Europäische Migrationspolitik
Die europäische Migrationspolitik sind die mehr oder minder koordinierten demokratischen Entscheidungsprozesse und Handlungen der europäischen Länder bei Migration, Asylverfahren und Ursachenbekämpfung.
Entwicklung
Die Länder Europas waren häufig Ziel einwandernder Menschen sowohl aus anderen Ländern in Europa wie auch aus anderen Ländern. Mit den vielen Kriegen im Nahen Osten, Fernen Osten, Afrika und anderen Ländern nahm die Zahl der in Europäische Länder flüchtenden Menschen ab 2012 stark zu. Im Jahr 2015 waren auch weltweit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Gewalt, Diktatur, Terror, Krieg und Armut. Dies war die höchste Zahl seit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945.
Die Migrationspolitik der EU
Mit der Gründung der Europäischen Union wurde die Migrationspolitik in Europa auch zu einem Politikfeld der Gemeinschaft. Sie spielt eine immer größere Rolle in den politischen Feldern Integration, Migration und Asylrecht in einem Europa ohne Binnengrenzen. So hat die supranationale EU verschiedene Richtlinien erlassen, vor allem im Bereich der Asylpolitik, die die Mitgliedstaaten verpflichtend in nationales Recht umsetzen müssen. Der Einfluss der Europäischen Union wurde beispielhaft am Antidiskriminierungsgesetz deutlich, das auf EU-Vorgaben beruht.
Petra Bendel unterscheidet bei der europäischen Migrations- und Asylpolitik drei Phasen:[1]
- 1957–1990: koordinierte Politik der EU-Staaten
- 1990–1999: verstärkte Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten
- 1999–heute: Gemeinsame Migrationspolitik
Kooperation der Einzelstaaten
Von 1990 bis 1999 stiegen die Asylantragszahlen und einige europäische Staaten einigten sich auf Kooperation und die Verteilung der Asylbewerber. Es kam zu folgenden Abkommen:
- Schengener Durchführungsübereinkommen
- Dubliner Übereinkommen 1997
- Der Vertrag von Maastricht ist seit 1993 gültig und definiert Asylpolitik als Aufgabe von gemeinsamem Interesse und damit als Gemeinschaftsaufgabe.
Gesetzgebende Strukturen
Im Zuge dieser Vergemeinschaftung von Asylpolitik, Einwanderungspolitik und Flüchtlingspolitik verabschiedete nun die supranationale Behörde entsprechende gemeinsame und von den Mitgliedstaaten verbindlich umzusetzende Richtlinien. Damit einher ging die Ausstattung des Europäischen Parlaments mit mehr gesetzgeberischer Macht. Die Europäische Kommission kann Gesetzesvorhaben von höherer Bedeutung anstoßen. Diese bedürfen wiederum der Zustimmung des Rates der Europäischen Union (siehe auch Richtlinie (EU), Verordnung (EU), Rechtsetzung der Europäischen Union).
Politische Entwicklung
Bis 1990 verfügte die EU über keinerlei migrationspolitischen Kompetenzen. Jeder Staat regelte seine Belange selbst und es gab nur in Bereichen wie Kriminalitätsbekämpfung erste gemeinsame Absprachen. 1989 war die Mauer gefallen und der 'eiserne Vorhang' hatte sich geöffnet; deshalb gewann 1990 die europäische Migrationspolitik an Gewicht. Der seit 1999 gültige Vertrag von Amsterdam verlagert die Kompetenzen der einzelnen Mitgliedsstaaten zu Migration und Asyl nach Brüssel.
Zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) siehe auch: Asylpolitik der Europäischen Union#1999 bis heute; zur gemeinsamen Politik zur Migration in Verbindung mit anderen Bereichen siehe auch: Haager Programm (2005–2010) und Stockholmer Programm (2010–2014).
Europäische Migrationsagenda
Am 13. Mai 2015 wurde die Europäische Migrationsagenda vereinbart.[2] Die Agenda sieht vier Handlungsschwerpunkte vor:
- Anreize für irreguläre Migration reduzieren: Ursachen für irreguläre Migration und Vertreibung in Drittländern angehen, kriminelle Schleuser- und Menschenhändlernetze bekämpfen, Rückkehr/Rückführung;
- Grenzmanagement: Menschenleben retten und Außengrenzen sichern;
- Europas Schutzauftrag: eine starke gemeinsame Asylpolitik;
- Eine neue Politik für legale Migration: gut gesteuerte reguläre Migration und Visumpolitik, wirksame Integration, Maximierung der Entwicklungsvorteile in den Herkunftsländern.
