DFG-Schwerpunktprogramm: Das digitale Bild

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SPP 2172
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Start 2019
Ende 2025
Laufzeit 6 Jahre
Koordination Hubertus Kohle (Ludwig-Maximilians-Universität München)
Hubert Locher (Philipps-Universität Marburg)
Website https://www.digitalesbild.gwi.uni-muenchen.de/

Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Schwerpunktprogramm (SPP) Das digitale Bild führt aus multiperspektivischer Sicht exemplarische Projekte zusammen und thematisiert dabei die zentrale Rolle, die das Bild im komplexen Prozess der Digitalisierung von Wissen in Theorie und Praxis spielt.[1]

Das SPP setzt sich aus 12 Projekten an verschiedenen deutschen Universitäten zusammen. Diese Projekte innerhalb des Programms verfolgen dabei jeweils eigene Fragestellungen im Bezug auf das Thema. Ziel des übergreifenden Programm ist dabei jedoch – trotz der individuellen Forschungsvorhaben – im Austausch untereinander neue Perspektiven und Ansätze zu erarbeiten und gemeinsam Zugang zu diesem komplexen Thema zu finden.

Übergreifendes Forschungsvorhaben

Das SPP verfolgt eine kritische Thematisierung und Reflexion der Dimension des "digitalen Bildes" als tiefgreifende epistemologische Umwälzung. Dies kann nur in einem ausgesprochen transdisziplinären Austausch und unter besonderer Einbeziehung der Informationswissenschaften geschehen: In das SPP wurden erstens Projekte aufgenommen, die den Anteil des Bildes am Digitalisierungsprozess reflektieren, um zu einer Theorie des digitalen Bildes in seiner Verwendung in Kunst, Wissenschaft, Kultur beizutragen und zweitens das Phänomen, die Erscheinungsformen und Praktiken des digitalen Turn in seiner visuellen Dimension zu beschreiben und interpretieren. Drittens zielen sie auf die Praxis der Technologien des digitalen Bildes ab, z. B. die Entwicklung innovativer Formen der Nutzung des digitalen Bildes als Wissensmedium im wissenschaftlichen Umfeld. Die Gewichtung dieser drei Aspekte kann innerhalb eines Projekts grundsätzlich unterschiedlich sein. Unter dem Dach des SPP sollen sie fruchtbar miteinander verbunden sein. Ein Schwerpunkt des SPP soll im Bereich der Praxis liegen und hierbei die Untersuchung und Reflexion von technologischen Instrumenten und sozialen Infrastrukturen thematisieren.

Sprecher des Programmes sind Hubertus Kohle von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Hubert Locher von der Philipps-Universität Marburg und Direktor des Bildarchiv Foto Marburg. Die Koordination des Projektes erfolgt in den ersten drei Jahren am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Geschichte des SPP

Die Initiative für das Projekt ging als Antragstext bereits 2017 bei der DFG ein. Beteiligt im Programmausschuss waren Hubertus Kohle, Hubert Locher, Harald Klinke, Björn Ommer und Heidrun Stein-Kecks. Die Bewilligung erfolgte im März 2018 durch ein Gutachtergremium. Im April 2018 erfolgte die Einladung für Antragsteller der ersten dreijährigen Förderperiode des Programmes durch eine offizielle Ausschreibung der DFG.[2]

Teilprojekte des SPP

Adaptive Bilder. Technik und Ästhetik situativer Bildgebung

Bedingt durch die jüngere Technikentwicklung, werden digitale Bilder zunehmend in portable, sensorgesteuerte und augmentierende Visualisierungssysteme integriert, die in Abhängigkeit von ihrer Umwelt operieren. Als sogenannte Virtual oder Augmented Reality-Anwendungen inzwischen im Konsumentenbereich angekommen, versprechen sie eine umfassende Nutzbarkeit auch in professionellen Zusammenhängen, etwa in der industriellen Produktion.

