Italiener in Deutschland

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Italienische Emigranten in Deutschland (so genannte „Gastarbeiter“) erhalten Unterricht im Jahr 1962

Die Gemeinschaft der Italiener in Deutschland (italienisch Italo-tedeschi), auch Italo-Deutsche oder Deutschitaliener genannt, besteht aus ethnisch italienischen Migranten in Deutschland und ihren Nachkommen und ist heute eine der größten und ältesten Zuwanderergemeinden in Deutschland.

Italienische Arbeiterinnen in einer Schokoladenfabrik in Köln
Regionale Verteilung der italienischen Staatsbürger 2021

Die meisten Italiener, die sich im Laufe der Zeit in Deutschland niederließen, verließen ihre Heimat aus Gründen der Arbeitssuche. In Deutschland leben 587.167 (2020)[1] italienische Staatsangehörige, damit ist Deutschland nach Argentinien das Land mit den meisten italienischen Staatsangehörigen außerhalb Italiens.[2] Bedeutende italienische Bevölkerungsanteile gibt es in den Zuständigkeitsbereichen der Konsulate Stuttgart (145.467), Köln (131.739), Frankfurt am Main (116.404), Dortmund; die größte italienische Gemeinde Deutschlands befindet sich in München.[3]

Geschichte

Eine große Zahl von Italienern, vor allem Handwerker und Kaufleute haben den Wohnsitz in Deutschland bereits seit dem frühen Mittelalter gefunden. Während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit sind viele Italiener nach Deutschland gekommen. Dies war für die Unternehmen und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern gedeihlich. Die politischen Beziehungen waren miteinander verflochten, denn das Heilige Römische Reich reichte vom südlichen Italien bis zum nördlichen Deutschland. Während der Renaissance zog es viele italienische Bankiers, Architekten und Künstler nach Deutschland. Einige Künstler, Philosophen und Unternehmer haben direkte italienische Vorfahren, darunter die zahlreichen Nachfahren Peter Anton Brentanos, so der romantische Dichter Clemens Brentano oder der katholische Publizist und Naturphilosoph Joseph Görres. Im 19. Jahrhundert folgten u. a. Steinmetze und Bauhandwerker. So waren die Eltern der gebürtigen Frankfurter Maler Mateo Cristiani (1890–1962) und Lino Salini (1889–1944) bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Frankfurt gekommen.

Zu Beginn der großen italienischen Emigration des 20. Jahrhunderts zogen nur wenige Italiener in das Deutsche Reich unter preußischer Herrschaft. Auch zu Zeiten der Weimarer Republik kamen nur wenige Italiener nach Deutschland.

Allerdings reisten jährlich zahlreiche italienische Männer und Frauen als Saisonarbeiter an. So ergaben die jeweils am 1. Dezember durchgeführten Volkszählungen zwar geringe Zahlen, doch eine im Juni 1907 durchgeführte Berufszählung ergab 147.000 Erwerbstätige aus Italien, vor allem in Bayern, Württemberg, Baden, Elsaß-Lothringen, Rheinland und Westfalen. Schätzungen lagen derweil bei 170.000. Das Personenmelderegister in Ulm zeigt auf, dass italienische Männer in dieser Stadt vorwiegend als Tagelöhner, Maurer oder Ziegler beschäftigt waren, italienische Frauen vorwiegend als Köchin oder Magd.[4]

Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung (Wirtschaftswunder) im Nachkriegsdeutschland begann eine große Einwanderungswelle aus Italien nach Deutschland. Viele fanden im Ruhrgebiet in der Kohle- und Stahlindustrie Arbeit.

Italien und Deutschland waren Gründungsmitglieder der 1951 gemeinsamen errichteten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (später die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft). Auf Basis des 1955 geschlossenen deutsch-italienischen Anwerbeabkommens, welches das erste einer Serie von Anwerbeabkommen der BRD darstellte und zugleich das letzte einer langen Reihe bilateraler Arbeitnehmerabkommen Italiens, nahmen zahlreiche Italiener die Arbeit in Deutschland auf. Die Römischen Verträge von 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sahen eine Freizügigkeit für Arbeitnehmer vor, die dann schrittweise von 1961 bis 1968 in Kraft trat.[5] Auf Basis der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EWG im Jahr 1961 benötigten EWG-Arbeitnehmer ab dem 1. Januar 1962 keinen Sichtvermerk mehr zur Einreise, sondern es reichte ein Personalausweis. Seitdem nahm die Bedeutung des Anwerbeabkommens sowie der Deutschen Kommission, welche die Anwerbung koordinierte, für italienische Arbeitnehmer deutlich ab (siehe Tabelle). Weitere Erleichterungen waren die Aufhebung des Vorrangs inländischer Arbeitnehmer (1964) und die Streichung des Erfordernisses einer Arbeitserlaubnis (1968) innerhalb der EWG.[6][7]

