Ernst Heitsch
Ernst Heitsch (* 17. Juni 1928 in Celle; † 18. September 2019[1] in Regensburg[2]) war ein deutscher klassischer Philologe. Er übersetzte und interpretierte altgriechische, vor allem philosophische Texte. Heitsch war insbesondere ein Kenner der platonischen Philosophie.
Leben
Heitschs Vater hatte im Ersten Weltkrieg als Vermessungsgast der Kaiserlichen Marine in Deutsch-Ostafrika gedient und war anschließend in belgischer und französischer Gefangenschaft. Anfang der 1930er Jahre wurde er ans Katasteramt nach Berlin versetzt, wo auch Ernst Heitsch seine Kindheit und Jugend verbrachte. Er besuchte des Humanistischen Gymnasiums Steglitz und musste 1944 mit seiner gesamten Klasse zunächst in Berlin Flakhelfer werden. An die Hauptkampflinie an der Oder verlegt geriet er bald in russische Kriegsgefangenschaft und wurde in Graudenz interniert. 1947 konnte er in Soltau das Abitur nachholen und studierte ab dem Folgejahr Klassische Philologie, Philosophie und Theologie an der Universität Göttingen. Hier wurde er 1955 bei Wolf-Hartmut Friedrich und Kurt Latte mit der Arbeit „Zur lyrischen Sprache des Euripides“ promoviert und arbeitete anschließend als Assistent am Institut für Altertumskunde. 1960 folgte seine Habilitation über Die griechischen Dichterfragmente der römischen Kaiserzeit im Bereich der Papyrologie und Textkritik. Im Anschluss war er außerplanmäßiger Professor an der Universität Göttingen, wo er seine spätere Ehefrau Paula kennenlernte. 1967 folgte er einem Ruf an die Universität Regensburg auf den Lehrstuhl für Klassische Philologie. Rufe an die Universitäten Bern und Würzburg lehnte er ab. Er war zweimal Dekan. 1996 wurde er emeritiert.
Heitsch war korrespondierendes Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts (seit 1998) und Mitherausgeber der Reihe Beiträge zur Klassischen Philogie, später Beiträge zur Altertumskunde. Heitsch war jahrelang Mitglied der Leitungskommission des Lexikon des frühgriechischen Epos und von 1998 bis 2004 deren Vorsitzender. Er war ferner Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (1977) sowie der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (1999).[3]
Heitsch war fast 60 Jahre lang mit seiner Ehefrau zusammen und hatte drei Kinder. Er segelte gern im griechischen Mittelmeer und wanderte ausgiebig. Er wurde in der See vor Norderney bestattet.
Werk
Heitschs Forschungsschwerpunkte waren die archaische und klassische Epoche der griechischen Literatur. Darunter verstand er sämtliche überlieferte Werke, beispielsweise auch naturwissenschaftliche, medizinische und juristische Texte – so hat er beispielsweise zu den juristischen Reden von Antiphon von Rhamnus publiziert. Seine Hauptarbeitsgebiete waren die frühgriechische Epik und griechische Philosophie sowie die Beschäftigung mit frühen Ideen und Begriffen wie ἀλήθεια (alḗtheia „Wahrheit“) und ihrer Verwendung bei Dichtern wie Parmenides und Xenophanes. Er legte bei seinen Untersuchung den Schwerpunkt auf eine korrekte Zusammenstellung aller Befunde und diskutierte verschiedene Interpretationsmöglichkeiten dann anhand von Wahrscheinlichkeiten.
