Feministische Außenpolitik

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Feministische Außenpolitik bezeichnet ein Konzept bzw. ein Prinzip im Rahmen internationaler Außenpolitik, bei dem feministische Sichtweisen zum Maßstab gemacht werden: Der Handlungsrahmen umreißt eine Politik, die Gewalt und Diskriminierung überwinden sowie Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte verwirklichen will.[1]

Begriffsgeschichte

Die Anfänge feministischer Außenpolitik reichen an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück; als Geburtsstätte gilt der erste internationale Frauenfriedenskongress 1915, wo sich mehr als 1100 Pazifistinnen aus zwölf Ländern im niederländischen Den Haag trafen: Sie forderten z. B. ein Ende des Ersten Weltkriegs, die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs (der heute seinen Sitz in Den Haag hat), eine weltweite Kontrolle des Waffenhandels und Gleichberechtigung für alle Menschen. Massenvergewaltigungen wurden als illegitime Kriegswaffe angeprangert.[1][2]

Im Jahr 2000 dann verankerte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ den Schutz und die Teilhabe von Frauen in kriegerischen Konflikten und bei Friedensverhandlungen im Völkerrecht.[1]

2014 führte die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström erstmals den Begriff als solchen ein;[3][4][5] 2018 veröffentlichte sie dann kurz vor den damaligen Parlamentswahlen im Land ein rund 100 Seiten umfassendes[6] Handbuch[7] mit „Methoden und Erfahrungen“ zum Thema Gleichberechtigung und zur Orientierung, in dem sie Antworten auf Fragen und Kritiken an ihrem Ansatz formulierte.[8] Die Zwischenbilanz und der Leitfaden bzw. Aktionsplan konkretisiert, das schwedische Modell basiere auf drei R's: Den Rechten von Frauen, ihrer entsprechenden Repräsentation und der Zurverfügungstellung geeigneter Ressourcen. In diesen drei Feldern möchte Schweden die Lebenswelten von Frauen auf der ganzen Welt verbessern. Darüber hinaus sei Geschlechtergerechtigkeit auch ein Ziel, um Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung zu sichern und eine „demokratische Selbstverständlichkeit“.[8][5][7][9]

Der Leitfaden enthält „Methoden und Erfahrungen“ zum Thema Gleichberechtigung und soll zur Orientierung dienen

Weitere Staaten wie Frankreich, Kanada, Mexiko und Spanien folgten dem schwedischen Vorstoß.[1][8]

In der Folge wurde von Nina Bernarding[10] Marissa Conway[11] und Kristina Lunz das Centre for Feminist Foreign Policy 2016 in London und 2018 in Berlin gegründet.[12][13]

Positionen und Richtungen

Als erstes Land verpflichtete sich Schweden 2014 zu einer feministischen Außenpolitik. Die damalige Außenministerin Margot Wallström beschrieb feministische Außenpolitik weniger als einen Satz feststehender politischer Überzeugungen und Positionen, denn als eine Art „Analysewerkzeug“ durch die man Außenpolitik betrachtet. Dieser Ansatz ist nicht notwendigerweise antimilitaristisch, da es sein kann, dass die Sicherheit und Rechte von Frauen und Mädchen in bestimmten Situationen eben nur mit Waffengewalt geschützt werden könne.[14]

Eine akademisch-theoretische Variante feministischer Außenpolitik, die sich als Utopie versteht, wird z. B. von Kristina Lunz und Luisa Neubauer vertreten und fordert eine völlige Abrüstung, weil Sicherheitspolitik immer nur zu neuer Gewalt führe. Daneben gibt es andere Varianten die z. B. von Rachel Tausendfreund, Hannah Neumann und Assita Kanko vertreten werden. Diese warnen davor Außenpolitik zu „versimplifizieren“, indem Gegensätze wie „Waffen oder Frieden“ und „feministisch oder militärisch“ konstruiert werden. Wie der russische Angriff auf die Ukraine aktuell zeige, kann von außen imperialistische Gewalt kommen, die sich an keinerlei Regeln hält; deshalb dürfe man sich nicht wehrlos machen.[15]

Die Autorin und Feministin Kristina Lunz bekräftigte in einem Zeitungsinterview Ende März 2022:

