Einstein-Szilárd-Brief

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Kopie des Briefes

Der Einstein-Szilárd-Brief war ein von Leó Szilárd verfasster und von Albert Einstein unterzeichneter Brief, der am 2. August 1939 an den US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt geschickt wurde. In dem von Szilárd in Absprache mit den ungarischen Physikerkollegen Edward Teller und Eugene Wigner verfassten Brief wurde davor gewarnt, dass Deutschland Atombomben entwickeln könnte und vorgeschlagen, dass die Vereinigten Staaten ihr eigenes Atomprogramm starten sollten. Der Brief veranlasste Roosevelt zum Handeln, was schließlich dazu führte, dass im Rahmen des Manhattan-Projekts die ersten Atombomben entwickelt wurden.

Hintergrund


Der Brief wurde von Szilárd konzipiert und geschrieben und von Einstein unterzeichnet

In der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Die Naturwissenschaften vom 6. Januar 1939 meldeten Otto Hahn und Fritz Straßmann die Entdeckung der Kernspaltung in Uran und Lise Meitner identifizierte sie in der Ausgabe von Nature vom 11. Februar 1939 als Kernspaltung. Dies weckte großes Interesse bei den Physikern. Der dänische Physiker Niels Bohr brachte die Nachricht in die Vereinigten Staaten und die USA eröffneten am 26. Januar 1939 die Fünfte Washingtoner Konferenz über Theoretische Physik mit Enrico Fermi. Die Ergebnisse wurden schnell von Experimentalphysikern bestätigt, vor allem von Fermi und John Ray Dunning an der Columbia University.[1]

Der ungarische Physiker Leó Szilárd erkannte, dass die Neutronen-getriebene Spaltung schwerer Atome zur Erzeugung einer nuklearen Kettenreaktion genutzt werden könnte, die riesige Mengen an Energie für die Stromerzeugung oder für Atombomben liefern könnte. Er hatte diese Idee erstmals 1933 in London formuliert und patentieren lassen, nachdem er die abfälligen Bemerkungen von Ernest Rutherford über die Energiegewinnung aus dem Experiment seines Teams von 1932 gelesen hatte, bei dem Protonen zur Spaltung von Lithium verwendet wurden. Szilárd war es jedoch nicht gelungen, eine neutronengetriebene Kettenreaktion mit neutronenreichen leichten Atomen zu erreichen. Wenn die Anzahl der in einer neutronengetriebenen Kettenreaktion erzeugten sekundären Neutronen größer als eins wäre, könnte theoretisch jede solche Reaktion mehrere zusätzliche Reaktionen auslösen, was eine exponentiell steigende Anzahl von Reaktionen zur Folge hätte.[2][3] Gemeinsam mit Fermi baute Szilárd an der Columbia University, wo George Braxton Pegram (1876–1958) die Physikabteilung leitete, einen Kernreaktor aus Natururan. Es herrschte Uneinigkeit darüber, ob die Spaltung durch Uran-235, das weniger als ein Prozent des natürlichen Urans ausmachte oder durch das häufiger vorkommende Uran-238-Isotop erzeugt wurde, wie Fermi behauptete. Fermi und Szilárd führten eine Reihe von Experimenten durch und kamen zu dem Schluss, dass eine Kettenreaktion in natürlichem Uran möglich sein könnte, wenn sie einen geeigneten Neutronenmoderator finden könnten. Sie stellten fest, dass die Wasserstoffatome im Wasser die Neutronen verlangsamten, aber dazu neigten, sie einzufangen. Szilárd schlug daraufhin vor, Kohlenstoff als Moderator zu verwenden. Für den Bau eines Reaktors benötigten sie große Mengen an Kohlenstoff und Uran. Szilárd war überzeugt, dass es gelingen würde, wenn man die Materialien beschaffen könnte.[1]

Szilárd war besorgt, dass auch deutsche Wissenschaftler dieses Experiment versuchen könnten. Der deutsche Kernphysiker Siegfried Flügge veröffentlichte 1939 zwei einflussreiche Artikel über die Nutzung der Kernenergie.[4][5]

Nachdem sie diese Aussicht mit dem ungarischen Physiker Eugene Paul Wigner erörtert hatten, beschlossen sie, die Belgier zu warnen, da Belgisch Kongo die beste Ressource für Uranerz war. Wigner schlug vor, dass Albert Einstein dafür geeignet sein könnte, da er die Belgische Königsfamilie kannte.[1] Szilárd kannte Albert Einstein gut; zwischen 1926 und 1930 hatte er mit ihm an der Entwicklung des “Einstein-Kühlschranks” gearbeitet.[6][7]

