Evelyn Boyd Granville
Evelyn Boyd Granville (geb. 1. Mai 1924 in Washington, D.C.) war eine US-amerikanische Mathematikerin und Informatikerin. Sie war die zweite afroamerikanische Frau, die von einer US-amerikanischen Universität einen Doktortitel in Mathematik erhielt.[1] Diesen erwarb sie im Jahre 1949 von der Yale University. Zuvor hatte sie das Smith College besucht.[2][3][4] Sie leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der Datenverarbeitung.[5][6][7][8][9][10][11][12]
Leben und Karriere
Evelyn Boyd wurde in Washington, D.C. geboren; ihr Vater arbeitete wegen der Weltwirtschaftskrise in Gelegenheitsjobs und verließ ihre Mutter, als Boyd noch klein war. Boyd und ihre ältere Schwester wurden von ihrer Mutter und ihrer Tante erzogen, die beide im Bureau of Engraving and Printing arbeiteten. Sie war Abschiedsrednerin (engl. valedictorian) an der Dunbar High School, die zu dieser Zeit eine segregierte, aber akademisch wettbewerbsfähige Schule für schwarze Schüler in Washington war.[2][3]
Mit finanzieller Unterstützung ihrer Tante und einem kleinen Teilstipendium von Phi Delta Kappa trat Boyd im Herbst 1941 in das Smith College ein. Sie studierte Mathematik und Physik, interessierte sich aber auch sehr für Astronomie. Sie wurde zur „Phi Beta Kappa“ und zur „Sigma Xi“ gewählt und schloss 1945 ihr Studium mit Auszeichnung ab. Ermutigt durch ein Stipendium der Smith Student Aid Society des Smith College, bewarb sie sich für Studiengänge in Mathematik und wurde sowohl von der Yale University als auch von der University of Michigan angenommen. Aufgrund der angebotenen finanziellen Unterstützung entschied sie sich für Yale. Dort studierte sie unter Einar Hille Funktionalanalysis und promovierte 1949. Ihre Dissertation trägt den Titel "On Laguerre Series in the Complex Domain".[2][3][13]
Nach ihrem Abschluss besuchte Boyd das New York University Institute for Mathematics und forschte und lehrte dort.[14] Danach trat sie im Jahr 1950 eine Stelle in der Lehre an der Fisk University an, einem College für schwarze Studenten in Nashville. Zu dieser Zeit waren prestigeträchtigere Stellen für schwarze Frauen nicht verfügbar. Zwei ihrer dortigen Studentinnen, Vivienne Malone-Mayes und Etta Zuber Falconer, promovierten im Fach Mathematik. 1952 verließ sie die akademische Welt und kehrte mit einer Stelle bei den Diamond Ordnance Fuze Laboratories (später: Harry Diamond Laboratories) nach Washington zurück. Im Januar 1956 wechselte sie als Computerprogrammiererin zu IBM. Als IBM einen NASA-Vertrag erhielt, wechselte sie zum Vanguard Computing Center in Washington, D.C.[11]
Nach drei Jahren in New York City zog Boyd im Jahre 1960, nach der Heirat mit Reverend G. Mansfield Collins, nach Los Angeles. Dort arbeitete sie für die US-amerikanischen Space Technology Laboratories, aus denen 1962 die North American Aviation Space and Information Systems Division hervorging. Sie arbeitete an verschiedenen Projekten für das Apollo-Programm, darunter Himmelsmechanik, Flugbahnberechnung und „digitale Computertechniken“.[15]
Aufgrund einer Umstrukturierung bei IBM[3] musste sie ihre dortige Stelle verlassen und trat 1967 eine Stelle als ordentliche Professorin für Mathematik an der California State University, Los Angeles (CSULA) an.[11] Nach ihrem Rücktritt von der CSULA im Jahr 1984 unterrichtete sie vier Jahre am Texas College in Tyler (Texas), und wechselte dann 1990 als Sam A. Lindsey-Professorin für Mathematik an die Fakultät der University of Texas at Tyler. Dort entwickelte sie Programme zur Bereicherung der Grundschulmathematik. Seit 1967 ist Granville eine starke Fürsprecherin der technischen Ausbildung von Frauen.[2][3]
Erfahrungen mit Diskriminierung
1951 wurde Granville und zwei afroamerikanischen Kollegen der Zutritt zu einem Regionaltreffen der Mathematical Association of America (MAA) verweigert, weil es in einem Hotel „nur für Weiße“ stattfand. Die MAA und die American Mathematical Society (AMS) änderten daraufhin unter dem Druck von Lee Lorch ihre Praktiken, um ihre Inklusivität zu verbessern.[16]
