Diethylenglycol

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Strukturformel
Allgemeines
Name Diethylenglycol
Andere Namen
  • 3-Oxapentan-1,5-diol
  • 2-(2-Hydroxyethoxy)ethanol (IUPAC)
  • Dihydroxydiethylether
  • 2,2′-Oxydiethanol
  • Diethylenglykol
  • Diglycol
  • Diglykol
Summenformel C4H10O3
Kurzbeschreibung

farb- und geruchlose, klare Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 111-46-6
EG-Nummer 203-872-2
ECHA-InfoCard 100.003.521
PubChem 8117
ChemSpider 13835180
Eigenschaften
Molare Masse 106,12 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,12 g·cm−3 (20 °C)[1]

Schmelzpunkt

−6 °C[1]

Siedepunkt

244 °C[1]

Dampfdruck

0,008 hPa (25 °C)[1]

Löslichkeit

vollständig mit Wasser mischbar[1]

Brechungsindex

1,4472 (20 °C)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[3] ggf. erweitert[1]
08 – Gesundheitsgefährdend 07 – Achtung

Gefahr

H- und P-Sätze H: 302​‐​373
P: 260​‐​301+312+330 [1]
MAK

DFG/Schweiz: 10 ml·m−3 bzw. 44 mg·m−3[1][4]

Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Diethylenglycol ist ein Derivat des Ethylenglycols und gehört zu den Gruppen der Alkohole (Diole) bzw. genauer der Glycolether.

Herstellung

Diethylenglycol wird durch Ethoxylierung von Ethylenglycol mit Ethylenoxid synthetisiert. In der Regel fällt es bei der Herstellung von Ethylenglycol als Nebenprodukt an.

Eigenschaften

Diethylenglycol bildet bei erhöhter Temperatur entzündliche Dampf-Luft-Gemische. Die Verbindung hat einen Flammpunkt von 138 °C.[1][7] Der Explosionsbereich liegt zwischen 1,7 Vol.‑% (75 g/m3) als untere Explosionsgrenze (UEG) und 37 Vol.‑% (1635 g/m3) als obere Explosionsgrenze (OEG).[1][7] Die Zündtemperatur beträgt 355 °C.[1][7] Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T2.

Verwendung

Die Hauptmenge des produzierten Diethylenglycols wird als Rohstoff für die Synthese von Polyester-Harzen, Morpholin und 1,4-Dioxan verwendet. Es dient selten als Lösungsmittel für Nitrozellulose, Kunstharze, Farbstoffe, Öle und einige andere organische Substanzen. Außerdem findet Diethylenglycol selten als Feuchthaltemittel für Korken, Tinte und Klebstoff Verwendung; die Verwendung im Kontext von Lebensmitteln oder etwa in Zahncremes soll nach einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) eingeschränkt erfolgen.[6]

Eine Mischung aus Diethylenglycol und Wasser kann als Frostschutzmittel eingesetzt werden, da die Mischung einen niedrigeren Schmelzpunkt als reines Wasser hat. In der Regel wird aber das für diesen Zweck besser geeignete Ethylenglycol – der Hauptbestandteil des Kühlerschutzmittels „Glysantin“ der BASF – verwendet. Bei einer Diethylenglycol-Wasser-Mischung wird jedoch nicht nur der Schmelzpunkt erniedrigt, es wird auch der Siedepunkt erhöht und zwar stärker als beim System Wasser-Ethylenglycol. Diethylenglycol kann deswegen auch als Zusatz in Hydraulik- und Bremsflüssigkeiten Verwendung finden.

Vergiftungsfälle

Diethylenglycol ist die Ursache für mindestens acht schwere Vergiftungsepidemien, bei denen insgesamt mehrere Hundert Kinder verstarben. In allen Fällen war das sirupartige süßlich schmeckende Diethylenglycol als Hilfsstoff in Arzneimitteln zur Behandlung akuter Infektionskrankheiten verwendet worden. Bereits 1937 führte die Verwendung eines Sulfanilamid-Sirups in den USA zur Sulfanilamid-Katastrophe. In diesem Fall starben mehrere hundert Kinder; als Konsequenz wurde 1938 der Federal Food, Drug, and Cosmetic Act, der Kern des Arzneimittelrechtes der USA, verabschiedet. Besonders gut medizinisch dokumentiert ist die drittletzte Epidemie in Haiti. Hauptsymptom der Vergiftungen war immer ein akutes Nierenversagen.

Im Jahr 1985 wurde die gesundheitsgefährdende Chemikalie Diethylenglycol in gepanschten Weinen aus Österreich und Deutschland gefunden. Infolge dieses Glykolwein-Skandals mussten Millionen Flaschen Wein vom Markt genommen werden. Als Höchstwert wurden 48 g Diethylenglykol in einem Liter Wein gefunden.[8] In Folge dieses Skandals wurde die in der Presse für Diethylenglycol verwendete Bezeichnung Glykol zum Wort des Jahres 1985.

Im Jahr 1990 erkrankten in Bangladesch 339 Kinder an – zuerst nicht erklärbarem – akutem Nierenversagen, nachdem sie mit – durch Diethylenglycol vergifteten – Paracetamol-Sirup behandelt worden waren. Die meisten Kinder verstarben.[9]

Im Jahr 2006 erkrankten in Panama mindestens 174 Personen, von denen 115 verstarben, weil sie einen vom staatlichen Gesundheitsdienst vertriebenen Hustensaft eingenommen hatten, der statt Glycerin[10] Diethylenglycol enthielt. Die Gesundheitsbehörden hatten den Hilfsstoff über Zwischenhändler von einem chinesischen Hersteller erworben.[11]

Im Jahr 2007 wurde die giftige Substanz auch in chinesischer Zahnpasta entdeckt, die in einem Discount-Laden in Panama-Stadt verkauft wurde. Daraufhin wurde in den USA und in Kanada die Zahnpasta vom Markt genommen.

