Fernsehabend

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Fernsehabend (auch Fernsehen)[1] ist ein Zeichentrick-Sketch des deutschen Humoristen Loriot. Er zeigt ein Ehepaar, das am Abend vor seinem kaputten Fernseher sitzt und sich über das Fernsehprogramm und das eigene Fernsehverhalten unterhält.

Der Sketch ist Teil der dritten Folge der Sendereihe Loriot, die im Mai 1977 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin ist er der letzte der drei unter dem Titel Szenen einer Ehe zusammengefassten Trickfilmsketche. Anders als die beiden anderen konzentriert sich Fernsehabend nicht auf das problematische Verhältnis der Ehepartner, sondern stellt deren Abhängigkeit vom Fernsehen in den Mittelpunkt. Gedruckt erschien der Sketch erstmals 1981.

Handlung

Ein Ehepaar sitzt auf dem Sofa und blickt auf den Bildschirm seines kaputten Fernsehers. Auf die Frage der Frau, warum denn der Fernseher ausgerechnet heute kaputtgegangen sei, verweist der Mann darauf, dass das Gerät extra so gebaut worden sei, schnell kaputtzugehen. Die beiden versichern sich nun gegenseitig, dass sie nicht gern fernsehen. Nach einer kurzen Pause wirft die Frau ihrem Mann vor, er blicke auf den Fernseher. Als er ihr dasselbe vorwirft, betont sie, dass sie absichtlich vorbeiblicke und er das auch wissen würde, wenn er sich nur für sie interessieren würde. Als die Frau vorschlägt, mal zur Seite oder nach hinten zu schauen, lehnt der Mann das ab, weil er sich von einem kaputten Fernseher nicht seine Blickrichtung vorschreiben lasse. Danach beschwert er sich allgemein über das Fernsehprogramm und fragt sich, warum man überhaupt noch Fernsehen schaue. Die Frau schlägt dann vor, früher ins Bett zu gehen. Der Mann möchte aber wie sonst auch nach den Spätnachrichten der Tagesschau ins Bett gehen. Als die Frau antwortet, der Fernseher sei doch kaputt, erhebt sich der Mann wütend vom Sofa und schreit, er lasse sich von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann er ins Bett zu gehen habe.

Produktion und Veröffentlichung

Loriot 1971 während einer Autogramm­stunde

Der Sketch entstand im Trickfilmstudio Loriots, das er Anfang der 1970er Jahre in Percha am Starnberger See unweit seines Wohnorts Ammerland gegründet hatte und in dem er bis zu fünf Mitarbeiter beschäftigte.[2] Wie bei fast allen seiner Trickfilme übernahm Loriot die beiden Sprechrollen selbst.[3]

Fernsehabend wurde erstmals in der dritten Folge der Sendereihe Loriot gezeigt, die am 16. Mai 1977 im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin ist der Sketch neben Das Frühstücksei und Feierabend einer der Szenen einer Ehe. Diese drei Trickfilme zeigen Situationen aus dem Ehealltag. Die ähnliche Kleidung und Frisuren legen nahe, dass es sich in allen drei Sketchen um dasselbe Paar handelt. Im Frühstücksei heißt die Frau Berta, in Feierabend heißt der Mann Hermann.[4] Die einzelnen Szenen reihen sich zeitlich aneinander. Nach dem Frühstück sieht sich das Paar erst zum Feierabend des Mannes wieder. Nachdem die Frau ihre Hausarbeit beendet hat, sitzen beide vor dem Fernseher.[5]

1997 ordnete Loriot sein Fernsehwerk neu und machte aus den sechs ursprünglichen Loriot-Folgen mit einer Länge von 45 Minuten vierzehn Folgen mit einer Länge von 25 Minuten. Fernsehabend ist Teil der zwölften Folge Der einsame König, andere kulturelle Intimbereiche und eine Skatrunde, die 8. Juli 1997 im Ersten ausgestrahlt wurde. Damit wurde der Sketch von den anderen beiden Szenen einer Ehe getrennt, die in der ersten Folge der Neuschnittfassung enthalten sind.[6]

Der Text erschien 1981 in dem Sammelband Loriots dramatische Werke. Darin ist er dem Kapitel Szenen einer Ehe zugeordnet, das neben den drei Trickfilmen auch die Texte einiger Realfilmsketche Loriots mit Ehepaaren enthält. Seitdem wurde der Text in einigen weiteren Sammelbänden von Loriot veröffentlicht.

Analyse und Einordnung

Die ersten beiden Szenen einer Ehe Das Frühstücksei und Feierabend sind von großen Konflikten zwischen den beiden Ehepartnern geprägt. Dabei tritt in erster Linie die Frau als Aggressor auf. In Fernsehabend klagt sie nun darüber, dass ihr Mann sich nicht für sie interessiere, und offenbart damit den Grund für ihr aggressives Verhalten in den zwei Szenen zuvor, wie die chinesische Germanistin Yanfei Zhu feststellt. Davon abgesehen verläuft das Gespräch zwischen den Ehepartnern diesmal deutlich weniger konfliktreich. Vor allem das Verhalten der Frau sei anders, da sie diesmal die Aussagen ihres Mannes weder überhöre noch verdrehe.[7] Die Situation der Ehepartner erscheine dadurch weitaus weniger bitter und ausweglos als in den beiden anderen Szenen.[8]

