Faustkeil
Der Faustkeil ist ein zweiseitig bearbeitetes Steingerät und wird daher auch als Zweiseiter (franz.: Biface) bezeichnet. Faustkeile haben eine runde Basis, die gegenüberliegende Seite ist spitz zugerichtet. Während sie zunächst sehr groß (> 20 cm) waren, wurden sie in späteren Zeitabschnitten kleiner. Auch die Bearbeitung wurde aufwendiger.
Faustkeile sind die Leitform des Acheuléens, das vor etwa 1,75 Millionen Jahren in Afrika beginnt. Nach den über zwei Millionen Jahre alten Choppern und Chopping Tools der Oldowan-Kultur sind Faustkeile die ältesten bekannten Werkzeuge der Gattung Homo. Als erste Hersteller kommen die gleichzeitig in Ostafrika existierenden Hominini-Arten Homo habilis und Homo rudolfensis sowie Homo ergaster bzw. Homo erectus in Frage. In Eurasien sind Faustkeile erst deutlich später, vor etwa 600.000 Jahren häufiger – für Homo heidelbergensis – nachgewiesen. Auch der Neandertaler und der seit etwa 200.000 Jahren in Afrika gesichert fossil belegte anatomisch moderne Mensch (Homo sapiens) verwendeten Faustkeile bis vor etwa 40.000 Jahren.
Zu welchem Zweck insbesondere die Faustkeile des Acheuléens – rund 1,5 Millionen Jahre in weitestgehend gleicher Form – hergestellt wurden, „ist ungewiss.“[1]
Klassifikation
Faustkeile sind meist oval bis birnenförmig. Die Länge der Faustkeile liegt im Durchschnitt bei 100 bis 250 Millimetern, es gibt aber auch weitaus größere Exemplare. Als Material wurden vor allem sehr feinkörnige Gesteine mit hohem Quarzgehalt wie Quarzit und Vulkanit, seltener Feuerstein und andere Kieselgesteine wie Hornsteine sowie Obsidian verwendet. Äußerst selten sind Funde aus Knochen, wie etwa das 1,4 Millionen Jahre alte bearbeitete Flusspferd-Fragment aus Konso (Äthiopien)[2] und der Mammut-Faustkeil von Rhede,[3] ausgestellt im LWL-Museum für Archäologie.
Es gibt so genannte Faustkeil-Industrien, die prägnante Formen und Bearbeitungsmethoden hervorgebracht haben und zur Einteilung der ältesten menschlichen Kulturen dienten: Abbevillien, auch Chelléen genannt (vor 600.000 bis 400.000 Jahren), Acheuléen (bis vor 150.000 Jahren), Micoquien (vor 130.000 bis 70.000 Jahren) und Moustérien (vor 120.000 bis 40.000 Jahren), alle nach Fundorten in Frankreich benannt. Ob sich hinter diesen verschiedenen Formen aber auch tatsächlich unterschiedliche archäologische Kulturen oder gar verschiedene Menschentypen verbergen, ist nicht eindeutig nachzuweisen.
Ihre Verbreitung in Mitteleuropa ist ein Ausläufer der überaus reichen Vorkommen in Westeuropa. Die Grenze der Faustkeile des Acheuléen liegt an der Oder. Nur späte Faustkeilformen und verwandte beidflächig zugeschlagene Geräte des Micoquien sind auch im östlichen Mitteleuropa und in Osteuropa verbreitet.
Verbreitung
Faustkeile waren sehr weit verbreitet. Die einfachsten und ältesten Formen wurden in Afrika gefunden. Die aktuell am weitesten zurückdatierbaren Funde beidseitig bearbeiteter Faustkeile werden einem Alter von 1,75 Millionen Jahren zugeordnet[4][5] Nur östlich der so genannten Movius-Linie, in Südostasien und China, gibt es sehr wenige Funde. Dies lässt sich mit einer Forschungslücke, mangelnden Rohmaterialien sowie geeignetem Alternativmaterial wie Bambus erklären.
