Das Totenschiff (Oper)

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Operndaten
Titel: Das Totenschiff
Totenschiff1.jpg

Szenenbild der Uraufführung sirene 2018

Form: Kammeroper in zwei Akten
Originalsprache: Deutsch
Musik: Oskar Aichinger
Libretto: Kristine Tornquist
Literarische Vorlage: B. Traven: Das Totenschiff
Uraufführung: 24. November 2018
Ort der Uraufführung: Wien, sirene Operntheater im Reaktor Wien
Spieldauer: ca. 1 ½ Stunden
Ort und Zeit der Handlung: Antwerpen, Paris, Barcelona, Dakar, Atlantik um 1926
Personen
  • Gale (Tenor)
  • Schicksal / Der Große Kapitän (Sopran)
  • Stanislaw (Bariton)
  • vier Wechselrollen (Männer):
    • holländischer Polizist, französischer Polizist, Passant, Heizer auf der Yorikke, Marokkaner, Küstenwache, Matrose auf der Empress (Countertenor)
    • belgischer Polizist, Passant, holländischer Polizist, Heizer auf der Yorikke, Marokkaner, Küstenwache, Matrose auf der Empress (Tenor)
    • belgischer Polizist, Passant, Skipper auf der Empress, Matrose auf der Yorikke (Bariton)
    • amerikanischer Konsul, Passant, belgischer Grenzsoldat, Kontrolleur, Ingenieur, Hafenarbeiter, Matrose auf der Empress, Kapitän auf der Yorikke (Bassbariton)

Das Totenschiff[1] ist das zweite Bühnenwerk des österreichischen Komponisten Oskar Aichinger und der österreichischen Librettistin Kristine Tornquist aus dem Jahr 2018 in Zusammenarbeit mit dem sirene Operntheater Wien. Die Geschichte entstammt der gleichnamigen Erzählung Das Totenschiff von B. Traven.

Handlung

Erster Akt

Der amerikanische Seemann Gale nimmt einen Vorschuss und verlässt in Antwerpen die Tuscaloosa, um einen Abend an Land zu verbringen. Er betrinkt sich und übernachtet bei einem Mädchen.

Am Morgen hat sein Schiff den Hafen bereits nach New Orleans verlassen und mit ihm sind Gales Papiere fort. Nun erfährt er, dass ein Mensch ohne Papiere als „Staatenloser“ kein Existenzrecht hat. Man will ihn nicht anheuern lassen ohne Seekarte – und ihm die neue Seekarte, die er bräuchte, nicht ausstellen, da er nicht beweisen kann, wer er ist.

Von der belgischen Polizei wird er heimlich nach Holland abgeschoben, um ihn und sein Problem loszuwerden. Er kommt bis nach Rotterdam. Er will auf einem Schiff zurück in die USA anheuern, doch wieder nimmt ihn niemand ohne Seekarte. Am amerikanischen Konsulat fühlt sich niemand für ihn zuständig. Er bettelt sich durch, bis er wieder verhaftet wird – die Holländer wollen ihn ebenso klandestin zurück nach Belgien abschieben.

An der Grenze unentschieden, in welchem Land er gegen das Gesetz verstoßen soll, spaziert er an der Grenzlinie entlang, bis er erst von belgischen Grenzpolizisten und kurz darauf von holländischen verwiesen wird.

Diesmal hat er zwar in Rotterdam Glück, als blinder Passagier kommt er nach Boulogne – doch dort landet er im Gefängnis. Nach einiger Zeit im Arbeitslager entlässt man ihn und rät ihm, schleunigst das Land zu verlassen.

In Paris macht er einen weiteren vergeblichen Versuch beim Konsulat. Im Zug Paris–Toulouse wird er ohne Fahrkarte ertappt, verhaftet und soll innerhalb von vierzehn Tagen Frankreich verlassen. Nun gibt er sich als Deutscher aus.

Vor der deutschen Grenze gerät er in eine Militärzone, wird festgehalten und nach dem Kriegsgrenzgesetz zum Tode verurteilt. Doch der vermeintlich deutsche Spion wird vom eintreffenden Kommandanten als deutscher Kommunist enttarnt, begnadigt und nach Spanien gebracht.

