Paratyphus
Klassifikation nach ICD-10 | |
---|---|
A01.1 | Paratyphus A |
A01.2 | Paratyphus B |
A01.3 | Paratyphus C |
A01.4 | Paratyphus, nicht näher bezeichnet |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Als Paratyphus bezeichnet man ein durch Salmonellen ausgelöstes typhöses Krankheitsbild, bei dem der Erreger nicht Salmonella Typhi, sondern Salmonella Paratyphi ist.
Paratyphus ist eine generalisierte, zyklische Infektionserkrankung, die ohne weitere diagnostische Mittel nicht von Typhus unterschieden werden, jedoch milder verlaufen kann.[1] Es existieren unterschiedliche Serovare: A, B und C, die sich genetisch unterscheiden. Paratyphus A und C kommen eher in wärmeren Klimazonen vor, während B weltweit verbreitet ist.
Paratyphus-Erreger sind gramnegative, nicht-sporenbildende, bewegliche Stäbchenbakterien, die 1901 von Hugo Schottmüller (Salmonella Paratyphi A)[2] entdeckt wurden. Von 1990 bis 2017 erkrankten in schwankender Häufigkeit weltweit jährlich 14,3 – 25,9 Millionen Menschen an Typhus bzw. Paratyphus[3] mit in der Folge 128.000 bis 161.000 Todesfällen, die insbesondere in tropischen Ländern vorkamen.[4]
Epidemiologisch werden Typhus und Paratyphus international als "Enteric Fever" erfasst. Dies ergibt sich aus der Art und Schwere der Erkrankungen die von Typhus und Paratyphus ausgelöst werden.[5][6] Die gemeinsame Benennung erschwert die Abgrenzung der Inzidenz von Paratyphus- zu Typhus-Erkrankungen, ist jedoch aus praktischen Gründen nachvollziehbar. Meist wird standardmäßig (ohne Vorliegen eines Verdachts auf besondere Resistenzen) mit Fluorchinolonen (hauptsächlich Ciprofloxacin) behandelt. Für behandelndes medizinisches Personal ist eine Differenzierung zunächst ohne weitere Konsequenz.
Für China wurde 2014 eine Inzidenz von Paratyphus A mit 150 Fällen pro 100.000 Einwohner und Jahr angegeben,[7] während in Deutschland im Jahr 2015 nur 36 Fälle Paratyphus auf ca. 80 Millionen Menschen gezählt wurden – die mehrheitlich vom Indischen Subkontinent importiert wurden.[8] Laut ECDC (Europäisches Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten) entfielen im Jahr 2015 etwa 42 % der nach Europa eingeführten Fälle des Enterischen Fiebers auf Salmonella Paratyphi. Möglicherweise verschiebt sich derzeit dieses Verhältnis von Typhus zu Paratyphus zumindest in manchen Ländern. Beispielsweise finden sich für Thailand und das Jahr 2018 sinkende Typhusfallzahlen bei numerisch stagnierenden Paratyphusfällen.[9] Weltweit werden derzeit jährlich etwa 5,5 Millionen Neuerkrankungen gezählt. In Mitteleuropa sind Paratyphus-Fälle selten geworden, Erkrankte sind in der Regel Reiserückkehrer aus LMIC (low and middle income countries) insbesondere vom indischen Subkontinent.[10]
Von Salmonella Paratyphi B existiert eine Variante, die ausschließlich enteritische (eine Darmentzündung auslösende), also nicht systemische Krankheitsverläufe auslöst. Entsprechend der Nachweismethode, wird die ursprünglich nach ihrem Vorkommen als "Salmonella Java" benannte Variante als "d-tartrat-positive" Variante bezeichnet.
Systematik und Nomenklatur
Die Salmonellen wurden im 19. Jahrhundert entdeckt und im Jahr 1900 nach Daniel Elmer Salmon benannt.[11] Seither hat es eine Vielzahl von weiteren Erkenntnissen und dementsprechend Veränderungen gegeben, die zum heutigen System der Nomenklatur geführt haben. Salmonellen gehören zur Familie der Enterobacteriaceae (sogenannte gramnegative Darmbakterien) und weisen nur zwei Spezies auf. Diese sind Salmonella bongori und Salmonella enterica. Salmonellen der Spezies Salmonella enterica werden nach aktuellem Stand sechs Gruppen zusammengefasst (siehe Salmonellen). Humanmedizinisch relevant sind in erster Linie Vertreter der Subspezies (abgekürzt ssp.) von Gruppe I.
