Dendrotelme

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Kleinstgewässer Dendrotelme (hier: Napfhöhle zwischen freiliegenden Stammverwachsungen einer Rotbuche)

Die Dendrotelme (Plural: Dendrotelmen, von altgriechisch δένδρον ‚Baum‘ und

τέλμα

), eine Variante der Phytotelme, ist eine wassergefüllte Baumhöhlung. Im Volksmund wird sie auch „Hasenklo“ genannt.[1] Die Kleinstgewässer (Mikrogewässer) werden von Niederschlägen, oft indirekt durch am Stamm herablaufendes Wasser (Stammablauf) gespeist. Sie sind bei fast allen Baumarten zu finden, am häufigsten in Mitteleuropa bei der Rotbuche (Fagus sylvatica).

Typen

Bei den Baumhöhlen unterscheidet man zwei Haupttypen.

Faulhöhlen

Querschnitt einer Baumhöhle

Baumhöhlen entstehen meist als Faulhöhlen, indem sich eine Rindenverletzung, etwa durch einen abgebrochenen Grobast, durch Fäulnis und Zersetzung des freigelegten Holzes durch holzzersetzende Pilze (Holzfäule) zu einer Höhlung erweitert. Es braucht also zunächst eine mechanische Störung, durch Sturmschaden oder Rindenschädigung durch Tiere oder Menschen. Faulhöhlen sind nicht generell wassergefüllt, eine Wasseransammlung entsteht nur dann, wenn der Boden der Höhlung sekundär durch Zersetzungsprodukte wasserdicht abgedichtet wird. Neben der Zersetzung der Holzbiomasse ist auch zersetzendes hereingewehtes Falllaub eine wichtige Nahrungsgrundlage für hier lebende Organismen. Faulhöhlen existieren in allen möglichen Größen, Großhöhlen, etwa ganze wassergefüllte hohle Baumstämme, sind aber seltene Ausnahmen. Aber auch Höhlen von zehn bis zwanzig Zentimeter Durchmesser können in humidem Klima lange Zeit, manchmal jahrzehntelang, permanent wassergefüllt bleiben. Faulhöhlen entstehen in allen möglichen Baumarten mit ausreichendem Stammdurchmesser. Ihre Besiedlung durch Tierarten ist unabhängig von der Baumart.[2]

Napfhöhlen

Datei:Napfhöhlehöhle-Querschnitt.gif
Querschnitt einer Napfhöhle
Napfhöhle in einer Esche

Sogenannte Napfhöhlen bilden die zweite Gruppe der Dendrotelmen. Bedingt durch die natürliche Wuchsform der Bäume entstehen diese vorwiegend in den oft tiefen Spalten an Abzweigungsstellen der Äste und Gabelungen und in den durch Verzweigungen oberirdischer Wurzeln sowie Stammverwachsungen gebildeten Vertiefungen. Da diese Höhlen nicht aus Verletzungen hervorgehen, sind sie völlig mit Rinde ausgekleidet. Napfhöhlen befinden sich oft nur einige Zentimeter über der Erdoberfläche, sie können dann durch Spritzwasser aufschlagener Regentropfen mineralische Komponenten aus dem Erdboden enthalten. Obwohl auch Napfhöhlen in vielen Baumarten entstehen können, sind sie bei einigen Arten häufiger. In Mitteleuropa sind sie besonders häufig bei Rotbuchen (Fagus sylvatica), außerhalb von Wäldern sind Platanen häufig.[2]

Lebensraum Baumhöhle

Am Boden jeder Baumhöhle befindet sich eine kompakte Humus-/Schlammschicht. Entstanden sind diese Bodenschichten durch den Abbau organischen Materials.

Die in Dendrotelmen lebenden Tierarten gliedern sich in Konsumenten und Destruenten. Produzenten fehlen fast völlig. Die Rolle der Produzenten übernehmen in diesem Fall die umstehenden Bäume. Sie versorgen das Kleinstgewässer, hauptsächlich im Herbst, mit organischen Substanzen in Form von Falllaub.

Wasserfüllung

Der Wasserstand in der Baumhöhle ist nicht konstant, sondern schwankt dem ständigen Wechsel zwischen Verdunstung und Niederschlag entsprechend. Gerade Napfhöhlen sind von diesem Phänomen besonders betroffen. Wegen ihrer offenen Lage und großen Oberfläche wird Wind und Sonne eine große Angriffsfläche geboten und die Verdunstung kann ungehindert arbeiten. Ihr Füllungsgrad muss daher immer in Beziehung zu Verdunstung und Niederschlag gesetzt werden.

