David Ricardo

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
David Ricardo (1772–1823); unbekannter Maler

David Ricardo (* 18. April 1772 in London; † 11. September 1823 in Gatcombe Park) war ein britischer Wirtschaftswissenschaftler und ein führender Vertreter der klassischen Nationalökonomie.

Leben

Works, 1852

David Ricardo wurde am 18. April 1772 als drittes von 17 Kindern in eine sephardische jüdische Familie geboren.[1] Diese stammte ursprünglich aus Portugal und war erst kurz zuvor aus den Niederlanden nach London immigriert.[2] Ricardos Vater war als Börsenmakler tätig und galt als einer der reichsten Männer seiner Zeit. Dieser führte seinen Sohn im Alter von 14 Jahren in seinen Beruf ein, nahm ihn mit zur Londoner Börse und ließ ihn dort arbeiten. Einige Jahre später, im Alter von 21 Jahren, lernte Ricardo Priscilla Anne Wilkinson kennen, die Quäkerin war. Er heiratete sie bereits kurze Zeit später und entsagte damit dem jüdisch-orthodoxen Glauben. Ricardos Vater enterbte seinen Sohn und brach alle Kontakte ab.[3] Ricardo erhielt von Freunden ein Darlehen und eröffnete bald ein eigenes Maklerbüro. Durch dessen Erfolg kam er bereits wenige Jahre später zu Reichtum, was ihm bald erlaubte, sich aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen.[2] Intellektuell wurde Ricardo unter anderem von Jeremy Bentham beeinflusst, der als Begründer des klassischen Utilitarismus gilt.[4]

Neben seinen Geschäften befasste sich Ricardo mit Mathematik und Naturwissenschaften. Nach der Lektüre des Werkes The Wealth of Nations von Adam Smith (1723–1790) befasste er sich ab 1799 intensiv mit der Ökonomie. Zunächst fertigte er nur Studien an; 1809 veröffentlichte er erstmals kritische Zeitungsbeiträge.[2] Allerdings beschäftigte er sich erst ab 1814 ausschließlich mit seinen Studien.[3] Ricardo stand in den folgenden Jahren in engem Kontakt zu anderen führenden Ökonomen seiner Zeit, wie James Mill (1773–1836) und Thomas Robert Malthus (1766–1834), mit denen ihn Freundschaft verband, auch wenn sie fachlich unterschiedliche Auffassungen hatten. Zum Teil als Resultat dieser Dialoge, besonders mit Mill, entstanden schließlich die Hauptwerke Ricardos, Essay on the Influence of a low Price of Corn on the Profits of Stock (1815) und On the Principles of Political Economy and Taxation (1817). Ab 1819 vertrat Ricardo als Abgeordneter den irischen Bezirk Portarlington im britischen Unterhaus. Dort setzte er sich für den Freihandel und die Abschaffung der Getreidezölle ein. Schließlich starb Ricardo am 11. September 1823 in Gatcombe Park an den Folgen einer Mittelohrentzündung.[5]

Den Zeitgenossen zufolge war Ricardo ein „freundlicher, nie rechthaberischer, überlegter und etwas zurückhaltender Mensch“.[1]

David Ricardo wurde Vater von acht Kindern, darunter drei Söhnen. Seine Söhne Oswald Ricardo (MP für Worcester) und David Ricardo der Jüngere (MP für Stroud) wurden Mitglieder des Parlamentes. Der dritte, Mortimer Ricardo diente als Offizier bei den Life Guards und war Deputy Lieutenant für Oxfordshire.[6]

Theorie

David Ricardo veröffentlichte 1817 Principles of Political Economy and Taxation. Er entwickelte die Theorie der komparativen Kostenvorteile, ein Kernstück der Außenhandelstheorie, und begründete damit das ricardianische Außenhandelsmodell. Nach Ricardo lohnt sich Außenhandel für alle Volkswirtschaften, auch für jene, die gegenüber anderen Staaten bei allen Gütern Kostennachteile haben. Weil jedes Land den größtmöglichen Güterertrag erzielt, wenn es die Produkte mit den geringeren Arbeitskosten selbst herstellt und die übrigen Güter im Austausch bezieht, wobei schon die relativen Kostenvorteile die internationale Arbeitsteilung und ihre weitere Spezialisierung gewährleisten. Basis seines Außenhandelsmodells (Ricardo-Modell) war die Unbeweglichkeit des Kapitals, was bedeutet, dass z. B. Grund- und Bodenschätze eines Landes nicht durch ein anderes Land erworben werden können. Ricardo meinte, nur 25 Personen in England seien imstande, seine Principles of Political Economy and Taxation überhaupt zu verstehen. Doch die erste Auflage von 750 Exemplaren war bald vergriffen, 1819 erschien die zweite, 1821 die stark überarbeitete dritte.[7]

