Degradation von Kunststoffen

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Durch Materialermüdung gebrochene Hartschale eines Skischuhs

Degradation bezeichnet bei Kunststoffen deren Abbau oder Zerfall. Gemeint ist damit häufig die Alterung, verbunden mit Quellung, Versprödung, Rissbildung und Festigkeits­verlust.[1] Die Degradation ist üblicherweise ein unerwünschter Vorgang.

Degradation ist, insbesondere bei unsachgemäßer Entsorgung, von hoher Relevanz für die Umwelt. Teildegradierte Einzelpartikel oder molekulare Haupt-, Zwischen- und Endprodukte sowie „ausgeblutete“ Zusatzstoffe sind in der Umwelt unerwünscht, dennoch treten sie in großer Menge u. a. als Mikroplastik und Nanoplastik weltweit auf, wobei sie nachweislich sowohl Ökosysteme als auch lebende Organismen, einschließlich Menschen und Tiere, schädigen.[2]

Zerfallsarten

Der Zerfall erfolgt entweder chemisch, physikalisch oder durch eine Kombination beider Abbauarten.

Chemische Degradation

Alter Ventilator mit doppelter Schädigung durch UV-Licht: Versprödung des Gehäuses und Vergilbung des Scharniers.

Die biologisch-chemische Beständigkeit von Kunststoffen kann durch einen chemisch induzierten Zerfall oder eine Zersetzung durch Licht- oder Temperatureinflüsse verloren gehen. Der Zerfall erfolgt durch Zerbrechen von Molekülketten, teilweise durch Depolymerisation. Bei höheren Temperaturen entstehen Kettenbrüche durch Pyrolyse oder bei niedrigeren Temperaturen meist durch Einwirkung von freien Alkylradikalen (diese können durch thermische Energie, Strahlung, mechanische Energie bei Belastung oder durch den Einfluss von Metallionen entstehen), ausgehend von der Oberfläche oder homogen.[3] Eine Neigung zur Depolymerisation tritt bei schwachen C-C-Bindungen in der Polymerhauptkette auf,[4] es kann dabei zu Änderungen des molekularen Aufbaus (Kettenabspaltungen und Molmassenabbau, Kettenvernetzungen oder Kettenverzweigungen) kommen. Im makromolekularen Stoff ggf. vorhandene funktionelle Gruppen können in andere umgewandelt werden, z. B. können Ester hydrolysieren. Auch eine Abspaltung von niedermolekularen Gruppen kann vorkommen.[3] Daneben sind auch photochemisch induzierte Reaktionen durch ultraviolettes Licht bekannt. Werden chemische Bindungen gespalten kommt es bei Polymeren zu einer Verringerung der Molmasse und/oder zur Bildung von niedermolekularen Abbauprodukten. Nach einer Kettenspaltung kann es zu einer Vernetzung oder zu Ringschluss (z. B. Metathese[5]) der Moleküle kommen.[6]

Der chemische Abbau ist mit Änderung der physikalischen Eigenschaften (wie z. B. Zug- und Biegefestigkeit, Bruchdehnung, Schlagzähigkeit) verbunden.[3]

Thermische Degradation

Chemische Degradation kann bei hohen Temperaturen, wie bei der Polymersynthese, Polymerentgasung, Compoundierung oder Verarbeitung auftreten, beschleunigt auftreten und dort zu Qualitätseinbußen beim fertigen Produkt führen. Man spricht dann auch von thermischer Degradation.[4]

Physikalische Degradation

Ein physikalisch induzierter Zerfall kann durch Wasseraufnahme (Quellung) oder Zerbrechen des Materials oder Herauslösen von Zusatzstoffen wie beispielsweise von Weichmachern beginnen. So sind Weichmacher beispielsweise in Weich-PVC nicht chemisch gebunden, sondern nur in das Material eingeschmolzen, sie können „bis zu über 50 % der Gesamtmasse“[7] ausmachen. Wegen der fehlenden chemischen Bindung können sie leicht aus so einer Folie herausgelöst werden,[8] was auch die normale Versprödung von beispielsweise weichen PVC-Teichfolien nach etwa 10 Jahren bewirkt.

