Daruma-shū
Die Daruma-shū (jap.
, dt. „Bodhidharma-Schule“) war eine Schule des frühen Zen-Buddhismus in Japan. Sie entstand in der Kamakura-Zeit und hörte spätestens im Ōnin-Krieg auf, als eigenständige Schule zu existieren.
Ein Teil von ihr ging im Rahmen ihrer Verfolgung fast vollständig in der noch jungen Sōtō-shū auf und dominierte diese zeitweise.[1]
In japanischen Publikationen wird die Daruma-shū auch Nihon Daruma-shū (
; „Japanische Bodhidharma-Schule“) genannt, um Verwechslungen mit der allgemeinen Bezeichnung für das neu in Japan propagierte Chan aus China vorzubeugen, die mit den gleichen Schriftzeichen geschrieben wurde (chinesisch
, Pinyin
, W.-G.
).[2] So bezieht sich das durch die Tendai-shū veranlasste, vom Kaiserhof erwirkte Verbot einer „Daruma-shū“ im Jahr 1194 aufgrund von Unverständlichkeit und Unsinnigkeit, wegen dessen sich Eisai verantworten musste, auf jegliches Zen als eigenständige Schule.[3][4]
Geschichte
Als Stifter der Daruma-shū gilt der japanische Mönch Dainichi(bō) Nōnin (
; † ca. 1189–96), der am Ende des 12. Jahrhunderts wirkte. Er war der Onkel von Kagekiyo, einem Anführer der Taira (und kam später durch dessen Schwert um). Er residierte im Sambō-ji (
), einem von ihm begründeten Tempel in der Provinz Settsu. Anders als manche seiner am Zen interessierten Zeitgenossen unternahm er selbst keine Reise in das China der Song-Dynastie, das damals in Japan als Ursprungsland des Chan galt. Um sich dennoch als Zen-Meister durch einen chinesischen Meister legitimieren zu lassen, schickte Nōnin im Jahr 1189 seine zwei Schüler Renchū und Shōben nach China, die bei Zhuoan Deguang (chinesisch
, Pinyin
, W.-G.
; 1121–1203) vorstellig wurden, einem Meister aus dem Yangqi-Zweig (chinesisch
, Pinyin
) der Linji zong (chinesisch
, Pinyin
, W.-G.
) und selbst Schüler von Dahui Zonggao (chinesisch
, Pinyin
, W.-G.
; 1089–1163). Renchū und Shōben studierten bei Fozhao Deguang und händigten ihm einen Brief von Nōnin aus, in dem dieser seine religiöse Erfahrung schilderte. Bei ihrer Rückkehr gab Te-kuang ihnen u. a. ein Siegel der Erleuchtung (
, inka) für Nōnin mit auf den Weg, der diesen als seinen Dharma-Nachfolger auswies.[5][6][7] Nōnins Wirken sah sich von Seiten der etablierten, buddhistischen Schulen scharfer Kritik ausgesetzt, darunter die mächtige Tendai-shū. Aber auch andere Zen-Meister (darunter Eisai in seinem
, Kōzen gokokuron) und Nichiren (in seinem
, Kaimokushō) bezogen gegen ihn Stellung,[8][2][9] was u. a. auf den schnellen Zuwachs an Schülern und die große Aufmerksamkeit für die neue Schule zurückzuführen ist. Einer der wichtigsten Schüler Nōnins wurde Kakuan (
; † 1234?), der später in Tō-no-mine in der Provinz Yamato wirkte.[10][9] Die Unterkünfte dieser Gemeinde wurde in den Jahren 1227/8 von Mönchen des Kōfuku-ji zerstört. Weitere Zentren von Nōnins Schülern waren die ebenfalls von Kakuan etablierte Gemeinde in Higashiyama in Kyōto und eine Gruppe im Hajaku-ji in der Provinz Echizen. Letztere, um den Mönch Ekan (
; † 1251) zentrierte Gruppe schloss sich im Frühjahr 1242 gemeinsam Dōgens Gemeinde am Kōshō-ji in Fukakusa südlich von Kyōto an. Sie folgten damit dem Vorbild ihres Mitschülers Koun Ejō (