Temperaturverhältnisse

Die Temperatur kleiner Gewässer ist besonders stark von der Umwelt abhängig. Eine Erwärmung oder Abkühlung folgt in der Regel den Temperaturen der Umgebungsluft. Je flacher ein Gewässer ist, umso deutlicher sind die Veränderungen messbar. Die Temperatur der Baumhöhlen, sowohl von Luft als auch Wasser, ist ständigen Schwankungen ausgesetzt.

Sauerstoffgehalt

Ein weiterer bedeutender ökologischer Faktor ist Sauerstoff. Der Sauerstoffgehalt ist prägend für die Besiedlung von Gewässern. In den tieferen Schichten der Baumhöhle und insbesondere der Faulschicht herrscht ein ständiges Defizit an Sauerstoff. Dieses resultiert aus den Abbauprozessen organischen Materials.

Stickstoffgehalt

Ein weiterer bedeutender ökologischer Faktor ist Stickstoff. Der Stickstoffgehalt ist prägend für die Besiedlung von Gewässern. In den tieferen Schichten der Baumhöhle und insbesondere der Faulschicht herrscht ein ständiger Überschuss an Stickstoff. Dieses resultiert aus den Abbauprozessen organischen Materials.

pH-Wert

Der pH-Wert ist das Ergebnis aus Zersetzung organischen Materials sowie eingetragenen Regenwassers. Die Abbauprozesse von etwa Holz oder Blättern setzen organische Säuren frei, die den pH-Wert in den sauren Bereich verschieben. Der Regen nimmt je nach eigener Beschaffenheit Einfluss auf das Höhlenwasser.

Zusammenfassung – Lebensbedingungen

Im ständigen Wechsel zwischen Verdunstung und Niederschlag stellen wassergefüllte Baumhöhlen periodische Gewässer dar, in denen der Wasserstand teilweise extremen Schwankungen ausgesetzt ist. Im Allgemeinen haben Baumhöhlen durchgehend einen geringen Lichteintrag. Selbst im Tagesverlauf lassen sich erhebliche Unterschiede der Wassertemperaturen feststellen. Beim Sauerstoffgehalt lassen sich große Schwankungen feststellen, oft auch auf einem für die meisten Organismen lebensfeindlichen Niveau. Je nach eingetragenem Laub oder Beschaffenheit des Regens verschiebt sich der pH-Wert in willkürlichen Bahnen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass in Baumhöhlen schwierige Lebensbedingungen zu finden sind, welche auf eine Besiedlung hemmend wirken und von ihren Bewohnern große Anpassung verlangen.

Besiedlung – die Dendrolimnetica

Anforderungen an seine Bewohner

Es handelt sich bei wassergefüllten Baumhöhlen um außergewöhnliche Biotope. Sie stellen Lebensräume dar, die in Hinsicht auf die abiotischen Faktoren Wasserfüllung, Temperatur, Sauerstoffgehalt und pH-Wert den unterschiedlichsten Veränderungen ausgesetzt sind. Trotz extremer Bedingungen aufgrund stetiger Veränderungen der Umwelteinflüsse wird das Biotop von spezifischen Lebewesen besiedelt, bei denen eine große Anpassungsfähigkeit sowie ein großes ökologisches Toleranzspektrum gegenüber schwankenden Umwelteinflüssen vorauszusetzen ist. Man kann deshalb erwarten, dass es sich bei den vorkommenden Tieren um vorwiegend euryöke Arten handelt.

Besiedlung

Zusammengefasst werden die in wassergefüllten Baumhöhlen lebenden Organismen unter der Bezeichnung Dendrolimnetica. Pflanzen sind in diesem Biotop selten vorhanden und die Lebewesen sind auf eine überschaubare Zahl von Einzellern und Insekten begrenzt. Zu den begrenzenden Faktoren zählen hier die genannten abiotischen Faktoren.

