Fernerkundung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Manuelle Fernerkundung mit Luftbildern von Hamburg (1943)

Der Begriff Fernerkundung bezeichnet die Gesamtheit der Verfahren zur Gewinnung von Informationen über die Erdoberfläche oder andere nicht direkt zugängliche Objekte durch Messung und Interpretation der von ihnen ausgehenden oder reflektierten elektromagnetischen oder Schallwellen.

Im Gegensatz zu anderen Erfassungsmethoden, welche einen direkten Zugang zum Untersuchungs- oder Beobachtungsobjekt erfordern, versteht man unter Fernerkundung die berührungsfreie Erkundung der Erdoberfläche einschließlich der Erdatmosphäre. Dies wird beispielsweise durch Flugzeug- oder Satelliten-getragene Sensoren ermöglicht (Fernerkundungssensoren wie Kameras oder Scanner). Vereinzelt kommen aber auch „Drohnen“ oder Ballons als Plattform zum Einsatz. Der Fernerkundung zugeordnet sind Photogrammetrie und Satellitengeodäsie. Dagegen sind Planetologie und Astronomie nicht der Fernerkundung zugeordnet, obwohl auch hier Fernerkundungssensoren zum Einsatz kommen.

Bei der Fernerkundung finden passive oder aktive Systeme Verwendung, wobei weite Bereiche des elektromagnetischen Spektrums ausgewertet werden können. Passive Systeme zeichnen die von der Erdoberfläche reflektierte Sonnenstrahlung auf (zum Beispiel Multispektralkamera) sowie die von der Erdoberfläche emittierte Eigenstrahlung (zum Beispiel Wärmebildkamera). Im Gegensatz dazu senden aktive Systeme Mikrowellen- oder Laserstrahlen aus und empfangen deren reflektierte Anteile (zum Beispiel Radarsysteme und Laseraltimeter).

Fernerkundungsdaten sind insbesondere in den Geowissenschaften, Geographie, den Umweltwissenschaften und der Geophysik von großer Bedeutung, da eine globale Beobachtung der Erdoberfläche und -atmosphäre in hoher räumlicher Auflösung nur mit Hilfe von Fernerkundungssensoren möglich ist. Neben dem synoptischen Überblick über große Räume ermöglichen satellitengestützte Fernerkundungssensoren zudem eine wiederholte (zum Teil tägliche) Abdeckung ein und desselben Gebiets. Zudem bieten Fernerkundungsdaten gegenüber Vor-Ort-Messungen insbesondere bei schwer zugänglichen Gebieten der Erdoberfläche Vorteile. Eine hohe Aktualität und Kontinuität der Messwerte kann erreicht werden.

Geschichte

Historische Luftbildkamera (ca. 1950)

Die Fernerkundung hat ihre Ursprünge in der militärischen Aufklärung. Von einem meist hochgelegenen Punkt (Berg) versuchte man die Bewegungen des Gegners zu beobachten. Mit Beginn der Luftfahrt änderte sich die Darstellung von der Perspektive in eine Draufsicht von oben. Anfangs dienten dazu noch Fesselballone mit menschlichen Beobachtern und Zeichenblock, später Flugzeuge mit Luftbildkameras. Die Luftbildfotografie konnte relativ früh ausgewertet werden, allerdings war das Ergebnis immer stark abhängig vom Auswerter. Die heute mit Satellitenplattformen und diversen Bildaufzeichnungsgeräten und Spektralabtastern gewonnenen Daten können mit Computersystemen be- und verarbeitet werden (digitale Bildverarbeitung). Diese automatisierte und systematische Auswertung wurde ab den 1990er Jahren verbessert. Trotzdem bleibt auch heute noch die visuelle Bildinterpretation wichtig.

Während zunächst eine Status-quo-Erfassungen der Erdoberfläche (Kartierung) etabliert hatte, wird seit den 1990er Jahren zunehmend auch die Erfassung von Veränderungen (Monitoring) vorangetrieben.

