Evangelische Brüdergemeinde Korntal

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Evangelische Brüdergemeinde Korntal
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Rechtsform KdöR
Gründung 10. November 1819
Sitz Korntal-Münchingen, Deutschland
Motto Gemeinde auf dem Weg – Das sind wir – das wollen wir
Schwerpunkt Gemeindearbeit und Diakonie
Aktionsraum Baden-Württemberg
Vorsitz Dieter Weißer (Vorsteher), Jochen Hägele (Geistlicher Vorsteher)
Website www.bruedergemeinde-korntal.de

Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal ist eine selbständige christliche Gemeinde, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Kooperation mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg seit 1819 in Korntal bei Stuttgart besteht. Zur Gemeinde gehören mehrere diakonische Einrichtungen sowie Wirtschaftsbetriebe.[1]

Geschichte

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Großer Betsaal, Gotteshaus der Brüdergemeinde
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Der Saalgarten hinter dem Großen Betsaal

Um 1800 gerieten pietistisch geprägte Christen durch die in die Kirche hineinwirkende Aufklärung in schwere Gewissensnöte. Herzog Friedrich II. von Württemberg setzte die neue Richtung in der Kirche mit allen Mitteln durch: Gesangbuch und kirchliche Ordnungen für Taufe und Abendmahl wurden den Gedanken der Aufklärung entsprechend abgeändert. Landesbürger evangelischer Konfession wurden auch mit Geld- und Körperstrafen gezwungen, die neuen Ordnungen anzunehmen. Beamte und Pfarrer, die sich nicht scharf genug für die neuen Ordnungen einsetzten, erfuhren „allerhöchste Missbilligung“ oder wurden abgesetzt. Als in den Hungerjahren 1816/17 eine riesige Auswanderungswelle einsetzte, verließen auch zahlreiche Pietisten das Land. In dieser Situation reichte der Leonberger Notar und Bürgermeister Gottlieb Wilhelm Hoffmann am 28. Februar 1817 eine Eingabe ein, in der er dem König die Bitte unterbreitete, die Auswanderung der Pietisten durch Gründung unabhängiger religiöser Gemeinden innerhalb der Grenzen des Landes einzudämmen.[2]

Nach vielen Verhandlungen entsprach König Wilhelm I. von Württemberg am 1. Oktober 1818 dem Vorschlag Hoffmanns.[3] Am 10. November 1819 unterzeichnete er die Fundationsurkunde für die Bildung einer Brüdergemeinde auf der Markung Korntal.[4] Inhalt dieser Urkunde war die Erlaubnis, dass sich in der neuen Gemeinde Familien aus Württemberg niederlassen könnten, die in ihrer Religionsausübung frei sein sollten. Grundlage ihrer religiösen Überzeugung sollte das Augsburger Bekenntnis sein. Im Laufe des Jahres 1819 zogen 68 Familien nach Korntal. Gottlieb Wilhelm Hoffmann gab seine Ämter in Leonberg auf und wurde Vorsteher der Korntaler Gemeinde. Sein Anliegen war der Aufbau einer Gemeinde nach dem Vorbild der neutestamentlichen Gemeinden.

Nach Korntal zuziehen konnten zunächst nur Mitglieder der Brüdergemeinde. Mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 wurden die Korntaler Sonderrechte zum Großteil aufgehoben. Das hatte zur Folge, dass auch Nichtmitglieder der Brüdergemeinde zuziehen durften. So entwickelte sich neben der Brüdergemeinde stetig eine kleine landeskirchliche evangelische Gemeinde, die aber zunächst von der Nachbarkirchengemeinde Weilimdorf betreut wurde. Die Gründung einer eigenen landeskirchlichen Kirchengemeinde führte erst in den 1950er Jahren zum Erfolg. Am 23. März 1955 wurde die Evangelische Kirchengemeinde Korntal gegründet, die heute zum Kirchenbezirk Ditzingen gehört. Seit 1955 bestehen somit in Korntal zwei eigenständige kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts nebeneinander. Die landeskirchliche evangelische Kirchengemeinde erbaute sich 1958 bis 1959 die heutige Christuskirche.

