Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel ist ein Romanzyklus von François Rabelais, dessen fünf Bände 1532, 1534, 1545, 1552 und 1564 erschienen; vor allem die ersten beiden Bände waren sehr erfolgreich.
Die beiden Protagonisten, Pantagruel, ein junger Riese, und sein Vater Gargantua, sind heute vor allem noch durch die französischen Adjektive pantagruélique („avoir un appétit pantagruélique“ – einen pantagruelischen Appetit haben) und gargantuesque („un repas gargantuesque“ – ein gargantuesker Schmaus) bekannt. Der zuerst verfasste Pantagruel, für den Rabelais zunächst keine Fortsetzung geplant hatte, trägt den Titel Les horribles et épouvantables faits et prouesses du très renommé Pantagruel, Roi des Dipsodes, fils du grand géant Gargantua. Composés nouvellement par maître Alcofrybas Nasier (deutsch „Die schrecklichen und entsetzlichen Abenteuer und Heldentaten des hochberühmten Pantagruel, König der Dipsoden, Sohn des großen Riesen Gargantua. Neu zusammengestellt von Meister Alcofrybas Nasier“ – ein Anagramm aus Francoys Rabelais). Das Werk war also sogleich als unter einem witzigen Pseudonym veröffentlichte Parodie der Gattung Ritterroman und damit als humoristisch erkennbar.
Nach dem Erfolg schob Rabelais rasch unter demselben Pseudonym und in ähnlicher Machart den Gargantua nach, mit dem Titel La Vie très horrifique du grand Gargantua, père de Pantagruel (deutsch „Das sehr schreckliche Leben des großen Gargantua, Vater von Pantagruel“). Die erheblich später gedruckten weiteren Bände erschienen unter seinem richtigen Namen und tragen die nüchternen Titel Le tiers livre, Le quart livre und Le cinquième livre (deutsch „Das dritte Buch“, „Das vierte Buch“, „Das fünfte Buch“). Sie stehen zudem nicht mehr wie ihre Vorläufer in der Tradition der Ritterroman-Parodien.
Inhalt
Pantagruel
Der vollständige Titel für das allgemein als Pantagruel bekannte Buch lautet „Die schrecklichen und entsetzlichen Abenteuer und Heldentaten des hochberühmten Pantagruel, König der Dipsoden, Sohn des großen Riesen Gargantua.“ (Der Originaltitel des Werks war Pantagruel roy des dipsodes restitué à son naturel avec ses faictz et prouesses espoventables). Obwohl manche moderne Ausgaben zu den Arbeiten Rabelais’ Pantagruel als zweiten Band des Zyklus einordnen, war er tatsächlich als erstes veröffentlicht worden. Pantagruel war aber eigentlich der Nachfolger eines anonym verfassten Buches namens Die große Chronik des hervorragenden und enormen Riesen Gargantua (französisch Grandes chroniques du grand et enorme géant Gargantua). Dieser frühe Gargantua-Text, nur dürftig strukturiert, erfreute sich großer Beliebtheit.
Rabelais’ Riesen werden nicht auf eine bestimmte Größe festgelegt, wie etwa in den ersten beiden Bänden von Gullivers Reisen, sondern sie ändern ihre Größe von Kapitel zu Kapitel, sodass die Erzählung wie eine Lügengeschichte wirkt. Beispielsweise passt Pantagruel in einem Kapitel zwar in einen Gerichtssaal, doch ein andermal wohnt der Erzähler sechs Monate lange in Pantagruels Mund und entdeckt dabei ein Volk, das auf dessen Zähnen lebt.
Gargantua
Nach dem Erfolg von Pantagruel überarbeitete Rabelais sein Ausgangsmaterial und schuf eine verfeinerte Erzählung über das Leben und die Taten von Pantagruels Vater in Das sehr schreckliche Leben des großen Gargantua, Vater von Pantagruel (französisch La vie très horrificque du grand Gargantua, père de Pantagruel), bekannt als Gargantua. Der Band schließt mit den berühmt gewordenen Kapiteln über die Abtei Thélème (Kapitel 52–57). Rabelais entwirft in satirischer Zuspitzung ein Kloster als verkehrte Welt: Hier leben junge Männer und Frauen gemeinsam, tragen kostbare Kleidung, unterhalten sich mit Spielen und Festen, können heiraten und jederzeit die Abtei verlassen. Die Menschen leben in völliger Freiheit: "Ihre ganze Ordensregel bestand aus einem einzigen Paragraphen, der lautete: Tu, was du willst" ("Fay ce que vouldras"). Die Schilderungen der Abtei Thélème stellen somit eine gesellschaftliche Utopie dar, die darauf gründet, dass "freie Menschen von edler Geburt, guten Kenntnissen und in achtbarer Gesellschaft aufgewachsen ... das Laster fliehen, welchen Trieb man Ehre nennt". Die teils überspannt ausführlichen Schilderungen der Architektur und Kleidung vermitteln zudem städtebauliche und ästhetische Vorstellungen, die freilich auch als Parodie auf die Utopische Literatur gedeutet werden können.
