Ernst Reicher (Schauspieler)

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Ernst Reicher vor 1930 auf einer Fotografie von Alexander Binder

Ernst Erwin Reicher (* 19. September 1885 in Berlin; † 1. Mai 1936 in Prag) war ein deutscher Schauspieler, Drehbuchautor, Filmregisseur und Filmproduzent.

Leben

Der Sohn des Schauspielers Emanuel Reicher und der Karoline Marie Johanna Harf besuchte das Landerziehungsheim Dr. Lietz in Ilsenburg und anschließend die Hochschule für dramatische Künste in Berlin, die sein Vater leitete. Nach weiterer Ausbildung in Italien und London debütierte er 1909 an den Münchner Kammerspielen. Im Jahr 1910 spielte er in Rixdorf, 1911 am Neuen Theater in Frankfurt und 1912 in Berlin erstmals beim Film.

Hier lernte er den Regisseur Joe May kennen, unter dessen Regie er 1913 in Heimat und Fremde zusammen mit seinem Vater auftrat und dadurch bekannt wurde. Kurz darauf verkörperte er in der Musiker-Biografie Richard Wagner den Märchenkönig Ludwig II. von Bayern.

Reichers erste Regiearbeit war 1913 der Film Das Werk.[1]

Im Jahr 1914 erfand Ernst Reicher die Figur des Detektivs Stuart Webbs. In dieser Rolle stand er zwölf Jahre vor der Kamera und etablierte im deutschsprachigen Bereich das Genre des Detektivfilms. Nach Streit mit der Continental-Kunstfilm GmbH gründete Reicher 1915 seine eigene Produktionsfirma namens „Stuart Webbs Film-Company Reicher & Reicher“.[2]

Stuart Webbs war ein Gentleman-Detektiv nach dem Vorbild von Sherlock Holmes, der smart und elegant auch schwierigste Fälle löste. Während des gesamten Ersten Weltkrieges war diese Kunstfigur beim deutschen Kinopublikum beliebt. Erst ab 1918 wandte Reicher sich auch anderen Themen zu. Seine aufwändigste Produktion wurde der Monumentalfilm Das Buch Esther mit ihm selbst in der Hauptrolle.

Am 1. April 1919 verlegte er den Sitz seiner Filmgesellschaft nach München. Zu Beginn der zwanziger Jahre erlitt er einen schweren Autounfall, bei dem er sich einen Wirbel- und Schädelbruch zuzog und beinahe 80 Prozent seines Hörvermögens verlor, was ihm verunmöglichte, seine früheren Erfolge bei Anbruch des Zeitalters der Tonfilme fortzusetzen, obwohl er durchaus noch einige Male auf der Leinwand erschien.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Reicher, der jüdischer Herkunft war, 1933 in die Tschechoslowakei, wo er in Vergessenheit geriet. Seine letzte, winzige Rolle in dem Remake Le Golem wurde aus der Endfassung herausgeschnitten. Er wurde tot in einem Prager Hotelzimmer aufgefunden, wo er sich erhängt hatte: „in einem kleinen engen Zimmerchen, in einer Straße gelegen, die weitab von den Bühnen des Ruhms war“[3].

Von 1916 bis 1923[4] war er mit der Schauspielerin Stella Harf verheiratet, von 1924 bis 1927[5] mit der Sängerin und Schauspielerin Alexa Engström und ab 1930[6] mit Susanne Fehl. Sein Halbbruder Frank Reicher und seine Schwester Hedwiga Reicher haben gleichfalls als Schauspieler gearbeitet.

Filmografie (Auswahl)

Literatur

  • Sebastian Hesse: Ernst Reicher – Regisseur, Autor, Darsteller, Produzent. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 25, 1995.
  • Jürgen Kasten: Reicher, Ernst. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 312 f. (Digitalisat).
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 6: N – R. Mary Nolan – Meg Ryan. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 448.
  • Kay Weniger: „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …“. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 413.

Weblinks

Commons: Ernst Reicher – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gerhard Lamprecht: Deutsche Stummfilme 1913. Deutsche Kinemathek eV, Berlin 1969, S. 60.
  2. Berliner Handelsregister HRA Nr. 43816
  3. Nachruf der Pariser Tageszeitung vom 8. Mai 1936, Seite 4: "Stuart Webb's letzte Rolle ..."
  4. Heiratsregister Standesamt Charlottenburg 2, Nr. 370/1916
  5. Heiratsregister Standesamt Berlin-Charlottenburg 3, Nr. 478/1924
  6. Heiratsregister Standesamt Berlin-Wilmersdorf, Nr. 1080/1930