Statt der Konflikte innerhalb der Beziehung der Ehepartner steht beim Fernsehabend vor allem ihr Fernsehverhalten im Mittelpunkt. Die Ehepartner haben den Ablauf des Abends ganz auf den Fernseher ausgerichtet. Selbst als dieser kaputt ist, sind sie nicht in der Lage, sich von ihm abzuwenden und sich anders zu beschäftigen. Ihre gesamte Kommunikation dreht sich weiterhin nur um den Fernseher. Vor allem der Mann scheint vom Fernsehen vollkommen abhängig zu sein, während seine Frau zwar enttäuscht ist, aber sonst pragmatisch mit der Situation umgeht. Besonders absurd erscheint es dabei, dass der Mann darauf besteht, sich von dem Fernseher nichts vorschreiben lassen zu wollen, obwohl seine Aussagen das Gegenteil beweisen. So richtet er seine Zubettgehzeit selbst bei einem kaputten Fernseher noch am Fernsehprogramm aus. Uwe Ehlert, der zu Kommunikationsstörungen in Loriots Werk promovierte, weist darauf hin, dass dieses Verhalten auch im realen Leben anzutreffen sei. So versuchten viele, den Umfang ihres eigenen Fernsehkonsums gegenüber anderen zu verschleiern.[9] Für Felix Christian Reuter, der seine Dissertation über Loriots Fernsehsketche verfasste, entspricht der Mann damit außerdem dem Stereotyp eines Kleinbürgers, der alles versuche, um nicht als Kleinbürger zu erscheinen.[10]

Fernsehabend zeigt ein ähnliches Motiv wie der Realfilmsketch Das Medium der Verinnerlichung aus der ersten Folge der Sendereihe Loriot und kann als dessen trickfilmische Fortsetzung gelten. In diesem Sketch sitzt das Ehepaar vollkommen teilnahmslos auf dem Sofa und reagiert erst nach dem „Anschalten“ einer Fernsehattrappe.[11] Beide Sketche zeigen Loriots ambivalentes Verhältnis gegenüber dem Fernsehen. Auf der einen Seite war er von den Möglichkeiten des Mediums angetan und bediente sich ihrer für sein eigenes Werk, auf der anderen Seite war er sich auch der Risiken bewusst, die vom Fernsehen ausgingen.[8]

Bildtonträger

  • Loriots Vibliothek. Band 1: Herren im Bad oder der Mann als solcher. Warner Home Video, Hamburg 1984, VHS Nr. 1.
  • Loriot – Sein großes Sketch-Archiv. Warner Home Video, Hamburg 2001, DVD Nr. 4 (als Teil von Loriot 12).
  • Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition. Warner Home Video, Hamburg 2007, DVD Nr. 3 (als Teil von Loriot III).
  • Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition. Warner Home Video, Hamburg 2007, DVD Nr. 5 (Lesung von Loriot und Evelyn Hamann).

Textveröffentlichungen (Auswahl)

  • Loriots dramatische Werke. Diogenes, Zürich 1981, ISBN 3-257-01004-4, S. 124–126.
  • Das Frühstücksei. Diogenes, Zürich 2003, ISBN 3-257-02081-3, S. 77–79.
  • Gesammelte Prosa. Diogenes, Zürich 2006, ISBN 978-3-257-06481-0, S. 172–174.

Literatur

  • Klaus-Michael Bogdal: Weiche Eier und kaputte Fernseher. Loriots Einakter. In: Praxis Deutsch. Nr. 125, 1994, S. 44–47.
  • Uwe Ehlert: „Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. Die Darstellung von Mißverständnissen im Werk Loriots. ALDA! Der Verlag, Nottuln 2004, ISBN 3-937979-00-X, S. 236–244 (zugleich Dissertation an der Universität Münster 2003).
  • Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. Leben, Werk und Wirken Vicco von Bülows. Wissenschaftlicher Verlag Trier, Trier 2011, ISBN 978-3-86821-298-3.
  • Felix Christian Reuter: Chaos, Komik, Kooperation. Loriots Fernsehsketche (= Oliver Jahraus, Stefan Neuhaus [Hrsg.]: FILM – MEDIUM – DISKURS. Band 70). Königshausen & Neumann, Würzburg 2016, ISBN 978-3-8260-5898-1 (zugleich Dissertation an der Universität Trier 2015).
  • Zhu Yanfei: Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. Kommunikativ-situative Frauengestaltung vom Frühstück bis zum Fernsehabend. In: Wei Maoping (Hrsg.): Die Flucht von der Vernunft und die Suche nach ihr. Beiträge chinesischer Germanisten zur internationalen Germanistik (= Jahrbuch für Internationale Germanistik – Reihe A. Band 130). Peter Lang, Bern/Brüssel/Frankfurt am Main/New York/Oxford/Warschau/Wien 2017, ISBN 978-3-0343-2843-2, S. 97–113, doi:10.3726/b10962.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. In Loriot – Die vollständige Fernseh-Edition, den Textveröffentlichungen, der Sekundärliteratur sowie in der von Loriots Erbengemeinschaft betriebenen Website loriot.de heißt der Sketch Fernsehabend. Die Bildtonträger-Sammlungen Loriots Vibliothek und Loriot – Sein großes Sketch-Archiv verwenden den Titel Fernsehen.
  2. Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 45.
  3. Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 226.
  4. Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 275. Uwe Ehlert: „Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. 2004, S. 215.
  5. Zhu Yanfei: Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. 2017, S. 106.
  6. Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 414, 416.
  7. Zhu Yanfei: Die Reflexion des Frauenbildes in der Ehe-Trilogie von Loriot. 2017, S. 109.
  8. a b Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 277.
  9. Uwe Ehlert: „Das ist wohl mehr ’ne Kommunikationsstörung“. 2004, S. 242–244.
  10. Felix Christian Reuter: Chaos, Komik, Kooperation. 2016, S. 179.
  11. Stefan Neumann: Loriot und die Hochkomik. 2011, S. 257–258, 276. Felix Christian Reuter: Chaos, Komik, Kooperation. 2016, S. 178.