Congreve’sche Rakete

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Start einer Congreve’schen Rakete von einer Dreibeinlafette aus

Die Congreve’sche Rakete war eine britische militärische Raketenwaffe, die 1804 vom britischen Artillerieoffizier und Ingenieur Sir William Congreve entworfen und entwickelt wurde. Als Vorlage dienten ihm Kriegsraketen aus Indien.

Zum ersten Mal eingesetzt wurde sie im Herbst 1805 gegen die vor Boulogne-sur-Mer wartende französische Flotte, dann auch beim Bombardement Kopenhagens im Jahre 1807. Die Raketen wurden in verschiedenen Kriegen auch von anderen Staaten verwendet. Die mehrmals weiterentwickelten Congreve’schen Raketen wurden bis in die 1860er Jahre eingesetzt und später von der technisch grundlegend verbesserten Hale-Rakete abgelöst.

Entwicklung

Bereits seit dem Altertum waren Raketen als Waffen in Indien bekannt. In der Schlacht von Panipat (1761) wurden von afghanisch-mogulischer Seite (Ahmad Schah Durrani) Raketen gegen das Marathenheer eingesetzt[1]; in den Mysore-Kriegen verwendeten die Inder Raketen als Waffe gegen die Briten.[2] Von Berichten über ihre Wirksamkeit angeregt, führte Generalleutnant Thomas Desaguliers (≈1725–1780), Cheffeuerwerker des Royal Arsenal in Woolwich, kurz vor seinem Tod im Jahre 1780 mehrere erfolglose Versuche durch.[3] Nach weiteren Erfahrungen im Zweiten, Dritten und Vierten Mysore-Krieg wurden mehrere Mysore-Raketen nach London gesandt, wo William Congreve, 1. Baronet (1742–1814) Oberbefehlshaber über das Royal Arsenal war.

Als 1803 der Dritte Koalitionskrieg ausbrach, sammelte sich eine französische Invasionsflotte in französischen Häfen entlang des Ärmelkanals und bedrohte England. Der Sohn William Congreves sen., Will Congreve jun., eigentlich Jurist und Herausgeber politischer Schriften, sah es als seine Pflicht an, sein Möglichstes zur Verteidigung Englands beizutragen.[4] Zuerst auf eigene Kosten, später mit Unterstützung seines Vaters und des Royal Arsenals, konnte Congreve sich ab 1804 der Verbesserung der Raketen widmen.[5]

Technik

Congreves Raketen, aus seiner eigenen Arbeit
Spitze einer frühen Congreve’schen Rakete

Nach anfänglichem Einsatz von Karton wurden die Raketenhülsen aus Eisenblech hergestellt. Die Zusammensetzung des Treibsatzes war der von Schwarzpulver ähnlich.[6] Es war jedoch kein loses Pulver, sondern eine feste Masse. Der Treibsatz war in der Mitte zylindrisch ausgehöhlt, mit dem Zweck, die Oberfläche des verbrennenden Satzes zu vergrößern, um so für den Antrieb der Rakete genügend Gasdruck zu erzeugen.[7] Congreve setzte von Anfang an konsequent auf die sich gerade entwickelnde industrielle Massenproduktion.[8]

Um 1813 konnten die Raketen in drei Klassen unterteilt werden:

  • „Schwer“ – explosive Raketen, die größte mit einem Gewicht von 300 Pfund (136 Kilogramm); ungefähr zwei Meter lang, mit einer Stablänge von bis zu acht Metern
  • „Mittel“ – 24- bis 42-Pfünder (11 bis 19 kg); ungefähr einen Meter lang, mit einer Stablänge von 5 bis 7 Metern
  • „Leicht“ – 6- bis 18-Pfünder (3 bis 8 kg); 40–65 cm lang, mit einer Stablänge von 2,5 bis 5 Metern

Die mittleren und leichten Raketen konnten als Nutzlast bzw. Gefechtskopf eine Kartätsche, einen Spreng-, Brand- oder Leuchtsatz enthalten.

