Gedenkstätten des Völkermordes (Tentativliste von Ruanda)
Gedenkstätten des Völkermordes: Nyamata, Murambi, Bisesero und Gisozi ist der Titel einer Kulturstätte, die der ostafrikanische Staat Ruanda auf seine Vorschlagsliste für das UNESCO-Welterbe gesetzt hat.[1] Die Stätte umfasst vier Gedenkstätten an den Völkermord in Ruanda in Nyamata, Murambi, Bisesero und Gisozi.
Hintergrund
Langjährige ethnische Konflikte zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Hutu, die auch die Regierung Ruandas stellte, und der Minderheit der Tutsi und ihrer Rebellenbewegung Ruandische Patriotische Front (RPF) führten nach dem Abschuss eines Flugzeugs, mit dem der damalige Präsident Juvénal Habyarimana am 6. April 1994 von einem Auslandsbesuch heimkehrte, zu einem Völkermord. Das Attentat wurde den Tutsi zur Last gelegt, und extremistische Hutu aus Präsidentengarde, Armee, Polizei, Milizen und der Zivilbevölkerung ermordeten bis Mitte Juli 1994 etwa 800.000 bis 1.000.000 Menschen. Dem Genozid fielen etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden Tutsi zum Opfer. Auch moderate Hutu, die sich nicht beteiligten wollten oder sich aktiv gegen die Gewalt einsetzten, wurden umgebracht.
Nach dem Attentat auf Habyarimana flammte der Bürgerkrieg zwischen der RPF und Regierungstruppen wieder auf. Es gelang der RPF, bis Mitte Juli den Großteil Ruandas zu erobern. Sobald sie in einer Region die Macht übernahm, hörten dort die Völkermordaktionen auf. Dafür kam es zu einer Massenflucht von Hutu in das benachbarte Zaire. Die RPF übernahm die Regierung und versuchte unter Präsident Paul Kagame eine Politik des Wiederaufbaus und der Versöhnung.
Seit 1995 wurden in mehreren Landesteilen Gedenkstätten zur Erinnerung an den Völkermord errichtet. Dabei wurden teilweise auf bestehende Gebäude zurückgegriffen, in denen und in deren Umgebung Massaker stattgefunden haben, wie z. B. eine Kirche in Nyamata oder die Technikschule von Murambi. Andere Gedenkstätten, darunter die in Bisesero und Gisozi, wurden neu erbaut. Außer den Gebäuden, in denen einige Überreste von Opfern und andere materielle Zeugnisse des Völkermords ausgestellt sind, darunter Speere, Macheten, Keulen, Messer und Fotografien einiger Opfer, gibt es an den einzelnen Stätten auch große Gräberfelder, in denen die Leichen der Opfer vor Ort und aus der Umgebung begraben sind.
Eintragung
Ruanda ist der Welterbekonvention 2000 beigetreten. 2012 wurden stellvertretend vier der Gedenkstätten des Völkermordes als erster Vorschlag auf der Tentativliste von Ruanda eingetragen.[2]
Zur Begründung der herausragenden universellen Bedeutung wird angeführt:[1]
Die vorgeschlagenen Gedenkstätten sind zum einen Zeugnis menschlicher Intoleranz gegeneinander und zum anderen ein Symbol für die Entschlossenheit, ein Wiederauftreten des Völkermords in Ruanda sowie anderswo zu verhindern. Daher ist die Anerkennung dieser Stätten als Mahnmal der Menschheit eine wirksame Strategie zur Bekämpfung des Verbrechens des Völkermords und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, der Völkermordideologie und der Leugnung.
Angestrebt wird eine Eintragung in die Welterbeliste aufgrund der Welterbe-Kriterien (iii) und (vi):[1]
(iii): Das Ende des zwanzigsten Jahrhunderts und die jüngste Geschichte des Landes wurden für hundert Tage durch den Völkermord an den Tutsi in Ruanda geprägt, bei dem mehr als eine Million Menschen auf schreckliche Weise getötet wurden. Die historischen Stätten des Völkermords an den Tutsi und die darin enthaltenen materiellen Beweise sind echte Zeugen für die Vernichtung, die 1994 dort verübt wurde. Sie sind zweifellos unmittelbare Zeugnisse für die historische Herausforderung des ruandischen Volkes und der gesamten Menschheit, weil sie das Fortschreiten der Ausgrenzung einer Bevölkerungsgruppe, den Prozess ihrer Vernichtung und dessen wirksame Umsetzung deutlich machen.
