Erhart Kästner
Erhart Kästner (* 13. März 1904 in Schweinfurt; † 3. Februar 1974 in Staufen im Breisgau) war ein deutscher Schriftsteller und Bibliothekar.
Leben
Erhart Kästners Vater war Gymnasiallehrer. Seine Jugend verbrachte er in Augsburg und besuchte das Gymnasium bei St. Anna. Kästner absolvierte eine Buchhändlerlehre, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Freiburg im Breisgau, Kiel und Leipzig und schloss das Studium mit der Promotion ab. Das Thema seiner Dissertation lautete „Wahn und Wirklichkeit im Drama der Goethezeit“.
1930 bis 1936 war er Bibliothekar an der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden und richtete dort das Buchmuseum ein. 1936 bis 1938 arbeitete er als Sekretär von Gerhart Hauptmann (als Ersatz für Elisabeth Jungmann, die 1933 als Sekretärin zu Rudolf G. Binding ging). 1939 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 7.836.245),[1] meldete sich als Freiwilliger zum Kriegseinsatz und wurde mit Billigung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda dazu freigestellt, für die kämpfende Truppe Bücher über Griechenland zu verfassen. Im 1942 erschienenen Band Griechenland verherrlicht Kästner den Sieg der nordischen Deutschen als die Rückkehr der arischen Rasse in das angestammte Südland. Dabei ist seine Sprache literarisch und voller Bewunderung und Achtung für eben jenes Griechenland, das in seiner Vorstellung die Wiege europäischer Kultur darstellt. Die Nachkriegsauflagen seiner Bücher erschienen, von den schlimmsten Ausfällen gereinigt, im Insel-Verlag: Kreta (1946), Ölberge, Weinberge (1953) und Griechische Inseln.
In dem Buch Ölberge, Weinberge (Insel-Taschenbuch, S. 244) beschreibt er eine grausame Vergeltungsaktion der deutschen Besatzungsmacht (siehe Massaker von Distomo) wie folgt: „Wenn ich so ging, konnte ich das Dorf Distomo meiden, das vor acht Jahren, im Krieg, der Schauplatz eines ungeheuren Blutbads war: der Pappas des Dorfes, mit oder ohne Willen, hatte zwei Lastwagen voller Soldaten in den Hinterhalt der Partisanen bei Steiri geschickt, darauf folgte eine planvolle Rache, sinnloses Morden an Frauen, Kindern und Bauern, wie es ein Land noch nach hundert Jahren im Gedächtnis behält.“
Nach Kriegsende verbrachte Kästner zwei Jahre als Kriegsgefangener in Nordafrika, nachdem ihn britisches Militär auf Rhodos unter dem Verdacht geheimdienstlicher Tätigkeit verhaftet hatte. Über seinen Aufenthalt in einem Lager im ägyptischen Fayid schrieb er das Buch Zeltbuch von Tumilat.
Von 1950 bis 1968 war er Direktor der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, die unter seiner Leitung zu einer „Bibliotheca illustris“ ausgebaut wurde. Dabei handelt es sich um ein von Kästner aufgegriffenes Kunstwort aus dem 17. Jahrhundert, das in seinem Verständnis die Bibliothek als Schauplatz eines glanzvollen Bücherschatzes im Stile einer Fürstenbibliothek bezeichnen sollte, in dem das kostbare Buch und dessen Studium durch ausgewählte Gelehrte im Mittelpunkt stehen sollte und die Bibliotheksbenutzung durch die Allgemeinheit nicht vorgesehen war.[2] 1954 heiratete Kästner die Restauratorin Anita Vogel (1924–2011). Nach seiner Pensionierung zog er nach Staufen im Breisgau. Sein Grab ist auf dem dortigen Friedhof zu finden. Der umfangreiche Nachlass Erhart Kästners mit mehr als 17.000 Blättern von Werkmanuskripten und mehr als 6000 Briefen befindet sich seit 1984 in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel.