Unter der Leitung ihres damaligen Geistlichen Vorstehers Fritz Grünzweig wurde die Verbindung der Brüdergemeinde zur württembergischen Landeskirche durch einen am 19. November 1956 geschlossenen Vertrag neu geregelt.[5] Dieser Vertrag sieht vor, dass die Mitglieder der Brüdergemeinde zugleich Mitglieder der Landeskirche sind und sich an der Synodalwahl beteiligen können. Wenn sie in Korntal wohnen, zahlen sie aber keine Kirchensteuer, sondern einen Beitrag direkt an die Gemeinde.[6]

Die Gemeinde hat über 1.500 Mitglieder, zu der mehrere diakonische Einrichtungen sowie Wirtschaftsbetriebe mit über 500 Angestellten gehören. Vorsteher der Gemeinde war ab 1991 Dieter Messner (1947–2016) und ab November 2011 Klaus Andersen.[1][7] Im November 2021 folgte ihm Dieter Weißer in diesem Ehrenamt.[8] Geistlicher Vorsteher ist Pfarrer Jochen Hägele.

Gemeindeordnung

Die Grundordnung von 1819 formuliert: „Es ist das Bestreben der Brüdergemeinde, eine brüderliche und tätige Gemeinschaft zu sein, die der Urgemeinde möglichst ähnlich ist, zu einer persönlichen Entscheidung für Christus ruft, das Priestertum aller Gläubigen verwirklicht, die anvertrauten Werke der Liebe verwaltet und fördert und für den wiederkommenden Herrn bereit ist. Sie weiß sich mit allen im Glauben verbunden, die sich zu Jesus Christus als ihrem Herrn bekennen.“

Das Gemeindeleben wird von folgenden Grundgedanken geprägt:

  • die Notwendigkeit einer persönlichen Hinwendung zu Jesus Christus
  • die Bedeutung des geistlichen Wachstums in der Nachfolge Jesu, welches durch die Beschäftigung mit der Bibel, die Gemeinschaft der Gemeindegliedern im Abendmahl und Gebet gefördert wird
  • die durch Jesus Christus geschaffene Gemeinschaft mit einem geistlichen Klima der Offenheit und des Vertrauens
  • die seelsorgerliche Verantwortung füreinander, die in gegenseitiger Ermutigung und Ermahnung durch Gottes Wort sichtbar wird
  • der evangelistische und diakonische Lebensstil, durch den andere Menschen ganzheitlich von Jesus Christus und seiner Botschaft erfahren
  • die biblisch begründete Hoffnung auf das ewige Leben und die Wiederkunft Jesu Christi
  • die heilsgeschichtliche Bedeutung des Volkes Israel in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
  • die Form eines gemeinschaftsorientierten Gottesdienstes, in dem die Vielfalt der Gaben in der Einheit zum Ausdruck kommt
  • die Glaubenstaufe oder Säuglingstaufe, der Glaubens- oder Konfirmandenunterricht
  • die Abendmahls-, die Begräbnis- und Auferstehungsfeiern nach den besonderen Gemeindeformen

Einrichtungen

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Das Hoffmannhaus
Die Johannes-Kullen-Schule
Das Flattichhaus

Gemeindearbeit

Die Gemeinde wird vom Brüdergemeinderat geleitet. Ihm gehören Männer und Frauen an. Neben musikalischen Veranstaltungen bestehen etwa 40 Hauskreise.

Diakonische Einrichtungen

Zur Verbesserung der finanziellen Situation wurden eine Reihe von diakonischen Einrichtungen gegründet:

  • 1819 wurde das Knabeninstitut (Höhere Schule und Heim) eingerichtet und 1821 eine ebensolche Einrichtung für Mädchen. Die Schulen wurden nach 1871 in staatliche Hände übergeben und die Heime aufgegeben.
  • Kindergärten: Kindergarten Gartenstraße; Wilhelm-Götz-Kindergarten
  • 1822/23 entstand das Hoffmannhaus Korntal auf persönliche Initiative Hoffmanns
  • 1827 wurde das „Kleinkinderheim“ Flattichhaus für die noch nicht schulpflichtigen Kinder eingerichtet.
  • Hoffmannhaus Wilhelmsdorf
  • Johannes-Kullen-Schule
  • Familienzentrum
  • 1831 entstand in Korntal ein Witwenhaus, welches später in das Altenzentrum der Brüdergemeinde überging.

