Diskussion:Radif
Einige Anmerkungen zur Geschichte des Radīf
Der radīf (arab. „Aneinanderreihung, Reihenfolge“) stammt aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Man kann diesen Begriff auch als „Repertoire“ interpretieren, das von Mīrzā ‘Abdollāh (gest. 1918) und Āqa Ḥoseinqolī (gest. 1915), den beiden Söhnen des bedeutenden Hofmusikers der Kadscharenzeit, ‘Alī Akbar Farāhānī (gest. 1855), zusammengestellt und später von deren Schüler ‘Alīnaqī-ye Wazīrī (ca. 1886–1979), doch vor allem von Mūsā Ma‘rūfī (gest. um 1966) in (westlicher) Notenschrift mit Zusatzzeichen für die um ¼ erhöhten bzw. erniedrigten Tonstufen niedergeschrieben wurde. Deshalb wird er auch »Radīf des Mīrzā ‘Abdollāh« genannt, nach dem sich sämtliche klassischen iranischen Musiker ausrichten. Dieses Repertoire ist das Übriggebliebene einer großen Musikkultur, die sich einst von Zentralasien bis nach Marokko spannte und deren Kern der heutige Iran sowie die arabischen Staaten des Ostens und die Türkei bildeten. Der letzte bedeutende Musiktheoretiker, auf den sich die Iraner, die Türken und die Araber des Maschriq gemeinsam berufen, war ‘Abd al-Qādir b. Ġaibī al-Marāġī (pers. Marāġe’ī, gest. 1435). Danach ging Iran eigene Wege, weil durch das Emporkommen der Ṣafawiden ab dem 16. Jahrhundert neue Konstellationen entstanden. Nach dem Ende der Ṣafawiden um 1722 begannen teilweise brutal geführte Machtkämpfe und Bürgerkriege, die bis auf wenige Ausnahmen (Nādir Šāh, ermordet 1747) bis zur relativ friedlichen und kulturell blühenden Epoche der Zand-Fürsten aus Šīrāz (reg. etwa 1750–1780) reichten. Man geht davon aus, dass zu jener Zeit viel musikalisches Wissen verloren ging. Danach übernahmen die Kadscharen, die dann bis in die 1920er-Jahre herrschten. Marāġe’ī selbst bezog sich auf Vorgänger, wie Urmawī (gest. 1284) oder vor allem auch Fārābī (lat. Alpharabius, gest. 950), der sich selbst auf Aristoteles bezog. Sein »Großes Buch der Musik« war auch für das Abendland wegweisend. Dass der Radīf auf den sassanidischen Hofmusiker Bārbad, wie im Artikel angeführt, zurückgehen soll, ist selbstverständlich eine Legende, da es nur mündliche Überlieferungen aus jener Zeit gibt, die erst zu islamischer Zeit von Dichtern wie Firdausī oder Niẓāmī gesammelt und verarbeitet wurden. Es ist allerdings auch selbstverständlich, dass diese Musikkultur auch sassanidische Wurzeln hat, da viele Terminologien der späteren Musik innerhalb des islamischen Gebietes mittelpersischen Ursprungs sind. Somit ist die heutige persische klassische Musik (mūsīqī-ye aṣīl-e īrānī موسيقى اصيل ايرانى) eine Art „regionaler Dialekt“ innerhalb einer geografisch umfassenden Musikkultur. Und es ist sehr schön zu beobachten, dass sich viele junge iranische Musiker der Kostbarkeit dieser Musik bewusst sind!--Imruz (Diskussion) 18:50, 25. Mär. 2014 (CET)
- Diese "Anmerkungen" würden doch bestens in den Artikel passen. MfG, --Georg Hügler (Diskussion) 06:57, 3. Okt. 2015 (CEST)
Hallo Georg Hügler, danke für deinen Zuspruch. Da ich selbst vor mehreren Jahrzehnten persische Kunstmusik, also den Radīf, in Isfahan praktisch und theoretisch studiert habe, daher auch dessen Geschichte recht gut kenne und darüber hinaus mit iranischen Musikwissenschaftlern und Musikern gut bekannt war (war: weil viele von ihnen in der Zwischenzeit verstorben sind), habe ich mir überlegt, ob ich diesen gesamten Artikel noch einmal vollständig überarbeiten sollte. Im Gegensatz zum etwas danebengeratenen Artikel über Iranische Musik und der dort ziemlich verkürzt