Das dritte Buch
In den letzten drei Büchern kehrt Rabelais zurück zur Geschichte von Pantagruel. Das dritte Buch Pantagruel (französisch Le tiers-livre de Pantagruel, Originaltitel Le tiers livre des faicts et dicts héroïques du bon Pantagruel) betrifft Pantagruel und seinen Freund Panurge, der nichts anderes tut, als sich über das Für und Wider einer Heirat den Kopf zu zerbrechen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Das Buch endet mit dem Beginn einer Schiffsreise, um das Orakel der göttlichen Flasche zu finden, das die Frage nach der Heirat klären soll.
Das vierte Buch
Die Seereise dauert während des ganzen vierten Buchs Pantagruel an (französisch Le quart-livre de Pantagruel, Originaltitel Le quart livre des faicts et dicts héroïques du bon Pantagruel). Pantagruel begegnet dabei vielen sonderbaren Personen.
Das fünfte Buch
Am Ende des fünften Buchs Pantagruel (französisch Le cinquième-livre de Pantagruel. Originaltitel Le cinquiesme et dernier livre des faicts et dicts héroïques du bon Pantagruel), welches posthum um 1564 publiziert worden ist, wird die göttliche Flasche endlich gefunden.
Rezeption
Der Erfolg Rabelais' beruht auf der Art, mit der er auf der Stilebene spielerische Ironie und Sarkasmus, derben Witz und pedantische Gelehrtheit, Wortspiele und komisch verwendete echte und fiktive Zitate vermischt; auf der Strukturebene kombiniert er meist knappe, immer wieder die Grenzen zum Phantastischen und Grotesken überschreitende Handlungssequenzen mit längeren Erzähler- und Figurenreden. Die satirische Absicht ist nicht zu übersehen, auch wenn sie sich versteckt, z. B. hinter einer gespielten Naivität. Rabelais wurde denn auch jeweils nach dem Erscheinen der Bände von den konservativen Theologen der Sorbonne attackiert, die in Rabelais den Anhänger eines unorthodoxen, überkonfessionellen Ökumenismus erkannten.
Trivia
Der Vergnügungspark Mirapolis bei Paris, der von 1987 bis 1991 bestand, hatte eine 35 m hohe, begehbare Gargantua-Figur.
Die französische Sängerin France Gall besang Gargantua und Pantagruel in dem Lied Gare à toi...Gargantua auf ihrem 1968 erschienenen Album.
Im Film Interstellar (2014) wird ein Schwarzes Loch Gargantua genannt. Im Fantasy-Film Under the Mountain (2009) von Jonathan King heißen außerirdische Vulkanmonster Gargantua.
Es gibt Dutzende Menhire, die den Namen Gargantua tragen (Le But de Gargantua, Dent de Gargantua, Doigt de Gargantua, Gravier de Gargantua (Port-Mort), Pierre de Gargantua (Doingt), Pierre de Gargantua (Neaufles-Auvergny) oder Verziau de Gargantua).
Gargantua und Pantagruel kommen u. a. im 2016 veröffentlichten Point-and-Click Adventure Tales von Ape Marina und Screen 7 vor.
Die britische Band Gentle Giant eröffnete ihr Album Octopus aus dem Jahr 1972 mit dem Lied The Advent of Panurge.
Siehe auch
Deutschsprachige Ausgaben
- Erste deutsche Übersetzung von Gottlob Regis
- Gargantua und Pantagruel. I–II, aus dem Französischen übertragen und mit Anmerkungen versehen von Walter Widmer und Karl August Horst, mit einem Nachwort und einem biographischen Abriß von Karl August Horst und sämtlichen 682 Illustrationen von Gustave Doré, München und, in Lizenzausgabe, Stuttgart und Hamburg 1968.
- Horst Heintze, Edith Heintze: François Rabelais – Gargantua und Pantagruel. Insel, Frankfurt am Main / Leipzig 1974, ISBN 3-458-31777-5.
- Wolf Steinsieck: Gargantua. Pantagruel. Reclam, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-15-010874-1.
Literatur
- Bettina Rommel: Rabelais zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Gargantua: Literatur als Lebensführung. Niemeyer, Tübingen 1997, ISBN 3-484-55024-4.
Weblinks
- Gargantua und Pantagruel bei zeno.org in der Übersetzung von Gottlob Regis
- Biblioweb: Analyse (auf französisch)
- Artikel Rabelais in "Namen, Titel und Daten der französischen Literatur" (Hauptquelle des Artikels)
- Erich Köhler, Die Abtei Thélème und die Einheit des Rabelais’schen Werks (PDF; 1,8 MB)