Françoise Mouly

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Françoise Mouly (2015)

Françoise Mouly (* 24. Oktober 1955 in Paris) ist eine französische, seit 1974 in den USA tätige Verlegerin und Herausgeberin, die sich im Feld des Underground Comic etablierte.[1] Seit 1993 ist sie Künstlerische Leiterin beim Magazin The New Yorker[2] und verantwortlich für die Kuratierung der Titelbilder.

Leben

Françoise Mouly[3] wuchs als mittlere von drei Töchtern des Plastischen Chirurgen Roger Mouly (1921–2007)[4] auf. Der Vater habe sich auch für sie ein Medizinstudium gewünscht, sie inskribierte sich jedoch nach dem Baccalauréat (bac c) für Architektur: Nach dem Mai 68, den sie als Jugendliche in Paris bewusst und positiv miterlebt habe, sei Dekonstruktion ein dominierender Begriff geworden – auch aus Auflehnung gegen diese neue Norm habe Mouly sich für das Konstruieren entschieden. An der Académie des Beaux-Arts lernte sie handwerkliche Grundlagen, die sie in ihrem späteren Betätigungsfeld, dem des Druckens und Publizierens, zu nutzen wusste. Noch in die Studienzeit fällt ein Aufenthalt in den USA, der zunächst als „année sabbatique“ gedacht war und wegweisend wurde.

In New York jobbte Mouly als Koloristin[5] und baute sich ein Netzwerk für eigene, nichtkommerzielle Projekte auf. 1976 lernten sie und Art Spiegelman einander kennen. 1978 gründete Mouly Raw Books and Graphics, 1980 gemeinsam mit ihrem Partner das Magazin RAW, wo auch die ersten Auszüge aus Maus erschienen. Der Drei-Lettern-Titel lehnte sich an MAD an, das Herausgeberduo ergänzte bei jeder Ausgabe mit einem anderen, enigmatischen Untertitel, z. B. The Graphix Magazine for Damned Intellectuals, The Graphix Magazine of Abstract Depressionism, The Graphic Aspirin for War Fever oder The Graphix Magazine that Overestimates the Taste of the American Public.[6] 1982 heirateten Mouly und Spiegelman. Sie arbeiteten auch in Folge eng zusammen und gaben Arbeiten von u. a. Chris Ware und Linda Barry heraus, zudem engagierten sie sich für die Rezeption der europäischen Independent Comic-Szene in den USA.

1993 holte Tina Brown, die im Vorjahr Chefredakteurin geworden war, Françoise Mouly – zu dem Zeitpunkt Mutter von zwei Kindern im Vorschulalter – in leitender Funktion zu The New Yorker. Mouly blieb, auch nach Browns Wechsel weg vom New Yorker 1998. Magazincovers – im Jahr 2012 war von annähernd 1.000 Titelbildern die Rede[7] – und zwei Buchpublikationen dokumentieren ihren Einsatz für die Kraft des Bildes und für die Förderung gestalterischer Talente.

Die Gründung von RAW Junior 1999 war die erste Manifestation von Moulys Einsatz für ein neues, junges und ganz junges Publikum. Toon Books[8] folgte 2008.[9]

Für seine 2013 erschienene Biografie von Françoise Mouly hatte der Autor Jeet Heer Interviews mit Sue Coe, Charles Burns, Chris Ware und Daniel Clowes geführt. Das Buch fand positive Aufnahme, es veranschauliche Moulys singuläre Stellung in der Comic- und Medienwelt und ihren Erfolg im Verbinden von Avantgarde und Niederschwelligkeit. Anderseits schneide es das Problemfeld von „sexism in comics“ zwar an, indem es die „culture known for the ‚no girls allowed‘ attitude“ dieser Szene anspreche, die Kritik an der Comicindustrie sei aber zu wenig präzise ausgeführt.[10]

2017 gab Françoise Mouly gemeinsam mit Nadja Spiegelman die Zeitung Resist heraus. Das vierzig Seiten umfassende Blatt im Tabloidformat mit Beiträgen von Künstlerinnen wie Alison Bechdel, Roz Chast oder Liana Finck[11] bis zu Quinn Nelson, einer vierzehnjährigen Schülerin[12], wurde in einer Auflage von 60.000 Stück produziert[13] und u. a. beim Women’s March on Washington verteilt. Ursprünglich gedacht gewesen war Resist als einmalige Intervention, schon im Juli jedoch erschien eine weitere Ausgabe.[14]

Wöchentlich erscheint auf der Website des New Yorker die Cover Story: Den Begriff wörtlich nehmend, führt Mouly jeweils ein kurzes Interview mit dem Schöpfer des aktuellen Titelbildes, um inhaltliche und gestalterische Aspekte des Motivs zu erörtern.[15]

Sonstiges

  • In der Graphic Novel Maus. A Survivor's Tale / dt.: Maus – die Geschichte eines Überlebenden von Art Spiegelman[16] und im Roman I'm Supposed to Protect You from All This / dt.: Was nie geschehen ist von Nadja Spiegelman kommen an Françoise Mouly (auch namentlich) angelehnte Figuren vor.

