Der Schildkrötenerzieher
Der Schildkrötenerzieher |
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Osman Hamdi Bey, 1906 |
Öl auf Leinwand |
221,5 × 120 cm |
Pera-Museum |
Das Bild Der Schildkrötenerzieher (türkisch Kaplumbağa Terbiyecisi) des türkischen Malers Osman Hamdi Bey aus dem Jahr 1906 ist ein berühmtes Gemälde in der Türkei.[1] Das Gemälde befindet sich heute im Pera-Museum in Istanbul.
Bild
In einem mit aufwendigen Wandmalereien geschmückten Raum kriechen fünf Schildkröten auf einem Fliesenboden, auf dem Salatblätter als Futter verstreut sind. Drei Schildkröten haben sich vor einem Derwisch aufgestellt, zwei krabbeln hinzu. Der Derwisch hält eine sechslöchrige Nay-Flöte hinter seinem Rücken. Über die linke Schulter trägt er einen Riemen, mit dem eine Trommel und ein Trommelschlägel verbunden sind. Durch ein Bodenfenster im Erker kommt Tageslicht in den Raum. Der Mauerputz im Raum und an der Erkerwand bröckelt.[1] Der Ort ist möglicherweise im Obergeschoss der Grünen Moschee in Bursa.[2] Die Person ist möglicherweise Hamdi Bey selbst.[3] Das Bild ist signiert.[3]
Osman Hamdi Bey hatte ab 1860 während seines Jurastudiums in Paris u. a. bei Louis Boulanger und beim Historienmaler Jean-Léon Gérôme die Malerei erlernt, war 1869 nach Istanbul zurückgekehrt und machte eine Karriere im Staatsdienst des Osmanischen Reiches. Er wurde Begründer und Leiter des heutigen Archäologischen Museums, malte aber weiterhin nebenher. Hamdi Bey hat sich beim Bild Der Schildkrötenerzieher möglicherweise von einem auf einer japanischen Gravur basierenden Druck, der 1869 in der französischen Zeitschrift Le tour du monde abgebildet war, inspirieren lassen.[1] Diese Abbildung Charmeur de tortues von L. Crépon stellt einen Mann dar, der Schildkröten mit seiner Trommelmusik „beschwört“.[1][2]
Hamdi Bey reichte sein Bild, das im Malstil als Hommage an die französische Salonmalerei gilt,[1] beim Pariser Salon ein, wo es 1906 erstmals ausgestellt wurde.[2][4] Dort trug es den Titel L’homme aux tortues, ein Mann mit Schildkröten. 1907 malte Hamdi Bey eine zweite, geringfügig veränderte Fassung des Motivs, diese trägt eine handschriftliche Widmung des Malers für Ahmed Muhtar Pascha.[3]
Rezeption
Nach Ansicht des Historikers Edhem Eldem wird das Bild in der heutigen Türkei je nach der politischen Parteinahme des Betrachters verschieden interpretiert: Der türkische Traditionalist sehe in ihm die Schönheit und Würde des Osmanischen Reichs. Den neuen Kemalisten andererseits zeige das Bild, dass die Schildkröten, sprich die Traditionalisten, in die Modernität gezwungen werden müssen, für sie sei das Bild eine „Ikone des Stillstands“.[1]
Das Bild wurde 1992 vom TV-Unternehmer Erol Aksoy für 700.000 Dollar, dem damals höchsten Preis für ein Gemälde eines türkischen Künstlers, gekauft.[3] Am 12. Dezember 2004 wurde es bei einer Versteigerung angeboten und erzielte abermals einen Preis von 3,5 Millionen US-Dollar. Das Gemälde wurde in einem Bietergefecht mit dem Istanbul Modern[2] von der Suna und Inan Kıraç Stiftung für ihr privat betriebenes Pera-Museum ersteigert.[3] Im Jahr 2009 wurde aus Privatbesitz das zweite Bild in einer Ausstellung türkischer Malerei von 1860 bis 1930 gezeigt.[3]
Die mediale Erregung, die mit dieser Gemäldeauktion und dem erzielten Preis einherging, übertrug sich auf die Öffentlichkeit, so dass in der Folge das Bildmotiv millionenfach reproduziert und verkauft werden konnte und auch auf Alltagsgegenstände appliziert wurde.[1]
Literatur
- Edhem Eldem: Making Sense of Osman Hamdi Bey and his Paintings, in: Muqarnas: An Annual on the Visual Culture of the Islamic World, Volume 29, 2012; ISSN 0732-2992
- Mustafa Cezar: Sanatta batı'ya açılış ve Osman Hamdi, Band 2; Istanbul: Erol Kerim Aksoy Eğitim, kültür, spor ve sağlık vakfı, 1995; S. 732
- Wendy M. K. Shaw: Possessors and possessed: museums, archaeology, and the visualization of history in the late Ottoman Empire. Berkeley: University of California Press, 2003
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g Julia Voss: Ein Aufstand ohne Wappentier, FAZ, 6. Juli 2013, S. 31. Dort auch die von Edhem Eldem in einem Interview geäußerten Kommentare.
- ↑ a b c d Wendy M K Shaw: Ottoman painting: reflections of western art from the Ottoman Empire to the Turkish Republic. London, I. B. Tauris, 2011, S. 72–73
- ↑ a b c d e f Hasan Kanbolat: The Tortoise Trainer (Memento des Originals vom 12. August 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , bei Today’s Zaman, 2. April 2009
- ↑ Kein Nachweis im Catalogue illustré du salon 1906