Persönliches Leben
Boyd heiratete 1960 Reverend Gamaliel Mansfield Collins. 1967 ließen sich Boyd und Collins scheiden. Im Jahre 1970 heiratete sie den Makler Edward V. Granville.[2][3][11] Die beiden zogen 1984 nach Tyler, Texas.[17]
Auszeichnungen und Ehrungen
- Im Jahre 1989 wurde ihr vom Smith College die Ehrendoktorwürde verliehen, die damit erstmals von einer amerikanischen Institution an eine afroamerikanische Mathematikerin verliehen wurde.[3][18][19]
- 1990–1991 wurde sie an den Sam A. Lindsey-Lehrstuhl der University of Texas in Tyler berufen.[20]
- Im Jahr 1998 wurde Granville von der National Academy of Engineering geehrt.[21]
- 1999 wurde sie von der National Academy of Sciences in die Portrait Collection of African-Americans in Science aufgenommen.[22]
- Im Jahr 2000 erhielt sie die Wilbur Cross Medal, die höchste Auszeichnung der Yale Graduate School Alumni Association.[23]
- 2001 wurde sie zitiert vom Senat von Virginia in der Joiont Resolution Nr. 377, Designating February 25 as „African-American Scientist and Inventor Day“, womit der 25. Februar zum „Tag der afroamerikanischen Wissenschaftler und Erfinder“ gemacht wurde.[24]
- Im Jahr 2006 erhielt sie einen Ehrentitel vom Spelman College.[25]
- 2016 wurde sie von der „Mount Codemore“-Initiative des Technologieunternehmens New Relic als eine der „vier Giganten der weiblichen Beiträge zu Wissenschaft und Technologie“ bezeichnet.[26]
Einzelnachweise
- ↑ 10 Famous Women in Tech History. In: Dice Insights. 14. März 2016, abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ a b c d e John J. O’Connor, Edmund F. Robertson: Evelyn Boyd Granville. In:
- ↑ a b c d e f g Scott W. Williams: Black Women in Mathematics: Evelyn Boyd Granville. In: Mathematics Department, State University of New York at Buffalo. Abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ Neil Schlager, Josh Lauer: Science and Its Times: Understanding the Social Significance of Scientific Discovery. Hrsg.: Gale Group. 2001, ISBN 978-0-7876-3933-4, Evelyn Boyd Granville (highbeam.com). Science and Its Times: Understanding the Social Significance of Scientific Discovery (Memento des Originals vom 18. Oktober 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Robert A. Nowlan: Masters of Mathematics: The Problems They Solved, Why These Are Important, and What You Should Know about Them. Hrsg.: Springer. 2017, ISBN 978-94-6300-893-8, S. 453 (google.de): „Granville [contributed] her expertise in the field of computer science during its pioneer years.“
- ↑ Marshall Cavendish (Hrsg.): Inventors and Inventions, Volume 2. 2008, ISBN 978-0-7614-7764-8, S. 343 (google.de): „During the 1960s, perhaps the greatest achievement in computing was guiding Apollo space rockets to the moon. Some of the important Apollo programs were written by Elizabeth Boyd Granville (1924-).“
- ↑ Smith E-News 2006. In: Smith College. 2006, abgerufen am 2. August 2019: „[Granville has] long been a pioneer in applied mathematics and computer technology, having joined the staff of IBM in 1956 to work on projects for NASA.“
- ↑ James H. Kessler: Distinguished African American Scientists of the 20th Century. Hrsg.: Greenwood Publishing Group. 1996, ISBN 978-0-89774-955-8, S. 130 (google.de): „[At] the Space Technology Laboratories in Los Angeles, [Granville] continued her pioneering work on orbit computations for manned space vehicles.“
- ↑ Annabel Beckenham: A Woman's Place in Cyberspace: critical analysis of discourse, purpose and practice with regard to women and new communication technologies. (Thesis). Hrsg.: University of Canberra. Januar 2001 (edu.au [PDF]): „[The Ada Project,] originally developed at Yale University, is designed to serve as a clearing house for information and resources related to women and computing. Given its aim and its authority, it is telling that the site lists precisely twelve women as 'pioneering women of computing'. They are, in order of appearance; Ada Byron King, Countess of Lovelace (1815–1852), Edith Clarke (1883–1959), Rosa Peter (1905–1977), Grace Murray Hopper (1906–1992), Alexandra Illmer Forsythe (1918–1980), Evelyn Boyd Granville, Margaret R. Fox, Erna Schneider Hoover, Kay McNulty Mauchly Antonelli, Alice Burks, Adele Goldstine, and Joan Margaret Winters.“
