Meerwasserentsalzung
Meerwasserentsalzung ist die Gewinnung von Trinkwasser und Betriebswasser für Industrie- oder Kraftwerksanlagen aus Meerwasser (Salzwasser) durch die Verringerung des Salzgehaltes. Die Entsalzung kann auf verschiedenen Prozessen beruhen, die gelöste Mineralstoffgehalte aus dem Wasser entfernen. Teilweise fallen dabei verwertbare Nebenprodukte wie Speisesalz an.[1]
Einsatzbereiche
Im Nahen Osten ist die energieintensive Gewinnung von Trink- und Betriebswasser mit fossilen Energieträgern wie Schweröl oder Erdgas weit verbreitet. In den ölreichen Golfstaaten stellt die Meerwasserentsalzung die Hauptquelle der Trinkwassergewinnung dar, sie dient aber auch zur Gewinnung von Betriebs- bzw. Kühlwasser für an der Küste befindliche größere kalorische Kraftwerke. Ein Beispiel ist das Kraftwerk Shoaiba, welches mit Stand 2014 das größte Kraftwerk in Saudi-Arabien ist. Das für die Kühlanlagen benötigte Wasser wird durch gas- oder ölbefeuerte Entsalzungsanlagen in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Kraftwerk gewonnen, auch kombinierte Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke mit angeschlossener MSF-Entsalzungsanlage kommen zum Einsatz. Die Abkürzung MSF steht für englisch Multi Stage Flash Evaporation in der Bedeutung von mehrstufiger Entspannungsverdampfung. Die mit Stand 2014 weltweit größte Meerwasserentsalzungsanlage ist die Kraftwerks- und Meerwasserentsalzungsanlage Dschabal Ali in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
In Einzelfällen kann auch die Abwärme von Kernkraftwerken zur Meerwasserentsalzung verwendet werden. Ein Beispiel ist das stillgelegte Kernkraftwerk Aqtau, welches 150 MW elektrische Energie und 200 MW Prozesswärme zum Entsalzen von Meerwasser aus dem Kaspischen Meer erzeugte. Auf Flugzeugträgern wird die Abwärme des Atomreaktors zur Meerwasserentsalzung eingesetzt.
Auf den kanarischen Inseln und der deutschen Insel Helgoland wird Trinkwasser durch das Umkehrosmoseverfahren gewonnen. Kleinere Einsatzgebiete stellen auch die Entsalzung von Meerwasser auf Schiffen und U-Booten dar.
In allen Fällen ist das entsalzte Wasser für eine unmittelbare Verwendung als Trinkwasser nicht geeignet. Zudem sind derartige salzarme Wässer für Eisenwerkstoffe korrosiv, da keine Kalk-Rost-Schutzschicht gebildet werden kann. Durch nachträglichen Zusatz von Calciumhydrogencarbonat wird deshalb der Gehalt an Carbonathärte im Wasser wieder erhöht.[2][3] Das Calciumhydrogencarbonat wird durch eine Reaktion von Calciumhydroxid (Kalkmilch) mit Kohlendioxid (CO2) hergestellt. Das hierfür notwendige CO2 wird häufig durch Verbrennung von Erdgas gewonnen.
Etablierte Techniken
Im folgenden Abschnitt sind die üblichen Verfahren in der Reihenfolge ihrer wirtschaftlichen Bedeutung aufgelistet. Das Verfahren der mehrstufigen Entspannungsverdampfung (MSF) besitzt die größte Verbreitung und wird im großindustriellen Maßstab eingesetzt. Neben diesen Verfahren kommen in kleinerem Maße teilweise auch Verfahren der solaren Meerwasserentsalzung zum Einsatz.
Mehrstufige Entspannungsverdampfung
Hierbei handelt es sich um ein thermisches Verfahren mit der Abkürzung „MSF“ (englisch Multi-stage flash distillation). Es ist das am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Meerwasserentsalzung. Vorläufer war die Multi-Effekt-Destillation.