; 1198–1280), wie Ekan ein Schüler von Kakuan, der sich bereits im Jahr 1234 Dōgen angeschlossen hatte und später dessen Nachfolger werden sollte.[11] Zusammen mit Ekan trafen u. a. auch Tettsū Gikai (
; 1219–1309), Gi’en (
; † 1314), Gijun (
) und Kangan Gi’in (
; 1217–1300) am Kōshō-ji ein.[12] Nachdem sich auch diese Gruppe in Higashiyama auflöste, blieb die Gruppe in Nōnins altem Tempel, dem Sambō-ji, die einzige der Daruma-shū, bis dieser Tempel im Ōnin-Krieg zerstört wurde.[11] In Dōgens neuer Zen-Gemeinde waren die ehemaligen Anhänger der Daruma-shū später Teil des sogenannten Streits um die Nachfolge in der dritten Generation (
, sandai sōron), die sich im Eihei-ji nach dem Tod von Dōgens Nachfolger Ejō (der bis dahin eine Vermittlerrolle eingenommen hatte) auch an Fragen um die richtige Doktrin der Sōtō-shū entzündete. Grundsätzlich ging es dabei um Konflikte zweier Parteien: einerseits die Anhänger der reinen und kompromisslosen Lehre Dōgens, die dieser nach der Konversion der Daruma-shū-Anhänger besonders rigoros und in Abgrenzung zu anderen Lehren formuliert hatte und die sich um Gi’en formierten und andererseits die Anhänger der Daruma-shū-Lehre (die nicht unbedingt identisch mit den Konvertierten von 1242 waren) um Ejōs Nachfolger Tettsū Gikai, die sich um eine synkretistische Vermittlung mit den anderen buddhistischen Schulen in Japan bemühten.[13][14] Der Konflikt führte schließlich zur Spaltung der Sōtō-shū, als Gikai 1293 den Eihei-ji verlassen musste und am Daijō-ji (
; einem ehemaligen Shingon-Tempel[13][15]) in der Provinz Kaga eine neue Gemeinde gründete.[16] Erst im 16. Jahrhundert vereinigten sich die verschiedenen Sōtō-Linien wieder unter dem Eihei-ji.
Schriften
- Das Jōtō Shōgakuron (成等正覺論; „Traktat über die Erlangung vollkommener Erleuchtung“) enthält in drei Abschnitten a) einen Bericht über die Geschichte des Zen-Buddhismus von den sieben Buddhas der Vergangenheit bis zum 50. Patriarchen Zhuoan Deguang, b) eine Glosse über „Der Geist selbst ist Buddha“ (即心是仏, sokushin zebutsu; eine zentrale Doktrin der Daruma-shū) und c) eine Passage über weltliche Vorteile und magische Kräfte.[17]
- Das Shōbōgenzō (正法眼蔵) war eine 1236 von zu Dōgens Gemeinde konvertierten Daruma-shū-Anhängern erstellte Sammlung von dreihundert chinesischen Kōan. Der Titel geht auf eine von Dahui Zonggao erstellte Kōan-Sammlung (chinesisch正法眼藏, PinyinZhèngfǎyǎn zàng) zurück, auf die sich auch Dōgens später entstandenes, ebenfalls Shōbōgenzō genanntes Werk bezieht.[18]
- Das Hōmon Taikō (法門大綱)[19]
- Das Kenshō Jōbutsuron (見性成仏論; „Traktat über die Schau der eigenen Natur und der direkten Erlangung der Buddhaschaft“)[20]
- Das Daruma Sanron (達磨三論; „Drei Traktate über Bodhidharma“) ist eine apokryphe Schrift, die der Sōtō-Mönch Kyōgō (経豪) der Daruma-shū zugeschrieben hatte. Dabei handelte es sich um das Hasō-ron (破相論), das Goshō-ron (悟性論) und das Kechimyaku-ron (血脈論).[21]
Lehre
Das Zen der Daruma-shū war durch zwei Quellen bestimmt: einerseits die durch Zhuoan Deguang vermittelte Linji-zong-Linie, die wie die spätere Rinzai-shū auf kanna-zen (
), also der bevorzugten Verwendung von Kōan, basierte und andererseits die synkretistische Meditationslehre der Tendai-shū, die auf Saichōs Überlieferungen der Tiantai zong sowie seinen Studien bei Xiuran (chinesisch
, Pinyin
, W.-G.