Erhart Kästner galt lange Zeit als einer der „leisen“ Schriftsteller der deutschen Nachkriegsära. Seine stilistisch geschliffenen und kunstvoll komponierten Prosawerke passten bei ihrem Erscheinen in den fünfziger und sechziger Jahren gut zum allgemeinen Wunsch nach Verdrängung: „Über das Dunkle ist zu schweigen“ (Zitat Erhart Kästner). In der abwiegelnden Haltung zu persönlichen Verfehlungen während des Dritten Reichs war er insbesondere mit Martin Heidegger freundschaftlich sehr eng verbunden.[3]
Auszeichnungen und Mitgliedschaften
- Mitglied in der Reichsschrifttumskammer am 6. Oktober 1942
- Förderungspreis zum Immermann-Preis der Stadt Düsseldorf (1955)
- Literaturpreis der Stadt Köln (1957)
- Mitglied der Akademie der Künste Berlin
- Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
Werke
- Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege (1942)
- Kreta (1946)
- Zeltbuch von Tumilat (1949) Neu: Suhrkamp 1992, ISBN 3518013823
- Ölberge, Weinberge. Ein Griechenlandbuch (1953)
- Die Stundentrommel vom heiligen Berg Athos, Insel Verlag, 1. Auflage Wiesbaden 1956, 13. Auflage Frankfurt 1995, ISBN 978-3-458-31756-2;
- als Tonträger: gelesen von Ernst Schlott, Deutsche Grammophon – Literatur / Universal Music, Hamburg 2001, ISBN 3-8291-1175-4.
- Die Lerchenschule (1964)
- Aufstand der Dinge (1971)
- Offener Brief an die Königin von Griechenland. Beschreibungen, Bewunderungen (1972)
- Über Bücher und Bibliotheken. Hrsg. von P. Raabe (1974)
- Der Hund in der Sonne und andere Prosa. Hrsg. von H. Gremmels (1975)
- Griechische Inseln. Hrsg. von H. Gremmels (1975)
- Briefe. Hrsg. von P. Raabe (1984)
- Martin Heidegger – Erhart Kästner, Briefwechsel 1953–1974. Hrsg. von Heinrich W. Petzet (1986)
- Was die Seele braucht – Erhart Kästner über Bücher und Autoren. Hrsg. von Julia Hiller von Gaertringen und Katrin Nitzschke (1994)
- Perseus-Auge Hellblau – Erhart Kästner und Gerhart Hauptmann. Briefe, Texte, Notizen. Hrsg. von Julia Hiller von Gaertringen (2004)
Zitate
„Also die Dinge sind tot. … Von jeher hatten sie von der Mühe gelebt, die man sich um sie machte. Schwer begreiflich: aber um Mühe gaben sie Leben. Man wollte sie mühelos, man wollte sie hergestellt haben. Das gelang auch. Aber um den Preis ihres Lebens. … Eines Tags … wird in den Zeitungen stehen: Wie jetzt erst bekannt wird, sind die Dinge verstorben. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Aber zur Zeit dieser Meldung werden nicht mehr Viele verstehen, was gemeint ist. Nur sehr alte Leute werden sich erinnern, in ihren jungen Tagen davon gehört oder gelesen zu haben: irgendwann einmal, vor Zeiten, lustige Vorstellung, sollten die Dinge, der Mond und der Bach und die Tanne, die Stadt und die Bucht und das Kornfeld gelebt haben.“
„Am Schluss ist das Leben nur eine Summe aus wenigen Stunden, auf die man zulebte. Sie sind; alles andere ist nur ein langes Warten gewesen.“
Literatur
- Christopher Meid: Griechenland-Imaginationen. Reiseberichte im 20. Jahrhundert von Gerhart Hauptmann bis Wolfgang Koeppen. De Gruyter, Berlin/Boston 2012 (linguae & litterae, 15), S. 326-345, S. 355-374, ISBN 978-3-11-028297-9.
- Günter Figal (Hrsg.): Erhart Kästner. Zum 100. Geburtstag. Die Wahrheit von Orten und Dingen. Modo, Freiburg im Breisgau 2004, ISBN 3-937014-12-8.
