Friedrich Schaffstein

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Friedrich Schaffstein (* 28. Juli 1905 in Göttingen; † 8. November 2001 ebenda) war ein deutscher Strafrechtler und Rechtshistoriker. Neben Georg Dahm gilt Friedrich Schaffstein als einer der exponiertesten Vertreter der nationalsozialistischen Strafrechtslehre.

Leben und wissenschaftliches Wirken

Herkunft, Studium und erste Veröffentlichungen

Der Vater Friedrich Schaffsteins, Carl Schaffstein (1863–1938), Dr. phil. der Mathematik, Zahlentheoretiker, war Privatgelehrter in Göttingen. Friedrich hatte noch zwei jüngere Brüder. Nach dem Abitur 1924 studierte er an den Universitäten Göttingen und Innsbruck Rechtswissenschaften. 1928 wurde er bei Robert von Hippel in Göttingen mit der Dissertation Die Behandlung der Schuldarten im ausländischen Strafrecht seit 1908 zum Dr. jur. promoviert. Er habilitierte sich 1930 ebenfalls bei Robert von Hippel mit einer auch heute noch als bedeutend angesehenen rechtshistorischen Arbeit, in der er sich mit den gemeinrechtlichen Vorläufern der modernen Verbrechenssystematik auseinandersetzte.

Einer größeren juristischen Öffentlichkeit bekannt wurde er sodann durch die um die Jahreswende 1932/33 herum gemeinsam mit Georg Dahm verfasste Streitschrift Liberales oder autoritäres Strafrecht. In dieser Streitschrift verfochten die beiden jungen Strafrechtler ein antiliberales und autoritäres Strafrecht, das allein auf Vergeltung und Abschreckung (durch harte Sanktionen) gegründet sein sollte, nicht jedoch auf die spezialpräventiven Erziehungsgedanken der „Modernen Schule“ Franz von Liszts. Insbesondere habe sich das autoritäre Strafrecht methodologisch vom Individualismus jedweder geistesgeschichtlichen Prägung ab- und sich überindividuellen Werten zuzuwenden. Die Verfasser bekannten sich in diesem Werk noch nicht explizit zum Nationalsozialismus, sondern sahen sich als Teil einer breiter angelegten, völkischen Gesamtbewegung.

Verstrickung in die Rechtswissenschaft des Dritten Reiches

Bereits kurz nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ bekannte sich Friedrich Schaffstein sodann auch explizit zum Nationalsozialismus. 1933 erhielt er einen Ruf an die Universität Leipzig, von wo er 1935 nach Kiel wechselte. 1937 trat er der NSDAP bei. Er leitete den Unterausschuss für Jugendstrafrecht an der Akademie für deutsches Recht.[1]

Neben Dahm stellte Schaffstein den zweiten strafrechtlichen Hauptvertreter der sogenannten Kieler Schule (auch genannt: „Kieler Richtung“) des Rechts dar. Die „Kieler Schule“, zu der neben diesen beiden auch Karl Larenz, Franz Wieacker und Ernst Rudolf Huber gehörten, bemühte sich um eine Umgestaltung und Neuinterpretation aller Rechtsgrundbegriffe in einem nationalsozialistischen und völkischen Sinne. Nachdem er der „Kieler Schule“ zunächst „nur geistig“ angehört hatte, wurde Schaffstein 1935 auch offiziell nach Kiel berufen.

Schaffstein trug in dreierlei Hinsicht zur Theoriebildung der „Kieler Schule“ bei:

  1. durch seine Konzeption einer „politischen Strafrechtswissenschaft“
  2. durch seine Lehre vom Verbrechen als Pflichtverletzung
  3. durch seine Beiträge zu der von Georg Dahm begründeten Gesinnungstätertypenlehre.

Schaffsteins damaliger Auffassung zufolge gibt es keine unpolitische Art, Wissenschaft zu betreiben. Jede Wissenschaft beruhe vielmehr auf bestimmten politischen Grundanschauungen. So sei auch die fälschlicherweise als unpolitisch titulierte, vornationalsozialistische Strafrechtslehre keineswegs unpolitisch gewesen, sondern habe auf den nunmehr „überwundenen“ politischen Grundsätzen eines individualistischen und rationalistischen Zeitalters gefußt. Insofern konsequent, forderte Schaffstein ein offenes Bekenntnis der „neuen“ Strafrechtslehre zum Nationalsozialismus. Im Lichte der nationalsozialistischen Weltanschauung habe eine politische Strafrechtswissenschaft das Verbrechen nicht als Rechtsgutverletzung, sondern als eine Pflichtverletzung gegenüber der Volksgemeinschaft zu betrachten. Die von der traditionellen Strafrechtslehre durchgeführte systematische Unterscheidung von „Rechtswidrigkeit“ und „Schuld“ sollte aufgegeben und im übergeordneten Konzept einer „materiellen Rechtswidrigkeit“ vereint werden.

Schaffstein konkretisierte weiterhin die von Dahm entworfene normative Gesinnungstätertypenlehre, indem er dieses „neue“ Täterstrafrecht explizit vom Täterstrafrecht der Strafrechtsschule Franz von Liszts abgrenzte. Der Täter dürfe nicht, wie dies Franz von Liszt gefordert habe, rational-zweckhaft, sondern müsse aufgrund einer „Wesensschau ganzheitlich und konkret“ erfasst werden. Die Tätertypenlehre Franz von Liszts sei zudem weltanschaulich überwunden und – hier äußert sich Schaffstein ganz im Sinne seines Konzepts der politischen Strafrechtswissenschaft – gerade aufgrund ihrer „rationalistischen und utilitaristischen“ Grundhaltung abzulehnen.