Abwechselndes Schrumpfen und Quellen durch Bewitterung kann bei Kunststoffen zu Rissbildung führen, Niederschläge können zu Erosion führen. Bei einigen Kunststoffen (Thermoplaste) ist das unter Wärmeeinwirkung eintretende Schmelzen reversibel.[3]

Recycling

Wiederholtes Recycling kann durch Scherkräfte und hohe thermische Belastung zum Abbau von Kunststoffen führen.[9][10]

Abbau in Meerwasser

Kunststoffmüll aus dem Magen eines Albatros

Der Abbau von Kunststoffen in Meerwasser verläuft ähnlich (langsam) wie an der Luft, lediglich sprödere Materialien (wie beispielsweise expandiertes Polystyrol) werden mechanisch durch Wellengang und in der Brandung schneller in kleinere Teile zerrissen.[11]

Biologische Degradation

Mulchfolie aus bioabbaubarem PLA-Blend...
Mulch Film made of PLA-Blend Bio-Flex.jpg
... am Beginn der Nutzung
Mulch film Bio-Flex biodegraded.JPG
... teilweise abgebaut


Die meisten Kunststoffe sind nicht biologisch abbaubar, mit Ausnahme der biologisch abbaubaren Kunststoffe. Eine Degradation biologisch abbaubarer Kunststoffe ist meist ein erwünschter Vorgang bei einer Entsorgung. Die biologisch abbaubaren Kunststoffe gehören zu den biologisch abbaubaren Werkstoffen und umfassen verschiedene synthetische Biopolymere wie bio-basierter Kunststoff und biologisch abbaubare Kunststoffe. Faktoren für den biologischen Abbau sind die Zugänglichkeit für Mikroorganismen und ihre Enzyme, die Durchfeuchtbarkeit und die Kompostierbarkeit in feuchter Umgebung. Bei reinen Kohlenwasserstoffen erfolgt ein Abbau zu CO2 und H2O. Der Zusatz von Stärke als Füllstoff zu herkömmlichen Kunststoffen führt nicht zur gewünschten vollständigen Abbaubarkeit des Kunststoffs.

In durch Aufsitzen von Algen, Flechten und Pilze entstehenden Biofilmen kann durch Freisetzung und Aufkonzentrierung organischer Säuren Biokorrosion entstehen.[12]

Schutz vor Degradation

Ein teilweiser Schutz gegen eine Degradation wird durch verschiedene Methoden der Konservierung erreicht. Eine Beschichtung mit Lacken führt zu verminderter Korrosion. UV-absorbierende Beschichtungen und Farbstoffzusätze im Kunststoff vermindern Schäden durch UV-Licht.

Literatur

  • Ehrenstein, Pongratz: Beständigkeit von Kunststoffen, Hanser Verlag, München 2007, ISBN 978-3-446-21851-2, S. 38 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Achim Pfeil und 19 Mitautoren: Biologisch abbaubare Kunststoffe, expert-Verlag, Renningen-Malmsheim 1994, ISBN 3-8169-0963-9, S. 81 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Seidel: Werkstofftechnik, Werkstoffe – Eigenschaften – Prüfung – Anwendung, Hanser Verlag, München 2008, 7. Auflage, ISBN 978-3-446-40789-3, S. 243.
  2. Wirkung von Kunststoffpartikeln auf Zellmembranen CORDIS, aufgerufen am 19. Dezember 2021.
  3. a b c d Gottfried W. Ehrenstein, Sonja Pongratz: Beständigkeit von Kunststoffen, Band 1, Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-21851-2.
  4. a b J.Hepperle: Schädigungsmechanismen bei Polymeren, Polymeraufbereitung, 2002 – technischer Fortschritt zur Steigerung von Leistung und Produktqualität, VDI-Verlag, Düsseldorf 2002, zitiert bei: Ehrenstein, Pongratz: Beständigkeit von Kunststoffen, Hanser Verlag, München 2007, ISBN 978-3-446-21851-2, S. 38 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. Sebastian Kotzenburg, Michael Maskus, Oskar Nuyken: Polymere – Synthese, Eigenschaften und Anwendungen, Springer Spektrum, 2014, S. 333, ISBN 978-3-642-34772-6.
  6. Ehrenstein, Pongratz: Beständigkeit von Kunststoffen, Hanser Verlag, München 2007, ISBN 978-3-446-21851-2, S. 38 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Phthalate: PVC-Weichmacher mit Gesundheitsrisiko; bei umweltbundesamt.at, zuletzt abgerufen im Februar 2020.
  8. PHTHALATE, die nützlichen Weichmacher mit den unerwünschten Eigenschaften (PDF-Datei); (Deutsches) Umweltbundesamt für Mensch und Natur, zuletzt abgerufen im Februar 2020.
  9. Littek, Schneider, Huber, Schöppner: Messung zum Materialabbau von Polypropylen, Zeitschrift Kunmststofftechnik/ Journal of Plastics Technology, 8 (2012).
  10. Kunststoffe und ihre Degradationsmechanismen.
  11. Anthony L. Andrady (Herausgeber): Plastics and the Environment, Verlag John Wiley & Sons, Hoboken, New Jersey, 2003, ISBN 0-471-09520-6, S. 379 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  12. Dietmar Stephan: Nanomaterialien im Bauwesen. S. 134 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).

Siehe auch