Ernst Anrich

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Ernst Anrich (* 9. August 1906 in Straßburg; † 21. Oktober 2001 in Seeheim, Hessen) war ein deutscher Historiker, Universitätsprofessor und Autor. 1941 wurde er Bevollmächtigter zum Aufbau der Reichsuniversität Straßburg und ebendort Dekan der philosophischen Fakultät. Nach dem Krieg war er Gründungsdirektor der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und gehörte nach seiner dortigen Entlassung 1966 einige Jahre zur Parteiführung der NPD.

Leben

Vor 1945

Der Sohn des Theologieprofessors Gustav Adolf Anrich[1] studierte ab 1924 Geschichte, Evangelische Theologie und Germanistik nacheinander in Königsberg, Heidelberg, Berlin, Tübingen und Bonn. 1931 wurde er in Bonn bei Fritz Kern promoviert. Er war Mitglied in der Deutsch-Akademischen Gildenschaft und Mitgründer der Gilde „Ernst Wurche“. Ab 1932 war Anrich Privatdozent, ab 1938 außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte in Bonn sowie von Januar 1940 bis März 1941 als ordentlicher Professor am Historischen Seminar der Universität Hamburg.[2]

Frühjahr 1928 schloss er sich dem NS-Studentenbund an, er war dort Reichsschulungsleiter.[3] Am 1. Juni 1930 trat er in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 253.191)[4], wurde jedoch am 5. Mai 1931 wegen Umsturzversuchen in der Reichsjugendführung aus Partei und Bund ausgeschlossen, ein Wiedereintritt scheiterte an Baldur von Schirach.[5] November 1933 trat er in die SA und den NSLB ein, die SA verließ er ein Jahr später.[6]

In Kooperation mit der SS und dem Reichssicherheitshauptamt wurde Anrich 1941 Bevollmächtigter des Reichsdozentenführers für den Aufbau der Reichsuniversität Straßburg. Er war dort von 1941 bis 1943 in zusätzlicher Funktion Dekan der Philosophischen Fakultät sowie von 1941 bis 1943 Dozentenführer dieser Universität. Anrich war selbst SS-Mitglied und führend in einem beim OKW eingerichteten[7] „Wissenschaftlichen Weststab“[8] tätig; er hatte diesen „Stab“ zur NS-Neuordnung des Westraums im April 1940 selbst gegründet. Diese Stabsstelle arbeitete insbesondere der Volksdeutschen Mittelstelle zu und sollte Pläne ausarbeiten, welche Gebiete im Westen sich unter volkstumspolitischen Gesichtspunkten für eine Annexion durch das Deutsche Reich eigneten. Sie war auch für die Planung der dazu erforderlichen Zwangs-Umsiedlungen zuständig.[9]

Nach 1945

Anrich lebte in der Nachkriegszeit in Tübingen. Ab 1949 war er Gründer und Direktor der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (WBG) in Darmstadt. Dort wurden in Sammelwerken und als Einzelveröffentlichungen Arbeiten von Hermann Aubin, Franz Steinbach, Franz Petri und anderen Historikern aus dem Umfeld der Westforschung aus der Zeit vor 1945 weitgehend unverändert veröffentlicht.[10] Eigene Werke veröffentlichte er ebenfalls bei der WBG und auch bei verschiedenen anderen Verlagen, unter anderem beim rechtsextremen Grabert Verlag. Er hielt 1966 auf dem 2. Parteitag der NPD eine programmatische Rede; daraufhin veranlasste der Vorstand der WBG Anrichs umgehende Entlassung. 1967 erschien eine Rede von ihm als Sonderdruck in den Deutschen Nachrichten, dem NPD-Parteiorgan. Im November 1967 wurde er Mitglied im Vorstand und im Präsidium der NPD; 1971 wurde er einer von drei stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD. 1975 schied er aus den Führungsgremien der Partei aus; 1976 verließ er sie. Anrich war Mitglied des Witikobundes und der Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland.

Schriften (Auswahl)

