Denkökonomie

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Das Prinzip der Denkökonomie ist in der positivistischen Philosophie ein Instrument zur Evaluation wissenschaftlicher Theorien und Erklärungen. Die ökonomischste, mit den wenigsten Zusatzannahmen auskommende Theorie sei jeweils zu bevorzugen, so die knappe, aber unter ökonomischen Gesichtspunkten noch nichtssagende Formulierung. Im Computerkontext (ab 1935) wurde diese Aufgabenstellung fassbar: als Kosten von Rechenzeiten und Aufwände an Rechnerarchitektur (vgl. Turingmaschine, Problemaufspaltung und Simultanverarbeitung). Schließlich wird Denkökonomie auch in biochemischen und gehirnphysiologischen Kontexten erforscht (Bio-Informationsverarbeitung, Biosemiotik). Offenkundige Aufgaben und Einsatzbereiche sind Volksbildung (Otto Neurath), Wissenspräsentation (Diagrammatik) und Informationsspeicherung.

Geschichte

Aus dem Nominalismus und den Universalienstreit des 13. und 14. Jahrhunderts ergaben sich Fragestellungen, die zu Occam's Razor führten: Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Dieser Satz stammt nicht von Ockham selbst, sondern wurde von Johannes Clauberg 1654 geprägt. Philosophische Entitäten – Wirkungsmechanismen, Substanzen, transzendente Akteure – solle man nicht (in Erklärungen) einführen, es sei denn, sie seien unerlässlich. Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, sei die einfachste vorzuziehen.

Kant will dieser Sparsamkeit aber auch noch eine tiefere Bedeutung geben. Die "Ersparung der Prinzipien" sei nicht bloß "ein ökonomischer Grundsatz der Vernunft, sondern ein inneres Gesetz der Natur", nicht "ein bloß ökonomischer Handgriff der Vernunft, um sich so viel als möglich Mühe zu ersparen" schreibt Kant in der Kritik der reinen Vernunft.[1]

Als Vater der Denkökonomie gilt klassisch Richard Avenarius, auch wenn sich bei ihm vermutlich der Begriff nicht findet. Geburtsdatum ist die Habilitation mit ihrem programmatischen Titel: 'Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes. (Leipzig 1876)t[2]. Ernst Mach führt solche Fragen im naturwissenschaftlichen Anwendungskontext fort: Erkenntnis und Irrtum (1905) klingt auch schon fast nach trial and error, nach dem Programm – oder im Machschen Volkshochschulstil gesprochen: den Schöpfungsgrundlagen – einer Ökonomie der Erkenntnisevolution.

Mach und Avenarius wurden auch im naturwissenschaftlichen Kontext genutzt (Einstein, Schrödinger). Lenin bestritt dies in seiner Kritik am Empiriokritizismus im Rahmen des Dialektischen Materialismus.

Richard Hönigswald, ein Meinong-Schüler, adaptierte die aktuellen Fragen für seinen Begriffs- und Systemaufbau. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg publizierte er seine Prinzipien der Denkpsychologie (1913). Hier werden in einer intentionsphilosophisch infizierten Transzendentalphilosophie explizit denkökonomische Fragen diskutiert.

Der Wiener Kreis – Mach war bereits nach München umgezogen und noch im Krieg verstorben – griff solche Gedanken wieder auf, dort wurde auch die Rückbesinnung auf Occam und Bacon betrieben. Popper und Wittgenstein, zwei Antipoden dort, setzten ihre auch diesbezüglichen Forschungen in England fort. Poppers Logik der Forschung, noch vor dem Exil erschienen, grundlegte das Programm einer fallibilistischen und kompetitiven Denkökonomie, von daher war – zum Beispiel über Feyerabend und Kuhn – der Weg offen auch zu einer Ökonomie des Wissenschaftsbetriebes, oder – in Kritik dagegen – zur empirischen Wissenschaftsforschung.

Wittgenstein lehrte in Cambridge 1937 bis 1939 über die Grundlagen der Mathematik (1939). Alan Turing nimmt an den Vorlesungen teil. Dieser arbeite bereits ab 1935 mit Computern aus menschlichen Wesen ("paper machines"), schlicht weil sie damals billiger und schneller waren als komplizierte Maschinenentwicklungen, und doch zureichend Material boten zur Abgrenzung a) möglichen und b) rekursiv möglichen Denkens. Der Kampf der Giganten der Wissensarchitektur, zwischen dem Philosophen des Mysteriums des Lebens und dem Kognitionspraktiker der logisch-technischen Machbarkeit, nahm ein Ende, als Turing nicht mehr hinging. Wittgenstein beharrte gegenüber solchen bürgerlichen Denkern mit ihren kaufmännischen Zielen auf einer unvorstellbar nächsthöheren Dimension aller Logik, um als Sand im Ablauf analytischen Denkens zu knirschen. Turing setzt dem Wittgensteinschen Fun-dada-mentalismus mathematischer Grundlagenfragen entgegen, dass es darauf ankomme, ob der feindliche Code geknackt werden könne oder nicht, ob die Brücke die Lasten trage oder wegen eines Rechenfehlers bzw. einer falschen Formel zusammenbreche.

Literatur

  • Rudolf Carnap: Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit. Weltkreis-Verlag, Berlin-Schlachtensee 1928.

Anmerkungen

  1. KrV tr. Dial. 2. B. 3. H. 7. Abs. Anh. (I 554, 556— Rc 697, 699)
  2. veröffentlicht Leipzig bei Fues 1876 online (PDF; 2,7 MB)