Vier Jahre später wurde eine Zwischenbilanz gezogen.[3] Die Europäische Kommission resümierte, angesichts einer instabilen Situation sei eine Konsolidierung des Fortschritts erforderlich.[4]
Europäische Debatte um Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen
Um die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge und eine gegebenenfalls einzuführende Umverteilung von Flüchtlingen in Europa gab es 2015 immer wieder Streit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, da vor allem Staaten in Osteuropa sich bislang geweigert haben, mehr Flüchtlinge aufzunehmen beziehungsweise einer Flüchtlingsquote zuzustimmen. Die EU-Kommission untersuchte bereits 2010 in einer Studie die politischen, finanziellen, rechtlichen und praktischen Möglichkeiten einer Neuverteilung der Asylsuchenden zwischen den europäischen Ländern.[5]
Migration und der Brexit
Migration und Fachkräftebedarf
Angesichts eines Fachkräftemangels einerseits und einer hihen Zahl von Geflüchteten aus der Ukraine andererseits machte die Europäische Kommission den Vorschlag, die Richtlinie 2011/98/EU betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen und die Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie) zu überarbeiten. Durch die Änderungen sollen u. a. Bewerbungen aus dem Ausland erleichtert werden, und legal beschäftigte ausländische Arbeitskräfte sollen den Arbeitgeber wechseln dürfen und auch bei vorübergehender Arbeitslosigkeit nicht sofort ihre Arbeitserlaubnis verlieren. Für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sollen Aufenthalte in unterschiedlichen Mitgliedstaaten zusammengerechnet werden können. Außerdem kündigte die EU-Kommission die Einführung eines EU-Fachkräftepools („EU-Talentpool“) an; dieser Fachkräftepool soll angesichts der Situation in der Ukraine bereits im Sommer 2022 als Pilotprojekt vorliegen.[6][7]
Integrations- und Inklusionspolitik
Die Integration von Zugewanderten, allgemeiner die Integration und Inklusion, wird durch die Europäische Union unterstützt. Maßnahmen in diesem Bereich werden von der Europäischen Kommission ebenso wie von einzelne Programmen der Mitgliedstaaten gefördert. Hierbei kommen mehrere EU-Fonds (AMIF, ESF, EFRE und Erasmus+) zum Einsatz.[8] Mit ihrem Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021–2027 hat die Europäischen Kommission einen Rahmen für eine EU-weite Stärkung und Intensivierung der Integrations- und Inklusionspolitik vorgegeben.[9]
Moving Cities
Über 700 europäische Städte (Stand 2021) versuchen, die regressive Politik der Nationalstaaten und der EU zu verändern und arbeiten mit Hilfe der Zivilgesellschaft an der Verbesserung ihrer lokalen Migrationspolitik.[10]
Einzelnachweise
- ↑ Petra Bendel und Marianne Haase: Wann war das? Geschichte der europäischen Migrationspolitik bis heute. Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung. 29. Januar 2008 (HTML [abgerufen am 12. September 2010]).
- ↑ Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Die Europäische Migrationsagenda, COM(2015) 240 final, 13. Mai 2015.
- ↑ Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat. Fortschrittsbericht über die Umsetzung der Europäischen Migrationsagenda, COM(2019) 481 final, 16. Oktober 2019.
- ↑ Zwischenbilanz der Europäischen Migrationsagenda nach vier Jahren: instabile Situation erfordert Konsolidierung des Fortschritts. In: ec.europa.eu. Europäische Kommission, 16. Oktober 2019, abgerufen am 19. Juli 2021.
- ↑ Study on the Feasibility of Establishing a Mechanism for the Relocation of Beneficiaries of International Protection. Europäische Kommission, Juli 2010, abgerufen am 28. November 2018 (englisch).
- ↑ Legal migration: Attracting skills and talent to the EU. In: ec.europa.eu. Europäische Kommission, 27. April 2022, abgerufen am 17. Juni 2022 (englisch).
- ↑ Fragen und Antworten – Anwerbung qualifizierter und talentierter Fachkräfte aus Drittländern. In: ec.europa.eu. Europäische Kommission, 27. April 2022, abgerufen am 17. Juni 2022.
- ↑ Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021–2027. In: COM(2020) 758 final. Europäische Kommission, 24. November 2020, abgerufen am 8. August 2022. S. 20.
- ↑ Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan für Integration und Inklusion 2021–2027. In: COM(2020) 758 final. Europäische Kommission, 24. November 2020, abgerufen am 8. August 2022. S. 28.
- ↑ Moving Cities. Eine andere Migrationspolitik ist möglich