Die Spannbreite für die Verwendung von Fernerkundungsdaten reicht von Ressourcenmanagement in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei (z. B. Landnutzungsinventuren, Erntevorhersagen) über die Gewinnung von Umweltinformationen (z. B. Luft- und Gewässerverunreinigungen, Erosion, Desertifikation), Planung und Stadtentwicklung (Kartierung von Siedlungsgebieten etc.) und Katastrophenmanagement (Copernicus u. a.) bis zur Erkundung von Rohstoff- und Wasservorkommen.

Fernerkundungssensoren

In der Fernerkundung finden sowohl passive oder aktive Systeme Verwendung, wobei weite Bereiche des elektromagnetischen Spektrums ausgewertet werden können.

Die gebräuchlichsten Sensortypen sind:

Fernerkundungssatelliten

Es befinden sich eine Vielzahl von Satelliten in der Erdumlaufbahn. Je nach Aufgabengebiet werden diese auch in Umweltsatelliten und Wettersatelliten unterteilt; die Übergänge zwischen beiden Kategorien sind jedoch fließend.

Die wichtigsten staatlichen und kommerziellen Erdbeobachtungssatelliten bzw. Satellitenprogramme sind

  1. DigitalGlobe (4 WorldView, GeoEye-1)
  2. Airbus Defence and Space (SPOT 6 & 7, 2 Pléiades)[2]
  3. Planet Labs mit Terra Bella (87 Dove-Kleinsatelliten, 5 RapidEye, 5 SkySat)
  4. BlackSky Global (Pathfinder-1 und -2)

Die Liste von Erdbeobachtungssatelliten listet viele weitere Satelliten auf. Die aufgeführten Satelliten haben unterschiedlichste spektrale, räumliche, zeitliche, optische und radiometrische Auflösungen.

Einsatzgebiete

Entsprechend der Vielfalt des Lebensraums Erde, ist auch das Einsatzgebiet der modernen Fernerkundung sehr weit gefächert. Durch die einzigartige Möglichkeit, auch große Gebiete in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung zu erfassen, wird die Fernerkundung in sehr vielen Disziplinen eingesetzt.

  • Geowissenschaften, Geographie, Kartografie und Geodäsie
    • Höhenrelief und Wasserwege
    • Geologie (Gesteinstypen, Lagerstätten)
    • Landbedeckung, Landnutzung und Landmanagement[3]
    • Urbanisierung (Ausbreitung der Städte)
    • Forstwirtschaft (Inventarisierungen, Holzpotentialabschätzungen, Waldschadenskartierung, Wegebauplanungen etc.)
    • Landwirtschaft (Erntevorhersagen, Anbauflächen, Überprüfung von subventionierten Brachflächen, precision farming etc.)
    • Vegetationsphänologie (Aspektfolge)
  • Katastrophenschutz
    • Waldbrände (Ausmaß der Zerstörung)
    • Vulkanausbrüche (Vorhersage und Überwachung)
    • Erdbeben (Höhenänderung)
    • Dürremonitoring
    • Umweltverschmutzung (Öleinleitung auf den Weltmeeren)
  • Klimatologie, Meteorologie und Ozeanographie
    • Wettervorhersage
    • Klimaüberwachung
    • Seegangsmessung (Oberflächenwellen, Strömung)
  • Atmosphärenphysik und -chemie
    • Spurengase, Wolken, Aerosole
    • Temperatur, Luftdruck
    • Strahlungshaushalt, Strahlungsbudget
    • Überwachung von Emissionen, z. B. Kohlendioxid
  • Archäologie
    • Archäologische Flugprospektion
  • Rüstungskontrolle
    • Verifikation von Abrüstungsvereinbarungen
  • Menschenrechte
    • Vorher-Nachher-Vergleich großflächiger Zerstörungen[4]

Einteilung und Untergliederung

Nach Anwendungsbereich

Fernerkundungsdaten kommen in vielen geowissenschaftlichen Disziplinen zur Anwendung. Entsprechend wird die Fernerkundung weiter unterteilt.

