Friedrich Boßhammer

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Friedrich Boßhammer (1944)

Friedrich Robert Boßhammer (* 20. Dezember 1906 in Opladen; † 17. Dezember 1972) war ein deutscher Jurist sowie SS-Sturmbannführer und als Judenreferent in Italien einer der engsten Mitarbeiter Adolf Eichmanns.

Schule, Ausbildung und Privatleben

Friedrich Boßhammer wuchs als Sohn eines Maschinenschlossers und späteren technischen Reichsbahnobersekretärs zusammen mit zwei Schwestern in Opladen auf. Dort besuchte er die Volksschule und anschließend bis 1926 das Realgymnasium. Nach der Reifeprüfung studierte er in Köln und Heidelberg Rechtswissenschaft und legte am Oberlandesgericht Düsseldorf 1931 die erste juristische Staatsprüfung und auf Wiederholung im August 1935 die zweite juristische Staatsprüfung mit der Note „Ausreichend“ ab. Im Jahre 1936 trat er aus der evangelischen Kirche aus und heiratete. Aus dieser 1949 geschiedenen Ehe gingen vier Kinder hervor. 1952 heiratete er Luise Göhlmann.

Beruflicher und politischer Werdegang

Im April 1933 trat er in die SA und mit Wirkung vom 1. Mai desselben Jahres in die NSDAP (Mitgliedsnummer 2.326.130) ein; nach dem „Röhm-Putsch“ verließ er im September 1934 die SA wieder. Wegen seiner Examensergebnisse konnte er seine Absicht, als Richter tätig zu werden, nicht verwirklichen. Er trat der Hitlerjugend bei und war verstärkt in der NSDAP tätig, leitete Kinderlandverschickungen und Jugendfreizeiten. Am 1. Oktober 1937 trat er in die SS (Mitgliedsnummer 307.435) ein und wurde zunächst beim SD in Aachen angestellt. Er hatte in den Gebieten Verwaltung, Recht und Jugend Nachrichten zu beschaffen und Berichte zu verfassen. Im Oktober 1940 kam er als Gerichtsoffizier und Untersuchungsführer zur Sicherheitspolizei in Wiesbaden und wurde im März 1941 zum SS-Hauptsturmführer befördert. Ab 1941 war er für die Geheime Staatspolizei in Wiesbaden und Kassel unter anderem in „Judenangelegenheiten“ tätig. Im Januar 1942 wurde er zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin ins Referat IV B 4 (Eichmannreferat) versetzt und erhielt am 9. November 1943 seine Beförderung zum SS-Sturmbannführer.

Boßhammer wurde 1940 in einem Personalbogen beschrieben als straff, kameradschaftlich und soldatisch, mit besonderem Pflichtbewusstsein und überdurchschnittlicher Regsamkeit, energisch, mit überlegtem Urteil und überdurchschnittlich gefestigt in seiner Weltanschauung.[1]

Tätigkeiten im „Judenreferat“ (Referat IV B 4)

Boßhammer betreute als Sachbearbeiter im Eichmannreferat die Aufgabengebiete „Vorbereitung der Lösung der europäischen Judenfrage in politischer Hinsicht“ und „Gegenpropaganda gegen die verstärkte Greuelhetze der Feindstaaten über die Endlösung der europäischen Judenfrage“. Im Mai 1943, noch vor der deutschen Besetzung Italiens, erhielt er von Eichmann den Auftrag, über den Stand „Judenfrage“ in Italien zu berichten und sich diesbezüglich mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung zu setzen.[2] Ende Januar 1944 wurde er als Nachfolger Theodor Danneckers zum Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Verona abgeordnet, um als „Judenreferent“ die „Endlösung“ in Italien durchzuführen. Er hatte in dieser Position besondere Eigenständigkeit und widersetzte sich konsequent der persönlich getroffenen Übereinkunft mit dem norditalienischen Marionettenstaat, keine Juden aus Mischehen festzunehmen oder zu deportieren. Die italienischen Behörden intervenierten in der Folgezeit laufend, aber erfolglos wegen einzelner Mischehenpartner. Auf seinen Befehl wurden bis September 1944 mehr als 6.000 italienische Juden verhaftet und über die Sammellager im KZ Fossoli und Risiera di San Sabba in Vernichtungslager deportiert. Während Boßhammer die Deportationslisten der Juden verfasste, wurden jene für die Deportation der politischen Gefangenen von seinem Gestapo-Kollegen SS-Sturmbannführer Friedrich Kranebitter erstellt.[3]

Heinrich Himmler verlieh Boßhammer am 1. September 1944 das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern. Im selben Monat wurde er zum Leiter des Sipo-Außenkommandos Padua ernannt und versuchte, die in seinem Machtbereich lebenden Juden zu deportieren. Das „Judenreferat“ in Italien war zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen aufgelöst. Bis zum Kriegsende wurden insgesamt etwa 7750 Juden aus Italien abtransportiert.