Der Brief

Am 12. Juli 1939 fuhren Szilárd und Wigner in Wigners Auto nach Cutchogue auf der New Yorker Insel Long Island, wo sich Einstein aufhielt.[3] Als sie über die Möglichkeit von Atombomben sprachen, antwortete Einstein: „Daran habe ich gar nicht gedacht“ (englisch „I did not even think about that“).[3] Szilárd diktierte dem belgischen Botschafter in den Vereinigten Staaten einen Brief in deutscher Sprache. Wigner schrieb ihn auf und Einstein unterschrieb ihn. Auf Wigners Anregung hin verfassten sie auch einen Brief an das Außenministerium der Vereinigten Staaten, in dem sie erklärten, was sie taten und warum und dem Außenministerium zwei Wochen Zeit gaben, um zu antworten, falls es Einwände geben würde.[3]

Damit blieb immer noch das Problem, staatliche Unterstützung für die Uranforschung zu bekommen. Ein anderer Freund Szilárds, der österreichische Wirtschaftswissenschaftler Gustav Stolper, schlug vor, sich an Alexander Sachs (1893–1973) zu wenden, der Zugang zu Präsident Franklin D. Roosevelt hatte. Sachs erzählte Szilárd, dass er bereits mit dem Präsidenten über Uran gesprochen hätte, dass aber Fermi und Pegram berichtet hätten, dass die Aussichten für den Bau einer Atombombe gering seien. Er sagte Szilárd, dass er den Brief überbringen würde, schlug aber vor, dass er von jemandem mit mehr Prestige kommen sollte. Für Szilárd war wiederum Einstein die naheliegende Wahl.[1] Sachs und Szilárd entwarfen einen mit Rechtschreibfehlern durchsetzten Brief und schickten ihn an Einstein.[3] Auch Szilárd machte sich am 2. August wieder selbst auf den Weg nach Long Island. Da Wigner nicht verfügbar war, beauftragte Szilárd diesmal einen anderen ungarischen Physiker, Edward Teller, mit der Fahrt. Nachdem er den Entwurf erhalten hatte, diktierte Einstein den Brief zunächst auf Deutsch. Nach seiner Rückkehr an die Columbia University diktierte Szilárd den Brief auf Englisch einer jungen Stenografin der Abteilung, Janet Coatesworth. Sie erinnerte sich später, dass sie, als Szilárd extrem starke Bomben erwähnte, „sicher war, dass sie für einen Verrückten arbeitete“.[3] Der Schluss des Briefes mit „Yours truly, Albert Einstein“ änderte nichts an diesem Eindruck. Sowohl der englische Brief als auch ein längerer erläuternder Brief wurden Einstein zur Unterschrift zugeschickt.[3]

In dem Schreiben vom 2. August, das an Präsident Roosevelt gerichtet war, wurde gewarnt:

„Im Laufe der letzten vier Monate ist es durch die Arbeiten von Joliot in Frankreich sowie von Fermi und Szilard in Amerika wahrscheinlich geworden, dass es möglich sein könnte, in einer großen Masse Uran eine nukleare Kettenreaktion in Gang zu setzen, durch die große Mengen an Energie und neue radiumähnliche Elemente erzeugt würden. Nun scheint es fast sicher zu sein, dass dies in naher Zukunft möglich sein wird.

Dieses neue Phänomen würde auch zum Bau von Bomben führen und es ist denkbar – wenn auch weit weniger sicher –, dass auf diese Weise extrem starke Bomben eines neuen Typs gebaut werden könnten. Eine einzige Bombe dieses Typs, die auf einem Schiff transportiert und in einem Hafen zur Explosion gebracht würde, könnte sehr wohl den gesamten Hafen und einen Teil des umliegenden Gebiets zerstören. Solche Bomben könnten sich jedoch als zu schwer für den Transport auf dem Luftweg erweisen.“

Einstein's Brief: [8]

Sie warnten auch ausdrücklich vor Deutschland:

„Soweit ich weiß, hat Deutschland den Verkauf von Uran aus den von ihm übernommenen tschechoslowakischen Bergwerken tatsächlich eingestellt. Dass es so früh gehandelt hat, ist vielleicht dadurch zu verstehen, dass der Sohn des deutschen Staatssekretärs, Carl Friedrich von Weizsäcker, dem Kaiser-Wilhelm-Institutes (KWI) in Berlin angehört, wo einige der amerikanischen Arbeiten über Uran wiederholt werden.“