Das heißt praktisch angewendet, dass wenn die Diagnose Paratyphus korrekt gestellt wird, es sich um Salmonella enterica ssp. enterica handelt (Gattung und Spezies werden regulär kursiv dargestellt) und ein sogenanntes Serovar identifiziert wurde, welches Paratyphi A, B oder C zugeordnet werden kann. Serovare (man kennt inzwischen über 2.600)[12] werden, anders als Spezies oder Subspezies, im Anfangsbuchstaben „groß-geschrieben“. Der Einfachheit halber wird in der Benennung üblicherweise einiges weggelassen. Praktisch angewandt auf zum Beispiel Paratyphus B würde eine Benennung so aussehen: Salmonella Paratyphus B statt Salmonella enterica ssp. enterica Serovar Paratyphus B.
Infektionsweg
Während für Typhus einzig der Mensch als Reservoir beschrieben wird, gibt es für Paratyphus gelegentlich Berichte über ein zoonotisches Reservoir; Ansteckungen erfolgen dann über Reptilien oder Geflügel.[13][14] In der Regel jedoch ist der Mensch in Form Erkrankter, Rekonvaleszenter oder Ausscheider der Ausgangspunkt neuer Erkrankungen.[15] Diese erfolgen durch die Aufnahme verunreinigter Nahrungsmittel oder Trinkwasser, aber auch durch Schmierinfektion. Paratyphussalmonellen werden von Erkrankten mit dem Stuhl ausgeschieden. Die Inkubationszeit beträgt in der Regel etwa 10 Tage, kann sich jedoch je nach aufgenommener Infektionsdosis und Abwehrlage des Erkrankten von wenigen Tagen bis über zwei Monate erstrecken. Die Paratyphus-Erreger erreichen nach der Aufnahme den Magen, wo allgemein die meisten Krankheitserreger durch die Magensäure abgetötet werden.
Bei Einnahme von Medikamenten zur Erhöhung des normalerweise stark sauren pH-Werts im Magen (Protonenpumpeninhibitoren zum Schutz bei Einnahme von zum Beispiel Schmerzmitteln, alkalische „Säureblocker“ wie Natron gegen Sodbrennen) reichen kleinere Infektionsdosen, damit Erreger in infektionswirksamer Menge bis in den Dünndarm gelangen, weil sie die Magenpassage überleben.[16] Im Dünndarm befallen sie M-Zellen, davon ausgehend die Peyer-Plaques des Lymphsystems, infizieren dort Makrophagen und finden Anschluss an die Blutbahn. Anschließend erfolgt die systemische Ausbreitung (Generalisationsstadium), während der die Körpertemperatur bis zu einem Plateau von bis zu über 40 °C ansteigen kann.[17][18] Die Krankheit kann über mehrere Wochen andauern und komplikativ verlaufen.[19] Bei frühzeitigem Therapiebeginn sterben weniger als 1 % der Patienten, 1–4 % werden zu Dauerausscheidern.[19]
Symptome
Krankheitsverläufe und Symptomatik sind variabel und entsprechen dem Typhus:[20]
- Mattigkeit, Kopfschmerzen, eingetrübtes Bewusstsein
- rosafarbene Hauterscheinungen am Ende der ersten Krankheitswoche: Roseolen (bakterielle Embolien) besonders am Rumpf
- treppenförmiger Fieberanstieg
- Obstipation (Verstopfung)
- Diarrhoe (Durchfalls) ist in der zweiten bzw. dritten Krankheitswoche möglich[21]
- mögliche Komplikationen: Milzschwellung, Darmperforation (Entstehen von Löchern oder Rissen der Darmwand), Abszesse, Osteomyelitis (Knochenmarkentzündung), Meningitis (Hirnhautentzündung)
- nach Überschreiten des Erkrankungsgipfels schrittweises Absinken des Fiebers mit unter Umständen langwieriger Rekonvaleszenz
Diagnose
Bei Paratyphus wie Typhus finden sich eine Verminderung weißer Blutkörperchen (Leukopenie), insbesondere der eosinophilen Granulozyten (Eosinopenie bis Aneosinophilie) sowie weitere unspezifische Veränderungen des Blutbilds und der Entzündungsparameter. Da die Symptome bei beiden Erkrankungsformen ähnlich und unspezifisch sind (also auch bei anderen Erkrankungen auftreten), muss die Diagnosesicherung durch einen direkten Erregernachweis erfolgen, zum Beispiel aus Blut, Knochenmark, Harn, Stuhl oder Duodenalsekret. Die höchste Signifikanz hat der Nachweis aus dem Knochenmark.[22][23] Da eine Knochenmarkaspiration, also das Gewinnen von Zellen aus dem Knochenmark, ein recht invasives Verfahren ist, erfolgt die Kultivierung (Anzucht und Vermehrung um einen Nachweis führen zu können) der Erreger meist aus dem Blut (Blutkultur). Erst ab Ende der zweiten Krankheitswoche ist eine Stuhlkultur (Anzucht aus Stuhl) sinnvoll, da sich erst dann in relevanter Anzahl Erreger im Darm befinden.[24] Antikörpernachweise (indirekte Nachweise) haben in der Erstdiagnostik keine Relevanz, unter anderem da sie erst nach Wochen positive Ergebnisse bieten können, also zu einem Zeitpunkt zu dem sich die meisten Betroffenen bereits in der Heilungsphase befinden. Als Bestätigungstests gelten direkte Nachweisverfahren mittels PCR oder LAMP (Loop-mediated isothermal amplification).[25] Gelegentlich können Paratyphussalmonellen auch im Urin nachgewiesen werden.[26]