Bei diesem Verfahren wird das zugeführte Meerwasser mit der Abwärme eines kalorischen Kraftwerks, in seltenen Fällen auch eines Kernkraftwerks auf eine Temperatur von 115 °C erwärmt. Das im sogenannten Brine-Heater („Salzlaken-Heizer“) aufgeheizte Salzwasser verdampft in nachgeschalteten Entspannungsstufen unter Vakuum, der Wasserdampf schlägt sich als Kondensat innerhalb dieser Stufen an mit Kühlflüssigkeit gefüllten Rohrleitungen nieder und wird als salzfreies Wasser abgezogen. Das durch den Verdampfungsprozess immer stärker mit Salz angereicherte Wasser wird auch Brine (Salzlake) genannt und in einem nachgeschalteten Wärmeübertrager auf die Kondensationstemperatur (≈40 °C) des Dampfes des zugeführten Frischwassers abgekühlt. Es dient dann anschließend in den Rohrleitungen als Kühlflüssigkeit. Die Rohrleitungen selbst werden kontinuierlich mit Schwammgummikugeln von auskristallisierendem Salz gereinigt. Zuletzt wird dem Brine frisches Salzwasser zugeführt und das Gemisch erneut durch die Abwärme der Gasturbine aufgeheizt. Der gesamte Vorgang stellt also einen geschlossenen Kreislauf dar. Der Überschuss des sich im Kreislauf konzentrierenden Salzes wird wieder ins Meer zurückgeführt.
Großanlagen, wie die Kraftwerks- und Meerwasserentsalzungsanlage Dschabal Ali, die weltweit größte Meerwasserentsalzungsanlage, entsalzt täglich 2,135 Millionen Kubikmeter Meerwasser. Üblicherweise werden mit dem Verfahren täglich bis zu 500.000 Kubikmeter Trinkwasser aus dem Meerwasser gewonnen. Ähnliche Mengen werden auch von den in der Region vorhandenen Ölkraftwerken erzeugt.
Der Energieverbrauch beträgt 23–27 kWh/m3 (ca. 90 MJ/m3)[4].
Umkehrosmose
Bei der Umkehrosmose wird die Lösung (Meerwasser) zur Überwindung des osmotischen Druckes unter hohem Druck durch eine semipermeable Membran aus Polyamid, PTFE oder sulfonierten Copolymeren mit einem Porendurchmesser von 0,5 bis 5 nm[5] gepresst. Diese wirkt wie ein Filter und lässt nur bestimmte Ionen und Moleküle durch. Somit erhält man eine Auftrennung der ursprünglichen Lösung. Durch den Membranfilter lassen sich Salze, Bakterien, Viren, ein Überangebot an Kalk und Gifte wie Schwermetalle zurückhalten.
Der osmotische Druck steigt mit zunehmender Salzkonzentration, der Prozess würde somit irgendwann zum Stehen kommen. Um dem entgegenzuwirken, wird das Konzentrat abgeführt. Da das Auskristallisieren der gelösten mineralischen Anteile (Präzipitation) in den Membranen verhindert werden muss, ist die Benutzung der Umkehrosmose nur bis zu einer gewissen Maximalkonzentration des Rückflusses sinnvoll. Je nach Salzkonzentration muss aufgrund des hohen Drucks auch in optimalen Anlagen mit einem Energieaufwand zwischen 2 und 4 kWh pro Kubikmeter Trinkwasser gerechnet werden.[6]
Die Membranen einer Umkehrosmoseanlage sind nicht wartungsfrei. Belagsbildung, hervorgerufen durch mineralische Ablagerungen (Scaling), biologische Stoffe (Biofouling) oder kolloidale Partikel, vermindert die Permeation der Wassermoleküle durch die Membranen. Um dem entgegenzuwirken, ist eine Spülung der Membranen mit chemischen Reinigern nötig. Gängig sind Verkrustungshemmer wie Polyphosphorsäure und Polymaleinsäure sowie Biozide und Chlor gegen Bakterienbeläge. Diese Reinigungsmittel bzw. Spülwasser sind nicht umweltverträglich und müssen separiert oder vor Rückführung ins Konzentrat (Meer) behandelt werden.[7]
Die Trinkwasseraufbereitungsanlagen können je nach Art der Wasserverunreinigung mit weiteren Vorfiltern ausgestattet werden. Grobstoffe können so bis zu einer Partikelgröße von 20 Mikrometern abgetrennt werden. Ein zusätzlicher Aktivkohlefilter scheidet organische Stoffe wie Pflanzenschutzmittel ab. Auch kann eine UV-Bestrahlung nachgeschaltet werden, was eine zusätzliche Sicherheitsstufe gegen Keime darstellt.
