Datenjournalismus
Datenjournalismus (englisch data driven journalism, DDJ, wörtlich übersetzt datengetriebener Journalismus) ist eine Form des Online-Journalismus, die sich ab 2005 aus der älteren computergestützten Recherche (englisch computer-assisted reporting, CAR) entwickelte. Gemäß der Open-Data-Idee bedeutet Datenjournalismus nicht nur die Recherche in Datenbanken, sondern die Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Publikation öffentlich zugänglicher Informationen sowie ihre Verarbeitung in klassischen journalistischen Darstellungsformen.
Dabei stützt sich der Datenjournalismus sowohl auf die Informationsfreiheitsgesetze in vielen demokratischen Staaten, die Verwaltungen nach dem Öffentlichkeitsprinzip zur Herausgabe ihrer Informationsbestände verpflichten, als auch auf das organisierte Whistleblowing großer Datenmengen, das mit Internetplattformen wie WikiLeaks an Bedeutung gewann. Bei nicht in maschinenlesbarer Form vorliegenden Datenmassen gewinnt das Element des Crowdsourcing an Bedeutung für den Datenjournalismus.[1]
Geschichte
Als Vorläufer der Idee des Datenjournalismus werden Adrian Holovatys Vorschläge zur Umgestaltung des klassischen Journalismus für das Medium Internet betrachtet.[1] Dazu dürften nicht nur klassische Zeitungsgeschichten auf neuen Geräten angezeigt werden, auch die Information selbst müsse sich ändern.[2] Die Zielsetzung bei dieser anderen Art von Journalismus müsse es sein, “
” (deutsch: „wichtige, konzentrierte Information, die für das Leben der Menschen nützlich ist und ihnen hilft, die Welt zu verstehen“) zu liefern.[2]
Den Begriff Data Driven Journalism für die Kombination aus Recherche-Ansatz und neuer Veröffentlichungsform prägte die englische Tageszeitung The Guardian im März 2009 und nahm damit eine Vorreiterrolle in diesem Bereich ein. Im Data Store der Zeitung werden maschinenlesbare Informationen per Software miteinander verknüpft und analysiert. Das Ergebnis dient als Basis für interaktive Visualisierungen. Diese Visualisierungen werden mit dem Datensatz und Erläuterungen zum Kontext publiziert sowie mit Text, Audio oder Video kommentiert.[1] In Deutschland machte M – Menschen Machen Medien, eine Fachzeitschrift der Gewerkschaft ver.di, im März 2010 durch ein Titelthema zu DDJ den Begriff Datenjournalismus bekannt.[1]
Als Durchbruch des Datenjournalismus gelten die Veröffentlichung des Kriegstagebuchs des Afghanistan-Krieges und des Kriegstagebuchs des Irak-Krieges durch WikiLeaks sowie deren Aufbereitung durch The Guardian und The New York Times.[3] Ein weiterer Meilenstein war 2016 die Veröffentlichung der Panama Papers, koordiniert durch das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ). Internationale Zusammenarbeit über verschiedene Redaktionen hinweg wird im Datenjournalismus als besonders wichtig erachtet.[4]
Den Datenjournalismus im Sinne von „Zugänglichmachen von gewaltigen Datenmengen durch Navigationshilfen und Visualisierung“ verstehen seine Befürworter als Gegensatz zur auf Personalisierung zielenden klassischen Berichterstattung.[5] Da er dieser die Elemente der Nützlichkeit, des vorhandenen Publikumsbedürfnisses, der Relevanz und der Spannung voraus habe, sei er „die Zukunft des Politikjournalismus“.[5]
Auch beim Überfall Russlands auf die Ukraine spielt 2022 die Macht der Karten eine Rolle.[6]
Literatur
- Medien. Freie Daten für alle. In: Medium. Magazin für Journalisten Nr. 9, 2010, S. 30–33 (Interview von Jonathan Stray mit Simon Rogers; online, vgl. dazu ebenda Herr der Daten).
- Ulrike Langer: Schaubild statt Klickstrecke. Wie Redaktionen in Deutschland mit eigenen Konzepten bei der Visualisierung und Publikation von Rohdaten experimentieren. In: Medium. Magazin für Journalisten, Nr. 1/2, 2011, S. 40–44.
Weblinks
- Adrian Holovaty: A fundamental way newspaper sites need to change. In: holovaty.com, 6. September 2006 (gilt als Manifest des DDJ).
- Christiane Schulzki-Haddouti: Spannende Recherche im Netz. In: M – Menschen Machen Medien Nr. 3, 16. März 2010 (zum Titelthema Datenjournalismus in M, März 2010, mit Linkliste).
- Data Driven Journalism. In: Wiki.OpenData-Network.org, seit 11. April 2010.
- Lorenz Matzat: Data Driven Journalism: Versuch einer Definition.
- Mirko Lorenz: Data-driven journalism. What is there to learn?. In: slideshare.net, Juni 2010 (Präsentationsfolien eines Vortrags auf der Innovation-Journalism Conference in Stanford, 7.–9. Juni 2010).
- Paul Bradshaw: How to be a data journalist. In: guardian.co.uk, 1. Oktober 2010.
- Lorenz Matzat: Datenjournalismus und die Zukunft der Berichterstattung. In: Datenjournalist, 5. Januar 2011 (Blog über „OpenData, ePartizipation und Data-Driven-Journalism“).
- Thema Datenjournalismus: Das Beispiel „Zeit online“. Sascha Venohr, Entwicklungsredakteur bei Zeit Online, über die Datenjournalismus-Strategie seiner Redaktion. In: Medium. Magazin für Journalisten online, abgerufen am 12. Januar 2011 (Interview von Ulrike Langer).
- David Bauer: Summary: Simon Rogers about data journalism. Key facts, Data Journalism at the Guardian, Data Processing and Visualisation Tools, 13. März 2011.
Datenjournalismus-Portale
- Data von The Guardian
- Data Desk von Los Angeles Times
- Data Blog von Die Zeit
- Datenlese von Der Spiegel
- Interaktiv von Berliner Morgenpost
- SRF Data von SRF
- NZZ Visuals von Neue Zürcher Zeitung
- Datadrivenjournalism.net. Website zur Konferenz Data Driven Journalism. Journalism Meets Data, Amsterdam, 24. August 2010.
- Data Journalism Handbook Vol. 1 und Data Journalism Handbook Vol. 2 der Open Knowledge Foundation
- Datenjournalismus und Visualisierung mit Open Source Software Bookmarksammlung zu Tutorials und freier Software zur Datenvisualisierung mit interaktiven Karten, Diagrammen und Zeitleisten
- Datenblog TA-Media
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Lorenz Matzat: Data Driven Journalism: Versuch Einer Definition. Abgerufen am 11. September 2021.
- ↑ a b Adrian Holovaty: A fundamental way newspaper sites need to change. holovaty.co, 6. September 2006.
- ↑ Lorenz Matzat: Datenjournalismus und die Zukunft der Berichterstattung. In: Datenjournalist, 5. Januar 2011
- ↑ Seth C. Lewis, Nikki Usher: Code, Collaboration, And The Future Of Journalism. In: Digital Journalism. Band 2, Nr. 3, 3. Juli 2014, ISSN 2167-0811, S. 383–393, doi:10.1080/21670811.2014.895504.
- ↑ a b Maximilian Steinbeis: Die Story sichtbar machen. In: Politik & Kommunikation, 1. Dezember 2010.
- ↑ Mateusz Fafinski: Die Macht der Karten In: Übermedien, 11. März 2022, abgerufen am 15. März 2022.