Therapie und Prävention
Entscheidet man sich zu einer antibakteriellen Therapie, ist eine Antibiotika-Gabe für einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen erforderlich. Uneingeschränktes Mittel der Wahl war bis vor kurzem Ciprofloxacin, was sich jedoch aktuell durch Zunahme von Resistenzen weltweit und insbesondere in Pakistan und Indien ändern könnte.[27] Alternativ kann beispielsweise Ceftriaxon angewendet werden. Zur Kontrolle des Therapieerfolgs kann der Stuhl des Patienten auf Anzüchtbarkeit von Salmonella Paratyphi untersucht werden, was ohnehin sinnvoll ist, da so auch die Frage nach Dauerausscheidern beantwortet werden kann. Da sich 1 – 4 % der Betroffenen zu Dauerausscheidern entwickeln, kann auch hier der Versuch einer antibiotischen Sanierung mittels einer zwei- bis vierwöchigen Therapie Erfolg haben.[28] Oft ist jedoch die Entfernung der Gallenblase indiziert, da sich die Paratyphusbakterien dort ansiedeln können, ohne dass Krankheitssymptome bemerkt werden.[29] Im Status des Dauerausscheidens besteht ein Beschäftigungsverbot nach § 42 IfSG.
Ein zugelassener Impfstoff existiert nicht.[30] In der Fachliteratur finden sich vieldiskutierte Hinweise, dass es eine Kreuzimmunität der oralen Vakzine gegenüber manchen Salmonella Paratyphi-Stämmen geben könnte.[31]
Meldepflicht
Paratyphus muss in Deutschland nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) bei Verdacht, Erkrankung oder Tod dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden. Inwieweit die aus der Corona-Pandemie resultierenden Beschränkungen der Reisetätigkeit die Inzidenz beeinflusst haben, muss noch abgeschätzt werden. Allerdings können die absoluten beim RKI gemeldeten Fallzahlen der vergangenen Jahre in Deutschland wie folgt genannt werden:
Jahr | Fallzahl Paratyphus
in Deutschland |
Fallzahl Typhus
in Deutschland |
---|---|---|
2017 | 44 | 78 |
2018 | 30 | 58 |
2019 | 36 | 86 |
2020 | 10 | 26 |
2021 | 8[32] | 18[33] |
Ausscheider unterliegen in Deutschland Aufenthaltsverboten in Gemeinschaftseinrichtungen, leitendes Personal von Gemeinschaftseinrichtungen muss das entsprechende Gesundheitsamt benachrichtigen (siehe § 34 Absätze 3 und 4 IfSG).
In Österreich sind Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle gemäß § 1 Epidemiegesetz 1950 meldepflichtig. Ausscheider sind nach § 2 Absatz 2 Epidemiegesetz 1950 zu melden.
In der Schweiz bestehen umfangreiche Meldepflichten nach einem Labornachweis. Dies ergibt sich aus Anhang 1 der Verordnung des EDI über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen.
Literatur
- Manfred Bornemann: Paratyphus im Kreisgebiet. Vor 50 Jahren wurde ein Teil des Kreises zum Sperrgebiet. In: Heute und einst – 2001' Verlag Neukirchner, 2001 (= 9. Jahrbuch des Landkreises Nordhausen).
- Typhus abdominalis, Paratyphus. RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte. Stand Mai 2007.
Weblinks
- Paratyphus – Informationen des Robert Koch-Instituts
Einzelnachweise
- ↑ Typhoid & Paratyphoid Fever. Abgerufen am 24. September 2021.
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- ↑ Jeffrey D Stanaway, Robert C Reiner, Brigette F. Blacker, Ellen M Goldberg, Ibrahim A. Khalil: The global burden of typhoid and paratyphoid fevers: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. In: The Lancet Infectious Diseases. Band 19, Nr. 4, April 2019, S. 369–381, doi:10.1016/S1473-3099(18)30685-6, PMID 30792131, PMC 6437314 (freier Volltext) – (elsevier.com [abgerufen am 24. September 2021]).
- ↑ Typhus abdominalis, Paratyphus RKI-Ratgeber. Abgerufen am 24. September 2021.
- ↑ What is the difference between paratyphoid fever and typhoid fever (enteric fever)? Abgerufen am 24. September 2021.
- ↑ Pathogenesis of enteric (typhoid and paratyphoid) fever. Abgerufen am 24. September 2021.
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