Vor dem Einsatz musste der Raketenkörper mit dem Stabilisierungsstab verbunden werden. Um den Transport zu erleichtern, war der Stab in etwa 1,2 m lange Stücke unterteilt. Fixiert wurden sie mittels metallener Klemmhülsen, die mit einer speziellen Zange gecrimpt werden mussten.[9]

Die 32-Pfünder wurden mit einer Reichweite von etwa 3000 Metern vor allem für ein Bombardement über größere Distanz verwendet. Der übliche Typ zur Unterstützung von Infanterie und Kavallerie, der 12-Pfünder, wurde mit Kartätschenmunition geladen und hatte eine maximale Reichweite von rund 2000 Metern. Die Raketen konnten von einer fahrbaren Abschussrampe abgefeuert werden, von einem tragbaren Stativ oder sogar von einem flachen Graben oder einer Böschung. Technisch bedingt war die Treffsicherheit mangelhaft. Zum einen verschob sich der Schwerpunkt während des Fluges, weil der Treibsatz abbrannte, zum anderen waren die Schubdüsen selten ganz symmetrisch. Doch das größte Problem war der hölzerne Stabilisierungsstab. Damals war ein Stabilisierungsstab das einzig bekannte Mittel, eine Rakete auf Kurs zu halten. Dieser Stab machte die Rakete anfällig für Wind und war ein Zusatzgewicht. Der Stab war immer etwas biegsam und selten völlig gerade. Auch die außenseitige Befestigung des Stabes war aerodynamisch nachteilig. Deshalb präsentierte Congreve im Dezember 1815 ein neues Design der Rakete, bei dem der Stab mittig im Raketenboden fixiert war.[10] Damit der Holzstab nicht Feuer fängt, war der Teil an der Raketenhülse mit Messing umwickelt. Die Zielgenauigkeit wurde dadurch gesteigert, die Form der Rakete erlaubte nun auch den Start aus röhrenartigen Abschussgestellen.[6]

Das Modell mit dem zentrierten Stab wurde von 1817 bis 1867 eingesetzt, bis es von der Hale’schen Rakete verdrängt wurde, die sich im Flug dreht und durch diese so erzeugte Stabilität keinen Stock mehr benötigt.

Die Congreve’sche Raketen hatte gegenüber den damaligen Geschützen einige Vorteile. Zum einen war das die etwa doppelte Reichweite und eine deutlich höhere Kadenz von etwa vier Raketenabschüssen pro Minute. Zum anderen waren die Raketentruppen deutlich mobiler, da das schwere Geschütz nicht notwendig war.[11]

Einsatz

Einsatz von einem Raketenschiff
Österreichische Raketen vom Typ Congreve mit verschiedenen Gefechtsköpfen, von oben nach unten: Sprenggranate, Kartätsche, Brandsatz

Die erste Demonstration der Feststoffraketen Congreves fand im September 1805 statt.[12] Zum ersten Mal eingesetzt wurden sie am 20. November 1805 gegen die vor Boulogne-sur-Mer wartende französische Flotte. Unter dem Kommando von Sidney Smith, einem Offizier der Royal Navy, schossen 12 Boote im Schutze der Dunkelheit etwa 600 Raketen in einer großen Salve ab, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Kritiker bemängelten die mangelhafte Zielgenauigkeit der Raketen, Congreve machte hingegen Wind und Seegang verantwortlich. Der nächste Versuch wurde am 8. Oktober 1806 unter dem Kommando von Edward Owen (1771–1849) unternommen, 24 Boote schossen ungefähr 400 Raketen ab. Im Gegensatz zum ersten Versuch wurde nicht in einer Salve geschossen. Dadurch dauerte der Angriff mit einer halben Stunde zwar länger, erlaubte aber den Seeleuten die Boote besser auszurichten. Auch die Wirksamkeit des zweiten Einsatz war umstritten, dennoch konnte ihn Congreve als Erfolg verbuchen.[3]