„Jegliche Aggressionen, Konflikte, Kriege zeigen die Notwendigkeit einer Transformation von Außen- und Sicherheitspolitik hin zu einer feministischen Strategie. Es geht darum, dass wir auf mittlere und lange Sicht von einem System, das patriarchal aufgebaut ist und auf militärischer Stärke gründet, wegkommen. Statt militärischer Sicherheit sollten wir menschliche Sicherheit in den Fokus stellen. Das gelingt unter anderem durch die Förderung von Zivilgesellschaft, Menschenrechten und Multilateralismus.“

Die Autorin und Aktivistin Assita Kanko hingegen erklärt angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine Ende Februar 2022: „Was ich gut finde, ist, dass wir realisiert haben, dass wir in Verteidigung investieren müssen. Ich habe das unterstützt ... Ich denke, dass Verteidigung keine Männersache ist, sondern mehr Frauen in den Friedensprozess mit eingebunden werden müssen. Damit wir mehr Gender-Diversität haben, wie wir Krieg und Frieden sehen. Wir brauchen Waffen, um abzuschrecken, aber sie sollten nicht in die falschen Hände geraten. Ich hoffe, wir müssen sie nicht benutzen.“ Dass Ukrainerinnen und Ukrainer nun zu den Waffen greifen und sich selbst verteidigen, ist für die feministischen Außenpolitikerinnen kein Widerspruch.[16]

Rezeption

2018 ordnete Robert Egnell, Professor an der Schwedischen Verteidigungsuniversität, feministische Außenpolitik als „alles andere als weich“ ein,[8] der Ansatz sei vielmehr eine Herausforderung und gefährlich. Sein Land sei deshalb auch seit 2014 mit mehreren Ländern in Konflikte gekommen, z. B. 2015 mit Saudi-Arabien, als Schweden nach Kritik an der Menschenrechtssituation und am politischen System Saudi-Arabiens einen millionenschweren Militärdeal ausgesetzt habe und Riad daraufhin seinen Botschafter aus Schweden abgezogen habe.[17] Dabei sei „feministische Außenpolitik ständig mit Widersprüchen konfrontiert, da die Ordnung der Welt sich eben traditionell anders entwickelt hat“. Gleichzeitig zeige sie aber, dass eine Veränderung des Systems möglich sei und auch andere Länder dem Konzept nicht abgeneigt seien.[8]

Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, bezeichnete 2018 in diesem Zusammenhang Schwedens „progressive Außenpolitik“ als „vorbildlich“. Das schwedische Handbuch sei eine gute Möglichkeit, um Frauen zu stärken: „Um glaubhaft Geschlechtergerechtigkeit in der Welt zu vertreten, muss es jedoch im Inland entsprechende Vorstöße und Standards geben“, z. B. bei der sexuellen Selbstbestimmung, der Behebung von Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen („Gender-Pay-Gap“) und einer geschlechterparitätischen Vertretung in Parlamenten. In Deutschland sah sie hierbei „starken Verbesserungsbedarf“.[8]

Zu Beginn des zweijährigen deutschen Vorsitzes am UN-Sicherheitsrat forderte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Februar 2019 in einem Antrag an den Bundestag z. B. eine Frauenquote in den deutschen Botschaften, weibliche Bataillone auf Friedensmissionen und mehr Geld für Geschlechtergerechtigkeit; die Bundesregierung müsse „die Interessen von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen weltweit viel stärker in ihrer Außen-, Sicherheits-, Menschenrechts- und Entwicklungspolitik berücksichtigen“, das solle „zu einem der Grundprinzipien der deutschen Außenpolitik“ werden. Neben mehr Frauen in Führungspositionen bei internationalen Organisationen sollten auch mehr Polizistinnen in Friedensmissionen entsandt werden. Dies hätte in früheren Missionen „unter anderem besser Kontakt und Vertrauen mit der weiblichen Bevölkerung vor Ort aufbauen“ können, besonders wenn es um sexualisierte Gewalt gegangen sei, die in vielen Konflikten systematisch eingesetzt werde. Das Auswärtige Amt, das Verteidigungs- und das Entwicklungsministerium sollten „Gender-Mainstreaming in allen Arbeitsprozessen“ verankern.[18]