Eine nach diesem Wirkungsprinzip arbeitende Anlage ist die Meerwasserentsalzungsanlage Mossel Bay in Südafrika sowie die Sorek-Entsalzungsanlage in Israel.
Membrandestillation
Bei dem Verfahren der Membrandestillation wird eine mikroporöse Membran eingesetzt, die nur Wasserdampf durchlässt, flüssiges Wasser jedoch zurückhält. Auf der einen Seite der Membran befindet sich warmes Salzwasser und auf der anderen Seite eine kältere Fläche. Durch den Gegenstrombetrieb der Anlage wird erreicht, dass auf ganzer Länge der Membran eine Temperaturdifferenz besteht. Die dadurch entstehende Differenz des Wasserdampfpartialdruckes bewirkt, dass Wassermoleküle von der warmen auf die kalte Seite der Membran gelangen.
Versuchstechniken
Im folgenden Abschnitt sind verschiedene Versuchsverfahren zur Entsalzung angeführt, welche teilweise auch in kleineren Anlagen im Einsatz sind.
Evaporationsschläuche aus Kunststoff
Das französische Forschungszentrum CEA/GRETh hat im Rahmen eines europäischen CRAFT-Projektes eine Meerwasserentsalzungsanlage entwickelt, in der die Metallbauteile weitgehend durch Polymere ersetzt wurden. Dies hat den Vorteil, dass Kunststoffe wesentlich weniger korrodieren und damit beständiger als Metalle sind. Durch den Einsatz von Kunststoff kann der Prozess unter Normalbedingungen bei 100 °C und 1 bar ablaufen. Der Apparat erreicht eine Trinkwasserproduktionsleistung von 100 l/h. Da das Wasser auf 100 °C erhitzt wird, ist es weitgehend steril und enthält nur noch geringe Mengen an Salz.
Gefrierverfahren
Durch Abkühlen von Meerwasser bilden sich Eiskristalle, die frei von Salzen sind. Die technischen Schwierigkeiten bestehen jedoch im Wesentlichen in der Abtrennung der Eiskristalle von der Mutterlauge. Die Eiskristalle müssen von der Mutterlauge gewaschen werden. Dabei besteht wiederum ein erheblicher Bedarf an Süßwasser, der dieses Verfahren in der Praxis hat scheitern lassen.
Elektrodialyse
Die Elektrodialyse ist nur bei sehr niedrigen Salzgehalten wirtschaftlich. Die Energiekosten stehen in einem linearen Verhältnis zum Salzgehalt. Das Verfahren lohnt sich daher oft nur für Brackwasser. Der Siemens-Konzern betreibt eine Pilotanlage in Singapur.[8]
Ionenkraft
Salzwasser wird in vier Becken geleitet. In Becken 1 wird die Salzkonzentration (z. B. durch Verdunsten, solar) erhöht. Die entstandene konzentrierte Sole in Becken 1 wird über selektive Polystyrolmembranen (die zum Becken 2 Na+-Ionen und zum Becken 3 Cl−-Ionen blockieren) verbunden, wodurch in diesen Becken ein Na+- bzw. Cl−-Ionenmangel entsteht. Diese beiden Becken werden mit dem vierten Becken über Membranen verbunden. Aus diesem vierten Becken diffundieren die Ionen zum Ionenausgleich in Becken 2 und 3. Das Wasser in Becken 4 wird somit NaCl-frei. Müssen noch andere Salze entfernt werden, sind noch andere Ionen-Filter zu verwenden. In Kanada wurde eine Pilotanlage mit Umwelt-Fördergeldern gebaut.
