Empirie

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Empirie als ein Pol der wissenschaftlichen Erkenntnis

Empirie [ɛmpiˈʀiː] (vom Altgriechischen

ἐμπειρία

sinnlich verinnerlichte Erfahrung, ästhetisch erschlossenes Erfahrungswissen‘) ist eine methodisch-systematische Sammlung von Daten. Erkenntnisse aus empirischen Daten werden manchmal auch Empirie genannt.

In der Wissenschaftsphilosophie wird die empirische Evidenz, die eine Hypothese bestätigt oder widerlegt, als Produkt der Erfahrung von der unmittelbaren Evidenz unterschieden, die eine Behauptung ohne weiteres verifiziert.

Empirische Forschung und alltägliche Erfahrung

Empirische Forschung findet simuliert im Labor oder direkt im Feld statt. Die direkte Feldforschung unterscheidet sich von der lebensweltlichen Alltagserfahrung durch die Systematik des Vorgehens – man spricht auch von der Erhebung von Daten. Dazu kommen die Forderungen nach Objektivität und Wiederholbarkeit der Beobachtungen, die an Alltagserfahrungen in dieser Form nicht gestellt wird.

In den Erfahrungswissenschaften dienen empirische Beobachtungen dazu, theoretische Annahmen über die Welt zu überprüfen. Ob darüber hinaus Theorien anhand empirischer Daten entwickelt werden können, ist teilweise strittig.[1] Das genaue Verhältnis von Empirie und Theorie wird in der Wissenschafts- und allgemeiner in der Erkenntnistheorie behandelt und ist hier Gegenstand zahlreicher philosophischer Kontroversen.[2] Es gibt in der Wissenschaft keine einheitliche Meinung, ob sich theoretische Aussagen empirisch sicher bestätigen oder nur prinzipiell widerlegen lassen.[3]

Geschichte

Im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit erhoben Naturforscher den Anspruch, dass sie aufgrund ihres empirischen Forschens zu neuen Einsichten gelangt seien. Der Empirismus ist eine im 17. Jahrhundert entstandene, ursprünglich auf Francis Bacon und David Hume zurückgehende philosophische Strömung, die die generelle Abhängigkeit allen Wissens von der Erfahrung betont.[4]

Der Anspruch war oft mit Polemik gegen andere Forscher verbunden, denen unterstellt wurde, dass sie sich auf überlieferte und kirchlich sanktionierte Autoritäten wie Aristoteles verließen, also auf die Tradition. Diese Vorstellung wurde von Wissenschaftshistorikern übernommen, indem diese die Fortschritte auf die empirische Ausrichtung innovativer Forscher zurückführten und die Gegnerschaft zu ihren Ansichten auf ein Verhaftetsein in der Tradition.

Diese vereinfachende Vorstellung wird beispielsweise von Franz Graf-Stuhlhofer kritisiert, unter Hinweis darauf, dass naturwissenschaftliche Fortschritte oft mit einem komplexeren Zusammenspiel von Empirie und Tradition verbunden waren.[5]

Radikale Spielarten des Empirismus (etwa die von John Locke vertretene Position) begreifen den menschlichen Verstand als tabula rasa, in dem Wissen erst durch Sinneserfahrungen entstehen könne („Nichts ist im Intellekt, was nicht vorher in den Sinnen gewesen ist.“). Philosophische Gegenargumente zu dieser Position wurden von den Vertretern des Rationalismus, etwa von René Descartes formuliert, der auf die grundlegende Fehlbarkeit der Sinne hingewiesen hat. Letzten Endes sind sich klassische Positionen des Rationalismus und des Empirismus in ihrer Ablehnung der Tradition als Quelle eines unfehlbaren und abgeschlossenen Kanons des Wissbaren jedoch einig.

Immanuel Kant hat sich in seiner Kritik der reinen Vernunft um eine Überwindung des Gegensatzes zwischen Empirismus und Rationalismus bemüht, indem er die Bedeutung von a priori gegebenen, also vor aller Erfahrung im Verstand vorhandenen Begriffen wie Raum, Zeit und Kausalität postuliert hat.

