Frontalunterricht
Der Begriff Frontalunterricht bezeichnet eine methodische Form des Unterrichtens, eine bestimmte Art der Arbeit im „größeren Verband“, die an Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen vorkommt, bei der eine frontale Gegenüber-Positionierung von Lehrer und Schülern / Studierenden im Raum das dominierende Setting für das Unterrichten darstellt. Die räumliche Anordnung und die Kommunikationsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, werden im Begriff der sogenannten „Sozialform“ genauer charakterisiert; – Frontalunterricht gilt als ein bestimmter Typus unter den Sozialformen.
Praktisch bildet Frontalunterricht einen Rahmen für solche Arbeitsformen wie Lehrervortrag, fragend-entwickelnder Unterricht und Unterrichtsgespräch, welche darin realisiert werden können.
Grundlegendes: Begriffliche Einordnung des Frontalunterrichts
Wiechmann hat den Ursprung des Begriffs Frontalunterricht bis auf einen Aufsatztitel von Petersen und Petersen im Jahr 1954[1] zurückverfolgen können; seit den 1960ern wurde der Ausdruck wie selbstverständlich benutzt, zumeist in abwertender Absicht, um die zu bevorzugende Gruppenarbeit und andere offene Unterrichtsformen davon abzuheben.[2] Obwohl der Frontalunterricht auch heute noch der am meisten verwendete Unterrichtsstil im Schulalltag ist, ist er ein Stiefkind der wissenschaftlichen Didaktik.[3]
Der Erziehungswissenschaftler Andreas Helmke unterscheidet traditionellen lehrerzentrierten Frontalklassenunterricht als didaktisches Modell von den alternativen Lehr-Lern-Formen (bspw. Kleingruppenarbeit, Diskussionsrunden, Freiarbeit, Projektlernen, Lernzirkel etc.).[4]
Gebrauch und Kritik
Mit Frontalunterricht wird häufig die Arbeitsform oder Methode des Lehrervortrags oder die des fragend-entwickelnden Unterrichts assoziiert, die bei Reformpädagogen seit langem als Problem gesehen werden. Reformpädagogen vertreten die Auffassung, dass auf Seiten von Schülern und Studierenden der Frontalunterricht wenig geeignet ist, angewandtes Problemlösungsverhalten zu erlernen. Somit gerät der Begriff häufig in die Kritik – die heute meist favorisierten reformpädagogischen Methoden stehen den Arbeitsformen des Frontalunterrichts diametral gegenüber; und Reformpädagogen tendieren dahin, letztere einer grundsätzlichen Ablösung unterziehen zu wollen.
Erfahrene Unterrichtspraktiker halten Reformpädagogen entgegen, es müsse möglich sein, Frontalunterricht abzuhalten, um ein gewisses Basiswissen vermitteln zu können, ehe man Aufgaben stellen und Probleme bearbeiten kann. Frontalunterricht könne auch mit alternativen Methoden intensiv angewendet werden.
Als Schulveranstaltungsform der Regelschule soll und wird Klassenunterricht als Rahmen für eine Vielzahl an Arbeitsformen und Unterrichtsmethoden weiterhin verwendet, worin für Lehrer der Frontalunterricht eine aus mehreren Optionen des Unterrichtens darstellt. Bis vor wenigen Jahren war Frontalunterricht in der Lehrerausbildung fast ein Unwort; Lehramtsreferendaren wird oft der Eindruck vermittelt, dass alle anderen Unterrichtsformen per se überlegen seien.[Anm. 1]
„Vielleicht ist es an der Zeit, den lehrergeleiteten Unterricht und das schülerorientierte Lernen nicht mehr gegeneinander auszuspielen und zu behaupten, das eine sei altmodisch und erdrückend, das andere zukunftsorientiert und befähigend. Beide Ansätze haben eindeutig ihren Platz.“
Literatur
- Karl Aschersleben: Frontalunterricht – klassisch und modern. Eine Einführung. (= Studientexte für das Lehramt; Bd. 1) Luchterhand Verlag, Neuwied/Kriftel 1999, ISBN 3-472-03394-0.
- Herbert Gudjons: Methodik zum Anfassen: Unterrichten jenseits von Routinen. 2., aktualis. Aufl., Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn 2006, ISBN 3-7815-1424-2, „Kap. 1 Frontalunterricht – aber gut! Vom ‚Beybringen‘ zum modernen Unterricht“: S. 9–42.
- Herbert Gudjons: Frontalunterricht neu entdeckt: Integration in offene Unterrichtsformen. (= UTB; Bd. 2948) 4., aktualis. Aufl., Verl. Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2021, ISBN 978-3-8252-5775-0.
- Jürgen Wiechmann: Frontalunterricht, in: Jürgen Wiechmann, Susanne Wildhirt (Hrsg.) Zwölf Unterrichtsmethoden: Vielfalt für die Praxis. 6., überarb. Aufl., Beltz Verlagsgruppe, Weinheim 2015, ISBN 978-3-407-25741-3, S. 24–39.
- Andreas Vogel: Der böse Frontalunterricht. In: Benedikt Wisniewski, Andreas Vogel (Hrsg.): Schule auf Abwegen – Mythen, Irrtümer und Aberglaube in der Pädagogik. 2., korr. Aufl., Schneider-Verl. Hohengehren, Baltmannsweiler 2014, ISBN 978-3-8340-1292-0, S. 27–38.
- Hilbert Meyer: Unterrichtsmethoden, Praxisband II, Cornelsen Verlag, 12. Aufl., Berlin 2003, S. 182–226.
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ Zitat John Hattie: Jedes Jahr halte ich Vorträge vor angehenden Lehrern und stelle fest, dass sie schon mit dem Mantra: ‘Konstruktivismus ist gut, direktes Unterrichten [Direkte Instruktion] ist schlecht’ indoktriniert sind. Wenn ich ihnen die Resultate dieser Meta-Analysen zeige, sind sie fassungslos und werden oft ärgerlich, weil man ihnen einen Set von Wahrheiten und Geboten gegen das direkte Unterrichten vorgesetzt hat. (Visible Learning, Seite 204)
Einzelnachweise
- ↑ P. Petersen und E. Petersen: Die Analyse des Frontalunterrichts mit Hilfe von erziehungswissenschaftlicher Aufnahme und Tatsachenliste. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 3, 1954, S. 509–529.
- ↑ Jürgen Wiechmann: Frontalunterricht, in: ders. (Hrsg.) Zwölf Unterrichtsmethoden: Vielfalt für die Praxis. 2., unveränd. Aufl., Beltz Verlag, Weinheim 2000, ISBN 3-407-25222-6, S. 20–34.
- ↑ Herbert Gudjons: Frontalunterricht neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. Beltz Verlag, 2003, ISBN 3-7815-1124-3.
- ↑ Andreas Helmke: Lehrerprofessionalität und Unterrichtsqualität. 6. Aufl., Klett/Kallmeyer, Seelze-Velber 2015, S. 269.
- ↑ Andreas Schleicher OECD, 20. November 2019: Where “working hard and being kind” are part of the curriculum