Untergliederung der Fernerkundung nach Anwendungsbereich

  • Bodenkundliche Fernerkundung
  • Landwirtschaftliche Fernerkundung
  • Botanisch/vegetationskundliche Fernerkundung
  • Forstwirtschaftliche Fernerkundung
  • Geologische Fernerkundung/Photogeologie
  • Hydrologische Fernerkundung
  • Ozeanographische Fernerkundung
  • Limnologische Fernerkundung
  • Urbane Fernerkundung/Stadtfernerkundung
  • Umweltfernerkundung (fernerkundliches Umweltmonitoring)
  • Klimatologisch/meteorologische Fernerkundung
  • Atmosphärische Fernerkundung
  • Archäologische Fernerkundung/Luftbildarchäologie
  • Geodätische Fernerkundung/Satellitengeodäsie
  • Photogrammetrie

Nach Messverfahren

Fernerkundungsdaten werden in den verschiedensten Wellenlängenbereichen und mit unterschiedlichen Messmethoden erhoben. Entsprechend lässt sich die Fernerkundung weiter untergliedern.

Untergliederung der Fernerkundung nach Messverfahren

  • Photogrammetrie und Luftbildmessung
  • Spektrale Fernerkundung in optischen Wellenlängenbereichen (UV, VIS, IR). Bei der Fernerkundung von fein verästelten Wasserflächen wird ausgenutzt, dass diese sich in spiegelnder Reflexion stark von Landflächen abhebt, was die spektrale Auswertung selbst dann erlaubt, wenn die Bildauflösung nicht ausreicht, um den Uferverlauf aufzulösen.[5]
  • Passive Mikrowellenfernerkundung, Radiometrie
  • Aktive Mikrowellenfernerkundung (Radar)
  • Laseraltimetrie
  • Interferometrie (Radarinterferometrie)

Nach Auswerteverfahren

Zur Bereitstellung flächendifferenzierter Geodaten werden Fernerkundungsdaten mit unterschiedlichen Auswerteverfahren weiterverarbeitet. Je nach gewähltem Auswerteverfahren kann die Fernerkundung weiter untergliedert werden.

Untergliederung der Fernerkundung nach Auswerteverfahren

  • Fernerkundliche Klassifizierung und Segmentierung
  • Fernerkundliche Zeitreihenanalyse
  • Empirisch-statistische (chemometrische) Analyse von Fernerkundungsdaten
  • Fernerkundliche Strahlungstransfermodellierung
  • Fernerkundliche Modellinversion (Inversion von Strahlungstransfermodellen)
  • Assimilation von Fernerkundungsdaten in prozessorientierte (dynamische) Modelle
  • Fernerkundliche Entmischungsverfahren
  • Fernerkundliche Veränderungsdetektion (engl. Change detection)
  • Bildspektroskopie
  • Luftbildinterpretation und visuelle Interpretation von Fernerkundungsdaten
  • Luftbildmessung und photogrammetrische Verfahren (Stereophotogrammetrie)

Methoden

In der Analyse von analogen und digitalen Fernerkundungsdaten kommen eine Vielzahl von Methoden und Verfahren zur Anwendung, die nachfolgend stichwortartig aufgeführt sind. Hinzu kommen geowissenschaftliche Arbeitsschritte, die mit der Erfassung von Referenzmessungen im Gelände zusammenhängen (nicht aufgeführt). Aus der Aufzählung wird deutlich, in welch starkem Maße die Fernerkundung eine methodische Wissenschaft ist.

Didaktik

Es wird versucht, das Thema Fernerkundung in den Schulunterricht zu integrieren. Dabei kann es sich um die Einbindung von Fernerkundungsdaten, wie photographische, digitale oder mikrowellengestützte Luft- und Satellitenbilder, oder von Fernerkundungsmethoden, wie Resampling, Klassifikation von Landoberflächen und Zeitreihenanalysen, als didaktische Hilfsmittel handeln.[6]

Es gibt verschiedene Lernplattformen/ Lernmodule (z. B. FIS,[7] geospektiv[8] oder YCHANGE[9]) für den Einsatz in Schulen. Eingesetzt werden neben anderer Software der virtuelle Globus Google Earth oder das Geoinformationssystem QGIS.