Zweiter Akt

In Barcelona findet er endlich einen Skipper, der ihn ohne Papiere nimmt. Er heuert also auf der Yorikke an, einer Ruine von einem Schiff. Der Vertrag mit dem Skipper ist hart, der Lohn mies und die Bedingungen unmenschlich. Die meisten Männer an Bord sind wie er staatenlos. Er wird zum Ägypter erklärt und ab nun Pippip (Habibi) genannt.

Er arbeitet als Heizer, eine Arbeit, die auf dem schadhaften Schiff lebensgefährlich ist wie in einer Hölle. Doch mit seinem Heizerkollegen Stanislaw schließt er Freundschaft. Die Yorikke fährt in keinen Hafen ein, sondern löscht ihre Ladung auf See, daher gibt es für Gale über Monate keine Möglichkeit, von Bord zu gehen, er ist auf dem Totenschiff gefangen.

Er entdeckt, dass Waffen als Schmuggelware geladen sind. Erst nach einem schweren Unfall im Kessel ergibt sich für Stanislaw und ihn eine Gelegenheit, die Yorikke zu verlassen und an Land zu gehen.

Sie heuern auf der Empress of Madagaskar an. Erfahrene Seeleute warnen ihn – „die Empress fährt Seemanns-Engelchen“ –, doch er will davon nichts hören. Sie ist ein junges, blitzblankes Schiff, die Heuer ist gut und alles scheint vielversprechend. Als er schließlich begreift, dass das Schiff ein Versicherungsfall ist, das seinen Zweck für die Compagnie am besten erfüllt, indem es kentert, ist es für ihn bereits zu spät.

Die Empress fährt an ein Riff auf und kentert unter den Brechern. Er und Stanislaw sind die einzigen, die sich eine Weile auf dem geborstenen Schiff retten können, bis Stanislaw den Verstand verliert und sich ins Wasser stürzt. Gale sieht, wie sein Freund untergeht, von den Qualen der Welt erlöst. Gales Schicksal bleibt offen.

Der Hintergrund

Geld und Gesetz machen in B. Travens Totenschiff gemeinsame Sache. Wer nämlich ersteres nicht hat, auf dessen Seite steht das zweitere nicht. Und wer das Gesetz nicht auf seiner Seite hat, ist als Rechtloser verraten und ans Geld verkauft.

Gale, der Held des Totenschiffs, landet, nachdem er seine Papiere verloren hat, unversehens auf der Seite derer, die keine Rechte mehr haben.

Ohne Papiere und Aufenthaltsgenehmigung von der Staatengesellschaft an Land nicht mehr geduldet, bleibt ihm nur, aufs Meer auszuweichen. Doch auch auf See muss er auf den sogenannten Totenschiffen anheuern, schwimmenden Höllen wie der Yorikke, die als Schmuggelware Waffen im rechtsfreien Raum der Weltmeere bewegen oder – wie die Empress of Madagaskar – nur durch ihren Untergang als Versicherungsfall dienen.

Wer solche Geschäfte macht, bedient sich gern derer, deren Rechte kein Staat und keine Gewerkschaft mehr vertreten und deren Tod kein Aufsehen erregt, weil sie offiziell ohnehin nicht mehr existieren.

Auch heute gibt es solche Galeeren unter Billigflaggen, auf denen nur das Gesetz des Geldes gilt, sowie Agenturen, die Billig-Seeleute wie Sklaven handeln. Es ist an Land natürlich nicht anders, Totenschiffe gibt es im übertragenen Sinn überall, wo Armut herrscht.

Der Zynismus, mit dem Menschenleben dem kurzfristigen Gewinn geopfert werden, ist Travens roter Faden, der sich durch seine 25 Romane zieht.

Zynisch und oft auch demagogisch ist sein Stil, doch sein Anliegen ist, den Blick auf die Entrechteten und Unterdrückten zu richten, nicht aus der Vogelperspektive des Autors, sondern von mittendrin, aus eigener Erfahrung.