In Frankreich konnten im Jahr 2007 verschiedene Marken der in China produzierten Zahnpasten, welche Diethylenglycol enthalten, identifiziert werden; die Liste ist auf der Internetseite der Afssaps publiziert. Die betroffenen Produkte wurden in Zahnputz-Kits von Zahnhygiene-Kampagnen gefunden, aber auch in Pflegeheimen, Altersheimen, Hotels und einigen Apotheken.[12]

Vergiftungen durch Diethylenglycol-kontaminierte Zahnpasta wurden bisher nicht bekannt und sind bei normalem Gebrauch aufgrund der geringen Dosis und der toxikologischen Eigenschaften von Diethylenglycol sehr unwahrscheinlich. Trotzdem empfehlen das Bundesinstitut für Risikobewertung[6] und der wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der Europäischen Union[13] eine maximale tägliche Aufnahme von 0,5 mg/kg Körpergewicht „für die Summe von Diethylenglykol, Monoethylenglykol und Stearinsäureester des Di-, Mono- und Triethylenglykol“ nicht zu überschreiten.

In Brasilien kam es in den Jahren 2019 und 2020 zu mehreren Vergiftungsfällen im Zusammenhang mit dem Konsum von kontaminiertem Bier der Brauerei Backer. Dabei wurden auch mehrere Todesfälle untersucht, die im Verdacht stehen, durch Diethylenglycol verursacht worden zu sein. Im Januar 2020 wurden daraufhin alle Produkte dieser Brauerei von den Behörden vom Markt genommen.[14]

Risikobewertung

Diethylenglycol wurde 2014 von der EU gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) im Rahmen der Stoffbewertung in den fortlaufenden Aktionsplan der Gemeinschaft (CoRAP) aufgenommen. Hierbei werden die Auswirkungen des Stoffs auf die menschliche Gesundheit bzw. die Umwelt neu bewertet und ggf. Folgemaßnahmen eingeleitet. Ursächlich für die Aufnahme von Diethylenglycol waren die Besorgnisse bezüglich Verbraucherverwendung, hoher (aggregierter) Tonnage, anderer gefahrenbezogener Bedenken und weit verbreiteter Verwendung sowie der Gefahren ausgehend von einer möglichen Zuordnung zur Gruppe der CMR-Substanzen. Die Neubewertung fand ab 2015 statt und wurde von Ungarn durchgeführt. Anschließend wurde ein Abschlussbericht veröffentlicht.[15][16]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l Eintrag zu Diethylenglykol in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 8. Januar 2020. (JavaScript erforderlich)
  2. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-166.
  3. Eintrag zu 2,2′-oxydiethanol im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  4. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 111-46-6 bzw. Diethylenglycol), abgerufen am 2. November 2015.
  5. Eintrag zu Diethylenglycol. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 7. Juni 2014.
  6. a b c BfR: Diethylenglykol (DEG) in Zahnpasta. (Memento vom 27. August 2010 im Internet Archive; PDF; 45 kB) Stellungnahme Nr. 025/2008 des BfR vom 16. Juli 2007.
  7. a b c E. Brandes, W. Möller: Sicherheitstechnische Kenngrößen – Band 1: Brennbare Flüssigkeiten und Gase, Wirtschaftsverlag NW – Verlag für neue Wissenschaft, Bremerhaven 2003.
  8. G. F. Fuhrmann: Toxikologie für Naturwissenschaftler. Vieweg+Teubner Verlag, 2006, ISBN 3-8351-0024-6.
  9. M. Hanif et al.: Fatal renal failure caused by diethylene glycol in paracetamol elixir: the Bangladesh epidemic. In: British Medical Journal. 311 (6997), 8. Juli 1995, S. 88–91, PMID 7613408, PMC 2550149 (freier Volltext).
  10. Walt Bogdanich, Jake Hooker: From China to Panama, a Trail of Poisoned Medicine. In: The New York Times. 6. Mai 2007 (nytimes.com [abgerufen am 14. Januar 2018]).
  11. Gift aus China – für die ganze Welt. In: Tagesspiegel, 17. März 2008.
  12. Dentifrices contenant du diéthylène glycol (DEG) ou présentant une contamination bactérienne importante. Presseinformation der Agence française de sécurité sanitaire des produits de santé, 24. August 2007.
  13. Altmann, Grunow, Krönert, Uehlecke: Gesundheitliche Beurteilung von Diethylenglykol in Wein. In: Bundesgesundheitsblatt, 29, Nr. 5, Mai 1986.
  14. Brasilien: Vier Todesfälle durch kontaminiertes Bier – Update. In: Lateinamerika › Brasilien. Agência Latinapress, 16. Januar 202; Latina-Press.com; abgerufen am 27. März 2022.
  15. Europäische Chemikalienagentur (ECHA): Substance Evaluation Conclusion and Evaluation Report.
  16. Community rolling action plan (CoRAP) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA): 2,2'-oxydiethanol Vorlage:Linktext-Check/Apostroph, abgerufen am 26. März 2019.