In Feldern wie der medizinischen Praxis werden jedoch auch die umfassenden Folgen der technologischen Aufrüstung deutlich. Operationen werden in einem solchen Maße durch automatisierte Echtzeit-Visualisierungen unterstützt, dass Bildschirmdarstellungen als die primären Referenzobjekte an die Stelle realer Körper rücken. Diese sind in umfassende multimediale und multimodale Bildapparate eingespannt, die durch Schnittstellen, mechatronische und logistische Elemente laufend weiter ausgedehnt werden. Interfaces und Algorithmen antizipieren Entscheidungen und engen Handlungen ein.

Eine Folge dieser permanenten raumzeitlichen Verzahnung von Visualisierungen, Objekten und Handlungen sind neue Möglichkeiten der Diagnose und Therapie, aber auch neue Herausforderungen in Bezug auf die Wahrnehmung, Interpretation und Gestaltung von Bildern, die handlungsanleitend und sogar lebensentscheidend werden. Gerade aus dem Anspruch erhöhter Realitätsnähe ergibt sich für adaptive Bilder, die nur noch individuell erfahren werden, eine spezifische Ungreifbarkeit.

Der Übergang vom digitalen zum adaptiven Bild steht daher im Mittelpunkt der Untersuchung. Anhand von anwendungsbezogenen Fallstudien sollen die besonderen ästhetischen, technischen und operationalen Aspekte adaptiver Bildlichkeit und die damit verbundenen Repräsentationsprobleme erforscht werden. Die Untersuchung verspricht nicht nur einen grundlegenden Beitrag zur Bildkritik, sondern auch zu den Mechanismen der digitalen Bildlichkeit.[3]

Architecture Transformed – Architekturprozesse im digitalen Bildraum

Das Projekt unternimmt es, prozessuale Zusammenhänge in der Architektur in der Phase des Übergangs von den analogen zu den digitalen Planungs- und Darstellungsverfahren zwischen den 1980er- und den 2000er-Jahren zu untersuchen. Ziel ist es, die Annahme einer medienspezifischen Prägung der Architektur durch die digitalen Entwurfs- und Darstellungsmethoden am Material zu prüfen und zu ermitteln, wie das digitale Bild Begriff und Produktion von Architektur verändert.[4]

Curating Digital Images: Ethnografische Perspektiven auf die Affordanzen digitaler Bilder im Kontext von Museen und kulturellem Erbe

Das Projekt verbindet Perspektiven der Museum & Heritage Studies mit denen der Media & Digital Anthropology und der Informationswissenschaft. Zwei ethnografische Studien widmen sich den digitalen Kuratierpraktiken von Alltagsakteuren und werden zusätzlich durch Eye-Tracking-Methoden bereichert. Im Zentrum der Studien stehen erstens die vielschichtigen Umgangsweisen mit digitalen Bildplattformen und virtuellen Museen sowie zweitens die digitalen Bildpraktiken von Museumsbesuchern.[5]

Bildförmige Bildkritik in Sozialen Medien. Explizites und implizites Theoretisieren des digitalen Bildes

Das Projekt untersucht mit einem praxistheoretischen Ansatz digitale Bilder, die in den Sozialen Medien andere Bilder kritisieren. Die bildförmige Bildkritik wird dabei als „materialisierte Praxis“ gedacht, die explizites und implizites Medienwissen über das digitale Bild bereithält. Aus diesem Wissen soll schließlich eine Theorie des digitalen Bildes aus der Perspektive digitaler Bilder geschöpft werden.[6]

Bildsynthese als Methode des kunsthistorischen Erkenntnisgewinns

Digitale Bilder ermöglichen es uns Kunstwerke virtuell zusammenzubringen, sie zu gruppieren und beliebig zu rearrangieren. Die potentiell sehr komplexen Verbindungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede innerhalb solcher Datensätze können von Computern analysiert werden. Dies macht jedoch ein Verständnis der grundlegenden, vom Computer gelernten Repräsentationen zwingend für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Mithilfe generativer Verfahren aus dem Bereich des deep learning soll eine neue Methodik zur Erschließung und Visualisierung von Bildkonzepten etabliert werden, die auf der Analyse dieser Repräsentationen aufbaut, wodurch das synthetische, digitale Bild zu einem bedeutenden Instrument des Interpretationsprozesses sowie des kunsthistorischen Erkenntnisgewinns wird.[7]