Des Weiteren kamen beim Bombardement Kopenhagens im Jahr 1807 Congreve’sche Raketen zum Einsatz (wieder war es ein Angriff von Schiffen aus),[13] ebenso 1809 in Vlissingen[14] sowie bei der Belagerung der französischen Flotte bei der Île-d’Aix.[15] In den Napoleonischen Kriegen wurden die Raketen 1813 bei den Belagerungen von Danzig und Wittenberg eingesetzt,[15] ferner von englischen Landstreitkräften z. B. in der Schlacht an der Göhrde und der Völkerschlacht bei Leipzig.[16]

Auch im Britisch-Amerikanischen Krieg (1812–1815) gab es Einsätze auf Seiten der Briten. Bei der Schlacht bei Bladensburg konnten sie mit Hilfe der Congreve’schen Raketen zahlenmäßig überlegene amerikanische Truppen in die Flucht schlagen und daraufhin Washington erobern. Der berühmteste Einsatz der Raketen war wohl bei der Schlacht von Baltimore. Der Beschuss des amerikanischen Forts durch Raketenschiffe soll so beeindruckend gewesen sein, dass er Francis Scott Key zu nachfolgender Zeile in seinem Lied The Star-Spangled Banner, der späteren Nationalhymne der USA, inspiriert hat: And the rockets' red glare, zu Deutsch: Und der Raketen grelles, rotes Licht.[17]

Auch andere Staaten wie die USA, viele europäische Nationen sowie einige in Lateinamerika und im Nahen Osten nahmen sich ein Beispiel an der Congreve’schen Rakete und führten ähnliche Raketen ein.[11] In Österreich führte der Feldzeugmeister Vincenz von Augustin im Jahre 1814 Raketen nach der Art von Congreve ein.[18]

Im Amerikanischen Bürgerkrieg wurden sie von beiden Seiten gelegentlich genutzt, sowohl von den Unionstruppen als auch von den Konföderierten.[19]

Wurfgerät für Rettungsleinen

Basierend auf Congreve’schen Raketen entwickelte der Engländer John Dennett (1790–1852) ein Rettungsgerät für Schiffe in Seenot in Küstennähe. Mit der Rakete konnte eine Rettungsleine vom Ufer zu dem havarierten Schiff geschossen werden.[20][21]

Literatur

  • A. Bowdoin Van Riper: Rockets and Missiles: The Life Story of a Technology, JHU Press, 2007, ISBN 978-0-8018-8792-5 online
  • William Congreve: The details of the rocket system, London, 1814 online
  • William Congreve: A Treatise on the General Principles, Powers, and Facility of Application of the Congreve Rocket System, as Compared with Artillery, London, 1827, online
  • Bernard Cornwell: Die Sharpe-Romane, speziell in den ersten drei Bänden
  • Josef Schmölzl: Ergänzungs-Waffenlehre: ein Lehrbuch zur Kenntniß und zum Studium der Feuerwaffen der Neuzeit, Cotta Verlag, 1857, online