Auswahlbibliographie

  • Covering the New Yorker. Cutting-edge covers from a literary institution, Françoise Mouly in conversation with Lawrence Weschler. Abbeville Press, New York, 2000, ISBN 9780789206572
  • Little Lit: Folklore & Fairy Tale Funnies (hrsg. gemeinsam mit Art Spiegelman), Harper & Collins, New York, 2000, ISBN 978-0060286248, deutsch: Little Lit – Märchen und Sagen. Carlsen, Hamburg, 2001, ISBN 3-551-74999-X
  • Little Lit. Strange Stories for Strange Kids (hrsg. gemeinsam mit Art Spiegelman), Harper & Collins, New York, 2001, ISBN 978-0060286262, deutsch: Little Lit – Seltsame Geschichten. Carlsen, Hamburg, 2002, ISBN 3-551-75000-9
  • Blown covers. New Yorker covers you were never meant to see. Abrams, New York, 2012, ISBN 9781419702099
  • Les dessous du 'New Yorker'. Les couvertures auquelles vous avez échappé. Aus dem amerikanischen Englisch ins Französische übersetzt von Denis-Armand Canal, La Martinière, Paris, 2012, ISBN 978-2-7324-5240-1

Literatur

  • Jeet Heer: In Love with Art. Françoise Mouly's Adventures in Comics with Art Spiegelman. Coach House, Toronto, 2013, ISBN 9781770563513
  • Dan Mazur und Alexander Danner: Comics. A Global History, 1968 to the Present. Thames & Hudson, New York, 2014, ISBN 9780500290965
  • Hillary L. Chute: Outside the box. Interviews with contemporary cartoonists. The University of Chicago Press, Chicago/London, 2014, ISBN 9780226099446 [enthält zwei Gespräche mit Mouly aus den Jahren 2008 und 2010]
  • Jeet Heer: Françoise Mouly at The New Yorker, in: Sweet Lechery. Reviews, Essays and Profiles, The Porcupine's Quill, Ontario, 2014, ISBN 978-0-88984-378-3, S. 213–220.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hillary Brown: 12 Women Who Have Helped Transform the Comic Book Industry. In: Paste. 31. März 2015, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  2. Contributors, Françoise Mouly, Art Editor. In: The New Yorker. Abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  3. Biografische Angaben im Folgenden, wo nicht anders bequellt, nach Jeet Heer, siehe Literatur.
  4. Biographie Roger Mouly. In: Who's Who in France. 2007, abgerufen am 12. Dezember 2021 (französisch).
  5. Als Colorist angeführt in John Carter: Warlord of Mars annual, Marvel Comics, New York, 1977–1979.
  6. Stephen Heller: Comics for damned intellectuals. In: Eye no.8 vol.2 1993. Abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  7. David Morgan: Classic New Yorker magazine covers. CBS News, 29. April 2021, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  8. Françoise Mouly: Our Toon Book Mission. Toon Book, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  9. Calvin Reid: Toon Books: Comics for Kids. In: Publishers Weekly. 16. November 2007, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  10. Charles Acheson: Review of Jeet Heer’s In Love with Art: Françoise Mouly’s Adventures in Comics with Art Spiegelman. In: ImageTexT Vol. 7, Issue 4. Abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  11. Julia Felsenthal: Going to the Women’s March? You’re Going to Want to Get Your Hands on Resist! Vogue, 19. Januar 2017, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  12. Kelly Whalen, Sarah Hotchkiss: Meet the Oakland 14-Year-Old Cartooning the Resistance. In: KQED, Arts and Culture. 28. März 2017, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  13. Charles Brownstein: Mouly & Spiegelman Continue To RESIST at MoCCA! Comic Book Legal Defense Fund (CBLDF), 5. April 2017, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  14. Alex Dueben: Mouly & Spiegelman Grab Back with Second, Angrier Issue of Resist! CBR, 7. Juli 2017, abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  15. Françoise Mouly et al.: Cover Story. In: The New Yorker. Abgerufen am 12. Dezember 2021 (englisch).
  16. In MetaMaus. A Look Inside a Modern Classic (Pantheon, 2011) ergründete Hillary Chute in Gesprächen mit Spiegelman und Mouly die Personenkonstellation, u. a. die Frage, warum Mouly nicht, wie die anderen Franzosen, als Frosch, sondern als Maus dargestellt sei.
  17. Elisabeth Franck-Dumas: Françoise Mouly, l'œil qui couve le «New Yorker». In: Libération. 14. Oktober 2016, abgerufen am 12. Dezember 2021 (französisch).