Die Mitautorin Agnieszka Brugger wird zitiert: „Nur acht von hundert Stühlen an den Tischen bei Friedensverhandlungen sind von Frauen besetzt“; dabei sei es „weder gerecht noch klug, wenn immer nur diejenigen, die die größten Waffen haben und das größte Leid verursacht haben, über die Nachkriegsordnung entscheiden. ... Wer nachhaltigen Frieden und Stabilität möchte, muss Frauen viel stärker an der Lösung von Konflikten beteiligen.“ Sie bezieht sich auch auf eine Studie der Denkfabrik International Peace Instituts in New York, der zufolge es 35 % wahrscheinlicher sei, dass Friedensverträge 15 Jahre hielten, wenn Frauen an den Gesprächen beteiligt waren.[18]

Zuletzt fand „feministische Außenpolitik“ z. B. Eingang in den Koalitionsvertrag der 20. Wahlperiode des deutschen Bundestags (seit 2021) von Bündnis 90/Die Grünen, Freier Demokratischer (FDP) und Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD).[1] In der ersten Generaldebatte des deutschen Bundestags seit der Bundestagswahl im Herbst 2021 am 26. März 2022 zur Einrichtung eines 100-Milliarden-Sondervermögens für die Bundeswehr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar 2022 entgegnete die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz „Feministische Außenpolitik ist kein Gedöns“.[19]

Literatur

  • Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch – Wie globale Krisen gelöst werden müssen. Ullstein Verlag (Econ) 2022, ISBN 978-3-430-21053-9

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Sigrun Rehm: Was kann feministische Außenpolitik in Zeiten des Krieges ausrichten? In: Badische Zeitung. 31. März 2022, abgerufen am 2. April 2022.
  2. Birgit Raddatz: Feministische Außenpolitik: Verteidigung – „keine Männersache“. In: Tagesschau.de. Abgerufen am 2. April 2022.
  3. Alicia Blázquez: 5 Fragen an Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy. One, 11. Juli 2018, abgerufen am 17. Januar 2020.
  4. Feministische Außenpolitik. In: www.boell.de. Heinrich-Böll-Stiftung, abgerufen am 26. Februar 2020.
  5. a b Katharina Wiegmann: Schweden: So sieht ein Land mit radikal feministischer Außenpolitik aus. Huffington Post, 30. Juli 2018, archiviert vom Original am 16. Januar 2019; abgerufen am 26. Februar 2020.
  6. Schweden veröffentlicht erstes Handbuch für feministische Außenpolitik. In: Der Spiegel. 23. August 2018, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 2. April 2022]).
  7. a b Regeringen och Regeringskansliet: Handbook Sweden’s feminist foreign policy. 23. August 2018, abgerufen am 2. April 2022 (englisch).
  8. a b c d e f Anna-Sophie Schneider: Schweden: Vier Jahre feministische Außenpolitik. In: Der Spiegel. 2. September 2018, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 2. April 2022]).
  9. Feminist foreign policy – imperative for a more secure and just world. Heinrich-Böll-Stiftung, 13. Februar 2019, abgerufen am 17. November 2020 (englisch).
  10. z. B. Nina Bernarding. Abgerufen am 31. März 2022 (deutsch).
  11. Marissa Conway. Abgerufen am 31. März 2022 (amerikanisches Englisch).
  12. Nina Bernarding, Kristina Lunz: Wir brauchen eine feministische Außenpolitik. In: Der Tagesspiegel. 8. März 2019, abgerufen am 17. Januar 2020.
  13. Kristina Lunz: Feminist foreign policy – imperative for a more secure and just world. In: www.boell.de. Heinrich-Böll-Stiftung, 30. Januar 2019, abgerufen am 17. Januar 2020 (englisch).
  14. Spiegel Online: Was kann Feministische Außenpolitik? Abgerufen am 15. April 2022.
  15. Spiegel Online: Was kann Feministische Außenpolitik? Abgerufen am 15. April 2022.
  16. Tagesschau: Feministische Außenpolitik / Verteidigung - "keine Männersache". Abgerufen am 3. April 2022.
  17. Saudi-Arabien zieht Botschafter in Schweden ab. In: Der Spiegel. 11. März 2015, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 2. April 2022]).
  18. a b Ann-Katrin Müller: Grüne für feministische Außenpolitik: Mehr Frauen für mehr Frieden? In: Der Spiegel. 20. Februar 2019, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 2. April 2022]).
  19. Katja Thorwarth: Baerbock kontert Merz: „Feministische Außenpolitik ist kein Gedöns“. In: Frankfurter Rundschau. Abgerufen am 2. April 2022.