Arbeitsmigration aus Italien in die BRD ab 1961 (Einreisen über die Anwerbekommission, freie Einreisen, Einreisen insgesamt)[8]
Jahr 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972
Einreisen über die Kommission 107.030 76.732 31.874 26.537 26.579 13.469 3.985 10.470 10.206 7.367 4.327 2.092
freie Einreisen 58.763 88.518 103.038 115.583 177.709 152.071 54.525 119.766 126.019 160.933 154.398 152.092
Gesamt 165.793 165.250 134.912 142.120 204.288 165.540 58.510 130.236 136.225 168.300 158.725 154.184

Allein zwischen 1956 und 1972 kamen laut Bundesagentur für Arbeit zwei Millionen Italiener als Arbeiter in die BRD, mit einem Höhepunkt im Jahre 1965 mit über 204.000 neu Angekommenen.[9] Im Saarland bilden Italiener noch vor Türken die größte ausländische Bevölkerungsgruppe.[10]

Unter den Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland hatte die Stadt Wolfsburg beim Zensus 2011 den höchsten Anteil italienischer Migranten an der Bevölkerung.[11]

Gesellschaftliche Integration

Italiener in Deutschland waren und sind am politischen Leben aktiv beteiligt, sowohl auf der nationalen Ebene als auch in der regionalen deutschen Politik.

Historisch gesehen hatten Italiener wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der bildenden Kunst in Deutschland, von der Romanik und Gotik bis zur zeitgenössischen Mode und Design. Seit Ende der 1950er Jahre haben Italiener auch einen sehr großen Einfluss auf die deutsche Gastronomie und Esskultur ausgeübt; so sind viele italienische Gerichte inzwischen alltägliche Gerichte in Deutschland. Auch auf der Ebene der Volkskultur kam es zu Übernahmen, wie etwa zur Begründung des Bensheimer Passionsspiels oder der Via Crucis in Saarlouis.

Italienische Gastarbeiter waren in den 1950er und 1960er Jahren oftmals starken Diskriminierungen ausgesetzt.[5][12] Vor der Einreise mussten sie in italienischen Emigrationszentren, wo sie auf ihre Arbeitsfähigkeit geprüft wurden, teilweise entwürdigende Prozeduren über sich ergehen lassen. In Deutschland wurden die Arbeiter isoliert von der einheimischen Bevölkerung in engen Baracken untergebracht, bei denen sich etwa vier Personen ein 13 Quadratmeter großes Zimmer teilen mussten. Vor deutschen Gaststätten standen teilweise Schilder mit der Aufschrift „Zutritt für Hunde und Italiener verboten“.[12]

Im Gegensatz zu anderen großen Einwanderer-Gruppen in Deutschland haben jedoch nur relativ wenige Italiener die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.

Laut einer Studie der Wochenzeitung Die Zeit schneiden italienischstämmige Schüler an deutschen Schulen schlechter ab als Angehörige anderer großer Einwanderergruppen. Danach besuchen ca. 48 % der Schüler italienischer Abstammung die Hauptschule, 8,6 % die Sonderschule.[13] Italiener gehörten zwar zu den beliebtesten Einwanderern in Deutschland, seien jedoch oft schlecht integriert und hätten wenig Kontakte zu Deutschen. Da sich die Berichterstattung über fehlgeschlagene Integration in den Medien sowie integrationsfördernde Maßnahmen jedoch meist auf Einwanderer aus dem islamischen Kulturkreis beschränken, werden Integrationsprobleme und Benachteiligungen insbesondere in Sachen Bildung unter italienischen Migranten oft nicht deutlich wahrgenommen.[14]

Das mag auch daran liegen, dass die Italiener, wie die anderen Südeuropäer auch, wirtschaftlich vergleichsweise gut integriert sind und ihre Bildungsdefizite im Erwerbsleben erfolgreich ausgleichen können. Dadurch erreichen die Menschen mit italienischem Migrationshintergrund bei einigen Arbeitsmarktindikatoren beinahe die Werte der Einheimischen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar unter dem Wert der autochthonen Deutschen. Auch der Anteil derer, die von öffentlichen Leistungen abhängig sind, ist zwischen der ersten und der zweiten Generation von über elf auf unter acht Prozent gefallen.[15]