Literatur

  • Jörg Albertz: Einführung in die Fernerkundung. Grundlagen der Interpretation von Luft- und Satellitenbildern. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2001, ISBN 3-534-14624-7.
  • Jörg Bofinger: Flugzeug, Laser, Sonde, Spaten – Fernerkundung und archäologische Feldforschung am Beispiel der frühkeltischen Fürstensitze. = Aircraft, Laser, Sensor, Spade – Remote Sensing and Archaeological Fieldwork Using the Example of Early Celtic Princely Seats. Regierungspräsidium Stuttgart – Landesamt für Denkmalpflege, Esslingen am Neckar 2007, (Digitalisat (Memento vom 9. März 2012 im Internet Archive)).
  • Bruce A. Campbell: Radar remote sensing of planetary surfaces. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 2002, ISBN 0-521-58308-X.
  • Chandra P. Giri: Remote Sensing of Land Use and Land Cover. Principles and Applications (= Remote Sensing Applications. 8). CRC Press, Boca Raton FL u. a. 2012, ISBN 978-1-4200-7074-3.
  • Christian Heipke (Hrsg.): Photogrammetrie und Fernerkundung (= Willi Freeden, Reiner Rummel (Hrsg.): Handbuch der Geodäsie.). Springer Spektrum, Berlin 2017, ISBN 978-3-662-47093-0.
  • Alexander D. Kowal, Lew Dessinow: In den Weltraum zum Nutzen der Menschheit. 2. Auflage. Verlag Progress u. a., Moskau u. a. 1987, ISBN 3-329-00515-7.
  • Rosa Lasaponara, Nicola Masini (Hrsg.): Satellite Remote Sensing. A new tool for Archaeology (= Remote Sensing and Digital Image Processing. 16). Springer, Dordrecht u. a. 2012, ISBN 978-90-481-8801-7.
  • Ernst Löffler, Ulrich Honecker, Edith Stabel: Geographie und Fernerkundung. Eine Einführung in die geographische Interpretation von Luftbildern und modernen Fernerkundungsdaten. 3., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Borntraeger, Berlin 2005, ISBN 3-443-07140-6.
  • Sarah H. Parcak: Satellite remote sensing for archaeology. Routledge, London u. a. 2009, ISBN 978-0-415-44877-2.
  • Floyd F. Sabins: Remote sensing. Principles and interpretation. 3rd edition, 3rd printing. Freeman, New York NY 2000, ISBN 0-7167-2442-1.
  • Hannes Taubenböck, Michael Wurm, Thomas Esch, Stefan Dech (Hrsg.): Globale Urbanisierung. Perspektive aus dem All. Springer-Spektrum, Berlin u. a. 2015, ISBN 978-3-662-44841-0.
  • David L. Verbyla: Satellite remote sensing of natural resources. Lewis Publishers, Boca Raton FL u. a. 1995, ISBN 1-56670-107-4.

Weblinks

Commons: Fernerkundung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Robinson Meyer: A New 50-Trillion-Pixel Image of Earth, Every Day. In: The Atlantic. 9. März 2016 (theatlantic.com).
  2. Airbus Defence and Space Invests in Very High-Resolution Satellite Imagery from 2020 Onwards (Memento vom 7. Februar 2017 im Internet Archive), 15. September 2016
  3. Axel Relin, Rupert Haydn: Fernerkundungskontrolle landwirtschaftlich genutzter Flächen. In: Geowissenschaften. Band 12, Nr. 4, 1994, ISSN 0933-0704, S. 98–102, doi:10.2312/geowissenschaften.1994.12.98.
  4. eyesondarfur.org (Memento vom 10. Juni 2008 im Internet Archive)
  5. Vern Vanderbilt et al.: Impact of pixel size on mapping surface water in subsolar imagery. In: Remote Sensing of Environment. Band 109, Nr. 1, 12. Juli 2007, ISSN 0034-4257, S. 1–9, doi:10.1016/j.rse.2006.12.009 (researchgate.net).
  6. Fernerkundung in Schulen, uni-bonn.de, abgerufen am 28. Oktober 2010.
  7. fis.uni-bonn.de
  8. geospektiv.de
  9. ychange.eu