Weitere wichtige Schriften Ricardos sind der Essay über den Einfluss eines niedrigen Getreidepreises auf den Kapitalprofit (1815), worin er die freie Korneinfuhr empfahl, und die 1820 verfasste Essay on the Funding System, worin er Steuererhöhung statt Anleihen forderte. Ricardo konnte sich gemeinsam mit Robert Torrens mit der These durchsetzen, wonach die Basisgeldmenge begrenzt werden müsse. Damit galt die gegenteilige These John Fullartons und Thomas Tookes, wonach der Geldbedarf einer Volkswirtschaft sich ganz von alleine regeln würde, als widerlegt.

Ricardos Name ist eng verknüpft mit der Theorie der Grundrente. Die Entstehung der Rente wird darauf zurückgeführt, dass von verschiedenen vorhandenen Bodenqualitäten die besseren nicht ausreichten, um den Bedarf zu decken, und deshalb der Preis der Bodenprodukte so hoch stehen müsse, dass die Kosten für Bebauung des schlechtesten noch unentbehrlichen Grundstücks gerade gedeckt würden.

Obwohl Ricardo in seiner ökonomischen Analyse sonst das Saysche Theorem als gültig annimmt, hat er in seinem letzten Kapitel über das Maschinenwesen eingeräumt, dass technischer Fortschritt zur Verringerung von Beschäftigung führen kann; diese Einstellung (obgleich in der Gesamttheorie inkonsistent) wurde von Marx als „wissenschaftlich objektiv“ geschätzt.[8] Mit seiner eigenen Version der Arbeitswerttheorie hat Marx an Ricardos Werk als dem ihm bekannten letzten Stand der Wissenschaft angeknüpft.

Begriffe und Methode

Ricardos „Kornmodell“ gilt als ein frühes Beispiel einer Ein-Gut-Parabel.

Nach Ricardo ist auch die sogenannte Ricardianische Äquivalenz benannt.

Mit dem Begriff Ricardian Vice (dt. „ein für Ricardo typischer Fehler“) hat Joseph A. Schumpeter Ricardos Methode scharf kritisiert:[9] Ricardo gehe häufig von unrealistischen Annahmen aus. Zudem behandele er Variablen als Konstante, die dem ökonomischen Argument nach keine Konstante sein dürften. Heinz D. Kurz hingegen weist Schumpeters Kritik als ungerechtfertigt zurück, da Ricardos Methode damit fehlinterpretiert werde.[10]

Unter der Bezeichnung „Neoricardianische Schule“ werden Ökonomen wie Joan Robinson oder Piero Sraffa gefasst, die Ricardos Theorie wieder aufgegriffen und zu einer Alternative zur neoklassischen Theorie ausgebaut haben. Sraffa ist zudem als Herausgeber der Neuausgabe der Gesammelten Werke Ricardos hervorgetreten. Ricardo hat kurz vor seinem Tod einen Essay verfasst: „Absoluter Wert und Tauschwert“[11]. Der Aufsatz wurde erst kurz vor der Publikation der Gesammelten Werke bekannt und zum Anlass einer wesentlichen Revision der fast schon fertigen Ricardo-Gesamtausgabe.

Ricardo zu Ehren führte später der Lehrstuhl der politischen Ökonomie an der Londoner Universität seinen Namen.

Publikationen

Postume Ausgaben:

  • Plan for the Establishment of a National Bank (1824)
  • The Works of David Ricardo (1826)
  • The Works and Correspondence of David Ricardo (11 Bde., 1951–1973)
  • On the Principles of Political Economy and Taxation. Nachdruck der Ausgabe von 1817, mit einer Einführung von Frederick William Kolthammer (Friedrich Wilhelm Kolthammer). Empiricus Books, London, 3. Aufl. 2002, ISBN 1-902835-15-8.