Empirische Wissenschaften

Als empirische Wissenschaften oder Erfahrungswissenschaften gelten Disziplinen, in denen die Objekte und Sachverhalte der Welt, wie Planeten, Tiere, Verhaltensmuster von Menschen durch Experimente, Beobachtung oder Befragung untersucht werden. Diese empirischen Methoden können im Labor stattfinden, oder im Feld (so der Fachterminus). Dies bedeutet eine Untersuchung eines Phänomens bzw. Problems in seinem jeweiligen Kontext. Dies trifft vor allem auf die Naturwissenschaften zu.

Dem stehen die nichtempirischen Wissenschaften gegenüber, in denen manche Erkenntnisse auch ohne einen Rückgriff auf direkte Beobachtung und sinnliche Erfahrung gewonnen werden, etwa Mathematik und Philosophie. Insbesondere Erkenntnistheorie und Logik gelten als nichtempirische Wissensgebiete, weil hier Aussagen formuliert werden, die allein aus logischen (formalen) Gründen richtig oder falsch sind (z. B. Tautologien und Kontradiktionen sind grundsätzlich nicht empirisch überprüfbar). Philosophische Reflexion, die nicht streng logisch-formalen Kalkülen folgt, wird meist nur durch bloßes Nachdenken oder Spekulation vollzogen, empirische Beobachtungen werden hierzu bewusst nicht herangezogen. Die Theologie (insbesondere in ihren dogmatischen Anteilen), die Rechtswissenschaften (da hier Gesetzestexte kasuistisch auf Einzelfälle bezogen werden), die Literaturwissenschaften und Teile der Sprachwissenschaften gelten als nichtempirische Wissenschaften.

Umstritten ist, ob Wissenschaften, in denen Textquellen mit hermeneutischen Methoden ausgewertet und interpretiert werden, wie die Geschichtswissenschaft und Teile der Sozialwissenschaften, als empirische Wissenschaften angesehen werden können. Vertreter einer streng einheitswissenschaftlichen Position – etwa Carl Gustav Hempel – betrachten die Geschichtswissenschaft als empirische Wissenschaft.[6] Demgegenüber haben Vertreter eines Dualismus zwischen Natur- und Geisteswissenschaften – wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wilhelm Dilthey und später Georg Henrik von Wright – den besonderen Charakter hermeneutisch vorgehender Wissenschaften herausgestellt.[7] Das Verhältnis zwischen Hermeneutik und empirischer Wissenschaft ist in der philosophischen Debatte kontrovers. Insbesondere in den Sozialwissenschaften wurde diese Debatte zwischen Vertretern einheitswissenschaftlicher Positionen, wie sie die Vertreter des Kritischen Rationalismus Karl Popper und Hans Albert einnehmen, und alternativen Positionen (etwa der Kritischen Theorie um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno), die sich gegen eine ihrer Meinung nach „blinde“ Übertragung naturwissenschaftlicher Erkenntnismodelle auf die Sozial- und Geisteswissenschaften gewehrt haben, intensiv in den 1960er und 1970er Jahren ausgetragen (vgl. den sogenannten Positivismusstreit).

Empirische Spezialgebiete

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Wiktionary: Empirie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Udo Kelle: Empirisch begründete Theoriebildung. Deutscher Studienverlag, Weinheim 21997.
  2. Kurt Eberhard: Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Kohlhammer, Stuttgart 1999, ISBN 3-17-015486-9.
  3. Winfried Stier: Empirische Forschungsmethoden. Springer, Berlin 1999. ISBN 3-540-65295-7, S. 5 ff.
  4. Günter Gawlik (Hrsg.): Geschichte der Philosophie in Text und Darstellung. Bd. 4: Empirismus. Reclam, Stuttgart 1980.
  5. Franz Graf-Stuhlhofer: Tradition(en) und Empirie in der frühneuzeitlichen Naturforschung. In: Helmuth Grössing, Kurt Mühlberger (Hrsg.): Wissenschaft und Kultur an der Zeitenwende. (Schriften des Archivs der Universität Wien; 15). V&R unipress, Göttingen 2012, S. 63–80.
  6. Carl Gustav Hempel: The Functions of General Laws in History. in: The Journal of Philosophy. 39, 1942, S. 35–48.
  7. Georg Henrik von Wright: Erklärung und Verstehen. Athenäum, Frankfurt 1974.