Die ältesten europäischen Faustkeile im Mittelmeerraum sind vor etwa 900.000 Jahren belegt,[6] nördlich der Alpen dagegen frühestens vor etwa 600.000 Jahren (Fundplatz Boxgrove Quarry).
Die Faustkeile des Acheuléen, die über Jahrhunderttausende Homo ergaster / Homo erectus zugeschrieben werden, wurden rund 1,5 Millionen Jahre lang im gesamten Verbreitungsgebiet nach dem immer gleichen Muster hergestellt.[7] Kleinere regionale Varianten können auf das jeweils unterschiedliche Ausgangsgestein zurückgeführt werden, sie gelten daher nicht als Beleg für intentionale Änderungen.
Siehe auch
Literatur
- Jean-Marie Le Tensorer: Faustkeile. In: Harald Floss (Hrsg.): Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit. 2. Auflage. Tübingen 2013, ISBN 978-3-935751-16-2, S. 209–218.
- Kathleen Kuman, A. S. Field: The Oldowan Industry from Sterkfontein: raw materials and core forms. In: Gilbert Pwiti, Robert Soper (Hrsg.): Aspects of African Archaeology. Papers from the 10th Congress of the Pan-African Association for Prehistory and Related Studies. Univ. of Zimbabwe Publications (Harare 1996), S. 139–146 (online, PDF; online, PDF).
- José M. Merino: Tipología lítica. Editorial Munibe 1994. Suplemento, ISSN 1698-3807.
- Harold L. Dibble: Reduction sequences in the manufacture of Mousterian implements in France. In: Olga Soffer (Hrsg.): The Pleistocene of the Old world. Regional perspectives. New York 1987.
- Lutz Fiedler: Faustkeile. Vom Ursprung der Kultur. WBG Academic, Darmstadt 2022, ISBN 978-3-534-27499-4.
Weblinks
- Geräte der Altsteinzeit: Ein Faustkeil von Unterrodach (Landschaftsmuseum Obermain Kulmbach)
Anmerkungen
- ↑ Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen (Hrsg.): Handbuch der Kulturwissenschaften, Band 3. J.B. Metzler, Stuttgart und Weimar 2011, ISBN 978-3-476-02399-5, S. 432.
- ↑ Katsuhiro Sano et al.: A 1.4-million-year-old bone handaxe from Konso, Ethiopia, shows advanced tool technology in the early Acheulean. In: PNAS. Band 117, Nr. 31, 2020, S. 18393–18400, doi:10.1073/pnas.2006370117.
Ran Barkai: Lower Paleolithic bone handaxes and chopsticks: Tools and symbols? In: PNAS. Online-Vorabveröffentlichung vom 27. Oktober 2020, doi:10.1073/pnas.2016482117.
Gen Suwa, Berhane Asfaw et al.: Reply to Barkai: Implications of the Konso bone handaxe. In: PNAS. Online-Vorabveröffentlichung vom 27. Oktober 2020, doi:10.1073/pnas.2018084117. - ↑ Mittelpaläolithischer Faustkeil aus Rhede/Kreis Borken. In: www.lwl.org. Internet-Portal 'Westfälische Geschichte', 25. März 2014, abgerufen am 12. Juni 2019.
- ↑ Christopher J. Lepre et al.: An earlier origin for the Acheulian. In: Nature. Band 477, 2011, S. 82–85 doi:10.1038/nature10372
- ↑ Yonas Beyene et al.: The characteristics and chronology of the earliest Acheulean at Konso, Ethiopia. In: PNAS. Band 110, Nr. 5, 2013, S. 1584–1591, doi:10.1073/pnas.1221285110
- ↑ Gary R. Scott und Luis Gibert: The oldest hand-axes in Europe. In: Nature. Band 461, 2009, S. 82–85, doi:10.1038/nature08214
- ↑ Gonen Sharon: Acheulian Giant‐Core Technology: A Worldwide Perspective. In: Current Anthropology. Band 50, Nr. 3, 2009, S. 335–367, doi:10.1086/598849, Volltext