Exit-Bag

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Exit-Bag (englisch sinngemäß „Ausstiegs-Beutel“) wird ein Plastikbeutel bezeichnet, der als Hilfsmittel zur Durchführung eines Suizides oder einer Tötung auf Verlangen verwendet wird und in der Regel mit Inertgas gefüllt ist. Der Tod tritt bei korrekter Anwendung in wenigen Minuten schmerzfrei durch eine nicht bewusst wahrnehmbare normobare Hypoxie ein.[1] Dabei wird der Umstand ausgenutzt, dass der Körper bei ausreichender Dimensionierung des Beutels keine lebensbedrohlich erhöhte Konzentration von Kohlenstoffdioxid wahrnimmt und in der Folge kein starker Atemreflex ausgelöst wird.

Anwendungsweise

Schematische Darstellung Exit-Bag

Bei einem Exit-Bag handelt es sich in der Regel um einen luftdichten Plastikbeutel, den der Sterbewillige sich selbst über den Kopf zieht oder gestülpt bekommt. Damit wird die Person von der Umgebungsluft mit ca. 21 % Sauerstoffanteil abgeschnitten und stattdessen einer ausreichend großen Füllmenge Inertgas ausgesetzt. Als Inertgas dient beispielsweise Helium. Das Inertgas kann auch über mehrere Minuten hinweg kontinuierlich eingeleitet werden.[1]

Kommt es in einem zu klein gewählten Plastikbeutel ohne Gasaustausch zu einem Anstieg des ausgeatmeten Kohlenstoffdioxids von über 0,8 % und ist zu diesem Zeitpunkt durch den Sauerstoffmangel noch keine vollständige Bewusstlosigkeit eingetreten, kommt es durch das Kohlenstoffdioxid zu einem sehr starken, nicht unterdrückbaren Atemreflex und Erstickungsgefühl mit schmerzhaftem Todeskampf.[2]

Die Funktion des „Exit-Bags“ wird durch folgende Aspekte gewährleistet:[1]

  1. Verdrängung des Luftsauerstoffes durch ein Inertgas wie Helium aus der Atmung. Für einen schnellen Eintritt der Bewusstlosigkeit muss der Restsauerstoffanteil im Inertgas unter 6 %[3] liegen und der Eintritt von Umgebungsluft mit Sauerstoff unterbunden sein.
  2. Unter dem „Exit-Bag“ darf ausgeatmetes Kohlenstoffdioxid nicht wieder eingeatmet bzw. muss dessen Anteil unter ca. 0,8 % gehalten werden.

Der Grund für die vergleichsweise einfache und schmerzfreie Suizidmethode mittels normobarer Hypoxie liegt darin, dass der menschliche Körper über keine hinreichend schnelle Sensorik im Glomus caroticum zur Erkennung der Unterversorgung mit Sauerstoff verfügt. Das Gefühl von Erstickung tritt bei einem Anstieg des Kohlenstoffdioxidgehalts im Blut auf, nicht durch den Mangel an Sauerstoff. Kann das vom Körper laufend produzierte Kohlenstoffdioxid in einer Inertgasatmosphäre problemlos abgeatmet werden, kommt es zu keinem wahrnehmbaren Erstickungsgefühl. Bei komplett fehlendem Sauerstoff in einem Inertgas wie Helium führt es bei dem Betroffenen innerhalb 15 bis 20 Sekunden zu einer nicht bewusst wahrnehmbaren Hypoxie, die mit einer Bewusstlosigkeit beginnt.[4] Der Tod durch Atemstillstand tritt nach wenigen Minuten ein, wenn das Inertgas keinen nennenswerten Sauerstoffanteil als Fremdgasbestandteil besitzt.

Neben selbst angefertigten Exit-Bags existieren „professionelle“, von Sterbehilfe-Gruppen „sachgerecht“ produzierte und verteilte Modelle. Als Erfinder dieser Art Exit-Bags gilt der australische Arzt Philip Nitschke, der 2001 erstmals den von ihm entwickelten Exit-Bag vorstellte und der als „Aussie Exit Bag“ bezeichnet wird. Dieses „Modell“ wird von Sterbehilfegruppen wie der Right to Die Society of Canada oder der Exit International an Interessierte ausgehändigt. Der wesentliche Unterschied zwischen einem professionell und einem selbst gemachten „Exit-Bag“ besteht in der elastischen Öffnung des Beutels, die ohne zusätzliches Gummiband am Hals nahezu gasdicht abschließt.[5][6]

Politisch-gesellschaftliche Kontroverse

Insbesondere die Vorstellung des Aussie Exit Bag 2001 rief ein breites mediales Echo hervor und führte in zahlreichen Ländern – insbesondere in Australien, Kanada und Großbritannien – zu öffentlichen Debatten um die ethische Zulässigkeit der Herstellung und/oder Anwendung eines solchen Produktes.