- Julia Hiller von Gaertringen: „Diese Bibliothek ist zu nichts verpflichtet außer zu sich selbst“ – Erhart Kästner als Direktor der Herzog August Bibliothek 1950–1968. Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05879-7 (Wolfenbütteler Hefte; H. 23 [2009]).
- Julia Hiller von Gaertringen: „Meine Liebe zu Griechenland stammt aus dem Krieg“. Studien zum literarischen Werk Erhart Kästners. Harrassowitz, Wiesbaden 1994, ISBN 3-447-03536-6 (Wolfenbütteler Forschungen, 58).
- Anita Kästner, Reingart Kästner (Hrsg.): Erhart Kästner. Leben und Werk in Daten und Bildern. 2. Auflage Insel, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-458-32086-5 (Insel-Taschenbuch 386).
- Wolfgang Milde: Kästner, Erhart. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 10, Duncker & Humblot, Berlin 1974, ISBN 3-428-00191-5, S. 736 f. (Digitalisat).
- Julia M. Nauhaus: Erhart Kästners Phantasiekabinett. Variationen über Kunst und Künstler. Rombach, Freiburg im Breisgau 2003, ISBN 3-7930-9340-9 (Rombach Wissenschaften; Reihe Cultura, 32).
- Michael E. Sallinger: Wege und Zweige. Betrachtungen zu Ernst Jünger, Friedrich Georg Jünger, Martin Heidegger, Gottfried Benn, Carl Schmitt, Erhart Kästner und Armin Mohler. Studienverlag, Innsbruck 2002, ISBN 3-7065-1758-2.
- Frank Schulz-Nieswandt: Erhart Kästner (1904–1974). Griechenlandsehnsucht und Zivilisationskritik im Kontext der „konservativen Revolution“. transcript, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-3682-6.
Weblinks
- Literatur von und über Erhart Kästner im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Erhart Kästner in der Sächsischen Bibliografie
- Katrin Nitzschke: Kästner, Erhart. In: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (Hrsg.): Sächsische Biografie.
- Erhart Kästner im Literaturarchiv Marbach am Neckar
- Ein Schatzhaus des Geistes. Erhart Kästner als Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1950-1968 / von Julia Frfr. Hiller von Gaertringen
- Perseus-Auge Hellblau. Erhart Kästner und Gerhart Hauptmann. Briefe, Texte, Notizen / von Julia Frfr. Hiller von Gaertringen (PDF-Datei; 130 kB)
- Antike und Christentum. Die Griechenlandbücher Erhart Kästners / von Julia Frfr. Hiller von Gaertringen (PDF-Datei; 168 kB)
- Universitätsbibliothek Augsburg: Erhart Kästner zum 100. Geburtstag
- Ausstellung zu Erhart Kästner in der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek
- Zu einer Besprechung von Arn Stromeyers Dichter im Waffenrock (PDF-Datei; 53 kB)
Einzelnachweise
- ↑ Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 291.
- ↑ Michael Knoche: Die Idee der Bibliotheca illustris bei Paul Raabe. In: Hypotheses, 12. April 2021, abgerufen am 30. Juli 2022.
- ↑ Vgl. Heinrich W. Petzet (Hrsg.): Martin Heidegger – Erhart Kästner. (Briefwechsel 1953–1974); Insel Verlag, Frankfurt am Main 1986.
- ↑ Zitate und Sprüche, Mannheim: Bibliografisches Institut & F.A. Brockhaus AG S.782, siehe auch http://www.gutzitiert.de/zitat_autor_erhart_kaestner_thema_leben_zitat_13181.html
Personendaten | |
---|---|
NAME | Kästner, Erhart |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Schriftsteller und Bibliothekar |
GEBURTSDATUM | 13. März 1904 |
GEBURTSORT | Schweinfurt |
STERBEDATUM | 3. Februar 1974 |
STERBEORT | Staufen im Breisgau |