Ernst Vollrath

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ernst Vollrath (* 25. Januar 1932 in Wevelinghoven; † 30. Januar 2004 in Bochum) war ein deutscher politischer Philosoph, der sich seit Anfang der 1970er Jahre hauptsächlich mit den Werken Hannah Arendts auseinandersetzte und auf dieser Grundlage eine Theorie des Politischen entwickelte.[1] Er war mit der Historikerin Hanna Vollrath verheiratet.

Leben

Nach dem Studium der Philosophie in Freiburg wurde er 1959 in Köln mit Studien zur Kategorienlehre des Aristoteles zum Dr. phil. promoviert.[2] Von 1966 bis 1968 lehrte er als Professeur Titulaire an der Universität Dakar im Senegal.[3] Die Habilitation erfolgte 1969 in Köln.[4]

1970 lernte er Hannah Arendt persönlich kennen – die beiden standen anschließend im Briefwechsel miteinander[5] – und befasste sich seitdem hauptsächlich mit ihrem Denken. 1971 erschien sein Artikel Politik und Metaphysik: Zum politischen Denken von Hannah Arendt. Schon in diesem Aufsatz machte er deutlich, dass er die philosophischen und politischen Konzepte Arendts teilte. Er spricht hier wie auch in späteren Veröffentlichungen von Arendts „Phänomenologie des Politischen“.

Schon seit Anfang der 1970er Jahre setzte sich Arendt dafür ein, dass Vollrath ab 1973 an der New School for Social Research in New York politische Theorie im Bereich der Philosophie unterrichten konnte. Darüber hinaus nahm er auch an Arendts Seminaren an dieser Hochschule teil. 1972 besuchte Vollrath zusammen mit Hannah Arendt eine Konferenz in Toronto, deren Protokoll veröffentlicht wurde.[6]

Grab Friedhof Melaten

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1976 wurde er Professor für Philosophie an der Universität Köln. Auch nach seiner Emeritierung 1999 beschäftigte er sich weiterhin mit Hannah Arendt. Er war somit einer der ganz wenigen Wissenschaftler, die frühe Forschungsberichte über Arendt vorzuweisen haben. Arendt wurde in der west- und ostdeutschen akademischen und politischen Diskussion kaum rezipiert, die wenigen Bezüge waren zumeist negativ konnotiert.

2001 wurde Vollrath gemeinsam mit Daniel Cohn-Bendit mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet. Die Festrede hielt die Vorsitzende des Hannah-Arendt-Zentrums Oldenburg, Antonia Grunenberg.[7] Seine Hauptwerke, in denen er eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung (in Vollraths Terminologie: „Apperzeption“) entwickelte, erschienen 1987 und 2003.

Bis zuletzt an Diskursen über Hannah Arendt beteiligt, die in der Zwischenzeit in Deutschland mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hatte, starb er im Jahre 2004 im Alter von 72 Jahren. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Kölner Friedhof Melaten (Lit. D, zwischen HWG und Lit. H).