wiedergegebenen Beschreibung der klassischen persischen/iranischen Musik ist der Terminus Radīf gleichsam der Oberbegriff, der das Wesentliche der iranischen Kunstmusik, die es so ja erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gibt, zusammenfasst. Dieser arabische Terminus geht also auf keinen Fall auf vorislamische Zeiten zurück, hingegen aber durchaus musikalische Termini, die in der gesamten orientalischen – also arabischen, türkisch-osmanischen und zentralasiatischen – Kunstmusik eine Rolle spielen. Leider habe ich in den kommenden Wochen und Monaten bis zum Jahresende dazu keine Zeit. Danach kann ich mich aber gerne darum kümmern.--Imruz (Diskussion) 21:17, 5. Okt. 2015 (CEST)
- Merci! Eine solche Überarbeitung (und vor allem Ergänzung des Artikels) "Iranische Musik" (bzw. dessen Abschnitt zur "Musiqi-e assil") ist sicher wünschenswert und auch ich würde mich darüber freuen. MfG, --Georg Hügler (Diskussion) 21:39, 5. Okt. 2015 (CEST)
Radif-Notation
Der Radif von Mirzâ ’Abdollâh wurde, vermittelt über dessen Schüler Esmâ’l Qahramâni, von Nur ’Ali Borumand originalgetreu aufgezeichnet und von Jean During in Notenschrift übertragen. So ist bei Jean During, S. 292 f., zu lesen. An anderer Stelle (Nasser Kanani, S. 147) steht, dass Mehdi-Qoli Khan Hedayat, der ehemalige iranische Ministerpräsident, Mirza Abdollahs Melodiesammlungen 1915 bis 1922 vollständig in Noten umgesetzt habe. Kanani schreibt aber auch, das Ali-Naghi Waziri die von Abdollah zusammengetragenen alten Melodien in Notenschrift fixiert habe. Was trifft denn nun zu? Meint Kanani mit "Melodiesammlungen" vielleicht etwas anderes als die Radif-Guschehs oder die noch ungeordneten Guschehs? MfG, --Georg Hügler (Diskussion) 17:19, 20. Dez. 2015 (CET)
- Der Erste, der in der Tat die westliche Notenschrift für die persischen, ebenfalls siebenstufigen Tonleitern nutzte und zusätzliche Vorzeichen erfand, war Colonel ‘Alī Naqī-ye Wazīrī (in der Literatur auch Ali Naqi Vaziri). Er hatte an den Musikhochschulen in Paris und Berlin (westliche) Musik studiert und erstellte – nebenbei – etwa 1923 in der damaligen Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek im Beisein des bedeutenden Musikethnologen Robert Lachmann (1892–1939) eine musikhistorisch bedeutsame Aufnahme auf seinem Instrument Tār, die im früheren Berliner Phonogramm-Archiv, heute Teil der Musikethnologischen Abteilung des Ethnologischen Museums Berlin-Dahlem, aufbewahrt wird.
- Jedenfalls war er derjenige, der mit Hilfe der neuen Vorzeichen bewirkte, dass der Radīf des Mīrzā ‘Abdollāh niedergeschrieben werden konnte. Die noch immer verfügbare „Mutter“ aller Niederschriften ist die allerdings erst 1973 endgültig veröffentlichte Übertragung von Mūsā Ma‘rūfī in dem Werk von Mehdi Barkechli (Hrsg. und beschreibende Texte) und Mūsā Ma‘rūfī (Notentranskription): Les Systèmes de la Musique Traditionelle de l'Iran (Radif) (رديف هفت دستگاه موسيقى ايران). In diesem Buch sind sämtliche persische Maqāmāt des Radīfs des Mīrzā ‘Abdollāh (Dastgāh, Āwāz, Gūše) als Muster sämtlicher weiterer erschienener Radīfe niedergeschrieben, und zwar für Tār, dem wichtigsten und meistgespielten Soloinstrument der persischen Kunstmusik. Dieses Notenwerk ist das Ergebnis eines längeren Diskurses zwischen den Schülern Mīrzā ‘Abdollāhs: Nūr ‘Alī Borūmand, ‘Alī Akbar Šahnāzī, Abū'l-Ḥasan Ṣabā, Aḥmad ‘Ebādī, Rokn ad-Dīn Moḫtārī und nicht zuletzt Mūsā Ma‘rūfī, der schließlich diese Sammlung erstellte, die lt. Vorwort der o. g. Buches 1963/64 zum ersten Mal im Druck erschien.