Schriften in deutscher Übersetzung:

  • Die Grundsätze der politischen Oekonomie oder der Staatswirthschaft und der Besteuerung. Übersetzt von Christian August Schmidt. Verlag des priv. Landes-Industrie-Comptoirs, Weimar 1821 (Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf)
  • Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung. Vollständige deutsche Fassung der englischen Standardausgabe einschließlich der Einführung und editorischen Anmerkungen Piero Sraffas. Metropolis, Marburg 2006, ISBN 3-89518-540-X.

Literatur

  • Edwin Cannan: Ricardo in Parliament, in: Economic Journal, Vol. 4 (1894), E-Text
  • John P. Henderson: The life and economics of David Ricardo, Kluwer Publ., Boston 1997. ISBN 0-7923-9937-4.
  • Jan Hoff: Kritik der klassischen politischen Ökonomie. Zur Rezeption der werttheoretischen Ansätze ökonomischer Klassiker durch Karl Marx. PapyRossa, Köln 2004. ISBN 3-89438-314-3.
  • Jacob H. Hollander: The Development of Ricardo's Theory of Value, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 18 (1904), S. 455–491 E-Text
  • Samuel Hollander: The economics of David Ricardo, University of Toronto Press, Toronto 1979. ISBN 0-8020-5438-2.
  • Moses Ricardo / Horst Claus Recktenwald: David Ricardo. Persönlichkeit und Lebensweg, Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1988. ISBN 3-87881-027-X.
  • Mark Blaug: Entrepreneurship before and after Schumpeter, in Richard Swedberg Entrepreneurship. The Social Science View. Oxford University Press. New York: 2000.
  • Gerhard Stapelfeldt: Der Liberalismus. Die Gesellschaftstheorien von Smith, Ricardo und Marx. Ca Ira, Freiburg i.Br. 2006, ISBN 3-924627-78-9.

Weblinks

Commons: David Ricardo – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Michael Hüther (Hrsg.): Klassiker der Ökonomie - Von Adam Smith bis Amartya Sen, Bonn 2006, S. 62f
  2. a b c Josef Bordat: David Ricardo – Eine erste Orientierung zu Leben und Werk
  3. a b Vera Linß: Die wichtigsten Wirtschaftsdenker, Wiesbaden 2007, S. 35
  4. David Ricardo | British economist. In: Encyclopedia Britannica. (britannica.com [abgerufen am 30. Mai 2017]).
  5. Vera Linß: Die wichtigsten Wirtschaftsdenker, Wiesbaden 2007, S. 38f
  6. "RICARDO, David (1772–1823), of Gatcombe Park, Minchinhampton, Glos. and 56 Upper Brook Street, Grosvenor Square, Mdx.". History of Parliament Online.
  7. Heinz D. Kurz: Nichts ist praktischer als gute Theorie. Vor 200 Jahren schrieb David Ricardo seine berühmten „Principles of Political Economy and Taxation“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Januar 2017, S. 18.
  8. Michio Morishima: Ricardo's Economics. A general equilibrium theory of distribution and growth. Cambridge University Press 1989. ISBN 0-521-36630-5. S. 11.
  9. Joseph A. Schumpeter: History of Economic Analysis. Ed. Elizabeth Boody Schumpeter. London. Allen and Unwin, 1954. (dt.: Joseph A. Schumpeter, (Elizabeth B. Schumpeter, Hg.): Geschichte der ökonomischen Analyse. Zwei Teilbände. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1965.)
  10. Heinz D. Kurz: Ricardian Vice. International Encyclopedia of the Social Sciences, 2. Aufl.
  11. David Ricardo: Absoluter Wert und Tauschwert. In: Bertram Schefold, (Hg.): Ökonomische Klassik im Umbruch. Theoretische Aufsätze von David Ricardo, Alfred Marshall, Vladimir K. Dmitriev und Piero Sraffa. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 627. Frankfurt/Main 1986. ISBN 3-518-28227-1. S. 7–14.