Grenzdurchgangslager Friedland
Das Grenzdurchgangslager Friedland liegt in der niedersächsischen Gemeinde Friedland im Landkreis Göttingen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden darin vertriebene Deutsche aus den ehemals deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland zeitweilig untergebracht. Das Grenzdurchgangslager wurde von der britischen Besatzungsmacht auf dem Gelände der nach Friedland ausgelagerten landwirtschaftlichen Versuchsanstalt der Universität Göttingen errichtet und am 20. September 1945 in Betrieb genommen.[1][2] Gegenwärtig ist das GDL Friedland ein Standort der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI). Das Grenzdurchgangslager wird auch Tor zur Freiheit genannt.[3][4]
Anfänge
Das Grenzdurchgangslager bestand aus ehemaligen Stallgebäuden der Universität Göttingen[5] sowie Baracken und Nissenhütten. Die Lage Friedlands am Grenzpunkt der Britischen Besatzungszone (Niedersachsen), der Amerikanischen Besatzungszone (Hessen) und der Sowjetischen Besatzungszone (Thüringen) sowie an der wichtigen Bahnstrecke zwischen Hannover und Kassel (Bahnstrecke Bebra–Göttingen) prädestinierten den Standort für ein Flüchtlingslager. Zu Beginn kamen Tausende Angehörige der Wehrmacht am Tag. Sie erhielten den sogenannten D2-Schein als Dokument ihrer Entlassung aus dem Militärdienst,[6] ihren Wehrsold und ein Entlassungsgeld,[7] außerdem durch die Caritas Zivilkleidung aus Spenden.[8]
Es war geplant, dass Flüchtlinge möglichst nur 24 Stunden bleiben sollten; sie wurden ärztlich untersucht und desinfiziert.[9] Für den Ausbau des Lagers wurde Baumaterial beschlagnahmt und Kriegsgefangene herangezogen.[10] Das Lager bekam einen Stacheldrahtzaun und an den Eingängen Schlagbäume; Besucher brauchten Passierscheine.[11] Man hatte drei Arten von Baracken: Für Mütter mit Kleinkindern, für Männer und für Frauen.[12] Zum Leiter des Lagers wurde bald ein ehemaliger deutscher Offizier bestellt.[13] Die Flüchtlinge hatten Anspruch auf die Rationen der deutschen Zivilbevölkerung.[14] Die Ankunft von Kindergruppen stellte eine besonders schwierige Situation für die Angestellten dar; man versuchte, die Angehörigen ausfindig zu machen und organisierte in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) begleitete Reisen; später wurde es üblich, die Angehörigen telegrafisch zu benachrichtigen, dass sie ihre Kinder abholen sollten.[15] Es gab spezielle Suchdienstsendungen im Radio, und Plakate wurden aufgehängt.
Im November 1945 nahm eine Stelle des Deutschen Caritasverbandes ihre Arbeit in Friedland auf.[16] Auch die britische Heilsarmee und der YMCA waren vertreten.[17] 1957 wurde der Verein Friedlandhilfe gegründet, um den Neuankömmlingen bei der Wiedereingliederung zu helfen.[18] Die Hilfsorganisation stand unter der langjährigen Leitung von Johanne Büchting und warb rund 100 Millionen DM an Spenden ein.
Flüchtlingsherkunft
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zunächst Hunderttausende Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft in Friedland empfangen. Wegen der großen Zahl wurde vorübergehend eine Außenstelle in Dassel eingerichtet. Nach einer Moskau-Reise des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer konnten 1955 die letzten Kriegsgefangen aus der Sowjetunion zurückkehren. Zum Empfang der Heimkehrer wurde als „Choral von Friedland“ das Kirchenlied Nun danket alle Gott gesungen. Für die Heimkehrer und Kriegsgefangenen wurde auf der Erhebung des Hagenberges in Friedland 1967/68 das monumentale Heimkehrerdenkmal errichtet.
Seit Mitte der 1950er fanden über zwei Millionen Aussiedler, die seit 1993 als Spätaussiedler bezeichnet werden, Aufnahme im Grenzdurchgangslager. Dabei handelt es sich um Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in Polen (Nieder- und Oberschlesien, Ostpreußen und Pommern) und anderen Staaten des Ostblocks, insbesondere aus der Sowjetunion. Dieser Personenkreis wird auch weiterhin in Friedland aufgenommen. Seit dem 1. Oktober 2000 ist das GDL Friedland die einzige Erstaufnahmeeinrichtung des Bundes für Spätaussiedler in Deutschland.
Ende der 1980er Jahre bis zur Wiedervereinigung 1990 wurde das Lager auch kurzzeitig von Übersiedlern aus der DDR genutzt.