Schaffsteins Ansichten übten – ebenso wie die seines Kieler Kollegen Dahm – einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den strafrechtswissenschaftlichen Diskurs des Dritten Reiches aus. Am kontroversesten wurden seine Thesen zur ersatzlosen Ersetzung des Begriffes „Rechtsgut“ durch das Konzept „Pflichtwidrigkeit“ und sein Vorschlag, ein nationalsozialistisches Strafrecht solle nicht zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld unterscheiden, diskutiert. Strikte Ablehnung erfuhren Schaffsteins Ansichten von den beiden Marburger Strafrechtlern Erich Schwinge und Leopold Zimmerl, die ihn 1937/38 als Vertreter eines strafrechtlichen Irrationalismus einordneten und kritisierten (vgl. hierzu vor allem das unten aufgeführte Werk Erich Schwinges). Im Anschluss an diese Kritik relativierte Schaffstein einige seiner vor 1937 erarbeiteten Theorien bzw. sprach davon, lediglich eine Akzentverschiebung vorgenommen zu haben.

Schaffstein lebte und lehrte während des Zweiten Weltkrieges ab 1941 an der Reichsuniversität Straßburg, wo er auch das Institut für Strafrecht leitete und Dekan war[1].

Nach 1945

Aus Gründen der Entnazifizierung war es Schaffstein zunächst nicht möglich, erneut auf einen Lehrstuhl an einer deutschen juristischen Fakultät zu gelangen. Erst 1954 erhielt er eine Berufung an die Universität Göttingen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1969 lehrte.

1955 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[2] Wissenschaftlich beschäftigte sich Schaffstein zu dieser Zeit zunächst hauptsächlich mit Wilhelm von Humboldt und mit rechtshistorischen Studien über die europäische Strafrechtswissenschaft zur Zeit des Humanismus. Des Weiteren avancierte Schaffstein in der Nachkriegszeit zu einem der prominentesten Vertreter des deutschen Jugendstrafrechts. Sein Lehrbuch Jugendstrafrecht. Eine systematische Darstellung erlebte bis 2002 vierzehn Auflagen und wurde zu einem Klassiker der diesbezüglichen juristischen Ausbildungsliteratur.

Seine eigenen Verstrickungen in die NS-Rechtslehre bedauerte Schaffstein gegen Ende seines Lebens zusehends und schrieb 1965 selbstkritisch: „Aus derselben Wurzel erwuchsen schließlich Krieg und die Verbrechen von Auschwitz[3].

Werke

  • Die Behandlung der Schuldarten im ausländischen Strafrecht seit 1908, Breslau 1928.
  • Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des Gemeinen Strafrechts, Berlin 1930.
  • Liberales oder autoritäres Strafrecht, Hamburg 1933 (zusammen mit Georg Dahm).
  • Zur Problematik der teleologischen Begriffsbildung im Strafrecht, Leipzig 1934.
  • Politische Strafrechtswissenschaft, Hamburg 1934.
  • Das Verbrechen als Pflichtverletzung. In: Karl Larenz (Hrsg.): Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935, S. 108–142.
  • Wilhelm von Humboldt. Ein Lebensbild, Frankfurt a. M. 1952.
  • Die europäische Strafrechtswissenschaft im Zeitalter des Humanismus, Göttingen 1954.
  • Jugendstrafrecht. Eine systematische Einführung, Stuttgart 1959 (14. Aufl. 2002).

Literatur

  • Werner Beulke: In memoriam Friedrich Schaffstein. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 85 (2002), S. 81–83.
  • Christoph Cornelißen/Carsten Mish (Hrsg.): Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus (= Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 86). Klartext, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0240-4.
  • Jörn Eckert: Was war die Kieler Schule? In: Franz Jürgen Säcker (Hrsg.): Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus. Nomos-Verlag, Baden-Baden 1992, ISBN 3-7890-2452-X, S. 37–70.
  • Gerald Grünwald u. a. (Hrsg.): Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag am 28. Juli 1975. Göttingen 1975.
  • Manfred Maiwald: Schaffstein, Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 541 f. (Digitalisat).
  • Erich Schwinge: Irrationalismus und Ganzheitsbetrachtung in der deutschen Rechtswissenschaft. Bonn 1938 (zeitgen. Auseinandersetzung).
  • Jan Telp: Ausmerzung und Verrat. Zur Diskussion um Strafzwecke und Verbrechensbegriffe im Dritten Reich (= Rechtshistorische Reihe, Bd. 192). Lang, Frankfurt a. M. 1999, ISBN 3-631-34170-9 (zugl. München, Univ., Diss., 1998).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2007, S. 525 f.
  2. Verzeichnis der Mitglieder. In: Jahrbuch der Göttinger Akademie der Wissenschaften. Band 2000. Göttingen 2001, S. 13.
  3. Friedrich Schaffstein: Die Jugendkriminalität in der industriellen Wohlstandsgesellschaft. In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 48 (1965), H. 2, S. 53–67, hier S. 67.