Ergativ
Der Ergativ ist ein Kasus in bestimmten Sprachen, die dementsprechend Ergativsprachen genannt werden. Er markiert das Subjekt transitiver Sätze, also solcher, die auch ein direktes Objekt haben. Subjekte intransitiver Sätze, also objektloser Sätze, werden in solchen Sprachen hingegen typischerweise nicht mit dem Ergativ markiert (es gibt allerdings auch oft Ausnahmen). Dagegen wird in Ergativsprachen das direkte Objekt in transitiven Sätzen und das Subjekt in intransitiven Sätzen mit demselben Kasus, dem Absolutiv, markiert.[1]
Abgrenzungen
Im Gegensatz zu „Ergativ“ als Name eines Kasus kursiert in der Literatur zur generativen Syntax auch noch der Begriff des „ergativen Verbs“, eine Prägung, die auf L. Burzio (1986) zurückgeht. Diese Bezeichnung ist jedoch synonym mit dem Begriff unakkusativisches Verb und hat nichts mit Kasussystemen zu tun.
Beispiele für Ergativsprachen
Bekannte Ergativsprachen sind z. B. das Baskische, Chantische, Georgische, Sumerische, Tibetische, Tschetschenische, Kurmandschi, Shipibo (in Peru), Maya-Sprachen und Kalaallisut (in Grönland).
Viele indoiranische Sprachen haben in den Tempora der Präsensgruppe die Konstruktion der Akkusativsprachen, in den Tempora der Perfektgruppe dagegen die Konstruktion der Ergativsprachen. Hierzu gehören Hindi, Marathi, Urdu, Paschtu (in Afghanistan), Kurdisch.
Der Unterschied von Ergativsprachen gegenüber Akkusativsprachen besteht darin, dass Ergativsprachen die Funktionen des Subjekts mithilfe von Kasus differenzieren, also durch verschiedene Fälle zum Ausdruck bringen.
Beispiele:
- Herr Müller schreibt einen Brief.
- Herr Müller leidet unter Mobbing.
- Die Arbeitskollegen quälen Herrn Müller.
- Herr Müller wird von den Arbeitskollegen gequält.
In Beispiel (1) ist das „Subjekt“ Herr Müller tatsächlich das Agens, der Träger der Handlung „Briefschreiben“. In Beispiel (2) ist Herr Müller nicht so sehr Handlungsträger als vielmehr derjenige, der unter dem Vorgang „Mobbing“ leidet, also eigentlich Patiens. Damit nimmt Herr Müller in (2) dieselbe Funktion ein wie in (3) und in (4). Diese Funktionsidentität des Satzglieds Herr Müller bei (2), (3) und (4) wird in Ergativsprachen durch die Kasusidentität unterstrichen; es steht in allen drei Fällen ein unmarkierter Kasus (der in Ergativsprachen Absolutiv genannt wird). Dagegen haben die Arbeitskollegen in Satz (3) und (4) dieselbe Funktion inne, nämlich die des Handlungsträgers (Agens). Sie stehen deshalb nach der Logik der Ergativsprachen auch im selben Fall, dem „Ergativ“. Man vergleiche die Rollen von Ergativ und Kausativ, wobei letzterer aus der Modifikation des Verbs des Satzes entsteht.
Ein Beispiel aus dem Sumerischen verdeutlicht die Funktionsweise:
intransitiv → Subjekt im Absolutiv | ||
(5) | Lugal-Ø | muĝen. |
König-Absolutiv | er kam her | |
„Der König kam her.“ |
transitiv → Subjekt im Ergativ, Objekt im Absolutiv | |||
(6) | Malaḫgal-e | ma-Ø | ingi. |
Kapitän-Ergativ | Schiff-Absolutiv | er brachte es zurück | |
„Der Kapitän brachte das Schiff zurück.“ |
In einigen Ergativsprachen, z. B. in den eskimo-aleutischen Sprachen, ist der Ergativ mit dem Genitiv identisch (possessive Satzkonstruktion).
Das Chantische besitzt, zumindest in Vach- und Vasjugan-Mundart der ostjakischen Sprache, neben dem Ergativ auch noch Aktiv- und Passivkonstruktionen. Der Ergativ hat die Aufgabe, das Subjekt besonders hervorzuheben, um den individuellen Charakter zu betonen.[2]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Thomas Stolz: Ergativ für blutigste Anfänger. Universität Bremen, S. 1–12
- ↑ János Gulya: Aktiv, Ergativ und Passiv im Vach-Ostjakischen. In: Wolfgang Schlachter (Hrsg.): Symposium über Syntax der uralischen Sprachen (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Nr. 76, ISSN 0930-4304). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970, S. 80–83.