Dritter Ort

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Begriff Dritter Ort, engl. third place oder seltener auch great good place, umschreibt in der Soziologie Orte der Gemeinschaft, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten sollen.

Begriffsverständnis nach Ray Oldenburg

1989 veröffentlichte der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg das Werk The Great Good Place, in welchem er sein Konzept des Dritten Ortes erstmals umfassend vorstellte. Seiner Auffassung nach dient der Erste Ort dem Familien-, der Zweite Ort dem Arbeitsleben. Der Dritte Ort bietet zu beidem einen Ausgleich und ist ein Treffpunkt für die nachbarschaftliche Gemeinschaft.

Oldenburg zufolge soll ein Dritter Ort acht Charakteristika aufweisen: Erstens befindet er sich auf neutralem Boden, jeder außer den dort arbeitenden Menschen kann daher kommen und gehen, wie es ihm beliebt. Zweitens steht er grundsätzlich allen Bevölkerungsschichten offen und soziale Unterschiede werden abgeschwächt. Drittens ist Konversation erwünscht. Viertens sind Dritte Orte einfach zu erreichen. Fünftens verfügen sie über Stammgäste. Sechstens steht die Optik des Dritten Orts nicht über seiner Funktion, Oldenburg spricht von einem "low profile". Siebtens herrscht eine spielerische ("playful") Stimmung, allzu ernste Themen werden vor der Tür gelassen. Achtens dient der Dritte Ort als zweite Heimat bzw. Zweitfamilie.

Kritik

Der Dritte Ort hat in seiner Rezeption schnell Anklang über die Soziologie hinaus gefunden. Allerdings ist er auch Kritik ausgesetzt. So wird beispielsweise von Charles Soukup Oldenburgs Annahme widersprochen, dass Dritte Orte in der Lage seien, Hierarchien aufzuheben. Ebenso fügt Soukup an, dass es sich um ein rein westliches Konzept handle.[1] Guido Zurstiege wiederum kritisiert, Oldenburg lasse außer Acht, dass die von ihm genannten Dritten Orte immer auch dem Konsum dienen und es insofern nur Menschen mit entsprechenden finanziellen Mitteln möglich sei, die Orte dauerhaft und regelmäßig zu besuchen.[2] Oldenburg selbst benennt zudem Dritte Orte, die ausschließlich erwachsenen Männern zugänglich sind.

Frontseite eines Starbucks
Starbucks in Doha: Es ist umstritten, ob die Kette Dritte Orte bietet.

Ohnehin handele es sich um ein sehr idealisiertes Konzept, dem selbst viele von Oldenburg genannte Dritte Orte bei näherer Betrachtung nicht standhalten könnten. Heute gelte das umso mehr: Neue Arbeitskonzepte und Techniken, die es den Menschen ermöglichen, von jedem Ort aus zu arbeiten, machten die Trennung in drei Orte schwierig. Deutlich werde das insbesondere am Beispiel Starbucks. Oft[3][4] würden diese Cafés als moderne Dritte Orte bezeichnet, dabei dienten sie vielen Menschen auch als Arbeitsort, also als Second Place, obwohl Starbucks nicht ihr Arbeitgeber sei.

Christian Schröter sagt, der Begriff werde darüber hinaus missbraucht, um narzisstische Tendenzen zu kultivieren. Wer die Dorfkneipe als »Third Place« bezeichnet, erhebt sich über sie, er positioniert sich dergestalt, dass er das Phänomen durchschaut und über ihm steht. Ein Dorfwirt, der seine eigene Dorfkneipe als »Third Place« bezeichnet, versucht, mehr zu sein, als er ist. Man kann das auch als »Schwurbelei« bezeichnen. Den Begriff zu gebrauchen impliziert in aller Regel ein »Impertentum«, also ein Pseudo-Expertentum. Nach dem Motto: »Das Kind muss einen Namen haben«. Das ist im Grunde genommen Idealismus.[5]

Tatsächliche Dritte Orte

Typische Dritte Orte sind laut Oldenburg beispielsweise deutsche Biergärten, die Wiener Kaffeehäuser oder britische Pubs. Den Begriff verwenden auch Bibliotheken, die nach räumlichen Umbauten über die reine Ausgabe und Rücknahme von Büchern zu einem Treffpunkt ohne Konsumzwang oder einem Forum für Lesungen oder Vorträge werden.[6] Dagegen gibt es in den USA, bedingt durch den zentralistischen Städtebau und die ausgedehnten Vorstädte, kaum solche Dritten Orte. Die Folge sei laut Oldenburg Stress durch den fehlenden Ausgleich.

