Der Feuerreiter (Mörike)
Der Feuerreiter ist eines der bekanntesten Gedichte von Eduard Mörike (1804–1875). Er schrieb es 1823 oder 1824 als Theologiestudent am Tübinger Stift und veröffentlichte die vierstrophige Urfassung 1832 in seinem Roman Maler Nolten. Die überarbeitete und um die jetzige dritte Strophe erweiterte Endfassung entstand 1841.[1]
Inhalt
Das romantische Gedicht verknüpft den Brand einer Mühle mit der magisch-sagenhaften Gestalt eines „Feuerreiters“. Dieser, ein Seher, der bei bevorstehender Feuersbrunst stets unruhig in seiner Wohnung umherwandelt und seine „rote Mütze“ am Fenster sehen lässt (Strophe 1), ist beim Ausbruch des Mühlenbrandes als Erster zu Pferde an der Brandstätte (Strophe 2), um das Feuer mit Zauberspruch und Kreuzreliquie „freventlich“ zu bannen (Strophe 3). Diesmal aber ist er nach dem Ausbrennen der Mühle verschwunden (Strophe 4). Später wird im Keller der Ruine ein Skelett mit Mütze auf dem Skelett eines Pferdes sitzend gefunden, die alsbald zu Asche zerfallen (Strophe 5).
Form und sprachliche Mittel
Die Strophe besteht aus acht trochäischen Vierhebern mit dem Reimschema [ababcddc], wobei a und d männliche und b und c weibliche Reime sind. Diese Grundform ist jedoch aufgebrochen durch den Einschub des zweimaligen Rufs „Hinterm Berg“ (Strophen 1–4) bzw. „Ruhe wohl“ (Strophe 5) nach der siebten Zeile und die Kürzung der achten Zeile auf drei Hebungen, in Strophe 4 sogar auf eine einzige. Wirkungsvoll ist damit das aufgeregte Läuten und schließlich Ausschwingen der Feuerglocke, aber auch der versöhnlich-besänftigende Ausklang gestaltet.
Zu den sprachlichen Kunstgriffen gehören darüber hinaus die wiederholte Anrede an den Leser in Frage und Appell, die blitzlichtartige und dramatisch vergegenwärtigende Wortwahl – grammatisches Präsens – und der Einsatz von Assonanz und Alliteration.
Deutungsansätze
Unterschiedliche Deutungsansätze begreifen das Schicksal der Hauptfigur
- psychologisch als im Wahnsinn endenden geistigen Alleingang – hier spielt der Bezug zu Friedrich Hölderlin im Tübinger „Turmzimmer“ eine Rolle, den Mörikes Freund Rudolf Lohbauer in einem Brief herstellt –,
- moralisch als bestrafte Hybris oder
- politisch als gescheiterte Revolution – hier wird die Kopfbedeckung des Feuerreiters als Jakobinermütze interpretiert.[2]
Unstrittig ist das romantisch-irrationale Spielen Mörikes mit mythischen, mittelalterlich-religiösen und elementaren Motiven.
Text
Fassung 1824/1832[3] |
Endfassung[4] |
Sehet ihr am Fensterlein |
Sehet ihr am Fensterlein |
Schaut, da sprengt er, wüthend schier, |
Schaut! da sprengt er wüthend schier |
Der so oft den rothen Hahn | |
Keine Stunde hielt es an, |
Keine Stunde hielt es an, |
Nach der Zeit ein Müller fand |
Nach der Zeit ein Müller fand |
Musikalische Bearbeitungen
Mörikes klangvoll-dramatisches Gedicht inspirierte Hugo Wolf zu einer Vertonung für Singstimme und Klavier (1888), die er 1892 auch für Chor und Orchester setzte,[5] sowie Hugo Distler zu einem sechsstimmigen Chorsatz (1938). Weitere Vertonungen stammen von Robert von Hornstein (1862), Rabih Merhi (2005) und Wilhelm Killmayer (2007).[6]
Literatur
- Heinrich Bosse: Mörikes ‚Feuerreiter‘, historisch-praktisch befragt. In: Konrad Feilchenfeldt u. a. (Hrsg.): Goethezeit – Zeit für Goethe. Niemeyer, Tübingen 2003, ISBN 3-484-10854-1, S. 187–199, DOI:10.1515/9783110949452.187.
- Ivonn Kappel: Kleine Forschungsübersicht zu Mörikes Feuerreiter. In: Dies.: »In fremden Spiegeln sehen wir das eigene Bild«. Jean Amérys Lefeu oder Der Abbruch. Königshausen & Neumann, Würzburg 2009, ISBN 978-3-8260-4081-8, S. 324–325, (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Matthias Mayer: Der Feuerreiter. In: Inge und Reiner Wild (Hrsg.): Mörike Handbuch. Metzler, Stuttgart 2004, ISBN 3-476-01812-1, S. 102–103.
- Barbara Potthast: Das Rätsel der brennenden Mühle. Zu Mörikes Gedicht „Der Feuerreiter“. In: Storm-Blätter aus Heiligenstadt 2017 (herausgegeben vom Literaturmuseum "Theodor Storm"). S. 57–67 (online)..
Weblinks
- Eva Reiprich: Eduard Mörike: Der Feuerreiter. Eine kurze Interpretation von Eva Reiprich
- Charles Cingolani: English Translation