Vorteil ist der geringe Energieverbrauch, sofern die Verdunstung in Becken 1 durch Sonne erfolgt. Der Mineralgehalt mit Ausnahme von Natrium und Chlorid bleibt erhalten, sodass für eine Trinkwassernutzung nicht andere Mineralsubstanzen zugesetzt werden müssen. Für andere Zwecke sind zusätzliche Ionenfilter erforderlich.[9]
Bio-Brennstoffzelle
An Bio-Brennstoffzellen zur Entsalzung schwach salzhaltiger Gewässer wird unter anderem an der University of Queensland, der Tsinghua-Universität und dem Oak Ridge National Laboratory, USA geforscht. Ein praktischer Einsatz wird auch für Brackwasser erwogen.[10]
Literatur
- Meike Janosch (Hrsg.): Wasser im Nahen Osten und Nordafrika. Waxmann Verlag, Münster u. a. 2008, ISBN 978-3-8309-2002-1.
Weblinks
- Mohamed Larbi Bouguerra: Wie das Meer trinkbar wird. Entsalzung löst das globale Wasserproblem nicht, solange diese Großtechnik eine äußerst negative Ökobilanz aufweist. Artikel vom 10. Juni 2005 auf www.monde-diplomatique.de
- Sabine Lattemann: Meerwasserentsalzung. In: José L. Lozán (Hrsg.): Warnsignal Klima: genug Wasser für alle? 3. Auflage, Hamburg 2011, S. 452–458, online auf www.climate-service-center.de (PDF)
- Sönke Roever: Wassermacher auf einer Langfahrtyacht – Ja oder nein? auf www.blauwasser.de, Artikel über Meerwasserentsalzung auf Segelschiffen
- Monika Rößiger: Trinkwasser mit schmutzigem Geheimnis. 19. März 2019 in Spektrum.de
- Tik Root: Entsalzungsanlagen produzieren mehr giftige Sole als erwartet. Bericht vom 21. Januar 2019 auf www.nationalgeographic.de
Einzelnachweise
- ↑ Argyris Panagopoulos, Katherine-Joanne Haralambous, Maria Loizidou: Desalination brine disposal methods and treatment technologies - A review. In: Science of The Total Environment. Band 693, November 2019, ISSN 0048-9697, S. 133545, doi:10.1016/j.scitotenv.2019.07.351 (englisch).
- ↑ Muhammad Wakil Shahzad, Mike Dixon, Giancarlo Barassi, Ben Bin Xu, Yinzhu Jiang: Pathways and Challenges for Efficient Desalination. IntechOpen, London 2022, ISBN 978-1-83968-876-8. Abstract auf www.intechopen.com (englisch).
- ↑ Anthony Withers: Options for recarbonation, remineralisation and disinfection for desalination plants. In: Desalination (Membranes in Drinking and Industrial Water Production), Vol. 179, Ausgabe 1–3, 10. Juli 2005, S. 11–24. (Abstract)
- ↑ The Connection: Water and Energy Security. In: IAGS Energy Security. Abgerufen am 11. Dezember 2008.
- ↑ Meerwasserentsalzung. 1. März 2005, archiviert vom Original am 24. Januar 2011; abgerufen am 18. April 2016.
- ↑ Meerwasserentsalzung in Kalifornien benötigt 2,8 kWh/m³, Spiegel Online, 12. April 2015
- ↑ Melin, Rautenbach: Membranverfahren – Grundlagen der Modul und Anlagenauslegung. Springer Verlag, Berlin 2007.
- ↑ „Sparsamer salzfrei“ – Neue Technologie verbessert Meerwasserentsalzung, dradio.de
- ↑ https://www.heise.de/tr/artikel/Mit-Ionenkraft-gegen-den-grossen-Durst-889106.html
- ↑ Sally Adee: The Saline Solution, IEEE Spectrum, Juni 2010