- Es handelt sich in jedem Fall um eine Muster-Sammlung von Melodien bzw. Melodieverläufen, die Orientierung bzw. Grundlage einer „musikalischen Grammatik“ der persischen Kunstmusik bilden und die jeder Musiker nicht einfach nur kopiert („abspielt“), sondern mit eigenem (improvisatorischem) Leben erfüllt. Man kann diese „musikalische Grammatik“ – oder auch „musikalischen Gesetzmäßigkeiten“ – mit der Grammatik der Sprache vergleichen: Jeder Mensch spricht ein wenig anders, doch wird er von sämtlichen anderen, die derselben Sprache mächtig sind, (mehr oder weniger) verstanden. Dabei bleibt sie offen für Innovationen, die vor allem auch das Instrumentarium, aber durchaus auch neue Melodien/Melodieverläufe betreffen ...--Imruz (Diskussion) 20:29, 20. Dez. 2015 (CET)
Abschnitt In den Radifs benutzte Guschehs
- Die vollständige Aufzählung der Guschehs findet man in der bislang vollständigsten Ausgabe bzw. Sammlung des Radifs überhaupt, nämlich bei Mehdi Barkechli: Les Systèmes de la Musique Traditionelle de l'Iran (Radif), Teheran 1973 (pers., frz.). Auch die Sammlung von Mohammad Taghi Massoudieh: Radīf vocal de la musique traditionelle par Maḥmūd-e-Karīmī, Teheran 1978 (pers., frz.), ist noch recht gut, aber nicht ganz so vollständig. Die letztere Sammlung habe ich vor einiger Zeit dem Musikethnologischen Archiv des Ethnologischen Museums Dahlem übergeben, während ich die Barkechli-„Bibel“ für meinen eigenen Bedarf zuhause behalte. Daraus kann ich im Laufe der Zeit vielleicht noch die Guschehs herausschreiben. Es ist allerdings eine aufwändige Arbeit, die ich derzeit nicht leisten kann. Deshalb finde ich die Aufzählung im Artikel bis jetzt schon recht gut.
- Was ich allerdings problematisch finde, ist die doch recht „unwissenschaftlich-willkürlich“ daherkommende Umschrift der persischen Fachbegriffe, die es oftmals schwer machen, sich das Schriftbild mit seiner Wortbedeutung im Original vorzustellen. Sie orientiert sich offenbar an den Wiki-Transkriptionskonventionen. Die Buchstaben gh (pers. غ) und q (pers. ق) werden zwar ähnlich, aber außerhalb des mundfaulen Teheraner Stadt-Jargons eben nicht gleich ausgesprochen. Es gibt z. B. im persischen Schriftbild drei Buchstaben für den s-Laut (stimmloses s), vier für den z-Laut (stimmhaftes s). Die sollten in der Umschrift (Transkription) erkennbar sein. Deshalb plädiere ich – trotz der Wiki-Transkriptionskonventionen, die ich als teilweise problematisch, aber dennoch in einem laufenden Text gerade noch so nachvollziehbar finde – für die Transkriptionsmethode der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) bzw. DIN 31635.--Imruz (Diskussion) 20:15, 15. Dez. 2016 (CET)
- Gute Idee - auch wenn die Lesbarkeit für die meisten Leser dann erschwert ist. Jedenfalls wäre dann eine gewisse Einheitlichkeit zu erreichen. Aber heute abend nicht mehr ;) MfG, Georg Hügler (Diskussion) 20:27, 15. Dez. 2016 (CET)
- Nein, lieber Georg Hügler, definitiv nicht mehr :-))
- Im Übrigen finde ich dein Engagement bei persischer Musik einfach toll! Dieses Kompliment musste jetzt sein. Herzlichen Gruß--Imruz (Diskussion) 21:01, 15. Dez. 2016 (CET)