Literatur

  • Carmine Abate; Meike Behrmann: Die Germanesi: Geschichte und Leben einer süditalienischen Dorfgemeinschaft und ihrer Emigranten. Nachwort Norbert Elias. Frankfurt/Main: Campus, 1984 ISBN 978-3-593-33400-4
  • Johannes Augel: Italienische Einwanderung und Wirtschaftstätigkeit in rheinischen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts. Bonn: L. Röhrscheid 1971; 2015 ISBN 978-3-7392-1433-7
  • Claudia Martini: Italienische Migranten in Deutschland: transnationale Diskurse: Hamburg: D. Reimer 2001, ISBN 3-496-02496-8.
  • Edith Pichler: Von Gastarbeiter/-innen zu neuen Mobilen. Soziale Milieus der italienischen Migration, in: Pfeffer-Hoffmann (Hrsg.): Arbeitsmigration nach Deutschland, Berlin 2014, S. 417–448.
  • Edith Pichler: Von Arbeitssuchenden, Empörten und kreativem Prekariat. Die neue italienische Einwanderung nach Berlin, Heinrich-Böll-Stiftung 2013. (online)
  • Edith Pichler: Junge Italiener zwischen Inklusion und Exklusion. Eine Fallstudie. Berlin 2010.
  • Edith Pichler: Migration, Community-Formierung und ethnische Ökonomie. Die italienischen Gewerbetreibenden in Berlin. Berlin: Parabolis, 1997. ISBN 3-88402-192-3
  • Hedwig Richter u. Ralf Richter: Die „Gastarbeiter“-Welt. Leben zwischen Palermo und Wolfsburg. Paderborn: Schöningh, 2012. ISBN 978-3-506-77373-9.
  • Mario Monferrini: L’emigrazione italiana in Svizzera e Germania nel 1960–1975. Bonacci, Roma 1987, ISBN 978-88-7573-106-9.
  • Ulrike Thoms: Von der Migranten- zur Lifestyleküche: Die Karriere der italienischen Küche in Europa. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2010; abgerufen am 11. März 2021; d-nb.info (PDF; 333 kB).

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bevölkerung: Deutschland, Stichtag, Geschlecht, Altersgruppen, Staatsangehörigkeit. Tabelle 12411-0009. In: GENISIS-Online. Statistisches Bundesamt, abgerufen am 30. November 2021.
  2. Statistisches Jahrbuch Italiens 2009. (PDF; 359 kB) S. 121–129.
  3. Italienische Bürger in Deutschland (Memento vom 12. August 2014 im Internet Archive) italianieuropei.de, Stand 2001; abgerufen am 12. August 2014.
  4. Uwe Schmidt,: Italienische Arbeitsmigranten im 19.Jahrhundert in Südwestdeutschland. In: BC-Heimatkundliche Blätter. 35. Jahrgang, Nr. 1, 15. Juni 2012 (gfh-biberach.de [PDF; abgerufen am 6. Dezember 2021]).
  5. a b Grazia Prontera: Italienische Zuwanderung nach Deutschland. Zwischen institutionalisierten Migrationsprozessen und lokaler Integration. In: Bundeszentrale für politische Bildung. 7. November 2017, abgerufen am 29. Dezember 2020.
  6. Roberto Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft (1938–1973). VfZ 1/2007. (PDF) 2007, abgerufen am 27. Januar 2017. S. 113–119.
  7. Roberto Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft (1938–1973). VfZ 1/2007. (PDF) 2007, abgerufen am 27. Januar 2017. S. 112–119.
  8. Roberto Sala: Vom „Fremdarbeiter“ zum „Gastarbeiter“. Die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft (1938–1973). VfZ 1/2007. (PDF) 2007, abgerufen am 27. Januar 2017. S. 114.
  9. Ankunft im gelobten Land. In: taz. 20. Dezember 2005, abgerufen am 25. Dezember 2018.
  10. Italiener bleiben größte Ausländer-Gruppe im Saarland. In: Saarbrücker Zeitung, 6. August 2012.
  11. Italiener in Deutschland. wordpress.com, Kartenseite; abgerufen am 31. März 2017.
  12. a b Jörg Seisselberg: 65 Jahre Anwerbeabkommen mit Italien: Gastarbeiter, die bleiben. In: tagesschau.de. 20. Dezember 2020, abgerufen am 29. Dezember 2020.
  13. tagesschau.de: "Zeit": Italienische Schüler schlecht integriert (Memento vom 23. September 2008 im Internet Archive)
  14. Christopher Onkelbach: Die Italiener sind zwar beliebt, leben aber sehr abseits. (Nicht mehr online verfügbar.) Funke Mediengruppe, 6. April 2008, archiviert vom Original am 16. Dezember 2015; abgerufen am 2. März 2018.
  15. Ungenutzte Potenziale – Zur Lage der Integration in Deutschland. (PDF) Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, S. 40