Werke

  • Die Gliederung der Metaphysik in eine Metaphysica Generalis und eine Metaphysica Specialis, Zeitschrift für philosophische Forschung, April–June 1962, 16, S. 258–284.
  • Die These der Metaphysik. Zur Gestalt der Metaphysik bei Aristoteles, Kant und Hegel, Henn, Wuppertal 1969
  • Studien zur Kategorienlehre des Aristoteles. Academia Philosophical Studies Bd. 1. Academia, 1969. ISBN 3-88345-836-8
  • Lenin und der Staat. Zum Begriff des Politischen bei Lenin, Henn, Wuppertal 1970
  • Politik und Metaphysik: Zum politischen Denken von Hannah Arendt, in Zeitschrift für Politik 18, 1971, S. 205–232 wieder in Adelbert Reif (Hrsg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk, Europa, Wien 1979, S. 19–58. ISBN 3-203-50718-8
  • Hannah Arendt and the Method of Political Thinking, in Social Research 44, 1, 1977, S. 170–182; dt. (erweiterte Fassung): „Hannah Arendt und die Methode des politischen Denkens“, in Adelbert Reif (Hrsg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk, darin: Hannah Arendt über Meinung und Urteilskraft. Wien 1979, S. 59–84
  • Hannah Arendt über Meinung und Urteilskraft, in Adelbert Reif (Hrsg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk, darin: Hannah Arendt über Meinung und Urteilskraft. Wien 1979, S. 85–108
  • Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, Königshausen & Neumann, Würzburg 1987
  • Hannah Arendt und Martin Heidegger, in: A. Gethmann-Siefert und Otto Pöggeler (Hrsg.): Heidegger und die praktische Philosophie, Suhrkamp, Frankfurt 1988, S. 357–372
  • Die Originalität des Beitrages von Hannah Arendt zur Theorie des Politischen, in Eveline Valtink, Hg.: Macht und Gewalt: Einführung in die Philosophie Hannah Arendts. Evangelische Akademie Hofgeismar (Hofgeismarer Protokolle, 258) 1989, S. 7–23
  • Hannah Arendt, in: Karl Graf Ballestrem und Henning Ottmann (Hrsg.): Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts. Oldenburg, München 1990, S. 13–32
  • Max Weber: Sozialwissenschaft zwischen Staatsrechtslehre und Kulturkritik, in: "PVS. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für politische Wissenschaft" (Universität Osnabrück), 1, 1990
  • Hannah Arendts "Kritik der politischen Urteilskraft", in Peter Kemper, Hg.: Die Zukunft des Politischen. Ausblicke auf H. A. Fischer, Frankfurt 1993, S. 34–54
  • Fragmente der Erfahrung des Politischen. Rezension über Hannah Arendt, "Was ist Politik?", in Politisches Denken: Jahrbuch 1993 S. 185–188
  • Hannah Arendt bei den Linken, in Neue Politische Literatur 38, 1993, S. 361–372
  • Revolution und Konstitution als republikanische Grundmotive bei Hannah Arendt, in Bernward Baule (Hrsg.), Hannah Arendt und die Berliner Republik. Fragen an das vereinigte Deutschland, Aufbau, Berlin 1996, S. 130–150
  • Handeln und Urteilen: Zur Problematik von Hannah Arendts Lektüre von Kants "Kritik der Urteilskraft" unter einer politischen Perspektive, in Herfried Münkler, Hg., Bürgerreligion und Bürgertugend: Debatten über die vorpolitischen Grundlagen politischer Ordnung. Nomos, Baden-Baden 1996, S. 228–249
  • Hannah Arendt: A German-American Jewess Views the United States and Looks back to Germany, in Peter Graf Kielmansegg et al. (eds.), Hannah Arendt and Leo Strauss: German Emigrés and American Political Thought after World War II, Cambridge University Press 1997, S. 45–60
  • Hannah Arendt und Martin Heidegger, erneut betrachtet, in: Andreas Großmann (Hrsg.): Metaphysik der praktischen Welt. Perspektiven im Anschluß an Hegel und Heidegger. Festgabe für Otto Pöggeler. Rodopi, Amsterdam 2000, S. 192–210
  • Vom ‚radikal Bösen’ zur ‚Banalität des Bösen': Überlegungen zu einem Gedankengang von Hannah Arendt, in: Festschrift zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken 2001 an E. V. & Daniel Cohn-Bendit, Beilage zu Kommune 6, 2002, S. 3–9 Volltext nur Vollrath (Memento vom 22. März 2005 im Internet Archive)[8]
  • Was ist das Politische? Eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung, Königshausen & Neumann, Würzburg 2003

Literatur

  • Festschrift zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken 2001, veröffentlicht als Beilage zur Zeitschrift Kommune, hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin / Bremen, Heft 6/2002; zur Begründung der Preisverleihung: Antonia Grunenberg (S. XXI-XXIV); Laudatio: Brigitte Sauzay (S. XXV-XXVIII).
  • Patrick Krause: Das Schönste von der Welt: Zum Tod des Philosophen Ernst Vollrath, in: Süddeutsche Zeitung, 11. Februar 2003, S. 13.
  • H.- G. Schmitz: Zum Tode von Ernst Vollrath, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2004. ISBN 978-3-428-11732-1
  • Klaus Hartmann: Die Republik des Handelns. Zu Ernst Vollraths Politischer Philosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 91 (1994) 139–151.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Was ist das Politische? Eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung. Würzburg 2003
  2. http://www.philosophie.uni-koeln.de/sites/philo-sem/Personen/Emeriti/Kurzbiographie-Vollrath.pdf
  3. http://www.philosophie.uni-koeln.de/sites/philo-sem/Personen/Emeriti/Kurzbiographie-Vollrath.pdf
  4. http://www.philosophie.uni-koeln.de/sites/philo-sem/Personen/Emeriti/Kurzbiographie-Vollrath.pdf
  5. Kopie des Briefwechsels im Hannah Arendt-Zentrum der Universität Oldenburg vorhanden.
  6. Adelbert Reif (Hrsg.): Hannah Arendt. Materialien zu ihrem Werk, darin: Hannah Arendt über Meinung und Urteilskraft. Wien 1979
  7. Antonia Grunenberg Antonia Grunenberg (Memento vom 29. Januar 2004 im Internet Archive) Antonia Grunenberg: Ernst Vollrath - Denkwege und Aufbrüche. Rede zur Verleihung des Hannah-Arendt-Preises 2001
  8. auf den Online-Seiten der Zs. gibt es unter dem irreführenden Titel "Dokumentation", der mitsamt der Einleitung den Eindruck erweckt, alle Beiträge bei der Verleihung wiederzugeben, einzig die Rede des C.-B., die aktuell die Bombardierung und Zerlegung Jugoslawiens rechtfertigt und dafür den Namen Arendts gebraucht