Weblinks

Commons: Congreve’sche Rakete – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. "...die Raketenmänner mit ihren magischen Kräften zehrten den Lebensfaden der Helden des Schlachtfelds auf, indem sie ihre falkengeflügelten Pfeile verschossen... die einzige Furcht der berühmten, tapferen Krieger galt den Kanonenkugeln und dem Anflug einer Rakete"; Muhammad Jafar Shamlu, Augenzeuge und Chronist der Schlacht, zit. nach Henry Miers Elliot. John Dowson: The History of India, as Told by Its Own Historians. The Muhammadan Period. Bd.viii. London : Trübner 1877 (ND ND Oxford UP 2013), Kap.ciii, S. 153 Onlineausgabe
  2. "Die Inder benutzen im Krieg eine Art Feuerpfeile, die man foguetes [port. "Feuerwerks-Raketen"] nennt. Das sind eiserne Stangen, 8-10 Fuß [2 ½ – 3 m] lang und ca. 3 Zoll [7,5 cm] dick; an dem einen Ende ist ein schwerer, eiserner Köcher mit Pulver gefüllt, der durch ein kleines Loch in der Büchse angezündet wird, worauf die Stange unter ständiger Rotation mit erstaunlicher Geschwindigkeit fortfliegt und manchmal fünf bis sechs Menschen töten oder schwer verletzen kann. Es sind besondere Leute, die mit diesen Feuerpfeilen umgehen, und es gehört einiges an Kraft und Kunstfertigkeit dazu, um sie richtig zu steuern und ihnen eine horizontale Richtung zu geben"; Jacob Haafner: Reise in einem Palankin (1808), S. 160. - "Man setzt auch große Raketen ein, die acht bis zehn Zoll lang sind und an der Spitze eine scharfe, sichelförmige Klinge tragen. Sie werden horizontal abgefeuert und sollen Unordnung in die Kavallerieeinheiten bringen. Sie sind weniger effektiv als unsere Handgranaten, reichen aber viel weiter. Den indischen Autoren zufolge wurden diese vana genannten Raketen schon in sehr früher Zeit benutzt"; Jean Antoine Dubois: Leben und Riten der Inder, (1825), Kap. III,9, S. 542. - In der Schlacht von Pollilur (210.9.1780) wurden sie durch das Sprengen der britischen Pulverwagen schlachtentscheidend. Ein Augenzeuge berichtet: "... bis auf einmal ein Feuerpfeil, der mitten in das Karree fällt, einen Pulverwagen zertrümmert und dieser zusammen mit drei weiteren in die Luft fliegt. Dieser furchtbare Zwischenfall bringt die Reihen ... in Verwirrung"; Haafner, Palankin, S. 158 ff. - Der Einsatz von Raketen in Indien seit dem Altertum ist beschrieben in On the Early Use of Gunpowder in India. In: Elliot/Dowson, History of India, Bd. 6, Appendix Note A, S. 455–482 Onlineausgabe
  3. a b Simon Werrett: William Congreve’s rational rockets. In: The Royal Society (Hrsg.): Notes & Records of The Royal Society. Band 63, Nr. 1, 20. März 2009, doi:10.1098/rsnr.2008.0039 (online [abgerufen am 26. Januar 2015]).
  4. New Mexico Museum of Space History über William Congreve [1]
  5. Mario Christian Ortner: Die Entwicklung moderner Kriegsraketen im 19. Jahrhundert [2]
  6. a b Frederick C. Durant III, Stephen Oliver Fought, John F. Guilmartin, Jr.: Rocket and missile system. Encyclopædia Britannica. Abgerufen am 20. Februar 2015.
  7. Karl Theodor von Sauer: Grundriss der Waffenlehre, München, 1869, Cotta’sche Verlagsbuchhandlung, S. 467 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  8. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 15–16.
  9. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 18.
  10. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 17–18.
  11. a b Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 17.
  12. Britannia oder Neue englische Miszellen, Verlag Metzler, 1825 (Original von der Bayerischen Staatsbibliothek); S. 214 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  13. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 16.
  14. Gemeindearchiv Vlissingen; Congrevesche Raketen auf Vlissingen; Westerschelde. Portreet van een open zeearm. Kloetinge : De Groote Roeibaerse 2018. S. 56–57, mit Abb. einer vom Schiff aus verschossenen Rakete kurz vor dem Einschlag.
  15. a b Pierer's Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart. 4. Auflage. Verlagsbuchhandlung von H. A. Pierer, Altenburg 1865 (zeno.org [abgerufen am 21. Januar 2020] Lexikoneintrag „Brandraketen“).
  16. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 16.
  17. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 16–17.
  18. Anton Dolleczek: Geschichte der österreichischen Artillerie von den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart, 1887, S. 349 online
  19. Riper: Rockets and Missiles, 2007, S. 19.
  20. G I Brown: Explosives: History With A Bang, The History Press, 2011, ISBN 978-0-7524-7614-8, S. 64 online
  21. Warwick William Wroth: Dennett, John in Dictionary of National Biography, 1885–1900, Volume 14 online