Den Hauptanteil der Dendrolimnetica nehmen die Protozoa ein. In diesem Stamm werden alle Klassen von Urtieren bzw. Einzeller zusammengefasst. Die frei lebenden Formen ernähren sich von Bakterien, Flagellaten, Algen, Pflanzenresten, anderen Einzellern, Stärkekörnchen oder Fetttropfen. Die Fortpflanzung geschieht ungeschlechtlich oder vegetativ über Zellteilung, die so genannte Konjugation. Querteilungen der Tiere ergeben ein vorderes und ein hinteres Tochterindividuum, die sich genau entsprechen.
Auch einige Insekten entwickeln sich in Dendrotelmen. Bedeutend ist sie vor allem für zahlreiche Schwebfliegenarten, etwa die Totenkopfschwebfliege und die Hummelschwebfliege (Mallota fuciformis). Unter den Käfern ist eine Art der Sumpffieberkäfer, Prionocyphon serricornes zu nennen.[3]

Protozoen sind in ihrem Lebensraum kaum beschränkt und weit verbreitet. In fast jedem Gewässer sind sie zu finden. Sie leben sowohl in Süßwasser, in Moosrasen als auch im Meer.

Überleben

Die Organismen der Dendrotelmen müssen von Natur aus für diese Lebensbedingungen geeignet sein und bestimmte Anpassungsfähigkeiten entwickelt haben. Von Einzellern ist bekannt, dass sie äußerst kurze Entwicklungszeiten haben. Hinzu kommt aufgrund von Zweiteilung und ungeschlechtlicher Reproduktion eine schnelle Generationsfolge. Dieses ermöglicht eine schnelle und effektive Anpassung an die Umwelt und garantiert eine rasche Erholung nach einem Populationsrückgang. Sollte, beispielsweise nach einer langen Phase des Austrocknens der Höhle, die Population erheblich dezimiert worden sein, so würde das Überleben eines einzelnen Individuums den Fortbestand der gesamten Art sichern.

Außerdem handelt es sich bei der Fauna Dendrolimnetica um Arten, die in der Lage sind, sogenannte Dauerstadien in Form von Sporen oder Zysten zu bilden. Dauerstadien sind Formen einer Zelle oder eines Lebewesen, die gegen Einflüsse, wie z. B. Eintrocknen, mit einer widerstandsfähigen Hülle ausgestattet sind. Diese Stadien erlauben es den Tieren, äußerst hohen sowie niedrigen Temperaturen zu widerstehen. Bei Wiedereintritt günstiger Lebensbedingungen erwachen die Lebensfunktionen wieder, der Stoffwechsel läuft in kurzer Zeit wieder auf Normalniveau und das Lebewesen nimmt seine normale Aktivität wieder auf.

Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus der Zystenverteilung durch Tiere. Der Wind kann die Zysten verwehen. Jeder Wassertropfen, der an einem Vogel hängen bleibt, während er an der Höhle trinkt, kann Hunderte von Zysten enthalten. So helfen auch andere Tiere bei der Übertragung der Baumhöhlenbewohner in andere Lebensräume mit. Die Tiere sind an ihre Baumhöhle also nicht zwingend gebunden. Verlandet eine Höhle, wird also unbewohnbar für die im Wasser lebenden Tiere, können diese als Zysten vorläufig überleben. Eine Neuansiedlung in den anderen Lebensräumen ist nun durch die Übertragung von Wind oder ähnlichem möglich. Die hohe Reproduktionsrate ermöglicht in diesem Fall die schnelle Erschließung des neuen Lebensraums.

All dies macht diese Organismen äußerst widerstandsfähig gegen die schwankenden Umwelteinflüsse der Dendrotelmen.

Literatur

  • Ursula Rohnert: Wassererfüllte Baumhöhlen und ihre Besiedlung. In: Archiv für Hydrobiologie. Band 44, 1951, ISSN 0003-9136, S. 472–516.

Einzelnachweise

  1. Barbara Dulitz: Leben im Hasenklo. In: Unterricht Biologie. (Themenheft Binnengewässer) 216, Juli 1996, ISSN 0341-5260
  2. a b Roger L. Kitching: Food Webs and Container Habitats. The natural history and ecology of phytotelmata. Cambridge University Press 2004. ISBN 0-521-77316-4. Chapter tree holes, S. 25–31.
  3. Winter et al.: Praxishandbuch – Naturschutz im Buchenwald. Hrsg.: Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg, 2015. Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg, Schorfheide-Chorin 2015, ISBN 978-3-00-051827-0.