Diese Prinzipien übertrug er auch auf die von mitbegründete Regensburger Schule, die ab den 1970er Jahren computergestützte Untersuchungen zur frühgriechischen Sprache durchführte und in mehreren Dissertationen veröffentlichte (unter anderem Norbert Blößner). Die Ergebnisse zeigten der Forschung zur mündlichen Entstehung der Homerischen Epen Ilias und Odyssee (so genannte Oral-Poetry-Theorie) bestimmte Grenzen auf, wurden jedoch nur wenig in der Fachwissenschaft rezipiert.[4]
Neben mehreren Publikationen zu Thukydides galt aus der klassischen Epoche vor allem Platon sein Interesse. Heitsch gab dabei keine prinzipiell neue Darstellung des platonischen Systems, er setzte sich aber intensiv mit den Überlegungen der Tübinger Schule nach einer Ungeschriebenen Lehre Platons auseinander und gründete zusammen mit Carl Werner Müller eine Reihe von kommentierten Platonübersetzungen als Teil eines interdisziplinären Projektes der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Diese fand auch außerhalb der Fachwissenschaft große Anerkennung:
„Der Regensburger Philologe Ernst Heitsch hat der Platon-Interpretation eine neue Dimension erschlossen. […] Wenn die übrigen 35 Bände, die in den nächsten Jahren erscheinen, annähernd das Niveau des ersten erreichen, wird die deutsche Platon-Forschung am Ausgang unseres Jahrhunderts eine säkulare Leistung vollbracht haben“
Heitsch selbst kommentierte und übersetzte im Rahmen dieses Projektes Platons Phaidros, Apologie des Sokrates, Hippias maior und Ion. Seine im Detail sachkundig veränderten Übersetzungen sollen es, so wird von Rezensionen angemerkt, heutigen Lesern ermöglichen, bei Platon philosophisches Argumentieren zu lernen, indem sie den Argumentationen in den Dialogen Platons kritisch folgen. Platons philosophische Dialektik sei eine sichere Beweistechnik gewesen – so Heitsch –, die seinem Schüler Aristoteles die Begründung der Logik geliefert habe. Im Zusammenhang mit seinen Übersetzungen thematisiert er auch die Fragwürdigkeiten von Textinterpretationen und die Frage, ob und wie weit philologische Darstellungen die Echtheit der antiken Texte garantieren können.[5]
Er veröffentlichte 2003 seine „Gesammelten Schriften“ in mehreren Bänden.
Publikationen
- Die griechischen Dichterfragmente der römischen Kaiserzeit. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Zwei Bände, 2. Auflage Göttingen 1964.
- Hesiod (Hg.), Wege der Forschung Bd. 44, Darmstadt 1966.
- Parmenides. Die Anfänge der Ontologie, Logik und Naturwissenschaft. München 1974.
- Wege zu Platon. Beiträge zum Verständnis seines Argumentierens. Göttingen 1992.
- Phaidros. Platon: Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd. III,4. Göttingen 1993.
- Zum griechischen Epos. Gesammelte Schriften I, München 2001.
- Zur griechischen Philosophie. Gesammelte Schriften II, München 2001.
- Diverse Aufsätze. Gesammelte Schriften III (vollständiges Schriftenverzeichnis bis 2003), München 2003.
- Apologie des Sokrates. Platon: Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd. I,2. Göttingen 2. durchges. Auflage 2004.
- Platon und die Anfänge seines dialektischen Philosophierens. Göttingen, 2004.
- Erzählung und Theologie in der Ilias. Mainz, 2008.
- Größerer Hippias. Platon: Werke. Übersetzung und Kommentar. Bd. VII,1. Mit einem Beitrag von Franz von Kutschera. Göttingen 1. Auflage 2011.
- Gesammelte Schriften IV: zu Homer, Platon, Thukydides und Paulus. (= Beiträge zur Altertumskunde, 152). De Gruyter, Berlin 2022.
Literatur
- Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, Ausgabe 2003, Band 1, S. 1228.
- Norbert Blößner, Peter Roth: Ernst Heitsch †. In: Gnomon, Bd. 92 (2020), Heft 6, S. 570–576.
Weblinks
- Literatur von und über Ernst Heitsch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- ↑ Im Gedenken an Prof. Dr. Ernst Heitsch. Universität Regensburg, 30. September 2019, abgerufen am 1. Oktober 2019.
- ↑ Norbert Blößner, Peter Roth: Ernst Heitsch †. In: Gnomon. Band 92, Nr. 6, 2020, S. 570–576.
- ↑ Mitgliedseintrag von Ernst Heitsch bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, abgerufen am 11. Oktober 2017
- ↑ Norbert Blößner: The state of the Homeric question. In: Matthias Fritz, Tomoki Kitazumi, Marina Veksina (Hrsg.): Maiores philologae pontes. Festschrift für Michael Meier-Brügger zum 70. Geburtstag. Beech Stave Press, Ann Arbor/New York 2020, S. 13–45, ISBN 978-0-9895142-8-6
- ↑ Vgl. dazu die Rezension zu Heitsch: Phaidros. Göttingen 1993. In: U-Mail, Regensburger Universitätszeitung, 1/06, S. 21. Ferner die Rezension von Bettina Jäckel: Heitsch, Ernst: Wege zu Platon. Beiträge zum Verständnis seines Argumentierens. Göttingen 1992. In: Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes, 1/95, Berlin, S. 3.
Personendaten | |
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NAME | Heitsch, Ernst |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher klassischer Philologe |
GEBURTSDATUM | 17. Juni 1928 |
GEBURTSORT | Celle |
STERBEDATUM | 18. September 2019 |
STERBEORT | Regensburg |