Seit dem 1. Januar 2011 ist das Grenzdurchgangslager offizielle Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Niedersachsen.[19]
Darüber hinaus wurden auch Menschen aus weiteren Ländern aufgenommen:[20][2] 1956 kamen nach dem ungarischen Volksaufstand Flüchtlinge aus Ungarn, 1973 kamen Verfolgte des Pinochet-Regimes aus Chile, 1978 waren es vor allem Boatpeople aus Vietnam,[21] 1984 Tamilen aus Sri Lanka und 1990 Flüchtlinge aus Albanien. Ende März 2009 landeten die ersten 122 von insgesamt 2500 Flüchtlingen aus dem Irak mit einem Sonderflugzeug aus Damaskus in Hannover und wurden ins Grenzdurchgangslager Friedland gebracht. Fast alle gehörten der christlichen Minderheit an, die im Irak verfolgt wird.[22] Im Jahr 2013 kamen in Folge des syrischen Bürgerkrieges die ersten von 5000 Kontingentflüchtlingen aus Syrien an.[23] Die meisten stammten aus einem Flüchtlingslager im Libanon und wurden dort unter anderem vom UNHCR, der Caritas und der Internationalen Organisation für Migration ausgewählt.[24]
Museum Friedland
Am 18. März 2016 wurde das Museum Friedland vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius eröffnet.[25] Das Museum befindet sich nahe dem Lager im früheren Bahnhofsgebäude, das für fünf Millionen Euro umgestaltet wurde. Es präsentiert die Geschichte des Lagers, die Zeitgeschichte seit 1945 und einzelne Fluchtgeschichten. Bis zum Jahr 2025 soll für das Museum ein Erweiterungsbau inklusive einer Akademie entstehen.[26] Die Kosten von rund 17 Millionen Euro teilen sich der Bund und das Land Niedersachsen.[27]
Sonstiges
Das GDL Friedland hatten bis heute (2018) zwei Theaterstücke als Thema. Im Jahr 2009 brachte die Werkgruppe 2 das Stück „Friedland“' gemeinsam mit dem Deutschen Theater Göttingen auf die Bühne.[28] 2014 hatte ein Theaterstück als Kooperationsprojekt zwischen der Universität Göttingen und dem Jungen Theater unter dem Titel „Schön, dass ihr da seid“ Premiere.[29][30] Zu diesem Kooperationsprojekt erschien später der Dokumentationsfilm „Schleudertrauma“.[31]
Siehe auch
Literatur
- Walter Müller-Bringmann: Das Buch von Friedland. Musterschmidt-Verlag, Göttingen, 1956
- Dagmar Kleineke: Entstehung und Entwicklung des Lagers Friedland 1945–1955. Dissertationsschrift Universität Göttingen, Göttingen 1992, 281 (II) S.
- Jürgen Gückel: 60 Jahre Lager Friedland. Zeitzeugen berichten. (Erweiterter Sonderdruck der Serie 60 Jahre Lager Friedland, die 2005 im Göttinger Tageblatt erschienen ist.) Göttinger Tageblatt, Göttingen 2005, 96 S.
- Wilhelm Tomm: Bewegte Jahre, erzählte Geschichte. Evangelische Diakonie im Grenzdurchgangslager Friedland 1945–1985. Herausgegeben von der Inneren Mission und dem Evangelischen Hilfswerk im Grenzdurchgangslager Friedland e. V. 2. Auflage. Bremer, Friedland 2005, 322 S., ISBN 3-9803783-5-7
- Autorenkollektiv: Grenzdurchgangslager Friedland. 1945–2000. Niedersächsisches Innenministerium, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Hannover 2001, 23 S.
- Jürgen Asch (Bearb.): Findbuch zum Auswahlbestand Nds. 386. Grenzdurchgangslager Friedland, acc. 67/85, 1951–1973. Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung: Inventare und kleinere Schriften des Hauptstaatsarchivs in Hannover (Heft 3). Hahn, Hannover 1992, 431 (XVII) S.
