als dessen eigener Sohn Aaron ben Mosche ben Ascher, der Korrektor und Punktator des Codex von Aleppo.

Texteditionen

  • David Samuel Loewinger (Hrsg.): Codex Cairo of the Bible from the Karaite Synagogue at Abbasiya. Makor Publishing, Jerusalem 1971. (Digitalisat) Faksimilie-Ausgabe in einer begrenzten Auflage von 160 Stück; mit Einführung vom damaligen Leiter der Abteilung für Manuskripte der Hebräischen Universität Jerusalem, David Samuel Loewinger.
  • F. Pérez Castro et alia (Hrsg.): El Códice de Profetas de El Cairo, Textos y Estudios "Cardenal Cisneros", CSIC, 8 Bände, Madrid 1979–1992. Kritische Ausgabe.

Literatur

  • Malachi Beit-Arié, Colette Sirat, Mordecai Glatzer: Codices hebraicis litteris exarati quo tempore scripti fuerint exhibentes (=Monumenta Paleographica Medii Aevi: Series Hebraica. Band 1: Jusqu' á 1020). Brepols, Turnhout / CNRS Paris / Israeli Academy of Sciences and Humanities Jerusalem 1997.
  • Lazar Lipschütz: Ben Ašer – Ben Naftali. Der Bibeltext der tiberischen Masoreten. Eine Abhandlung des Mischael ben ’Uzziel, veröffentlicht und untersucht. Inaugural-Dissertation, Bonn 1935.
  • Adrian Schenker: Die Lehre vom Ursprung des biblischen Schrift- und Aussprachesystems im Kairoer Prophetenkodex und das karäische Bekenntnis Mosche Ben Aschers. In: Ders., Text und Sinn im Alten Testament: textgeschichtliche und bibeltheologische Studien (= Orbis biblicus et orientalis. Band 103). Universitätsverlag, Freiburg/CH und Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1991, S. 236–246. ISBN 3-7278-0730-X. (PDF)
  • Ernst Würthwein: Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung in die Biblia Hebraica. 4. erweiterte Auflage. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1974, ISBN 3-438-06006-X.

Einzelnachweise

  1. Ernst Würthwein: Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung in die Biblia Hebraica. 2. Auflage. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1963, S. 150.
  2. Adrian Schenker: Die Lehre vom Ursprung des biblischen Schrift- und Aussprachesystems im Kairoer Prophetenkodex und das karäische Bekenntnis Mosche Ben Aschers, Göttingen 1991, S. 239.
  3. a b Ernst Würthwein: Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung in die Biblia Hebraica. 2. Auflage. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1963, S. 38.
  4. Hanna Liss: Ein Pentateuch wie andere auch? Die Lese-Geheimnisse des Regensburg Pentateuch. In: Friedrich-Emanuel Focken, Michael R. Ott (Hrsg.): Metatexte (= Materiale Textkulturen. Band 15). Walter de Gruyter, Berlin/Boston/München 2015, S. 299–334, hier S. 301.
  5. Ernst Würthwein: Der Text des Alten Testaments. Eine Einführung in die Biblia Hebraica. 2. Auflage. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1963, S. 38 f.
  6. Hanna Liss: Ein Pentateuch wie andere auch? Die Lese-Geheimnisse des Regensburg Pentateuch. In: Friedrich-Emanuel Focken, Michael R. Ott (Hrsg.): Metatexte (= Materiale Textkulturen. Band 15). Walter de Gruyter, Berlin/Boston/München 2015, S. 299–334, hier S. 303 Anm. 21.
  7. Heinz-Josef Fabry: Der Text und seine Geschichte. In: Christian Frevel (Hrsg.): Einleitung in das Alte Testament, 9. aktualisierte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 2016, S. 37–66, hier S. 40. Vgl. hierzu: The Hebrew University Bible Project: The Book of Ezekiel, p.xli, Fußnote 116 (übersetzt aus dem Englischen): „Es wurde kürzlich schlüssig bewiesen, dass der Schreiber und ‘naqdan’ (Vokalisierer) des Kairoer Prophetenkodex nicht als Mosche ben Ascher identifiziert und nicht ins Jahr 895 datiert werden kann, sondern eher ins 11. Jahrhundert. Vgl. M. Beit-Arié et al., Codices Hebraicis litteris exarati quo tempore scripti fuerint exhibentes (Monumenta palaeographica medii aevi. Series Hebraica; Paris/Jerusalem: Brepols, 1997) 25-29; D. Lyons, The Cumulative Masora: Text, Form and Transmission (Beer-Sheva: Ben-Gurion University Press, 1999 [4]-7 (Hebrew))“.
  8. a b Adrian Schenker: Die Lehre vom Ursprung des biblischen Schrift- und Aussprachesystems im Kairoer Prophetenkodex und das karäische Bekenntnis Mosche Ben Aschers, Göttingen 1991, S. 236.
  9. Adrian Schenker: Die Lehre vom Ursprung des biblischen Schrift- und Aussprachesystems im Kairoer Prophetenkodex und das karäische Bekenntnis Mosche Ben Aschers, Göttingen 1991, S. 243.

Siehe auch