So verurteilte die kanadische Zeitschrift Abilities, ein Fachblatt für Behinderte und Invaliden, im Jahr 2002 den Exit-Bag als eine Gefahr für das Leben von pflegebedürftigen Personen:

“The production and distribution of the Exit Bag directly threatens people with disabilities […] who are pressured by 'caregivers' to commit suicide, or killed without their consent, because they are considered a burden.”

„Die Herstellung und Ausgabe von 'Exit Bags' bedroht direkt das Leben von Menschen mit Behinderungen […], die von ihren 'Pflegern' dazu gedrängt werden, Suizid zu begehen, oder ohne ihre Zustimmung getötet werden, weil sie als eine Belastung angesehen werden.“[7]

Peter Beattie, der Premierminister des australischen Territoriums Queensland, verurteilte das Produkt öffentlich, lehnte ein Verbot jedoch als praktisch undurchführbar ab, da man sonst auch andere Alltagsgegenstände wie „Messer, Ziegelsteine oder Rasierklingen“ verbieten müsste, die bei entsprechender Anwendung den Tod herbeiführen könnten. In Irland ist die Verwendung bzw. die Zugänglichmachung von (professionellen) Exit-Bags demgegenüber strafbewehrt. So berichtete die britische Zeitung Guardian 2003 vom Ersuchen der irischen Behörden an die Vereinigten Staaten, einen amerikanischen Staatsbürger an Irland auszuliefern, der einer Irin durch die Beschaffung eines Exit-Bag den Suizid ermöglicht hatte.[8]

Nitschke und andere Sterbehilfe- bzw. Suizid-Befürworter halten dem entgegen, dass der Exit-Bag – gefüllt mit Helium-Gas – eine besonders humane Methode sei, einem Leben ein Ende zu bereiten, da er den betreffenden Personen einen schmerzfreien, „weder brutalen noch traumatischen“ Tod ermögliche. Dies wird bestätigt von den Autoren eines Buchs der Stiftung Wetenschappelijk Onderzoek Zorgvuldige Zelfdoding[9]. Das Einatmen von 100 % Helium in einem abgeschlossenen Raum, zum Beispiel in einem Plastikbeutel, führe zur schnellen Bewusstlosigkeit und zu einem schnellen, schmerzfreien Tod aufgrund von Sauerstoffmangel. Spontane Reflexe in Armen und Beinen würden muskulären Spasmen ähneln und fälschlicherweise als Schmerzen oder als Todeskampf interpretiert.

Einzelnachweise

  1. a b c Jessica Düber: Selbstbestimmt Sterben – Handreichung für einen rationalen Suizid. 2017, ISBN 978-1-5204-8820-2, Kapitel 4.: Verwendung von inerten Gasen in Kombination mit einem Exit-Bag, S. 57 bis 79.
  2. Hazards of inert gases and oxygen depletion. European Industrial Gases Association AISBL, 2009, abgerufen am 21. Juli 2018.
  3. Inertgase. Abgerufen am 20. Januar 2022.
  4. Cryogenic materials – The risks posed by using them. University of Bath, Department of Biology & Biochemistry, 6. Februar 2007, abgerufen am 20. Juli 2018.
  5. Phil Mercer: 'Suicide bags' launched in Australia. In: BBC. 20. August 2002, abgerufen am 7. April 2017.
  6. 'Safety Alert 12-2 - Suicide Bags'. (PDF) New Jersey Department of Community Affairs, abgerufen am 7. Juli 2021.
  7. Abilities. Ausgabe 52, Herbst 2002, S. 9.
  8. Henry McDonald: Minister to be extradited over assisted suicide. In: The Guardian. 25. Januar 2003 (englisch, theguardian.com).
  9. WOZZ: Wege zu einem humanen selbstbestimmten Sterben. Amsterdam, 2008, S. 132