Einstein's Brief: [8]

Zum Zeitpunkt des Schreibens wurde das für eine Spaltungskettenreaktion erforderliche Material auf mehrere Tonnen geschätzt. Sieben Monate später wurde in einem Durchbruch in Großbritannien die notwendige kritische Masse auf weniger als 10 Kilogramm geschätzt, so dass die Lieferung einer Bombe auf dem Luftweg möglich wurde.[9]

Zustellung

Roosevelt's Antwortschreiben

Der Einstein-Szilárd-Brief wurde von Einstein unterzeichnet und an Szilárd zurückgeschickt, der ihn am 9. August erhielt.[3] Szilárd übergab Sachs am 15. August sowohl den kurzen als auch den langen Brief, zusammen mit einem eigenen Schreiben. Sachs bat die Mitarbeiter des Weißen Hauses um einen Termin bei Präsident Roosevelt, doch bevor ein solcher vereinbart werden konnte, geriet die Regierung durch den deutschen Überfall auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, in eine Krise.[3] Sachs verschob daraufhin seinen Termin bis Oktober, damit der Präsident dem Brief die gebührende Aufmerksamkeit schenken konnte und erhielt am 11. Oktober einen Termin. An diesem Tag traf er sich mit dem Präsidenten, dem Sekretär des Präsidenten, Brigadegeneral Edwin "Pa" Watson (1883–1945) und zwei Munitionsexperten, Oberstleutnant Keith F. Adamson und Kommandant Gilbert C. Hoover. Roosevelt fasste das Gespräch wie folgt zusammen: „Alex, Sie wollen doch nur verhindern, dass die Nazis uns in die Luft jagen.“[1]

Roosevelt dankte Einstein in einem Antwortschreiben und teilte ihm mit:

„Ich fand diese Daten so wichtig, dass ich ein Gremium einberufen habe, das aus dem Leiter des National Institute of Standards and Technology und einem ausgewählten Vertreter der Armee und der Marine besteht, um die Möglichkeiten Ihres Vorschlags bezüglich des Elements Uran gründlich zu untersuchen.“

Franklin D. Roosevelt: [10]

Einstein sandte am 7. März 1940 und am 25. April 1940 zwei weitere Briefe an Roosevelt, in denen er Maßnahmen zur Kernforschung forderte. Szilárd entwarf einen vierten Brief, der von Einstein unterschrieben werden sollte und in dem der Präsident aufgefordert wurde, sich mit Szilárd zu treffen, um die Kernenergiepolitik zu diskutieren. Er war auf den 25. März 1945 datiert, erreichte Roosevelt aber nicht mehr vor seinem Tod am 12. April 1945.[8]

Ergebnis

Roosevelt beschloss, dass das Schreiben Maßnahmen erforderte und genehmigte die Einsetzung des Advisory Committee on Uranium (deutsch „Beratenden Ausschusses für Uran“), auch bekannt als S-1 Executive Committee. Den Vorsitz des Ausschusses übernahm Lyman James Briggs, der Direktor des Bureau of Standards (des heutigen National Institute of Standards and Technology), die weiteren Mitglieder waren Adamson und Hoover. Der Ausschuss trat am 21. Oktober zum ersten Mal zusammen. An der Sitzung nahmen auch Fred L. Mohler vom Bureau of Standards, Richard B. Roberts vom Carnegie Institution of Washington (CIW) sowie Szilárd, Teller und Wigner teil. Adamson stand dem Bau einer Atombombe skeptisch gegenüber, war aber bereit, 6.000 Dollar (100.000 Dollar in heutigen Dollar) für den Kauf von Uran und Graphit für das Experiment von Szilárd und Fermi zu bewilligen.[1]

Das Advisory Committee on Uranium stand am Anfang der Bemühungen der US-Regierung um die Entwicklung einer Atombombe, verfolgte die Entwicklung einer Waffe jedoch nicht mit Nachdruck. Es wurde 1940 vom National Defense Research Committee (NDRC; deutsch Nationales Komitee für Verteidigungsforschung)[1] und 1941 vom Office of Scientific Research and Development (OSRD; deutsch „Amt für wissenschaftliche Forschung und Entwicklung“) abgelöst.[1] Das Frisch-Peierls-Memorandum und die britischen Maud-Berichte veranlassten Roosevelt schließlich, im Januar 1942 eine umfassende Entwicklungsarbeit zu genehmigen.[1] Im Juni 1942 übernahm das Manhattan [Engineer] District (Tarnbezeichnung) des United States Army Corps of Engineers die Forschung an der Kernspaltung und leitete ein umfassendes Bombenentwicklungsprogramm ein, das als Manhattan-Projekt bekannt wurde.[1]