Gottlieb-Wilhelm-Hoffmann-Werk

In diesem Bereich werden die mehr wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe der Gemeinde zusammengefasst. Diese sind:

  • Landschloss Korntal
  • Israelladen
  • Gemeindegalerie

Orientierungsjahr

Für junge Menschen in der Berufsfindungsphase wurde ein Orientierungsjahr als eine 10-monatige Begleitung eingerichtet, die biblischen Unterricht, Betriebspraktika, Gemeindemitarbeit und evangelistischen Einsätzen innerhalb Deutschlands als auch im Ausland umfasst.[9]

Tochtergemeinde Wilhelmsdorf

Der König wollte die Ausbreitung der Gemeinde nur dann erlauben, wenn ein nationaler Zweck damit verbunden war. So entstand 1826 in Wilhelmsdorf ein landwirtschaftliches Großprojekt mit einer lebendigen Zweiggemeinde.

Stiftung

Unter Thomas Woschnitzok, der von 2012 bis 2014 Geschäftsführer der Evangelischen Brüdergemeinde war, wurde 2015 die Stiftung „Zukunft und Leben“ gegründet, deren Führung er übernahm. Die Stiftung soll die Einrichtungen der Diakonie der Brüdergemeinde unterstützen sowie eigene Projekte verfolgen.[10]

Missbrauchsfälle in den Kinderheimen der Brüdergemeinde Korntal

In den drei Kinderheimen und der Johannes Kullen-Schule in Korntal in Trägerschaft der Diakonie der Brüdergemeinde Korntal hat es laut Aussagen von rund 170 ehemaligen Heimkindern in den 1950er bis weit in die 2000er Jahre Misshandlungen in Form von Prügel, psychischer Gewalt sowie sexuellem Missbrauch gegeben.[11]

Nachdem Detlev Zander, ein ehemaliges Heimkind, die Vorwürfe 2014 öffentlich machte, wurden nach einem zuvor gescheiterten Versuch[12] im März 2017 die ehemalige Frankfurter Jugendrichterin Brigitte Baums-Stammberger und der Marburger Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger mit der Aufklärung der Vorwürfe beauftragt.[13] 2018 wurde bestätigt, dass es in den Kinderheimen der Brüdergemeinde Korntal und Wilhelmsdorf bis in die späten 2000er Jahre zu sexuellen Missbrauchsfällen an Kindern und Jugendlichen kam. Die Gemeinde zahlt Betroffenen, die sich bis Juni 2020 meldeten, bis zu 20.000 € Entschädigung.[14]

Periodika

  • AKZENTE, das lebenspraktische Magazin für Mensch und Familie. Erscheinungsweise: halbjährlich, bis einschließlich 2018.[15]
  • Freundesbrief Diakonie Korntal. Erscheinungsweise: alle 4 Monate.[16]