Wie sein Held war er Seemann, saß ohne Papiere im Gefängnis und schlug sich auf der Flucht vor dem Gesetz ohne Geld durch.

Mit Scharfsinn, lakonischem Witz und ohne jede Sentimentalität zeigt er, dass erst unter den Bedingungen der Freiheit – und damit meint er tatsächlich frei von Geld, Heimat, Recht und Namen, von allem – sich ein Mensch beweisen kann, erst dann überhaupt sichtbar wird in seiner wahren Gestalt.

Diese Vogelfreiheit, die er im Totenschiff beschreibt, hat sich B. Traven in seinem eigenen Leben selbst genommen, indem er immer wieder alle Brücken hinter sich abbrach und seine Sicherheiten aufgab.

Er vertrat damit seine sehr eigenwillige und persönliche Anarchie gegen das Gesetz, das seiner Meinung nach nur dazu dient, der Bourgeoisie das Geld gegen die Ansprüche der Gerechtigkeit zu verteidigen. Gesetz und Geld sind in seinen Büchern immer der Gegner des Menschen, wie Das Totenschiff, Die weiße Rose oder seine berühmte Parabel Der Schatz der Sierra Madre erzählen.

Kurt Tucholsky verglich Traven mit Balzac, denn ähnlich episch wie dieser umgreift Traven die ganze Tragödie des Menschseins: Er ist zunächst ein Mann, der die gesellschaftlichen Zusammenhänge gut erkannt hat. Bitter ist er und hart, wenn er zuschlägt. Es trifft alles, was er sagt: die Kritik an dieser Zivilisation, der Spott, der Hieb – alles.

Gestaltung

Szenenfolge

Erster Akt

  • 1. Vorspiel. Landurlaub in Antwerpen
  • 2. Ohne Papiere am Hafen von Antwerpen
  • 3. Beim amerikanischen Konsul in Rotterdam
  • 4. Zwischen den Grenzen
  • 5. Frankreich
  • 6. Entlassung aus der Arbeitsfron

Zweiter Akt

  • 7. Die Yorikke
  • 8. Die Arbeit auf der Yorikke
  • 9. Die Fracht der Yorikke – Vor der Küste von Marokko
  • 10. Abmusterung
  • 11. Im Hafen von Dakar
  • 12. Auf der Empress of Madagaskar
  • 13. Finale. Der Untergang

Die Musik

Das Totenschiff, von Oskar Aichinger als Song-Oper klassifiziert, ist seine zweite Kammeroper nach Der entwendete Taler. Sie übt fundamentale Kapitalismuskritik, beschreibt das Elend der Arbeit und ihrer Entmenschlichung. Formal hat Aichinger dafür die Song-orientierten Kompositionen eines Kurt Weill und eines Hanns Eisler im Hinterkopf, repetitive Muster spielen eine Rolle, zur angemessenen Dramatik des Stoffs besetzt er das Orchester zusätzlich mit E-Gitarre und vielen Blechbläsern.

Werkgeschichte

Der Uraufführung[2] fand am 24. November 2018 im Reaktor in Wien statt. In einer Koproduktion des sirene Operntheaters mit dem Festival Wien Modern folgten dort weitere fünf Vorstellungen in der Uraufführungsreihe.

Die musikalische Leitung übernahm Jury Everhartz, Regie führte Kristine Tornquist.

Sängerinnen und Sänger

  • Gernot Heinrich (Gale)
  • Romana Amerling (Das Schicksal)
  • Johann Leutgeb (Stanislaw)
  • Bernhard Landauer (Countertenor)
  • Richard Klein (Tenor)
  • Clemens Kölbl (Bariton)
  • Horst Lamnek (Bassbariton)

Leading Team

  • Kristine Tornquist (Regie)
  • Jury Everhartz (musikalische Leitung)
  • Mirjam Mercedes Salzer (Bühne)
  • Nora Scheidl (Kostüm)
  • Max Kaufmann (Video und Animationen)
  • Isabella Gajcic (Maske)
  • Edgar Aichinger (Licht und Ton)

Weblinks

Einzelnachweise