Friedrich Boßhammer und sein Vorgänger Theodor Dannecker zählten unter den Judenreferenten neben Alois Brunner, Dieter Wisliceny und Franz Abromeit zu den Vertrauensleuten und engsten Mitarbeitern Eichmanns.

Nach dem Krieg

Ende April 1945 setzte er sich mit falschen Papieren als Feldwebel „Max Fritz Müller“ nach Österreich ab und geriet in amerikanische Gefangenschaft, aus der er im August wieder entlassen wurde. Außer der Internierungshaft in Recklinghausen zwischen Januar 1947 bis April 1948 (die ihm in der Verurteilung als Mitläufer der Kategorie IV im Entnazifizierungsverfahren 1948 angerechnet wurde) lebte er unbehelligt in Westdeutschland und konnte seine Tätigkeit als „Judenreferent“ geheim halten. Im August 1952 wurde er sogar als Rechtsanwalt beim Amtsgericht und Landgericht in Wuppertal zugelassen.

Nachdem 1963 in einer Liste mit Vorschlägen für das Kriegsverdienstkreuz der Name Boßhammer gefunden worden war, begann die Zentrale Stelle Ludwigsburg zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelte weiter wegen der Deportationen aus Oberitalien, als deren Hauptverantwortlicher Boßhammer galt. Zugleich lief in Berlin ein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes. Am 11. Januar 1968 wurde Boßhammer wegen des „Verdachts der Beihilfe zum Mord an mindestens 150.000 Juden“ festgenommen und kam in Untersuchungshaft;[4] das Verfahren wegen seiner Tätigkeit in Oberitalien wurde damit verknüpft. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin begann am 16. November 1971 und beschränkte sich auf den Tatvorwurf, gemeinschaftlich eine unbestimmte Anzahl von italienischen Juden, mindestens 3336 Personen, ermordet zu haben.

Im gesamten Verlauf des Prozesses ließ der Angeklagte weder Unrechtsbewusstsein noch Reue oder Scham erkennen.[5] Er stellte sich als ohnmächtiges Werkzeug innerhalb übermächtiger Befehlsstrukturen dar, ohne Kenntnis von den Morden und ohne eigene Motive oder gar Rassenhass. Die Anklage zeigte indes, dass Boßhammer ein ehrgeiziger Täter mit Entscheidungs- und Handlungsspielraum war. Am 11. April 1972 wurde Boßhammer zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig, da er Ende des gleichen Jahres verstarb.

Literatur

  • Sara Berger: Selbstinszenierung eines 'Judenberaters' vor Gericht – Friedrich Boßhammer und das 'funktionalistische Täterbild'. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 17 (2008), S. 243–268.
  • Gerhard Paul, Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. WBG, Darmstadt 2000. ISBN 3-89678-188-X.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945? Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
  • Michael Okroy „…. kann nicht bezweifelt werden, daß er beim Aufbau eines freien Deutschland seine Kraft einsetzen wird.“ NS-Täter aus Wuppertal: Auf Umwegen zurück in die „Normalität“. In: Geschichte im Wuppertal, Jg. 8, 1999, S. 105–130, ISSN 1436-008X.
  • Ludwig Laher: Bitter. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1387-3.

Einzelnachweise

  1. Sara Berger: Selbstinszenierung eines 'Judenberaters' vor Gericht – Friedrich Boßhammer und das ‚funktionalistische Täterbild‘, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 17 (2008), S. 245.
  2. Liliana Picciotto: La macchina antiebraica della RSI e l’Ispettore generale per la razza Giovanni Preziosi. In: Michele Sarfatti (Hrsg.): La Repubblica sociale italiana a Desenzano: Giovanni Preziosi e l’Ispettorato generale per la razza. Giuntina, Florenz 2008 ISBN 978-88-8057-301-2 S. 19
  3. Ludwig Laher: Bitter. Roman, Wallstein Verlag, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1387-3, S. 141 f.
  4. Michael Okroy: "... kann nicht bezweifelt werden, daß er beim Aufbau eines freien Deutschland seine Kraft einsetzen wird." NS-Täter aus Wuppertal: Auf Umwegen zurück in die "Normalität". In: Geschichte im Wuppertal. Band 8, 1999, S. 124.
  5. Sara Berger: Selbstinszenierung..., S. 252f.