- Josef Reding: Friedland. Chronik der großen Heimkehr. Dieses Buch wurde geschrieben im Winter 1955/56 in der Baracke C3 des Lagers Friedland. Arena, Würzburg 1989, 214 S., ISBN 3-401-02510-4
- Regina Löneke, Ira Spieker: Hort der Freiheit: Ethnographische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland. Schnelldruckerei Rambow, Göttingen 2014, 212 S., ISBN 978-3-00-047513-9
- Dirk Lange, Sven Rößler: Repräsentationen der Migrationsgesellschaft. Das Grenzdurchgangslager Friedland im historisch-politischen Schulbuch. 2012, ISBN 978-3-8340-1134-3
- Joachim Baur und Lorraine Bluche (Hg.), Fluchtpunkt Friedland, Über das Grenzdurchgangslager 1945 bis heute, Göttingen 2017, ISBN 978-3-8353-3012-2
- Sascha Schießl,„Das Tor zur Freiheit“, Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970), Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1845-8
- Sascha Schießl: Das Lager Friedland als Tor zur Freiheit. Vom Erinnerungsort zum Symbol bundesdeutscher Humanität, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 84 (2012), S. 97–122
- Dagmar Kleineke: Entstehung und Entwicklung des Lagers Friedland 1945-1955, Dramfeld 1994
- Regina Löneke/Ira Spieker (Hg.): Hort der Freiheit. Ethnographische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland, Göttingen 2014
- Derek John Holmgren: „Gateway to Freedom“ and Instrument of Order. The Friedland Transit Camp. 1945-1955, Chapel Hill 2010
Weblinks
- Homepage des Grenzdurchgangslagers Friedland
- Homepage des Museums Friedland
- Sascha Schießl: Chronologie des Grenzdurchgangslagers Friedland (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive)
- Beschreibung des Grenzdurchgangslagers Friedland im Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der deutschen im östlichen Europa bei der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
- Dokumentarfilm über das Lager Friedland (DW/NDR)
- Durchgangslager Friedland: Das „Tor zur Freiheit“, NDR, 3. Mai 2022
Einzelnachweise
- ↑ Gemeinde Friedland: Grenzdurchgangslager (Memento vom 5. Dezember 2004 im Internet Archive)
- ↑ a b Die Geschichte des Grenzdurchgangslagers auf der Homepage des Landes Niedersachsen
- ↑ Friedland - das "Tor zur Freiheit"
- ↑ Das "Tor zur Freiheit"
- ↑ NDR: "Tor zur Freiheit": Durchgangslager Friedland. Abgerufen am 3. Mai 2020.
- ↑ Dagmar Kleineke: Entstehung und Entwicklung des Lagers Friedland 1945–1955. Dissertationsschrift Universität Göttingen, Göttingen 1992, hier S. 111.
- ↑ Kleineke 127
- ↑ Kleineke 132
- ↑ Kleineke 21
- ↑ Kleineke 33
- ↑ Kleineke 35
- ↑ Kleineke 36
- ↑ Kleineke 43
- ↑ Kleineke 88
- ↑ Kleineke 91 f.
- ↑ Die Caritasstelle im Grenzdurchgangslager Friedland
- ↑ Kleineke 220
- ↑ Die Homepage des Verbandes Friedlandhilfe (Memento vom 12. Februar 2006 im Internet Archive)
- ↑ Historie Grenzdurchgangslager und Erstaufnahmeeinrichtung Friedland. Bundesverwaltungsamt, abgerufen am 23. Januar 2019.
- ↑ Durchgangslager Friedland und Iraker finden in Deutschland Asyl in „Mainzer Rhein-Zeitung“, 20. März 2009, Seiten 2 und 4
- ↑ 30 Jahre danach Boat People in Deutschland (Memento vom 3. Februar 2014 im Internet Archive) auf drk.de
- ↑ Der Tagesspiegel: Erste Iraker im Lager Friedland
- ↑ Gauck verspricht den syrischen Flüchtlingen Respekt welt.de vom 21. November 2013
- ↑ Lee Hielscher, Mathias Fiedler: Das humanitäre Ausnahmeprogramm. Hinterland Magazin, abgerufen am 14. August 2016.
- ↑ NDR: Grenzdurchgangslager: Weil weiht neues Museum ein. In: www.ndr.de. Abgerufen am 14. August 2016.
- ↑ Museum Friedland: 16,5 Millionen Euro für Erweiterungsbau, der 2025 fertig sein soll. Abgerufen am 14. März 2022.
- ↑ Museum Friedland ist eröffnet: Jeder kann auf Zeitreise gehen. 18. März 2016, abgerufen am 14. August 2016.
- ↑ Friedland - eine inszenierte Lager-Installation bei werkgruppe2.de
- ↑ Vorpremiere des Jungen Theaters im Grenzdurchgangslager in Göttinger Tageblatt vom 27. Oktober 2014
- ↑ Tina Fibiger über die Premiere am 1. November 2014 im Jungen Theater Göttingen
- ↑ Becker, Oliver; Näser Torsten: Schleudertrauma: Forschendes Lernen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst. In: Zusammen arbeiten. Praktiken der Koordination und Kooperation in kollaborativen Prozessen. Groth, Stefan; Ritter, Christian, 2019, abgerufen am 2. Mai 2020.
Koordinaten: 51° 25′ 22″ N, 9° 54′ 40″ O