Browserkunst. Navigieren mit Stil

Ab Mitte der 1990er-Jahre programmieren Kunstschaffende alternative Internetbrowser, die die Inhalte des WWW anders darstellen, als es die genormte Seitenmetaphorik erwarten lässt. Um diese interaktiven, software-basierten Bildermaschinen zu analysieren und zu vergleichen, wird nicht nur die Bildschirmoberfläche, sondern auch die Programmmechanik in den Blick genommen. Was lässt sich für eine Theoriebildung zum digitalen Bild daraus ableiten, welche methodischen Schritte müssen hierfür zum sonstigen kunsthistorischen Repertoire hinzugefügt werden?[8]

Das prozessierte Bild. Bildverarbeitung im Zeitalter von Photoshop

Ziel des Projektes ist ein Konzept digitaler Bilder hinsichtlich ihrer spezifischen Qualität als prozessierte Bilder. Hierzu wird das Projekt eine Software-Studie zu Adobe Photoshop, dem bevorzugten technischen Werkzeug für digitale Bildverarbeitung, durchführen und ein theoretisches Gerüst zur Reflexion der Bedeutung digitaler Bildverarbeitung für unsere visuelle Kultur und für Theorien digitaler Medien entwickeln.[9]

Digitale Vergangenheit. Faktizität und Fiktion in der Visualisierung von Geschichte

Das Projekt fragt danach, welchen Anteil digitale Bildverfahren am Verständnis und der Imagination vergangener Ereignisse und Epochen haben. Dabei liegt der Fokus auf solchen Rekonstruktionen, denen ein dokumentarischer, faktenbasierter Charakter zugeschrieben wird (filmische Dokumentationen, Einsatz von Virtual Reality in historischen Museen). Im Zentrum steht die Frage, welche neuen Formen der Rezeption von Geschichte im Feld der digitalen Rekonstruktion und Simulation zu beobachten sind – etwa durch das Versprechen auf eine neue, durch immersives Eintauchen in simulierte Vergangenheiten ermöglichte Unmittelbarkeit. Ziel des Projekts ist es, Kriterien einer genuinen Bildgeschichte und -theorie digitaler Rekonstruktion zu entwickeln, eine Kritik historischer Einbildungskraft unter den veränderten Bedingungen der Digitalisierung.[10]

Hinter dem digitalen Bild. Fotografien auf Community-Plattformen und auf Twitter als Repositorien für maschinelles Lernen und journalistische Publikationen

Rechtliche, ethische und soziale Fragen des digital photo sharing sind Gegenstand des Forschungsprojekts. Das Zusammenspiel von image sharing, den Eigenlogiken von Internetplattformen und (journalistischer) Nutzungsrechte sowohl für Bilder, die dem citizen journalism zuzurechnen sind, als auch für Bilder, die als crowdsourced images verwendet werden, wirft eine Vielzahl an Forschungsfragen auf, unter anderem nach dem Status der Fotografierenden und des digitalen Bildes, der Medienpraxis der User, und einer Ethik des digitalen Bildes.[11]

Jameson 2.0. Cognitive mapping in der zeitgenössischen Kunst

Digitalen Bildern liegt eine doppelte Darstellungskrise zu Grunde: Zum einen sind digitale Daten nicht visuell und bildliche Repräsentationen nicht ihre notwendige Erscheinungsform. Zum anderen scheint es in einer datengetriebenen Welt dem menschlichen Beobachter unmöglich, einen Einblick oder Überblick in die Weise der Datengenerierung und Informationsprozessierung zu erhalten, die die heutige Welt bestimmen. Das Projekt rekurriert auf exemplarische Verfahrensweisen aus Kunst und visueller Kultur, die via Datenstrukturierung, Informationsgenerierung und Interpretation alternative Formen der Darstellung und Erfahrung entwickeln. Konzeptualisiert werden sollen diese Arbeiten und Praktiken unter dem Begriff des cognitive mapping.[12]

Japanische Querrollen und Digitale Explorationen: Materialität, Praktiken und Lokalität