- ↑ Newsletter of the Department of Mathematics at the University of Michigan Summer 2001. (PDF) In: University of Michigan. 2001, abgerufen am 2. August 2019: „At IBM, Dr. Granville played an exciting and fundamental role in the dawn of the computer age, especially as it was being applied to celestial mechanics. For example, she was part of the team of scientists responsible for writing the computer programs that tracked the paths of vehicles in space on NASA’s Project Vanguard and Project Mercury.“
- ↑ a b c d Sibrina Collins: African-American Women & the Space Race. 13. Juni 2016, abgerufen am 2. August 2019: „Another groundbreaker is Dr. Evelyn Boyd Granville, a mathematician who worked on orbit computations and computer procedures for three space-related projects — Project Vanguard (originally managed by the Naval Research Laboratory and later transferred to NASA); Project Mercury (the nation’s first effort to put a man in space); and the program that eventually put a man on the moon, Project Apollo.“
- ↑ Mirjana Ivanović, Zoran Putnik, Anja Šišarica, Zoran Budimac: A Note on Performance and Satisfaction of Female Students Studying Computer Science. In: Innovation in Teaching and Learning in Information and Computer Sciences. Band 9, Nr. 1, 2010, S. 32–41, doi:10.11120/ital.2010.09010032: „Another important figure of that time was Evelyn Granville, a pioneer in information technology who began her career in academia, went on to programming challenges at IBM and ultimately worked on the NASA space programme before returning to teach others.“
- ↑ Evelyn Boyd Granville im Mathematics Genealogy Project (englisch)
- ↑ Evelyn Boyd Granville: My Life as a Mathematician. In: Biographies of Women Mathematicians. 1989, abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ Ray Spangenburg, Diane Moser, Douglas Long: African Americans in Science, Math, and Invention. Hrsg.: Infobase Publishing. 2003, ISBN 978-1-4381-0774-5, S. 97 f. (google.de).
- ↑ Media Highlights. In: The College Mathematics Journal. Band 42, Nr. 2, März 2011, S. 163–172, doi:10.4169/college.math.j.42.2.163, JSTOR:10.4169/college.math.j.42.2.163.
- ↑ Granville, Evelyn Boyd (1924- ); The Black Past: Remembered and Reclaimed. In: blackpast.org. Abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ Smith College: Dr. Evelyn Boyd Granville '45 (Memento vom 1. November 2014 im Internet Archive), abgerufen am 2. August 2019
- ↑ Smith History: Honorary Degrees (Memento vom 1. November 2014 im Internet Archive), abgerufen am 2. August 2019
- ↑ Ray Spangenburg, Diane Moser, Douglas Long: African Americans in Science, Math, and Invention. Hrsg.: Infobase Publishing. 2003, ISBN 978-1-4381-0774-5, S. 98 f. (google.de).
- ↑ Academy Honors Three During African American History Month. In: NAE. Abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ New Pittsburgh Courier: Pioneer in science: Evelyn Granville (Memento vom 6. März 2016 im Internet Archive)
- ↑ Yale Bulletin and Calendar – News. In: Archives.news.yale.edu. Abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ 2001 SESSION SENATE JOINT RESOLUTION NO. 377: Designating February 25 as "African-American Scientist and Inventor Day." In: Lis.virginia.gov. Abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ Spelman College: Honorary Degree Recipients, 1977–Present. (PDF) In: Spelman.edu. Abgerufen am 2. August 2019.
- ↑ Robyn Jordan: 'Mount Codemore' Honors Four Women Technology Titans. In: blog.newrelic.com. 26. April 2016, abgerufen am 2. August 2019.
Personendaten | |
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NAME | Granville, Evelyn Boyd |
ALTERNATIVNAMEN | Granville, Evelyn B.; Evelyn Boyd |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanische Mathematikerin und Informatikerin |
GEBURTSDATUM | 1. Mai 1924 |
GEBURTSORT | Washington, D.C. |