Literatur

  • Sixt Karl Kapff: Die württembergischen Gemeinden Kornthal und Wilhelmsdorf, Stuttgart 1839.
  • Johannes Hesse: Korntal einst und jetzt, Verlag D. Gundert, Stuttgart 1910.
  • Fritz Grünzweig: Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal: Weg, Wesen und Werk, Ernst Franz Verlag, Metzingen 1957.
  • Walter Roth: Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal. Ein Gemeindemodell des Pietismus in Württemberg. Idee, Geschichte, Wirklichkeit. Neuhausen/Stuttgart 1994
  • Rolf Scheffbuch: Das Gute behaltet – Aus den Anfängen Korntals. Eigenverlag, 2001
  • Renate Föll: Sehnsucht nach Jerusalem. Zur Ostwanderung schwäbischer Pietisten. Tübingen 2002
  • Rolf Scheffbuch: Nicht aus eigener Kraft – Aus den Anfängen Korntals. Eigenverlag, 2003
  • Eckart zur Nieden: Das Uhrwerk des Meisters. Korntal: eine Geschichte von Aufbruch, Abenteuer und Hoffnung. Brunnen, Gießen 2012, ISBN 978-3-7655-1198-1.
  • Rolf Scheffbuch und Andy Messner (Hrsg.): Menschen, die Ungewohntes wagten. Aus der geistlichen Geschichte Korntals. SCM Hänssler, 2018, ISBN 978-3-7751-5884-8.
  • Brigitte Baums-Stammberger/Benno Hafeneger/Andre Morgenstern-Einenkel: "Uns wurde die Würde genommen". Gewalt in den Heimen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal in den 1950er bis 1980er Jahren, Budrich, Opladen 2019, ISBN 978-3-86388-810-7.
  • Walter Link: Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal – 200 Jahre Impulse für Kirche und Gesellschaft, Brüdergemeinde Korntal 2019.
  • Albrecht Rittmann: Vor 200 Jahren: Die Gründung der Brüdergemeinde Korntal. In: Schwäbische Heimat, 70. Jg. 2010, Heft 1, S. 18–27 (online)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Was für Gemeindeleiter wichtig ist: Liebe, Versöhnung, Erneuerung und Mission (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), bruedergemeinde-korntal.de, Meldung vom 8. November 2011.
  2. Vgl. Gottlieb Wilhelm Hoffmann: Geschichte und Veranlassung zu der Bitte des Königlichen Notars und Burgermeisters Gottlieb Wilhelm Hoffmanns zu Leonberg, um Erlaubnis zu Gründung und Anlegung Religiöser Gemeinden unabhängig vom Consistorium, mit denen, darauf erfolgten Resolutionen, - dem Plan zur Einrichtung - und dem Glaubensbekenntniß dieser Gemeinden, o. O. 1818, S. 3–6.
  3. Vgl. Gottlieb Wilhelm Hoffmann: Geschichte und Veranlassung zu der Bitte des Königlichen Notars und Burgermeisters Gottlieb Wilhelm Hoffmanns zu Leonberg, um Erlaubnis zu Gründung und Anlegung Religiöser Gemeinden unabhängig vom Consistorium, mit denen, darauf erfolgten Resolutionen, - dem Plan zur Einrichtung - und dem Glaubensbekenntniß dieser Gemeinden, o. O. 1818, S. 95f.
  4. Bibeltreu und evangelikal: Die Evangelische Brüdergemeinde Korntal (bei Stuttgart) hat 2019 ihr 200-jähriges Bestehen gefeiert, idea.de, Artikel vom 12. Dezember 2019.
  5. Traugott Abele: Die Entstehung der Evang. Kirchengemeinde Korntal. In: Kirchengemeinderat der Evangelischen Kirchengemeinde Korntal (Hrsg.): 50 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Korntal, 1955 bis 2005 – Festschrift zum Jubiläum. Korntal 2005, S. 11–29, hier S. 25 (Digitalisat).
  6. Fritz Grünzweig: Vermittler zwischen Kirche und Pietismus, idea.de, Meldung vom 6. November 2014.
  7. Der Vorsteher einer ungewöhnlichen Gemeinde ist gestorben, idea.de, Meldung vom 28. Juni 2016.
  8. Brüdergemeinde Korntal hat einen neuen weltlichen Vorsteheridea.de, Meldung vom 22. November 2021.
  9. Orientierungsjahr: Schwerpunkte, orientierungsjahr.de, abgerufen am 17. April 2021.
  10. Thomas Woschnitzok wird Geschäftsführer der Stiftung „Zukunft und Leben“@1@2Vorlage:Toter Link/diakonie-korntal.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Gemeindebrief 4/2014, S. 19.
  11. Südwestrundfunk Landesschau AKTUELL: Missbrauchsvorwürfe gegen Brüdergemeinde Korntal – Immer mehr Opfer melden sich, Stand: 15. Dezember 2014, abgerufen am 18. Mai 2015.
  12. Franziska Kleiner: Missbrauchsskandal: Mechthild Wolff wirft in Korntal hin. In: stuttgarter-zeitung.de. (stuttgarter-zeitung.de [abgerufen am 21. Februar 2018]).
  13. Missbrauchsfälle Korntal: Brüdergemeinde stellt Aufklärer-Duo vor | Stuttgart | Baden-Württemberg | SWR Aktuell. In: swr.online. (swr.de [abgerufen am 21. Februar 2018]).
  14. Kindheit im Risikoraum. In: sueddeutsche.de. 8. Juni 2018, abgerufen am 15. Juni 2018.
  15. AKZENTE, das Magazin der Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal
  16. Freundesbrief