), Vertreter der Ochsenkopf-Schule[22] bzw. Nordschule[21] des chinesischen Chan aus den Jahren 804/5 fußte. Die Theorie der „Schau der eigenen Natur und direkte Erlangung der Buddhaschaft“ (
, kenshō jōbutsu), die von Huineng im sogenannten „Plattform-Sutra des sechsten Patriarchen“ entwickelt worden war, wurde von der Daruma-shū zum Leitmotiv erhoben.[23] Dabei konnte sie sich auch auf die Tendai-shū beziehen, die diese Doktrin, so in Saichōs Kechimyakufu (
) expliziert, ebenfalls vertrat.[20] Zusammen mit der Theorie des „Der Geist selbst ist Buddha“ (
, sokushin zebutsu), Ausdruck der Nicht-Dualität von Buddha und (anderen) Lebewesen,[24] bildete dies die doktrinäre Grundlage der Daruma-shū-Lehre.
Des Weiteren war die Daruma-shū wahrscheinlich durch den esoterischen Buddhismus beeinflusst. So empfiehlt das Jōtō Shōgakuron das Rezitieren bestimmter Verse, um damit magische Wirkungen zu entfalten.[25]
Ein weiteres Charakteristikum der Daruma-shū war ein ausgeprägter Kult um Śarīra (
, shari), buddhistische Reliquien in Perlenform, womit sich die Schule im Besitz heiliger Überreste der sechs ersten Patriarchen und des Bodhisattva Fugen wähnte. Für ihre Verehrung gab es im Sambō-ji eine eigene Halle. Der Kult hielt schließlich auch Einzug in die Sōtō-shū, indem Gikai seinem Nachfolger Keizan Jōkin die von ihm verwahrten Śarīra Fugens und Huinengs überantwortete. Keizan brachte diese im Yōkō-ji (
) unter, einem Tempel auf der Noto-Halbinsel.[26]
Literatur
- Heinrich Dumoulin: Geschichte des Zen-Buddhismus. Band II: Japan. Francke-Verlag, Bern 1986. ISBN 3-317-01596-9.
- Bernard Faure: “The Daruma-shū, Dōgen and Sōtō Zen”, in: Monumenta Nipponica, Vol. 42, No. 1. (Spring, 1987), pp. 25–55.
- Daigan Lee Matsunaga und Alicia Orloff Matsunaga: Foundation of Japanese Buddhism; Vol. II; The mass movement (Kamakura & Muromachi periods). Buddhist Books International, Los Angeles und Tokio 1976. ISBN 0-914910-27-2.
- Vincent M.N. Breugem, From Prominence to Obscurity: a Study of the Darumashū: Japan's first Zen School, Thesis, Leiden University 2006
Einzelnachweise
- ↑ Faure 1987, S. 26.
- ↑ a b Faure 1987, S. 25.
- ↑ Matsunaga 1976, S. 187 f.
- ↑ Dumoulin 1986, S. 11.
- ↑ Faure 1987, S. 27 f.
- ↑ Dumoulin 1986, S. 7 f.
- ↑ Matsunaga 1976, S. 187.
- ↑ Matsunaga 1976, S. 166.
- ↑ a b Faure 1987, S. 28.
- ↑ Dumoulin 1986, S. 8.
- ↑ a b Faure 1987, S. 30.
- ↑ Dumoulin 1986, S. 90.
- ↑ a b Dumoulin 1987, S. 105.
- ↑ Matsunaga 1976, S. 256 f.
- ↑ Matsunaga 1976, S. 257.
- ↑ Faure 1987, S. 45 f.
- ↑ Faure 1987, S. 32.
- ↑ Faure 1987, S. 42.
- ↑ Faure 1987, S. 32, 44.
- ↑ a b Faure 1987, S. 44.
- ↑ a b Faure 1987, S. 31.
- ↑ Digital Dictionary of Buddhism, "Saichō" (Artikel von Charles Muller).
- ↑ Dumoulin 1986, S. 93.
- ↑ Faure 1987, S. 32, 43.
- ↑ Faure 1987, S. 35.
- ↑ Faure 1987, S. 35–8.