Einstein arbeitete nicht am Manhattan-Projekt mit. Die Armee und Vannevar Bush verweigerten ihm im Juli 1940 die erforderliche Arbeitsfreigabe mit der Begründung, dass seine pazifistische Gesinnung und seine Berühmtheit ihn zu einem Sicherheitsrisiko machten.[11] Zumindest eine Quelle besagt, dass Einstein heimlich einige Gleichungen zum Manhattan-Projekt beisteuerte.[12] Einstein durfte als Berater für das United States Navy Bureau of Ordnance (BuOrd) arbeiten.[13][14] Er hatte keine Kenntnis von der Entwicklung der Atombombe und keinen Einfluss auf die Entscheidung über den Abwurf der Bombe.[8][11] Laut Linus Pauling bedauerte Einstein später die Unterzeichnung des Briefes, weil sie zur Entwicklung und zum Einsatz der Atombombe im Kampf führte und fügte hinzu, Einstein habe seine Entscheidung mit der größeren Gefahr begründet, dass Nazi-Deutschland die Bombe zuerst entwickeln würde. 1947 sagte Einstein dem Nachrichtenmagazin Newsweek: „Hätte ich gewusst, dass es den Deutschen nicht gelingen würde, eine Atombombe zu entwickeln, hätte ich nichts getan.“[11][15]

Literatur

  • István Hargittai: The Martians of Science: Five Physicists Who Changed the Twentieth Century. Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 978-0-19-517845-6 (englisch).

Weblinks

Commons: Einstein-Szilárd letter – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j Richard G. Hewlett, Oscar E. Anderson, Jr.: The New World, 1939/1946: Volume 1 of a History of the United States Atomic Energy Commission. In: University Park: Pennsylvania State University Press (Hrsg.): Physics Today. Band 15, Nr. 12, 1. Dezember 1962, S. 62, doi:10.1063/1.3057919, bibcode:1962PhT....15l..62H (englisch, governmentattic.org [PDF; 54,8 MB; abgerufen am 3. Januar 2022]).
  2. Leó Szilárd: GB630726A Improvements in or relating to the transmutation of chemical elements. In: worldwide.espacenet.com. 28. Juni 1934, abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
  3. a b c d e f g h i William Lanouette, Bela A. Silard: Genius in the shadows : a biography of Leo Szilard : the man behind the bomb. Hrsg.: New York : C. Scribner's Sons. 1992, S. 132–136 (englisch, archive.org [abgerufen am 3. Januar 2022]).
  4. Siegfried Flügge: Die Ausnutzung der Atomenergie. Vom Laboratoriumsversuch zur Uranmaschine – Forschungsergebnisse in Dahlem. Hrsg.: Deutsche Allgemeine Zeitung. Nr. 387, 15. August 1939.
  5. Siegfried Flügge: Kann der Energieinhalt der Atomkerne technisch nutzbar gemacht werden? Hrsg.: Die Naturwissenschaften. Band 27, Nr. 23/24, 1939, S. 402–410, doi:10.1007/BF01489507, bibcode:1939NW.....27..402F.
  6. Einstein Albert, Szilard Leo: Refrigeration, US-Patent 1781541A. 11. November 1930, abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
  7. Gene Dannen: Leo Szilard the Inventor: A Slideshow. 9. Februar 1998, abgerufen am 24. Mai 2015.
  8. a b c d E-World (Hrsg.): Albert Einstein's Letters to President Franklin Delano Roosevelt. 1997 (englisch, hypertextbook.com [abgerufen am 3. Januar 2022]).
  9. Margaret Gowing: Britain and Atomic Energy, 1935–1945. London: Macmillan Publishing, 1964, S. 40–45 (englisch).
  10. President 's response to Dr. Einstein Letter, Atomic Archive. In: Atomic Archive. 19. Oktober 1939, abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
  11. a b c The Manhattan Project. In: American Museum of Natural History. 1938, abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
  12. Genius, Albert Einstein, National Geographic 2017
  13. Einstein Exhibit – Nuclear Age. In: American Institute of Physics. Abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
  14. Prof. Einstein Working on Explosives for U.S. Navy Department. In: Jewish Telegraphic Agency. 16. Juni 1943, abgerufen am 3. Januar 2022 (englisch).
  15. Einstein, the Man Who Started It All. Newsweek, 10. März 1947 (englisch).