(vi): Die Gedenkstätten des Völkermords an den Tutsi sind Orte des kollektiven Gedächtnisses für die gesamte Menschheit in dem Sinne, dass sie einerseits die Intoleranz des Menschen symbolisieren, die zur Vernichtung einer Gruppe von Ruandern, den Tutsi, geführt hat, und andererseits ein Ort der Verpflichtung für den Menschen sind, damit sich dies (der Völkermord) weder in Ruanda noch irgendwo sonst wiederholt, wie es die Allgemeine Erklärung der Vereinten Nationen von 1948 mit "nie wieder" lehrt.
Gedenkstätten
Die folgende Tabelle listet die einzelnen Gedenkstätten, die Bestandteil des Vorschlags sind. Diese Stätten umfassen zusammen eine Fläche von 30.869 Hektar.[1]
Name | Lage | Anmerkungen | Bild |
---|---|---|---|
Nyamata Genocide Memorial | Nyamata Distrikt Bugesera Ostprovinz (Geokoordinaten) |
Die ehemalige Kirche von Nyamata steht stellvertretend für viele andere Kirchen, in denen Tutsi Schutz gesucht hatten und dennoch massakriert wurden. In dieser 1980 erbauten Kirche wurden etwa 10.000 Tutsi ermordet. Neben der Kirche liegt eine Begräbnisstätte von etwa 50.000 hier und in der Umgebung ermordeten Menschen. | weitere Bilder |
Murambi Genocide Memorial | Murambi Distrikt Nyamagabe Südprovinz (Geokoordinaten) |
Zahlreiche Tutsi suchten Schutz in der Murambi Technical School, die auf einem Hügel lag, auf dem auch französische Soldaten stationiert waren. Die Soldaten zogen sich jedoch zurück, und die Tutsi wurden von Kämpfern der Interahamwe-Miliz angegriffen und massakriert. Neben den als Ausstellungsgebäude dienenden ehemaligen Schulgebäuden liegt eine Begräbnisstätte von etwa 50.000 hier ermordeten Menschen. | weitere Bilder |
Bisesero Genocide Memorial | Bisesero Distrikt Karongi Westprovinz (Geokoordinaten) |
In Bisesero flohen zahlreiche Tutsi auf einen Hügel, von dem aus sie sich eine Zeitlang mit Steinwürfen und Speeren gegen die Angreifer verteidigen und von diesen sogar einige Gewehre erbeuten konnten. Auf dem Hügel befindet sich neben den durch eine fast 300 m lange Treppe miteinander verbundenen Gebäuden der Gedenkstätte eine Begräbnisstätte von etwa 40.000 hier ermordeten Tutsi. Am Fuß des Hügels liegt das Denkmal des Widerstandes mit den Waffen, mit denen sich die Opfer verteidigten. Aus einem mit Steinen gefüllten Mauerring ragen neun Speere heraus. | weitere Bilder |
Kigali Genocide Memorial | Gisozi Distrikt Gasabo Provinz Kigali (Geokoordinaten) |
In Gisozi, etwa 3 km vom Stadtzentrum der Hauptstadt Kigali entfernt, liegt die größte der Gedenkstätten Sie wurde ab 2000 durch den Aegis Trust errichtet und im April 2004, 10 Jahre nach Beginn des Völkermords, eingeweiht. Neben dem Dokumentations- und Ausstellungszentrum liegt eine Begräbnisstätte von über 300.000 in Kigali und seiner Umgebung ermordeten Tutsi. | weitere Bilder |
Weblinks
- Sites mémoriaux du génocide : Nyamata, Murambi, Bisesero et Gisozi auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO zu Tentativlisten (französisch).
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Sites mémoriaux du génocide : Nyamata, Murambi, Bisesero et Gisozi. In: whc.unesco.org. UNESCO World Heritage Centre, abgerufen am 12. Juni 2017 (französisch).
- ↑ Tentativliste von Ruanda. In: whc.unesco.org. UNESCO World Heritage Centre, abgerufen am 12. Juni 2017 (englisch).