Virtuelle Dritte Orte

Inzwischen wurde das Konzept oft auch auf virtuelle Orte angewandt. Die Ergebnisse sind dabei jedoch unterschiedlich: Constance Steinkuehler sprach dem MMOG Lineage II alle Charakteristika eines Dritten Orts zu, interpretierte diese jedoch eher frei.[7] In ihrer Untersuchung einer virtuellen cantina, also einer Kneipe, im MMOG Star Wars Galaxies geben dagegen Nicolas Ducheneaut, Robert J. Moore und Eric Nickell an, es fehle dieser an Stammgästen, das fünfte Charakteristikum sei also nicht erfüllt.[8]

Jedoch betonen mehrere Autoren, dass virtuelle Treffpunkte durch ihre Inklusivität durchaus Funktionen Dritter Orte erfüllen könnten. So stünden sie allen Nutzern, unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Status offen. Sie seien leicht zu erreichen und es herrsche eine spielerische Stimmung. Allerdings machen wiederum Autoren wie Soukup oder Elizabeth Reid darauf aufmerksam, dass virtuelle Dritte Orte technisches Equipment benötigen und insofern längst nicht jedem offenstehen. Zudem können beispielsweise durch Game-Level oder Forenrollen durchaus strenge Hierarchien bestehen. Ebenso spiele die von Oldenburg in den Fokus gesetzte Kommunikation zwischen Nachbarn im virtuellen Raum meistens keine Rolle und Gesprächsthemen blieben auf bestimmte Interessensgebiete fokussiert.[9][10] Insbesondere Soukup spricht sich daher dafür aus, von Virtual Third Places als einem eigenständigen Konzept zu sprechen.[11]

Literatur

  • Ray Oldenburg: The Great Good Place. Cafés, Coffee Shops, Bookstores, Bars, Hair Salons, and other Hangouts at the Heart Community. Marlowe & Company, New York 1999 (Erstausgabe 1989).
  • Christian Mikunda: Marketing spüren. Willkommen am dritten Ort. Redline Taschenbuch, München 2015 (Erstausgabe 2002).

Einzelnachweise

  1. Charles Soukup: Computer-mediated Communication as a Virtual Third Place: Building Oldenburg’s Great Good Places on the World Wide Web. In: New Media Society. Nr. 8, 2006, S. 430–431.
  2. Guido Zurstiege: Der Konsum Dritter Orte. In: Guido Zurstiege, Kai-Uwe Hellmann (Hrsg.): Räume des Konsums. Über den Funktionswandel von Räumlichkeit im Zeitalter des Konsumismus. VS Verlag, Wiesbaden 2008, S. 139.
  3. Dan Ritter: 3 reasons it's hard to hate Starbucks. In: USA Today. 7. Juni 2014, abgerufen am 21. Juli 2019 (englisch).
  4. Starbucks ungefiltert. In: ZDFInfo Doku. 14. März 2019, archiviert vom Original am 15. April 2021;.
  5. Christian Schröter: Der Dritte Ort, Third Place, Great Good Place. In: Gütsel Online. 7. Dezember 2021, abgerufen am 7. Dezember 2021.
  6. Jan Sting: Unerwarteter Geldsegen für die Burscheider Stadtbücherei. Kölner Stadt-Anzeiger, 9. November 2019, abgerufen am 12. November 2019.
  7. Constance A. Steinkuehler: The New Third Place: Massively Multiplayer Online Gaming in American Youth Culture. In: Journal of Research in Teacher Education. Band 3/2005, 2005, S. 16–32.
  8. Nicolas Duchenaut, Robert J. Moore, Eric Nickell: Virtual ̎Third Places ̎: A Case Study of Sociability in Massively Multiplayer Games. In: Computer Supported Cooperative Work 16. Nr. 16, April 2007, S. 129–166.
  9. Elizabeth Reid: Hierarchy and Power: Social Control in Cyberspace. In: Peter Kollock, Marc A. Smith (Hrsg.): Communities in Cyberspace. Routledge, London / New York 1999, S. 109–120.
  10. Charles Soukup: Computer-mediated Communication as a Virtual Third Place: Building Oldenburg’s Great Good Places on the World Wide Web. In: New Media Society. Band 8, Nr. 8, 2006, S. 424–429.
  11. Charles Soukup: Computer-mediated Communication as a Virtual Third Place: Building Oldenburg’s Great Good Places on the World Wide Web. In: New Media Society. Nr. 8, 2006, S. 432.