Vor 1945

  • Die jugoslawische Frage und die Julikrise 1914, phil. Diss. Bonn 1931.
  • Die englische Politik im Juli 1914, Habil.-Schrift, Bonn 1932.
  • Drei Stücke über nationalsozialistische Weltanschauung. Kohlhammer, Stuttgart 1932.
  • Neue Schulgestaltung aus nationalsozialistischem Denken. Kohlhammer, Stuttgart 1933.
  • Volk und Staat als Grundlage des Reiches. Kohlhammer, Stuttgart 1934.
  • Universitäten als geistige Grenzfestungen. Kohlhammer, Stuttgart 1936.
  • Die Geschichte der deutschen Westgrenze. Quelle & Meyer, Leipzig 1939 u. 1943.
  • Die Bedrohung Europas durch Frankreich. 300 Jahre Hegemoniestreben aus Anmaßung und Angst (Frankreich gegen die Zivilisation, Heft 1, Schriften des Deutschen Instituts für außenpolitische Forschung und des Hamburger Instituts für auswärtige Politik, Heft 56). Hrsg. Matthias Schwabe (das ist Karl Epting, Paris) Berlin 1940 (Anrichs Frankreich-„Wissen“ wurde 1951 fortgesetzt).
  • Frankreich und die deutsche Einheit in den letzten 300 Jahren. Broscheck, Hamburg 1940.[11]
  • Germanien und Europa. Ein Buch an der Schwelle unseres Zeitalters. W. Kohlhammer, Stuttgart 1941.
  • Richelieu und das Elsaß. In: Franz Kerber (Hrsg.): Das Elsaß. Des Reiches Tor und Schild. Hüneburg-Verlag, Straßburg 1942 (= Jahrbuch der Stadt Freiburg im Breisgau, Band 4).
  • Deutsche Geschichte von 1918–1939. Teubner, Leipzig 1943.

Nach 1945

  • Muß Feindschaft bestehen zwischen Deutschland und Frankreich? Frankfurt 1951.
  • Die Idee der deutschen Universität und die Reform der deutschen Universitäten, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1960.
  • Moderne Physik und Tiefenpsychologie zur Einheit der Wirklichkeit und damit der Wissenschaft. Ein Versuch. Klett-Cotta, Stuttgart 1963.
  • Der Sozialismus der Linken. Nicht Fortschritt, sondern Rückschritt und volle Zerstörung. National-Verlag, Rosenheim 1973.
  • Leben ohne Geschichtsbewußtsein. Eine Anklage gegen den heutigen Geschichtsunterricht. Grabert, Tübingen 1988.

Literatur

  • Burkhard Dietz (Hrsg.): Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum 1919–1960. Teilband 2. Waxmann, Münster 2003, ISBN 3-8309-1144-0; darin zu Anrich insbes. Hans-Paul Höpfner: Bonn als geistige Festung der Westgrenze? und Gjalt R. Zondergeld: „Nach Westen wollen wir fahren!“ Die Zeitschrift „Westland“ als Treffpunkt der Westraumforscher. S. 655 ff. (der Band ist bei Google books online einsehbar und durchsuchbar).
  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik (= Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Band 6). Synchron, Heidelberg 2004, ISBN 3-935025-68-8, S. 14–15.
  • Lothar Kettenacker: Ernst Anrich und die Reichsuniversität Strassburg. In: Christian Baechler, François Igersheim, Pierre Racine (Hrsg.): Les „Reichsuniversitäten“ de Strasbourg et de Poznań et les résistances universitaires 1941–44. Strasbourg 2005, ISBN 2-86820-268-3, S. 83–96.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 17.
  • Peter Schöttler: Die historische »Westforschung« zwischen »Abwehrkampf« und territorialer Offensive. In: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-518-28933-0, S. 204–261.
  • Werner Treß: Ernst Anrich. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 2: Personen. Teil 1: A–K. De Gruyter Saur, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-24072-0, S. 23–26.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1924–1931 Vorsitzender des wissenschaftlichen „Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich“, ELI, an der Universität Frankfurt am Main.
  2. Frank-Rutger Hausmann: Hans Bender (1907–1991) und das ‚Institut für Psychologie und Klinische Psychologie‘ an der Universität Straßburg 1941–1944. Ergon, Würzburg 2006, S. 25 u. Anm. 31.
  3. Bundesarchiv R 4901/13258 Hochschullehrerkartei.
  4. Bundesarchiv R 9361-II/15686.
  5. Bundesarchiv R 9361-I/4529.
  6. Bundesarchiv R 4901/13258 Hochschullehrerkartei.
  7. Nach Griff nach dem Westen, 2, S. 838, Anm. 115, und S. 788 eine OKW-Einrichtung, folgend einer Notiz „Zilliken“ vom 30. Mai 1940, Archiv Landschaftsverband Rheinland, Abtei Brauweiler, ALVR 4585. Frühere Autoren nennen dagegen die SS als Auftraggeber.
  8. Nebenbezeichnung der Organisation: „Raumplanerische Möglichkeiten einer Grenzziehung und Einteilung der Grenzräume im Westen.“ Materialien dazu finden sich im Bundesarchiv (Deutschland).
  9. Peter Schöttler: Die historische »Westforschung« zwischen »Abwehrkampf« und territorialer Offensive. S. 245; Herwig Schäfer: Juristische Lehre und Forschung an der Reichsuniversität Straßburg 1941–1944. Mohr Siebeck, Tübingen 1999, S. 32 f.
  10. Peter Schöttler: Die historische »Westforschung« zwischen »Abwehrkampf« und territorialer Offensive. S. 224.
  11. Diese sieben vorgenannten Schriften wurden von der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.