Diskussion:Schamanismus/Archiv/2007
Grundlegende Diskussionskritik
Ich habe die obigen Diskussion mit einer gewissen Neugier, aber auch profunder Verblüffung gelesen. Die Frage, ob der Begriff Schamanismus, von dem Phänomene ja bis heute weltweit vorkommen, auf die nordsibirischen Völker wie der Nenden, Burjaten, Tschuktschen usw., allenfalls noch der Aleuten und Eskimos beschränkt werden sollte ist illusorisch, denn man kann nicht von heutigen Völkern auf vorgeschichtliche Ethien direkt zurückschließen, das ist ein ethnologischer Fauxpas von der schlimmsten Sorte. Der Schamanismus auf der geistigen Basis des Animismus ist vielmehr eines der ältesten weltanschaulich-religiösen Konzepte des Menschen und reicht bis weit in die Vorgeschichte und ins Paläolithikum zurück, wo er spätestens in den europäischen Höhlenbildern (z.B. Grotte Cosquer, 32.000 BP), aber auch wesentlich älteren archäologischen Befunden bis hin zu den Begräbnissitten der Neanderthaler (z.B. Shanidar) als grundlegendes religiös-geistiges Konzept erschlossen werden kann. Es ist also unsinnig, anderswo vorkommende schamanistische Phänomen mit speziellen Ausdrücken wie Core-Schamanismus zu belegen, wie dies hie und da geschieht, um entsprechende Phänomene in andere Kulturen abzugrenzen. Findet man irgendwo eines der Merkmale: Ahnenverehrung und Ahnenfurcht, Jenseits- und Seelenreise in Trance, Herr/Herrin der Tiere, Dreiteilung der Welt und Weltenbaum, ferner Hochgott und Belebtheilt der gesamten Welt in einem Diesseits-Jenseits-Kontinuum phänomenologisch vor, so hat man es mit Schamanismus/Animismus zu tun oder doch Elementen davon, selbst wenn es sich bereits um Animalismus mit Tiergottheiten oder ausgebildeten Götterpantheons (der Schintoismus etwa ist weitgehend schamanistisch-animistisch bestimmt), sogar um Monotheismus handelt (Taufe, Heiliger Geist oder die Transsubstatation in der Messe sind wesensmäßig animistisch, der Priester verwandelt sich hier partiell in eine Schamanen!). Sogar bis heute und in der „westlichen Zivilisation“ haben sich Spuren davon erhalten (z.B. Halloween, wo es um Dämonen und Ahnengeister, hier um verirrte Seelen geht, denen heimgeleuchtet wird). Selbst unser modernes naturwissenschaftliches Weltbild enthält noch schamanistische Reste mit seiner Gläubigkeit an die alles durchdringende, bis ins Jenseitige (Quanten!) reichende Allmacht wissenschaftliche Erkenntnis. Wichtigste Abgrenzung, und dieser Aspekt fehtl in dem Artikel, ist die zwischen schamanischen und magischen Praktiken, die allerdings ebenfalls daraus hervorgegangen sind, aber eine andere, aggressivere Haltung der Welt gegenüber widerspiegeln (so durchweg in Afrika, obwohl auch dort animistische Vorstellungen weit verbreitet sind). Denn: Der Schamane geht zu den Geister und Ahnen, der Magier aber befiehlt sie zu sich. Das ist der eigentlich und entwicklungsgeschichtlich sehr bedeutsame Unterschied (der sich etwa in Afrika aus der Konkurrenz um die kaum vorhandene fruchtbaren Humusböden entwickelt haben dürfte).
- Quellen (kleine Auswahl)
- Bertaux, P.: Afrika. Von der Vorgeschichte bis zu den Staaten der Gegenwart. Fischer Weltgeschichte Bd. 32. Fischer TB, Frankfurt 1993. (dt. OA 1966)
- Campbell, J.: Mythologie der Urvölker. Die Masken Gottes. Sphinx, Basel 1991. (OA 1959, 1987)
- Cavendish, R., Ling, T.O. (Hrsg.): Mythologie. Einer illustrierte Weltgeschichte des mythologischen Denkens. Christian-Verlag, München 1981. (OA 1980)
- Clottes, J. Courtin, J.: Grotte Cosquer bei Marseille. eien im Meer versunkene Bilderhöhle. Thorbeke, Sigmaringen 1995. (OA 1994)
- Fischer, H. (Hrsg.): Ethnologie. Einführung und Überblick, 3. Aufl. Reimer, Berlin 1992.
- Gorbatcheva, V., Federova, M.: Die Völker des Hohen Nordens. Kunst und Kultur Sibiriens. Parkstone Pr., New York 2000.
- Jensen, AD.E.: Mythos und Kult bei Naturvölkern. Religionswissenschaftliche Betrachtungen. dtv Wissenschaft, München 1991
- Läng, H.: Kulturgeschichte der Indianer Nordamerikas. Walter, Olten 1981.
- Müller, K.E.: Schamanismus. Heiler, Geister, Rituale, 3. Aufl. Beck, München 2006.
- Nile, R., Clerk, ch.: Weltatlas der alten Kulturen. Geschichte, Kunst, Lebensformen. Australien, Neuseeland und der Südpazifik. Christian, München 1995.
(nicht signierter Beitrag von Norbert Rupp (Diskussion | Beiträge) 15:35, 18. Okt. 2007 (CET))