Diskussion:Lyrik des Flamenco

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1. Was ist unter "Flamenco-Lyrik" zu verstehen? Der Artikel bedarf einer Definition seiner inhaltlichen Felder.


2. Flamenco-Lyrik manifestiert sich als Gesangs-Lyrik. Relevante Quellen 1. Ordnung sollten daher überwiegend Tondokumente sein!
Die angegebenen Quellen sind überwiegend Tertiär- und Sekundärquellen, die zudem meist keine Auskunft über die Primärquellen der Beispieltexte geben.

Die angeführten literarische Quellen sind keiner kritischen Untersuchung unterzogen worden, was u.a. dazu geführt hat, dass Texte aufgeführt werden, die de facto nicht zum Flamenco-Repertoire gehören.

Beisp.:

Ojos morenicos
Irme yo a querellar
Que me queredes matar.

Hierbei handelt es sich um ein Villancico von Pedro de Escobar (1465, Cancionero de Palacio, no. 171) http://www3.cpdl.org/wiki/index.php/Ojos_morenicos_(Pedro_de_Escobar), also um ein Beispiel aus der lit.-mus. Hochkultur.


3. Wenn "Flamenco-Lyrik" als "Gesangs-Lyrik des Flamenco" zu verstehen ist, dann bedarf es einer klaren Trennung zur literarisch konzipierten Lyrik im "Flamenco-Stil" (Machado, Lorca, Hernández), die völlig anderen künstlerischen Intentionen folgt: Lorcas stilistische Anleihen bei Flamenco-Coplas bedeutet noch nicht, dass seine Dichtung mit Flamenco-Coplas gleichzusetzen ist!


4. Ein Artikel zu Gesangstexten des Fl. sollte keine Antologie sein, sondern sich auf wenige, dafür aber kompetent kommentierte Beispiele beschränken.

Beisp.:

Por unos ojos negros
se perdió Troja
y por unos azules
la España toda.

Ohne ergänzenden Kommentar kann sich der volle Sinn der Copla nicht erschließen: Während die erste Hälfte sich auf Helena und den trojanischen Krieg bezieht, bleibt die zweite Hälfte für jeden Leser, der sich nicht im Bereich der spanischen Romanceros und deren Legenden auskennt, unverständlich, da sich die "ojos azules" auf die Gestalt der Florinda la Cava [1] und somit auf deren Rolle im Kontext der arab. Conquista im Jahr 711 beziehen,


5. Die Übersetzungen sind teilweise problematisch, auch weil sie nachweislich mit Übersetzungsprogrammen wie DeepL https://www.deepl.com/ angefertigt wurden.

Beisp.:

Dame la mano, hermana
que no puedo más
que de fatiga que mi cuerpo tiene
se va al hospital
'

Gib mir die Hand, Schwester,
denn mein Körper ist so erschöpft
dass ich nicht anders kann
als ins Krankenhaus zu gehen.

Die Zeilen 1 und 2 ergeben eine Sinneinheit und sollten daher in der Übers. nicht getrennt werden ("Dame la mano, hermana - que no puedo más"), die Übersetzung der Zeilen 3 und 4 verkennt die Dramatik des Textes: "Fatiga" entspricht hier nicht der (körperlichen) "Erschöpfung", sondern ist (ich beziehe mich hier auf eine Aussage des Flamencosängers José Mercé) mit dem gitano-Begriff "quimera" gleichzusetzen, d.h. der geistigen, depressiv bedingten Erschöpfung.
Das "hospital" ist also nicht einfach nur das Krankenkenhaus, sondern die "Irrenanstalt".


6. Gesangliche Realisationsform und literarisches Transkript müssen auseinander gehalten werden, weil ansonsten falsche formale Zuordnungen entstehen.
Beisp. 1: "Strophen mit sechs Zeilen sind ebenfalls typisch für Cantes de minas" (NB: es heißt "Cantes de las minas"!)

2 Que ganamos en la mina
1 marditos sean los dineros
2 que ganamos en la mina,
3 yo gastármelos prefiero,
4 aunque viva en la rüina;
5 por si de pronto me muero.

Die copla ist 5-zeilig und entspricht dem üblichen Fandango-Typus. Die 6-zeiligkeit entsteht durch die gesangliche Realisation mit Antizipation der 2. Zeile.
NB: Als Quellenbeleg wäre hier z.B. ein Verweis auf Camarón de la Isla, "Caminito de Totana" (2. copla) angebracht!

Beisp. 2:

Die angebliche 6-zeiligkeit der Petenera ist lediglich 4-zeilig:

1 Petenera de mi bida;
2 Petenera er corasón;
3 Por causa e la petenera
X ¡Soleá, triste de mí!
3 Por causa e la petenera
4 Estoy pasando doló.

(Petenera de mi vida / Petenera del corazón / Por causa de la petenera / Estoy pasando dolor)
Die Formel "Soleá, triste de mi" ist eine beliebig variierbare stiltypische Interpolierung ohne Bezug zum poetischen Schema und kann daher in der literariachen Zeilenzählung ignoriert werden.


7. "Zehnzeilige Gedichte sind die Form der Guajira flamenca." Für die Bezeichnung poetischer Formen gibt es literaturwissenschaftlich etablierte Standards, im Fall der Guajira ist dies die "Decima espinela" [2].


8. Die Thematik bestimmter Flamenco-Coplas einseitig aus der Marginalisierung der Gitanos zu begründen, widerspricht der sozialen Realität.

Beisp.: ,"Die harte Arbeit der Gitanos zum Lebensunterhalt und die Zwangsarbeit als Strafgefangene schlug sich in zahlreichen Liedtexten nieder."

¿A qué tanto llover
si, a mí, me duelen los brazos
de sembrar y no coger?

Diesen Text bezieht auch die genannte Quelle nicht auf Gitanos, sondern auf den andalusischen Campesino!

Noch problematischer wird es im folgenden Beispiel, das von der genannten Quelle sogar als "seltenes Beispiel offensichtlicher Arbeitsunwilligkeit" angeführt wird:

Yo sembré un tomillo
y, a mí, no me salió nada;
el que quiera tomillo
que vaya al tomillar.

Wird erst verständlich, wenn man das Repertoire spanischer refraneros berücksichtigt: "Quien es senor de tomillo es senor del castillo".

Abschlussbemerkung: Im Heimatland des Flamenco hat man - aus historisch und ideologisch bedingten Umständen - lange gebraucht, um die Beschäftigung mit dem Phänomen "Flamenco" einem Niveau anzugleichenn, was einigermaßen den heute üblichen Wissenschaftsstandards entspricht. Diese Standards sollte man im Interesse des Fachgebiets auch in der deutschprachigen Wikipedia nicht leichtfertig aufs Spiel setzen! --EugenioNoel (Diskussion) 12:18, 15. Mär. 2020 (CET)