Dieses Projekt untersucht die spezifischen Probleme und Herausforderungen bei der Re-/Präsentation von japanischen narrativen, illuminierten Querrollen (emaki), die, horizontal ausgerichtet, ein Langformat mit bisweilen über zwanzig Metern darstellen. Dies bezieht sich auf Buchpublikationen und Museumsräume, ebenso wie auf Website-Interfaces und Computerbildschirme. Ziel ist es einerseits anhand eines Fallbeispiels zu analysieren, wie die aktuellen digitalen Werkzeuge die besondere Materialität, die Praktiken und Lokalitäten der emaki mit „hoher Wiedergabetreue“ (nicht) re-/präsentieren können. Andererseits erörtert das Projekt die Potenziale zukünftiger Digitalisierungsstrategien, die verschiedene Formen der Rezeption und virtueller Handhabung von Querrollen verbessern bzw. ermöglichen sollen.[13]

Schemata. 3D-Klassifizierungsverfahren und archäologische Bestimmungskriterien am Beispiel antiker Terrakottastatuetten

Die Fallstudie möchte sowohl Verfahren der automatisierten Corpusbildung durch 3D–Mustererkennung entwickeln als auch die damit verbundenen Schematisierungen und ihren wissenschaftlichen Nutzen für die Informatik und die Bildwissenschaften reflektieren. Auf Grundlage von 200 Terrakotten des späten 4. und 3. Jhs. v. Chr., die untereinander recht ähnlich sind, soll mit digitalen Methoden ein Klassifikationssystem erarbeitet werden, das in der Lage ist, der Komplexität der Bildwerke gerecht zu werden. Dazu sollen Verfahren des Object-Mining in 3D-Daten so weiterentwickelt werden, dass sie die Suche nach einer geeigneten Klassifikation und Kategorisierung der Bildwerke unterstützen können. In enger Zusammenarbeit von Informatik und Archäologie führt dieser experimentelle Prozess so zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Mustererkennung als geisteswissenschaftlicher Kategorie.

Die Diskussion der verschiedenen Konzepte und Methoden soll in zwei einander ergänzenden Dissertationen durchgeführt werden, die „Klassifikationen und Kategorisierungen mit digitalen Methoden. Formkonstanz und Formvarianz weiblicher Terrakotten des Hellenismus“ und „3D–Mustererkennung antiker Terrakotten. Beiträge zum automatisierten Object-Mining“ zum Thema haben.[14]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. DFG – GEPRIS – SPP 2172: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020.
  2. DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft – Schwerpunktprogramm „Das digitale Bild“ (SPP 2172). Abgerufen am 4. April 2020.
  3. Förderzusage DFG-Schwerpunktprogramm "Das digitale Bild". Abgerufen am 4. April 2020.
  4. DFG-Projekt : Lehrstuhl Architektur und Visualisierung. Abgerufen am 4. April 2020.
  5. Website CARMAH Berlin. Abgerufen am 4. April 2020.
  6. Bildförmige Bildkritik in Sozialen Medien. Explizites und implizites Theoretisieren des digitalen Bildes. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  7. Website der FAU Erlangen. Abgerufen am 4. April 2020.
  8. Browserkunst. Navigieren mit Stil. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  9. Dr. Till A. Heilmann: »Das prozessierte Bild. Bildverarbeitung im Zeitalter von Photoshop«, Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Eigene Stelle im Rahmen des SPP »Das digitale Bild«, Laufzeit: 3 Jahre — Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft. Abgerufen am 4. April 2020.
  10. Digitale Vergangenheit. Faktizität und Fiktion in der Visualisierung von Geschichte. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  11. Hinter dem digitalen Bild. Fotografien auf Community-Plattformen und auf Twitter als Repositorien für maschinelles Lernen und journalistische Publikationen. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  12. Jameson 2.0. Kognitive Kartierung in der zeitgenössischen Kunst. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  13. Japanische Querrollen und digitale Explorationen: Materialität, Praktiken und Lokalität. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).
  14. Schemata. 3D-Klassifizierung und Kategorisierung der alten Terrakotta-Figuren. In: Das digitale Bild. Abgerufen am 4. April 2020 (deutsch).